Schweitzer Fachinformationen
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Nahkampftrainer Rudi und ich verrenken unsere Hälse, um Millie und vier Rekrutinnen bei ihrem Fassadenputztraining zu beobachten. Die fünf schaukeln in circa 50 Metern Höhe vor der Glasfassade des DC Towers auf der Donauplatte. Also die vier Schülerinnen von Millie hängen in ihrem Klettergeschirr auf 50 Meter Höhe, Millie steht völlig verkrampft auf einem Sims ungefähr zehn Meter über dem Boden, mit geschlossenen Augen.
»Rechter Fuß, linker Fuß«, höre ich sie konzentriert durch die Kopfhörer flüstern, die mir Rudi gegeben hat, um bei der Übung mitzuhören. Millie leidet unter Höhenangst. Das wissen alle in der Firma. Aber sie ist mit Hingabe Ausbilderin und zu stolz, um zu kneifen. Sie bewegt sich im Schneckentempo von links nach rechts, ihre Schultern sind vor lauter Anspannung zu den Ohren hochgezogen, die Augen fest zugekniffen, da landet auch noch ein Schwall Wasser auf ihrem Kopf.
Mit einem verzweifelten Schrei rutscht sie von dem Sims und fällt ins Seil. »AAAAAAAAARGGGHHHHH!«
»Himmelherrgott noch einmal, Millie«, höre ich Rudi neben mir. »Wenn du so schreist, lass ich noch einmal vor Schreck die Sicherungsleine aus.« Rudi lässt Millie sanft nach unten auf den Boden schweben, doch anstatt auf ihren Beinen zu landen, sinkt sie butterweich weiter, bis sie mit ihrem Hintern auf dem Asphalt sitzt. Sie ist blass, fast grünlich im Gesicht.
»Ich glaube, der Gurt hat mir das Blut in den Beinen abgesperrt«, rechtfertigt Millie ihren Absturz. Rudi verdreht die Augen.
»Diese Gurte sind einfach nicht für weibliche Formen geeignet«, versuche ich sie zu unterstützen und beobachte sorgenvoll ihre sich intensivierende Gesichtsfarbe.
Millie wirft mir einen vernichtenden Blick zu. »Vielen Dank, Jojo, das ist sehr hilfreich, warte, ich muss nur kurz .« Millie dreht sich zur Seite und übergibt sich in ihren Putzkübel.
»Igitt, Millie, hast du uns wirklich gerade ins Ohr gekotzt?«, höre ich die Stimme von Anastasia durch den Kopfhörer.
»Natürlich nicht«, antwortet Millie und zwinkert, »ich probiere nur eine neue Atemtechnik aus.«
Jetzt erschallt vierstimmiges Gelächter aus dem Kopfhörer. Die PSA-Juniors kennen ihre Ausbilderin gut.
»Agents, an die Geräte«, räuspert sich Millie und versucht ihre Führungsfunktion zurückzuerobern.
Wir sehen, wie die vier ihre Fensterputzstangen ausfahren und die Schwämme in ihre Kübel eintauchen. Zwei von ihnen, Astrid und Anastasia, kenne ich gut. Sie gehören mittlerweile zum Kernteam.
»Schaaas, des Wossa is ma ausgonga«, hören wir Astrids breiten Waldviertler Dialekt. Vier Stimmen lachen. Eine knurrt: »Ich weiß, wer nächste Woche alle Toiletten putzt.« Millie streicht sich die pitschnassen Haare hinters Ohr. Ich unterdrücke mein Lachen.
Wir richten unsere Blicke zurück auf die Fassade. Das blaugraue Glas spiegelt die Farben des Himmels wider, die weißen Schäfchenwolken reflektieren sich darauf, als hätte das Haus eine Tarnkappe und würde mit dem Hintergrund verschmelzen. Ich bin zwar kein Fan dieser Gebäuderiesen, aber dieses hier finde ich schön, weil es sich selbst nicht so wichtig nimmt, obwohl es mit seinen 220 Metern Höhe zurzeit das höchste Gebäude Wiens ist.
Anastasia, die hellblonde weißrussische Agentin, läuft in bester Mission-Impossible-Manier über die Wand. Sogar von hier unten und mit leuchtfarbenem Putzoverall sieht sie scharf aus. Rudis Blick hängt verliebt an ihrer Silhouette.
Die Waldviertlerin Astrid hat ihren Helm kaum über die Rastalocken bekommen. Er thront auf dem Kopf wie eine skurrile Krone. Ihre Bewegungen wirken am behäbigsten. Den Hintern nach hinten geschoben, sitzt sie im Klettergurt wie in einem gemütlichen Schaukelstuhl.
»Okay, jetzt kommt der Auftrag«, dirigiert Millie. »21. Stock, Zimmer 21.18., und 15. Stock, Zimmer 15.32, 50. Stock, Zimmer 50.22. Observation.«
Die Vierergruppe spaltet sich auf. Anders als Millie werden sie nicht von Rudi gesichert, sondern von einer maschinellen Haltevorrichtung am Dach, die sie über eine Funkverbindung selbst bedienen. Anastasia saust mit ihrer Haltevorrichtung in den 50. Stock, als säße sie auf dem Space Shot im Wurstelprater. Die anderen Neulinge schweben zusammen zum zweiten Observationsbereich. Astrid surrt gemütlich zum verbleibenden Zielobjekt. Innerhalb weniger Minuten schaukeln alle vier vor dem richtigen Fenster. Beeindruckend. Es ist nicht einfach, sich in den Lageplänen von rund 66.000 Quadratmetern Büro- und Wohnfläche zurechtzufinden.
Die getarnten Parabol-Richtmikrofone werden ausgerichtet und der Lauschangriff beginnt, während das rhythmische Putzen fast ununterbrochen fortschreitet. Das ist einer der Gründe, warum die Putzfrauen Spy Agency so erfolgreich ist. Unsere Agentinnen sind quasi unsichtbar, denn wer interessiert sich schon für die Putzkraft, die vor einem Fenster schaukelt.
Millie hat die These aufgestellt, dass unsere Kunden uns auch dann buchen würden, wenn sie wüssten, dass wir spionieren. Einfach weil wir so super putzen. Und da ist etwas Wahres dran. Alle unsere Agentinnen durchlaufen zunächst einmal eine fundierte Ausbildung als Putzkraft. Unsere Chefin Evelyn betont immer wieder, dass wir uns unverzichtbar machen müssen, damit unsere Observationsobjekte uns gerne und freiwillig ihre Hausschlüssel und Zugang zu allen Bereichen überlassen.
Eine halbe Stunde später sitzen Millie und ich in einem kleinen Strandcafé auf der Donauinsel, das wir entdeckt haben, weil wir manchmal im Büroviertel oben auf der Donauplatte putzen. Die Lokale oben sind völlig unterkühlt und nicht unser Stil, aber was noch viel wichtiger ist - sie servieren keinen Mojito. Das Café hier ist auf afrikanische Strandbar getrimmt, mit Strohschirmen und einer Plastikelefantentrophäe an der Wand. Gerade schaukeln unsere Drinks auf dem Tablett eines kleinen asiatischen Kellners auf uns zu. »Bitteschöööön, Ihle Dliiiinks«, singt er und platziert unsere Mojitos vor uns auf dem Tisch.
Meine Freundin sieht großartig aus. Ihre langen dunklen Haare fallen über ein erbsengrünes Kleid, ich glaube, es ist eines meiner ausrangierten, und sie sieht toll darin aus. Sogar einen Hauch von Schminke meine ich zu erkennen. Ein Zugeständnis, das vor einem Jahr nicht möglich gewesen wäre. Ich liebe Millie, aber ihr Hang zum praktischen Outfit - Jeans, Kapuzenpulli, zusammengewurstelte Haare, null Schminke - war unerträglich. Jahrelang hab ich mir den Mund fusselig geredet.
Dann kam Max. Und alles hat sich geändert.
Mein Blick fällt auf mein eigenes Outfit - Baggy-Jeans, Kapuzenshirt, Sneakers - und ich erkenne, dass ich zu Millie geworden bin. Seit dem Unfall ist meine Lust am Styling verschwunden. Wo früher meine Freude an Farben, Formen und Schnitten wohnte, hockt jetzt ein dicker behäbiger Müdigkeitstroll. Ich weiß nicht, ob es Millie so gegangen ist wie mir, aber ich verstehe jetzt ihren Hang zu weichen, übergroßen Kleidern, in die man hineinkriechen kann. Quasi eine Bett-Verlängerung für den Alltag.
Millie zieht an ihrem Strohhalm, als wäre das Mojito-Trinken ein Wettbewerb. Ihr Glas ist schon halb leer, während ich mal gerade einen Schluck getrunken habe.
»Ich hab leider nicht so lange Zeit heute«, erklärt sie. »Max und ich sind zu einer Grillparty bei Freunden von ihm eingeladen und er holt mich in zehn Minuten ab.«
Shit, zehn Minuten. Ich hätte mich gerne mit ihr über meine Blackouts beraten, aber in zehn Minuten möchte ich das nicht hineinquetschen. Mein Müdigkeitstroll seufzt resigniert und legt noch ein paar Kilo zu. »Ja, macht nichts, alles gut«, versuche ich ein Lächeln.
Millies Blick heftet sich auf mich, als würde sie mich heute das erste Mal richtig anschauen. »Was ist mit deinem Gesicht passiert? Hast du Nico getroffen?«
»Was? Nein!« Meine Hand greift zu meiner Wange, wo ich die Schwellung von meinem Sturz heute in der Bibliothek ertaste. Nico hat seine inneren Konflikte gerne an meinem Gesicht ausgelassen. Aber seit dem Unfall ist er verschollen. Gott sei Dank.
Ich überlege, ob ich doch mit der Blackout-Geschichte rausrücke. Es tut gut, Millies Anteilnahme zu spüren. In letzter Zeit bekomme ich davon nicht so viel, weil das frisch verliebte Paar in seiner eigenen Zweisamkeitsblase lebt. Ich finde das zwar peinlich von mir selber, dass ich auf Max eifersüchtig bin, und ich freu mich auch für Millie, dass sie endlich einen Mann gefunden hat, dem sie vertraut. Aber Millie und ich waren, seit wir uns in der Volksschule kennengelernt haben, eine untrennbare Einheit. Damals war ich noch überzeugt, dass sie und ich eines Tages heiraten würden. »Millijo« hat uns meine Oma Adela immer gerufen. Und gerade jetzt könnte ich Millijo wirklich gut gebrauchen.
Ich lächle Millie an und sie lächelt strahlend zurück. Wärme durchströmt meinen müden Troll. Da bemerke ich, dass ihr strahlendes Lächeln auf einen Ort hinter mich gerichtet ist.
»Ma-hax! Hier sind wir«, sie winkt, springt auf und läuft auf ihn zu. Ich dreh mich um und sehe gerade noch, wie die beiden verschmelzen. Geigen ertönen. Die tief stehende Abendsonne streichelt die beiden mit ihrem warmen Licht. Mein Troll packt seine atonale Blockflöte aus und bläst dagegen an.
»Hallo, Jojo.«
»Hallo, Max.« Ich verkrampfe mich innerlich, weil Millie die Einzige ist, die mich so nennen darf. Das Verhältnis zwischen Max und mir ist ein wenig distanziert. Wir bemühen uns beide um Millies Willen und meine rationale Gehirnhälfte weiß, dass er ein toller Typ ist....
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