Schweitzer Fachinformationen
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Trotz der warmen Luft aus dem Gebläse der Autoheizung ist mir, als krieche die trockene Kälte von draußen in mich hinein, als dringe sie mir tief ins Mark. Meine Hände und Füße fühlen sich an wie Eiszapfen, ich sitze kerzengerade und steif da, starre ins Leere, ohne das Geringste wahrzunehmen. Wortlos legen wir unseren Weg zurück, beide aufs Äußerste angespannt. Er bricht das Schweigen: »Wir sind gleich da! Es wäre gut, wenn du dich allmählich fertig machen würdest!«
Ich lege mir das große schwarze Kopftuch um und schiebe es bis zu den Augenbrauen herunter, dann ziehe ich es an den Enden zu und befestige es mit einer Sicherheitsnadel, sodass es knapp unter der Nase sitzt. Hasan Bey muss lachen: »Zieh dein Kopftuch doch weiter nach oben, sonst kannst du ja nichts sehen!« Unbeholfen zupfe ich daran herum, irgendwann sagt er dann: »Ja, so ist es gut! Steht dir sogar! Es hebt die Schönheit deiner Augen hervor.« »Ich kann mir überhaupt niemanden vorstellen, dem so ein Kopftuch stehen könnte.« »Ach, ich schon. Frauen mit schönen Augen und einer hässlichen Nase steht es ganz ausgezeichnet.« »Herzlichen Dank!« »Du weißt genauso gut wie ich, dass deine Nase nicht hässlich ist. Jetzt also bitte kein >fishing for compliments< so früh am Morgen!«
Insgeheim bin ich zwar stinksauer, sage aber nichts mehr, weil ich es für unangebracht halte, mich mit einem Mann herumzustreiten, der mein Vater sein könnte und sich bemüht, mir zu helfen. Der Nebel, der in den frühen Morgenstunden besonders dicht war, löst sich allmählich auf. Mit dem Zipfel meines Kopftuches wische ich die beschlagene Scheibe auf meiner Seite ab. Wir fahren noch immer. »Mir gehts nicht gut, ich kriege keine Luft!« »Wieso, du hast dir doch nicht die Nase zugebunden?« »Ja, ja, trotzdem ersticke ich fast. Sicher seelisch bedingt. Könnten Sie bitte das Fenster ein bisschen aufmachen, damit frische Luft hereinkommt!« Er drückt einen Knopf und lässt die Scheibe halb herunter. Nun frösteln wir beide in der trockenen Kälte dieses winterlichen Morgens. »Sollen wir das Ganze noch einmal durchspielen?«, fragt Hasan Bey. »Ich stelle meine Fragen zügig und schweife nicht ab. Was ich mir nicht notieren kann, merke ich mir und schreibe es sofort in mein Heft, sobald ich wieder draußen bin. Sollten wir Hunger bekommen, essen wir die Kekse, die ich in meiner Tasche habe. Das Interview muss vor fünf beendet sein. Wenn irgendetwas schiefgeht, gebe ich niemandem irgendeine Erklärung und rufe Sie sofort auf dem Handy an.«
»Bedauerlicherweise wird das nicht möglich sein. Handys sind nicht erlaubt.« »Nicht doch! Und wenn etwas passiert?« »Es passiert schon nichts. Aber wenn doch, dann wendest du dich an Dilaver Bey!« »Und wer ist das?« »Ein alter Freund von mir. Von drinnen. Ich gebe dich in seine Obhut.« »Kann man ihm vertrauen?« »Hundertprozentig!« »Dann ist ja gut!« »Aber Kindchen, das Wichtigste hast du vergessen!« »Gewiss nicht. Niemand, aber auch absolut niemand darf von diesem Treffen wissen, außer Ihnen, mir und diesem - wie war doch gleich sein Name - Dilaver Bey?« »Richtig, sehr gut!« »Hasan Bey, ich werde nie vergessen, was Sie da für mich tun! Vielen, vielen Dank!« »Bete dafür, dass wir keinen Ärger bekommen!« »Es wird schon gut gehen . Es weiß ja keiner davon . außer uns.« »Die Wände haben Ohren!«, mahnt Hasan Bey besorgt. »Wenn das herauskommt, geht es dem Gefängnisdirektor an den Kragen.« »Keiner erfährt etwas davon«, entgegne ich und bemühe mich, dass meine Stimme nichts von meiner inneren Unruhe verrät. »Glauben Sie mir, diese Sache heute geht über die Bühne, ohne dass auch nur eine Menschenseele etwas davon mitbekommt.« »Hoffentlich!« »Was ist mit dem Diktiergerät?« »Hol es aus deiner Tasche und gib es mir. Man sollte es nicht bei dir finden. Ich werde mir schon was einfallen lassen.« »Es ist nicht in meiner Tasche. Ich habe es in eine Tüte gesteckt, sie liegt hinten auf der Rückbank. Es wäre gut, wenn ich es dabeihätte, ich kann ja nicht alles im Gedächtnis behalten, und wenn ich mitschreibe, kostet mich das zu viel Zeit.« »Du solltest dankbar sein, dass wir überhaupt so weit gekommen sind!« »Aber das bin ich doch auch! Ich bin Ihnen sogar sehr dankbar. Wenn Sie nicht gewesen wären .« Ich kann sie selbst schon nicht mehr hören, diese ewig gleichen Dankesworte, die ich wahrscheinlich schon zum hundertsten Mal wiederholt habe, und verstumme mitten im Satz.
An der nächsten Kreuzung biegt Hasan Bey rechts ab. Wir fahren noch eine ganze Weile weiter und schweigen wieder. Jeder von uns ist in seine eigenen Gedanken versunken. Später einmal biegen wir links ab, dann fahren wir noch ein kurzes Stückchen weiter, und plötzlich taucht die stacheldrahtbewehrte Betonmauer des Gefängnisses vor uns auf. Mir wird beklommen zumute, ich greife nach meiner Tasche auf der Rückbank, stelle sie auf meinen Schoß und durchwühle sie. Ich kann sie nicht ausstehen, diese Taschen mit ihren Abgründen. Alles, was man darin sucht, verkriecht sich in einer Ecke und ist verschwunden, vor allem dann, wenn man es eilig hat. Ich krame und krame, ertaste mein Asthmaspray und hole es heraus. Ganz fest umklammere ich die Spraydose in meiner Hand. »Nanu! Was hast du denn?«, fragt Hasan Bey. »Wahrscheinlich die Aufregung. Mir ist, als würde ich keine Luft bekommen.« »Ich wusste ja gar nicht, dass du Asthmatikerin bist. Eine Allergie? Reagierst du empfindlich auf Pollen?« »Nein, nein, es ist keine Pollenallergie. Vielleicht tut mir die Luftfeuchtigkeit nicht gut.« »Aber hier im Auto ist es doch gar nicht feucht. Du bist nervös. Sollen wir das Ganze abbrechen?« »Auf keinen Fall!« Der Wagen wird langsamer und kommt vor dem eisernen Tor zum Stehen. Hasan Bey steigt aus, geht zum Tor und betritt sogleich das Wachhäuschen daneben. Ich drücke auf die Spraydose und atme den Strahl ein-, zweimal hastig ein. Hasan Bey kommt zurück und fordert mich auf: »Steig aus und warte hier auf mich! Ich parke das Auto und bin gleich wieder da.«
Ich steige aus dem Auto und warte auf dem Gehsteig. Starr wie eine Statue stehe ich da, gehüllt in ein Kopftuch, das mir vom Scheitel bis zur Taille reicht, und eingeengt in diesen knöchellangen, grauen Mantel. Was für ein schreckliches Gefühl das ist! Als wäre man in einer Festung eingesperrt. Wie kann sich ein Mensch freiwillig hinter solch einer Bastion aus Stoff einkerkern lassen? Warum lassen meine Religionsgenossinnen sich das so geduldig gefallen? Ganz langsam mache ich einen Schritt . dann noch einen und noch einen. Anscheinend kann man sich darin doch vorwärtsbewegen. Nun gehe ich ganz schnell . zwanzig Schritte an der Mauer entlang und zwanzig zurück, immer wieder hin und her, in diesem Aufzug, an den ich mich einfach nicht gewöhnen kann. Der stocksteife Wachtposten beobachtet mich verwundert. Aus dem Tor tritt ein Mann in dunkelblauem Anzug, den Hasan Bey vom Parkplatz aus per Handy über unsere Ankunft informiert haben muss, und begrüßt uns. Ich bin immer noch nicht ganz dahintergekommen, warum alle Beamten, die einen blauen Anzug tragen, sich gleichen wie ein Ei dem anderen. Genau wie all die religiösen Eiferer mit ihren typischen Bärten, ihren runden Gesichtern und ihren listigen Äuglein einander so ähnlich sehen oder die Fußballer mit ihren muskulösen Säbelbeinen und ihren markanten, angespannten Gesichtern oder auch die Abgeordneten mit ihren bürstenartigen Schnauzern. Dieses schmächtige, blassgesichtige Männlein wirkt, als habe es genug von seinem trübsinnigen Dasein als Mitglied der Kaste der Geringverdiener. Mit gleichbleibend unglücklicher Miene spricht der Beamte mit dem Wachmann, der in seinem Häuschen neben dem Eisentor sitzt, und hält ihm einen Zettel hin. Der Wachmann streckt seine Hand durch das kleine Fenster, nimmt unsere Ausweise und gibt uns Identitätskarten zum Anstecken. Der andere Wachmann im Freien öffnet lustlos das Tor. Wir gelangen in einen weitläufigen Innenhof. Ein Areal, wie leer gefegt, ohne einen einzigen Baum, ohne Menschen. Etwas ratlos blicke ich in der Gegend umher. Hasan Bey zieht mich am Ärmel: »Komm, Mädchen!« Während wir uns weiter vom Wachtposten am Tor entfernen, beugt sich Hasan Bey zu dem Mann hinüber und flüstert ihm etwas ins Ohr. Der Beamte in der blauen Uniform nickt immer wieder, schweigt aber. Im Eilschritt passieren wir die Tür des Gebäudes vor uns. Hier befindet sich ein Kontrollpunkt wie an Flughäfen. »Legen Sie Ihre Hand auf das Lesegerät!«, befiehlt ein Beamter. Als er meinen staunenden Blick sieht, ergreift der Mann im blauen Anzug meine Hand und legt sie auf den Scanner. Nach mir lässt auch Hasan Bey seine Hand einlesen. Ich scherze: »Wenn dieses Gerät nun schon mal unsere Hände gelesen hat, dann soll es uns doch auch gleich die Zukunft voraussagen!« Keiner lacht. Hasan Bey tut sogar so, als habe er mich nicht gehört. Hier hat man also stets ernst und traurig zu sein. Ich lege meine Tasche aufs Laufband und möchte den Kontrollpunkt passieren, da werde ich sogleich ermahnt: »Schuhe ausziehen!« Hasan Bey und ich folgen dem Befehl. In Strümpfen gehen wir durch den Kontrollpunkt. Ein Beamter nimmt die Schuhe, untersucht sie innen und unter der Sohle, dann gibt er sie uns zurück. Sowie ich meine Tasche wieder an mich nehme, fragt ein anderer Beamter, der vor dem Durchleuchtungsgerät sitzt, nach meinem Handy. Ich hole es heraus und reiche es ihm. »Das bleibt hier! Wenn Sie wieder gehen, bekommen Sie es zurück!« Eine ziemlich dicke Frau in Uniform, die auf der anderen Seite des Kontrollpunkts wartet, führt mich in eine Kabine....
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