- Nachweisproblematik und Gutglaubensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen
- Inhaltsverzeichnis
- Abbildungsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- Einleitung
- A. Innergemeinschaftliche Lieferung
- I. Historische Entwicklung des Konstrukts der innergemeinschaftlichen Lieferung
- 1. Binnenmarktkonzept unter der Berücksichtigung der Grundfreiheiten und Wettbewerbsneutralität als europarechtliche Basis
- 2. Harmonisierung der Umsatzsteuer
- a) Die 1. und 2. EG-Richtlinie
- b) Begriffsbestimmung
- aa) Bestimmungslandprinzip
- bb) Ursprungslandprinzip
- c) Die 6. EG-Richtlinie
- aa) Steuerrechtliche Maßnahmen
- bb) Administrative Verpflichtungen
- d) Mehrwertsteuersystemrichtlinie
- 3. Tatbestand der innergemeinschaftlichen Lieferung gemäß der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und der EuGH-Rechtsprechung
- 4. Umsetzung der Binnenmarktkonzeption in das deutsche Umsatzsteuergesetz
- II. Weitere Folgen und Verpflichtungen für die Unternehmer und die Finanzverwaltung
- III. Zwischenfazit und Auswirkungen der Umsatzsteuerharmonisierung
- B. Nachweispflichten
- I. Europarechtliche Vorgaben
- 1. Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie
- 2. Vorgaben des EuGH
- a) Vorgaben an die Mitgliedstaaten
- b) Vorgaben an die Unternehmer
- 3. Grundsätzliche Nachweispflicht in Einklang mit der Warenverkehrsfreiheit
- 4. Ausgestaltung der Nachweispflichten unter Beachtung der Grundprinzipien des europäischen Gemeinschafts- und Mehrwertsteuerrechts
- a) Warenverkehrsfreiheit und Wettbewerbsneutralität
- b) Neutralität der Mehrwertsteuer als Ausprägung der Wettbewerbsneutralität
- c) Allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts
- aa) Rechtssicherheit
- bb) Verhältnismäßigkeitsprinzip
- cc) Vertrauensschutz
- II. Regelungen im deutschen Umsatzsteuerrecht
- III. Die deutschen Nachweiserfordernisse im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts
- 1. Charakter der Nachweispflichten
- a) Nachweise keine materiell-rechtliche Voraussetzung
- b) Indiz- oder Vermutungswirkung?
- aa) Erfüllung aller Nachweispflichten
- bb) Erfüllung der notwendigen Nachweispflichten
- 2. Umfang des Nachweises einer innergemeinschaftlichen Lieferung
- a) Die Mussvorschrift des § 6a III 1 UStG und der §§ 17a I, § 17c I UStDV
- b) Die Sollbestimmungen in §§ 17a II, IV und 17c II UStDV
- aa) Belegnachweis
- bb) Buchnachweis
- c) Form und Zeitpunkt der Nachweiserbringung
- aa) Form der Nachweiserbringung
- bb) Zeitpunkt der Nachweiserbringung
- d) Nachweiserfordernisse über §§ 17a ff. UStDV hinaus
- aa) Belegnachweise über § 17a UStDV hinaus
- bb) Buchnachweise über § 17c UStDV hinaus
- IV. Zwischenfazit
- C. Gutglaubensschutz
- I. Europarechtliche Vorgaben
- 1. Gutglaubensschutz
- 2. Umkehr der Steuerschuldnerschaft
- II. Gutglaubensschutzregelung des deutschen Umsatzsteuergesetzes
- 1. Voraussetzungen der Gutgläubigkeit
- a) Verletzung des Tatbestands nach § 6a I UStG
- b) Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns
- aa) Handelsrechtliche Auslegung
- bb) Gemeinschaftsrechtliche Auslegung
- 2. Verhältnis der Gutgläubigkeit zu den Nachweispflichten
- a) Inhaltliche Richtigkeit der Nachweise keine Voraussetzung
- b) Vollumfängliche Erfüllung der §§ 17a ff. UStDV keine Voraussetzung
- 3. Sorgfalt in Bezug auf die materiell-rechtlichen Voraussetzungen
- a) Körperliches Verbringen in übriges Gemeinschaftsgebiet
- b) Unternehmereigenschaft des Abnehmers
- c) Erwerb für das Unternehmen und Erwerbsbesteuerung
- 4. Unrichtige Angaben
- a) Beförderung oder Versendung in übriges Gemeinschaftsgebiet
- b) Die Unternehmereigenschaft des Abnehmers
- aa) Verwendung einer erfundenen, ungültigen oder einem anderen Unternehmer erteilten USt-IdNr.
- bb) Privaterwerb unter Angabe einer gültigen USt-IdNr.
- cc) Scheinunternehmer als Abnehmer
- c) Grundsätzliche Erwerbsbesteuerung
- d) Strohmann als Abnehmer
- III. Zwischenfazit
- Schlussbetrachtung
- Literaturverzeichnis
Textprobe:
Kapitel A, Innergemeinschaftliche Lieferung:
I, Historische Entwicklung des Konstrukts der innergemeinschaftlichen Lieferung:
1. Binnenmarktkonzept unter der Berücksichtigung der Grundfreiheiten und Wettbewerbsneutralität als europarechtliche Basis:
Um einen Überblick über die Entwicklung des Begriffs der innergemeinschaftlichen Lieferung zu geben, ist auf die Anfänge der Europäischen Union zurück zu gehen, da bereits mit Abschluss des Vertrags der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1957 die Basis für dieses umsatzsteuerrechtliche Konstrukt gelegt wurde. Gemäß Art. 2 EWGV soll durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes eine harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft gefördert werden. Geprägt ist der Begriff des Gemeinsamen Marktes durch die Verwirklichung dreier aufeinander aufbauender Momente. Erstens die Errichtung einer Zollunion, die nach außen eine ökonomische Einheit bildet und nach innen das Verbot von Zöllen und Abgaben innerhalb der Gemeinschaft festlegt; zweitens die Beseitigung aller Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel mit dem Ziel der Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Binnenmarkt und drittens die Errichtung eines wettbewerbsneutralen Systems. Das Ziel des Gemeinsamen Marktes führt somit zum Zusammenwachsen Europas und verknüpft, um dies vorwegzunehmen, die Grundfreiheiten und die Wettbewerbsvorschriften. Auch in steuerlicher Hinsicht sind diese Ziele zu gewährleisten, sodass Steuergrenzen innerhalb der Gemeinschaft zu vermeiden sind und steuerliche Wettbewerbsneutralität hergestellt werden soll. Diskriminierungsverbote (Art. 95 bis 98 EWGV) und Steuerharmonisierung (Art. 99 EWGV) sind die sich gegenseitig ergänzenden Instrumentarien zur Durchsetzung der Idee eines Gemeinsamen Marktes im Bereich der Steuern.
Nachdem der Ausbau des Gemeinsamen Marktes Anfang der 1980er-Jahre ins Stocken geriet, wurde die Konzeption eines Europäischen Binnenmarktes auf Veranlassung der Europäischen Kommission vorangetrieben, welche am 14.6.1985 ein Weißbuch über die Vollendung des Binnenmarktes veröffentlichte. Mit den darin enthaltenen Vorschlägen für Harmonisierungsmaßnahmen sollten die wichtigsten materiellen, technischen und steuerlichen Schranken innerhalb des Gemeinschaftsgebiets ausgeräumt werden und das rechtliche Umfeld für die grenzüberschreitende Tätigkeit von Unternehmen verbessert werden. Daran anknüpfend wurde durch die Einheitliche Europäische Akte der Begriff des Binnenmarktes mit Wirkung zum 1.7.1987 und dessen schrittweise Errichtung bis zum 31.12.1992 gesetzlich verankert (jetzt Art. 2 i.V.m. Art. 3 I lit. c EGV). Auch der Binnenmarktkonzeption liegen im Großen und Ganzen zwei Wesensmerkmale zu Grunde: einerseits die Gewährleistung der Grundfreiheiten, mithin der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital zwischen den Mitgliedstaaten (jetzt Art. 14 II EGV), und andererseits die Verwirklichung des Ideals der Wettbewerbsneutralität in diesem europäischen Binnenmarkt (jetzt Art. 3 I lit. g i.V.m. Art. 4 I EGV). Zur Realisierung dieser Binnenmarkkonzeption sollen im gesamten Wirtschaftsraum nahezu gleiche wirtschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, zu denen auch die von einem Staat in seinem Hoheitsgebiet erhobenen Steuern gehören, sodass sich demnach ein konkretes Bedürfnis zur Steuerharmonisierung ergibt. Durch die Bezugnahme in Art. 93 EGV wird die Harmonisierung der indirekten Steuern unmittelbar mit der Errichtung des Binnenmarktes in Zusammenhang gesetzt, sodass es primäres Ziel der Harmonisierung sein muss, die steuerlichen Voraussetzungen für die Verwirklichung der Grundfreiheiten und eines wettbewerbsneutralen Systems zu schaffen.
2, Harmonisierung der Umsatzsteuer:
Speziell für die Mehrwertsteuer entfaltet die verpflichtende Verwirklichung des Binnenmarkts und der damit einhergehende Abbau steuerlicher Schranken insofern Relevanz, als dies insbesondere ein Mehrwertsteuersystem ohne steuerliche Hindernisse für den grenzüberschreitenden Verkehr erfordert. Die Mehrwertsteuer ist eine sog. Indirekte Steuer, weil Steuerschuldner und Steuerdestinatar auseinander fallen. Steuerschuldner der Mehrwertsteuer ist der Unternehmer, der die Steuerlast allerdings über den Preis grund-sätzlich auf den Endverbraucher (Steuerdestinatar) abwälzt. Aus dieser sich dadurch ergebende Preiswirksamkeit der Mehrwertsteuer könnten sich erhebliche Einschränkung der Waren- und Dienstleistungsfreiheit ergeben, da die Gefahr besteht, dass Mitgliedstaaten die durch die Einführung des Binnenmarktkonzepts verbotenen Importzölle und Exportsubventionen durch entsprechende umsatzsteuerliche Gestaltungen ersetzen. Eine Abschaffung dieser grenzüberschreitenden Steuerhindernisse und die Verwirklichung eines echten Binnenmarktes kann daher nur mithilfe der Harmonisierung der indirekten Steuern erreicht werden. Da unter Harmonisierung grundsätzlich Rechtsangleichung und keinesfalls Rechtsvereinheitlichung zu verstehen ist, soll dadurch nicht ein einheitliches europäisches Steuerrecht hergestellt, sondern die Sicherung der Freiheiten des EG-Vertrags unter der Bedingung zwischenstaatlicher Wettbewerbsgleichheit gewährleistet werden. Legitimiert wird die Harmonisierung der Umsatzsteuer durch Art. 93 EGV (früher Art. 99 EWGV), soweit diese für Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist. Die materielle Rechtfertigung und mithin der Umfang der Harmonisierung müssen sich aus der Behinderung des grenzüberschreitenden Verkehrs ergeben, also entweder aus der Beeinträchtigung der gemeinschaftlichen Grundfreiheiten durch die Grenzkontrollen bedingenden indirekten Steuern, oder aus der durch sie bewirkten Beeinträchtigung unverfälschten Wettbewerbs.
A) Die 1. und 2. EG-Richtlinie:
Die Harmonisierung der Umsatzsteuer war bei Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte im Jahre 1987 schon recht weit fortgeschritten, da bereits am 11.4.1967 die 1. und 2. Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuer verabschiedet wurde (1. bzw. 2. EG-Richtlinie). Zwar stand hierbei zur Herstellung eines Gemeinsamen Marktes i.S.d. Art. 2 EWG zunächst die Einführung eines einheitlichen Umsatzsteuersystems (Nettoallphasenumsatzsteuer mit Vorsteuerabzug) in allen EWG-Mitgliedstaaten im Vordergrund, doch wurde schon mit Einführung dieser Richtlinien - neben der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen - beabsichtigt, langfristig die Steuergrenzen zwischen den Mitgliedsstaaten und damit den umsatzsteuerlichen Grenzausgleich bei der Einfuhr bzw. Ausfuhr von Gegenständen zu beseitigen. Es sollte somit das bestehende Bestimmungslandprinzip auf längere Sicht durch das Ursprungslandprinzip ersetzt werden. Dabei stellt sich die Frage, welches Prinzip der Ausgestaltung der Mehrwertsteuer als (indirekte) Verbrauchsteuer eher gerecht wird, wonach die Mehrwertsteuer im Grundsatz dem Mitgliedstaat zukommen soll, in dem der Endverbrauch stattfindet.