Schweitzer Fachinformationen
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"Wenn der Schnee geschmolzen ist, siehst du, wo die Kacke liegt!"
"Das soll die Nationalmannschaft sein? Das ist genauso, wie wir früher gekickt haben: eine Auswahl Bahnhofstraße gegen Buerer Straße."
Rudi Assauer konnte austeilen, war temperamentvoll, selbstbewusst. Sternzeichen Stier. Die Schalker Abteilung Attacke, Diplomatie ein Fremdwort: "Mein lieber Jörg Wontorra. Ich weiß nicht, ob Sie heute Morgen schon in den Spiegel geguckt haben. Erstens sind Sie 20 Jahre jünger als ich und sehen 40 Jahre älter aus. In der Tat werde ich es noch erleben, dass Schalke 04 in den nächsten Jahren Deutscher Meister wird. Die Frage sei erlaubt, ob Sie dann noch auf diesem Stuhl hier sitzen."
Der Frontalangriff in der Live-Sendung "Doppelpass" saß. Doch wer war Rudi Assauer wirklich? Wie tickte der unnachgiebige Macho? Um das zu verstehen, muss man in seine Kindheit eintauchen. Assauer war Ruhrgebietsjunge, in allen Facetten. Kaum jemand hat den ehrlich-echten und ungeschminkten "Kohlenpott" so geliebt, verkörpert und verteidigt wie er. Auch wenn er am 30. April 1944 in Sulzbach-Altenwald zur Welt gekommen ist und zumindest im flächenmäßig kleinsten deutschen Bundesland die ersten Tage seines Lebens verbracht hat, hat er dem Ruhrgebiet bis zuletzt - mit einer Episode in Norddeutschland - die Treue gehalten. Schon nach kurzer Zeit war Herten, gemessen an der Fördermenge die größte Bergbaustadt Europas, seine Heimat. "Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets und nur zufällig im Saarland rausgerutscht", bekräftigte er immer wieder. Aufgrund der Bombardements der Alliierten während des Zweiten Weltkriegs fühlte sich seine Mutter Elisabeth, genannt Else, in ihrer ursprünglichen Heimat für die bevorstehende Entbindung von Zwillingen sicherer. Else hat eine Zeitlang im Hotelgewerbe gearbeitet, Gäste bewirtet, umsorgt, gekocht und Büfetts hergerichtet. Sie kümmert sich um den Haushalt und die Erziehung der Kinder. Im Hertener Lito-Kino auf der Ewaldstraße begleitet die begeisterte Musikerin, die als Kind Klavier spielen gelernt hat, regelmäßig Stummfilme. Vater Franz ist gelernter Stellmacher, eine Art Zimmermann, der Räder, Wagen und andere landwirtschaftliche Geräte aus Holz herstellt. Deswegen renoviert er im Alleingang die Dreieinhalbzimmerwohnung mit Bad in der Augustastraße 44, in die die Familie Ende der 1940er-Jahre einzieht. Unterstützt wird er von Tochter Karin, die längliche Tapetenstücke zurechtschneidet. Rudi hat weder das musikalische noch das handwerkliche Talent geerbt, schaut bei den Arbeiten lieber zu. Ein glücklicher Umstand, dass zwei linke Hände beim Fußballspielen egal sind. Die Wohnung in der ersten Etage mit Blick auf den Volkspark Katzenbusch gehört zu einem großen, 1928 erbauten Häuserblock im Stil der Gründerzeit, der sich über zwei Straßen erstreckt und im Besitz der Gemeinnützigen Wohnungsfürsorge Ruhrkohlebezirk GmbH, kurz "WoGe", ist. Die Liegenschaft, die über Eck geht, beherbergt 23 Wohnungen auf insgesamt 1.500 Quadratmetern. In den ersten Jahren nach Karins und Rudis Geburt teilt sich Familie Assauer im Nachbarhaus, das ebenfalls zum selben Gebäudekomplex zählt, eine Wohnung mit einer anderen Familie. Dort, in der Herner Straße 64, bewohnen die Assauers die Wohnküche und das Schlafzimmer. Die Häuser gibt es bis heute. Sie sind gut erhalten und in Rosa, Beige und Grau gestrichen. In den zahlreichen kleinen, rechteckigen Fenstern hängen weiße in sich gemusterte Küchengardinen. Auf den hellen Fassadenteil auf der Herner Straße wurde ein Zechenförderturm aufgemalt, der seinerzeit das Symbol der "WoGe" gewesen ist.
Als Vater Franz nach russischer Gefangenschaft als Kriegsversehrter zurückkehrt, ist er körperlich gezeichnet. Er ist Frühinvalide und arbeitsunfähig, hat eine Verletzung am Fuß, Probleme mit dem schmerzenden Ischiasnerv. Mit Gelegenheitsjobs hält er die Familie über Wasser, kurzzeitig auch über Tage auf Zeche Ewald. "Er war ein sehr guter Skatspieler und hat sich damit etwas Taschengeld dazuverdient", sagt Karin. "Oft war er bis spät nachts in der Kneipe." Mutter Else gibt zu Hause den Ton an, nutzt manches Mal den Klopper, der auf dem Küchenschrank deponiert ist. "Sie war echt streng. Unser Vater aber nicht." Als die Familie die pflegebedürftige Oma aufnimmt, verkleinert sich der Wohnraum. "Dann hatten wir kein Wohnzimmer mehr." Die Großmutter ist auf Hilfe angewiesen, zeigt erste Anzeichen einer Demenz, die man zur damaligen Zeit nicht einordnen kann. "Rudi und ich haben dann Streiche gespielt und ihr zum Beispiel einen Wecker gestellt. Das fanden wir lustig." Als sie stirbt, sind die Zwillinge zehn Jahre alt. Bis zwei Jahre später ihr 13 Jahre älterer Bruder Lothar auszieht, um zu heiraten, schläft die Familie in nur drei Betten. Mutter Else teilt sich das Bett mit Karin, Vater Franz mit Rudi, während Lothar ein eigenes besitzt.
Im rauen Ruhrgebiet trägt man bis heute das Herz auf der Zunge, es wird nicht lang gefackelt und erst recht nichts schöngeredet. Wer in Herten oder Gelsenkirchen wohnt, bekommt vom Nachbarn mitunter den Hinweis: "Wenn du Bayern-Fan bist, kannst du direkt wieder ausziehen." Die Schalker Hausregeln. Wenn man jemanden mag, adelt man denjenigen mit: "Der ist in Ordnung." Eindeutiger kann man seinen Lokalkolorit nicht ins Schaufenster stellen. Das lockere Mundwerk eignet sich "Assi", wie er von allen seinen Freunden genannt wird, auf dem Fußballplatz an. "Von Zuhause hatte er das auf keinen Fall. Unsere Eltern haben ihn direkt ermahnt, wenn er derbe Kraftausdrücke benutzt hat", rekapituliert Karin. Franz nennt ihn ausschließlich "Sohnemann". Wenn es ernst wird, spricht Else ihn mit "Rudolf" an, der Name, der zeitlebens kaum gebräuchlich bleiben wird und wenn überhaupt in seinen Ausweisdokumenten auftaucht. Diese Sprache, den Duktus und die Lautstärke wird der kleine Rudi adaptieren und später gekonnt einsetzen. Bei Konkurrenten, aber auch bei eigenen Mitarbeitern und Spielern.
Rudi Assauer möchte bereits als Kind hoch hinaus, sein erster Berufswunsch lautet: Pilot. Er besucht in jungen Jahren gern den Flughafen in Düsseldorf, in dessen Nähe eine Tante wohnt. Allerdings macht ihm seine Flugangst einen Strich durch die Rechnung. Weil sein Onkel Herbert am Ewaldsee im Hertener Süden Förster ist und ihn oft mit zur Jagd nimmt, kann er sich auch ebendiese Tätigkeit vorstellen. Naturverbunden, ruhiger und mit mehr tierischen als menschlichen Kontakten hätte sein Weg weitergehen können. Doch es kommt bekanntlich anders.
Der Schule kann Rudi Assauer als Kind nicht viel abgewinnen. Er sitzt vielmehr die Zeit ab, ehe es nach Hause in das Eckhaus in der Augustastraße geht, der Tornister in die Ecke geworfen und anschließend bis zum Einbruch der Dunkelheit "gepöhlt" wird, wie man im Ruhrgebiet das Fußballspielen liebevoll nennt: "Was für uns damals ganz wichtig war, waren die sogenannten Straßenkämpfe. Es wurde ein Feld ausgeguckt und man hat notdürftig Tore aufgebaut. Dann wurde gespielt. Straße gegen Straße. Jeden Tag gab es mindestens zwei Wettkämpfe. Augustastraße gegen Herner Straße. Hin und zurück. So bin ich groß geworden." Manchmal wird auch im Hof des Mehrfamilienhauses gespielt.
Auf der Herner Straße wohnt damals Johann Albert Geiermann. An Heiligabend 2023 ist "Hansi", wie er von allen genannt wird, 80 Jahre alt geworden. "Rudi war als Kind anders. Wir waren Rabauken, wir haben Schabernack gemacht. Klingelmännchen zum Beispiel. An Türen schellen und abhauen. Oder wir haben ein Portemonnaie auf den Boden gelegt und mit einem Bindfaden weggezogen, wenn einer kam, der es aufheben wollte. Das hat er nie gemacht." Stattdessen trainiert Rudi fleißig, gar akribisch. "Er hat jeden Tag Fußball gespielt. Er war sehr fixiert darauf." Der junge Hansi darf mitspielen, weil er einen Lederball besitzt. In Zeiten, in denen mit Stoffbällen aus alten Kleidungsstücken gespielt wird, eine Sensation. Bereits in jungen Jahren kristallisieren sich Assauers Managementqualitäten heraus: "Er war immer schon so ein Macher, wollte immer alles bestimmen, auch die Mannschaftsaufstellungen und Anstoßzeiten. Er wollte alles an sich reißen und hat auch bei den Straßenkämpfen schon alles organisiert."
Wir befinden uns in der Nachkriegszeit. Die Menschen haben nicht viel und sind mit wenig zufrieden, Assauer mit noch weniger. Hungern muss er nie. Außerdem reicht ihm der Fußball - was fast immer so bleiben wird. Zu Schulzeiten wird er von Mitschülerinnen "der schöne Rudi" genannt - wegen seiner Lockenpracht.
Nein, einen Finger musste Assauer zu Hause nicht krümmen. "Weil er ein Junge war. Wir haben uns später auch noch kaputtgelacht, weil er nicht mal Kaffee kochen konnte." Die zehn Minuten jüngere Zwillingsschwester Karin, die früher als...
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