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Als ich vor vielen Jahren einmal las, dass das Internet zu militärischen Zwecken erfunden wurde, habe ich das nicht wirklich geglaubt. Als Student der Geisteswissenschaften verstand ich die Technik dahinter nicht richtig. Nur so lässt sich meine Unkenntnis erklären. Später fiel mir dann ein, dass Atombomben ebenfalls bereits eingesetzt wurden, noch bevor man die ersten Kernkraftwerke nutzte.
Jetzt, da das "militärische Internet" in der Ukraine eine ebenso wichtige Rolle spielt wie das "friedliche Internet", habe ich keinerlei Zweifel mehr daran, dass wissenschaftliche Entwicklungen für das Militär äußerst wichtig sind. Mir ist zudem nun auch klar, dass aus militärischer Sicht alles und jeder eine potenzielle Zielscheibe darstellen kann. Und dass allem auf der Welt GPS-Koordinaten zugeordnet sind, mit denen jeder, der zerstörerische Absichten hat, sein gewähltes Ziel exakt anpeilen kann. Dieselben GPS-Koordinaten, mit denen ich eine prähistorische Höhle auf Kreta verorten kann, können in eine Rakete eingegeben werden, die von einem russischen U-Boot im Schwarzen Meer aus abgefeuert wird, um ebendiese Höhle zu zerstören oder, gemäß modernem russischem Sprachgebrauch, "zu entnazifizieren".
Vermutungen zufolge war mindestens eine der vierzig Raketen, die in der Nacht vom 31. Juli in der ukrainischen Stadt Mykolajiw verheerende Schäden anrichtete, programmiert worden, um in das Schlafzimmer eines Privathauses einzuschlagen. Ebendiese Rakete tötete den Besitzer des größten ukrainischen Getreidehandelsunternehmens Nibulon, Oleksij Wadaturskyj, und seine Frau Rajisa.
Die Chefredakteurin des Fernsehsenders Russia Today, Margarita Simonjan, kommentierte diesen Mord umgehend und erklärte, dass Wadaturskyj auf der russischen Sanktionsliste gestanden hatte, weil er angeblich "Strafkommandos" finanzierte. Es ist unklar, was für eine Art von "Strafkommando" sie damit meinte. Trotzdem twitterte Simonjan siegessicher: "Er kann jetzt von der Liste gestrichen werden."
Ich bin mir ziemlich sicher, dass Wadaturskyj als fünfzehntreichster Ukrainer - laut Forbes-Magazin - seinem Land und der ukrainischen Armee unter die Arme gegriffen hat. Er muss an den Sieg der Ukraine geglaubt haben. Andernfalls hätte er Mykolajiw, das täglich Raketenangriffe über sich ergehen lassen muss, sicherlich den Rücken gekehrt und sich in Sicherheit gebracht. Laut Olivier Truc, einem französischen Journalisten für Le Monde, der den Millionär nur wenige Tage vor seinem Tod interviewt hatte, war sich Wadaturskyj bewusst, dass ihn Russland im Visier hatte.
Als Schlüsselfigur des ukrainischen Getreidehandels war Wadaturskyj im Rahmen des Abkommens zwischen der Türkei und den Vereinten Nationen an den Vorbereitungen für sichere Korridore für den Getreideexport beteiligt. Das erste Testschiff mit 26000 Tonnen Mais an Bord stach am Sonntag, den 3. August, unter der Flagge Sierra Leones vom Odesaer Hafen aus in See, doch das erlebte Wadaturskyj nicht mehr mit.
Der Getreidekorridor von Odesa durch den Bosporus und darüber hinaus ist mittlerweile schiffbar und die Ukraine kann, inmitten des totalen Krieges mit Russland, endlich wieder landwirtschaftliche Erzeugnisse ausführen. Man mag sich die Versicherungskosten für diese Frachtschiffe kaum vor Augen führen, doch die Wiedereröffnung der Exportrouten ist und bleibt von äußerster Bedeutung. Die Ukraine muss Geld erwirtschaften, um die Kriegsanstrengungen zu finanzieren, und dieses wird in erster Linie aus Afrika und Asien stammen. Russland kann dahingegen fast überall Geld für seinen Angriff auftreiben, auch in Europa, weil es weiterhin Gas und Erdöl an EU-Länder verkaufen kann.
In Kyjiw ist das Gas bislang noch nicht knapp geworden. Ein paar Tage lang gab es Benzin- und Salzengpässe, die aber bereits wieder behoben worden sind. Der andauernde Bedarf an Blutspenden ist dagegen ein anhaltendes Problem. Die Kyjiwer, wie auch die übrigen Ukrainer, spenden bereits mit schöner Regelmäßigkeit Blut. Die Warteschlangen vor dem Blutspendezentrum des zentralen Kinderkrankenhauses, das seit Kriegsbeginn verwundete Soldaten behandelt, überraschen hier niemanden. Manche staunten kürzlich aber nicht schlecht, als Mönche aus dem Höhlenkloster Lawra Petschersk in Kyjiw sowie Theologiestudenten der Seminare und Fakultäten des Moskauer Patriarchats ebenfalls beschlossen, sich Blut für verwundete ukrainische Soldaten abnehmen zu lassen.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass sich die Oberhäupter der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats geweigert hatten, gefallenen ukrainischen Soldaten die letzte Ehre zu erweisen. Und nun spenden die Mönche dieser Moskau unterstellten Kirche für ukrainische Verwundete Blut. Vielleicht wollen sie damit ihre Treue zu Kyjiw anstatt zu Moskau bezeugen. Oder sie tun es vielleicht im Gedenken an die Mönche und Nonnen des dem Moskauer Patriarchat unterstellten Klosters Swjatohirsk im Donbass, die durch russischen Artilleriebeschuss ums Leben kamen. Was auch immer sie zu diesem Sinneswandel bewegt hat, die Hauptsache ist das Ergebnis: besser bestückte Blutbanken.
Was jetzt noch fehlt in Kyjiw, sind Anzeigetafeln vor den Wechselstuben und Banken, die die aktuellen Wechselkurse angeben. Noch bis vor Kurzem galt derselbe Wechselkurs wie noch zu Beginn der russischen Invasion, und diese Wechselkursanzeigetafeln waren ein beruhigender Ruhepol in ukrainischen Ortschaften und Städten. Mittlerweile jedoch, seit der Wert der Hrywnja stark gefallen ist, hat die Nationalbank den öffentlichen Aushang der Wechselkurse untersagt. Wenn man den aktuellen Kurs erfahren will, muss man nun in die Bank oder Wechselstube gehen, seine Brille aufsetzen und die Tabelle mit den Wechselkursen hinter der Schalterscheibe studieren. Die verwendete Schriftgröße dieser Hinweistafeln ist oft so klein, dass man möglicherweise eine Lupe braucht, um die Kurse zu entziffern. Wenn man Glück hat, trifft man auf einen Kassierer, der gut aufgelegt ist und dem es nichts ausmacht, dieselbe Frage zum hundertsten Mal zu beantworten. Das ist natürlich einfacher.
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Trotz der tagtäglichen fürchterlichen Meldungen haben die Ukrainer ihren Sinn für Humor nicht verloren. Witze sind wahrscheinlich der günstigste Weg, optimistisch zu bleiben. Die Anweisung der Nationalbank, ein Geheimnis aus den Wechselkursen zu machen, hat Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte von Anekdoten, Scherzen und Karikaturen hervorgebracht. Der beliebteste Witz geht so: Die ukrainischen Behörden werden in den kommenden Tagen sogar die Preisauszeichnung in Supermärkten verbieten. Käufer erfahren dann erst an der Kasse, wie viel ihr Einkauf kostet.
Die Ukrainer flüchten sich auch dann in einen - manchmal bitterbösen - Humor, wenn es um andere Neuerungen der regionalen oder zentralen Behörden geht. Seit letzter Woche gilt in vielen Städten beispielsweise die Regel, dass öffentliche Verkehrsmittel bei Fliegeralarm anhalten und die Passagiere in den nächstgelegenen Luftschutzkeller dirigieren müssen. Diese Regelung ist in Kyjiw und Winnyzja bereits in Kraft, wird tatsächlich aber nur teilweise umgesetzt. Busse und Straßenbahnen halten zwar an, wenn die Sirene ertönt, und die Fahrer bitten die Passagiere, auszusteigen und sich an einen sicheren Ort zu begeben. Doch die Fahrgäste bleiben meist in der Nähe der Straßenbahn oder des Busses stehen und warten ab, bis der Alarm verklingt und sie die Fahrt fortsetzen können. Auf diese Weise sind bewegliche zu statischen Zielen geworden, die man viel leichter treffen kann.
Man kann sich über die Logik mancher dieser Erlasse streiten, aber fast sämtliche staatlichen Entscheidungen werden mittlerweile nur noch von zwei Beweggründen angetrieben: von Sicherheitsfragen und der schwierigen finanziellen Lage des Landes. Aufgrund des Mangels an Geldern für Rüstungsgüter debattiert die Regierung eine neue 10-Prozent-Steuer auf sämtliche Importartikel. Diese würde eine Preissteigerung von 10% bedeuten, zusätzlich zur Inflation, die die Ukraine derzeit bereits durchmacht.
In Friedenszeiten könnte eine solche Steuer mitunter die heimische Warenproduktion ankurbeln. Doch die ukrainische Wirtschaft befindet sich derzeit, wie sich Präsident Selenskyj neulich ausdrückte, im Dämmerschlaf. Viele Fabriken und Werke sind geschlossen, während andere gerade bemüht sind, ihren Standort in die Westukraine zu verlegen, wo es relativ sicher ist. Momentan bleibt der Traum einer florierenden heimischen Wirtschaft also in weiter Ferne.
Man muss dazu sagen, dass es eine Welle neuer Firmengründungen gegeben hat - vor allem von Zulieferern für die Kriegswirtschaft: z.B. Hersteller von Kleidung und strapazierfähigem Schuhwerk für Soldaten sowie Fabrikanten von Ausrüstung fürs Militär, einschließlich kugelsicherer Westen. Die Abnehmer dieser im Land produzierten Artikel sind Einzelpersonen und Gruppen freiwilliger Helfer; finanziert wird das Ganze durch Spendengelder von Bürgern und Freunden der Ukraine im Ausland.
Im Krieg sprießen aber auch andere, ungewöhnliche Arbeitsfelder aus dem Boden. So sind beispielsweise Unternehmen entstanden, die Feldstudien agrarwirtschaftlicher Flächen zur Vorbereitung für die Minenräumung durchführen. Die Minenräumung selbst kann nur von zertifizierten sogenannten "Sappeuren" durchgeführt werden, die im Auftrag privater oder staatlicher Stellen arbeiten. In der Ukraine sind nur drei Privatunternehmen zur Minenräumung zugelassen, doch die Lizenzen von zwei von ihnen laufen bald aus. Diese Unternehmen beschäftigen...
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