3. Die Blutlinie Kapitel 1: Das Erbe Steffi war allein, umgeben vom erdrückenden Gewicht der Vergangenheit. Nach dem Tod ihrer Urgroßmutter, einer Frau, die sie nur aus verblassenden Fotografien kannte, hatte sie ein Haus geerbt, das so alt schien wie die Zeit selbst. Es stand am Rande eines dichten Waldes, seine steinernen Mauern waren von Efeu überwuchert und die Fenster waren blind. Das Haus roch nach altem Holz, feuchter Erde und nach einem undefinierbaren, aber unverkennbaren Duft - ein Hauch von altem Blut und getrockneten Rosen. Steffi, eine junge Historikerin, die ihr Leben in Archiven und verstaubten Büchern verbracht hatte, betrachtete das Erbe nicht als Geschenk, sondern als Last. Sie wollte das Haus so schnell wie möglich verkaufen, um das nächste Kapitel in ihrem Leben zu beginnen. Doch bevor sie das tun konnte, musste sie das Chaos aufräumen, das ihre Urgroßmutter hinterlassen hatte. In der Bibliothek, einem Raum, der so groß war, dass er seine eigene Kälte zu haben schien, fand sie es. In einer verborgenen Schublade, hinter einer Reihe von Büchern über Botanik, entdeckte sie ein Familienbuch. Es war ein großes, schweres Buch, dessen Einband aus Leder so dunkel war, dass er die Farbe der Nacht zu haben schien. Steffi, die eine Leidenschaft für alte Manuskripte hatte, öffnete das Buch mit Ehrfurcht. Die ersten Seiten waren mit Stammbäumen und Geburtsdaten gefüllt, gewöhnliche Notizen über eine Familie, die seit Jahrhunderten an diesem Ort lebte. Doch die Einträge wurden schnell seltsamer. Es gab Notizen über seltsame, schreckliche Krankheiten, die die Familie befielen, über "dunkle Tage" und "gesegnete Nächte". Es gab auch rätselhafte Anmerkungen, die von einem "Schutz" sprachen, der über die Familie wachte, ein Schutz, der einen schrecklichen Preis hatte. Steffi stellte fest, dass die Anmerkungen mit dem Tod von Familienmitgliedern korrelierten. Wenn ein Familienmitglied an einer seltsamen Krankheit starb, gab es eine Notiz über eine "Gabe", die gegeben wurde. Ein Satz, eine Art Schreckensversprechen, tauchte immer wieder auf: "Die Blutlinie ist gesegnet." Steffi verbrachte die nächsten Tage und Nächte damit, das Buch zu studieren. Ihre Hände zitterten, als sie eine seltsame, schreckliche Illustration sah, die auf einer der Seiten versteckt war. Es war eine Darstellung eines vampirähnlichen Wesens mit glühenden Augen, das einen Menschen in seinen Armen hielt, der ihm scheinbar freiwillig sein Blut anbot. Unter der Zeichnung stand eine Notiz: "Die Wächterin und der Geschützte." Steffi, die versuchte, ihren rationalen Verstand nicht zu verlieren, beschloss, dass die Notizen nur die wilden Fantasien ihrer Vorfahren sein konnten, eine schreckliche Art, mit den Tragödien des Lebens umzugehen. Doch dann fand sie ein verstecktes Fach im Buch, in dem sich ein silberner Dolch befand, der in einem roten Samtbeutel steckte. Das Messer war kalt und schwer, und seine Klinge schien von etwas Dunklem gezeichnet zu sein. In der Nähe des Dolches fand sie eine weitere Notiz, diesmal von der letzten Person, die das Buch besessen hatte, ihrer Urgroßmutter. Die Notiz war eine Warnung, aber auch eine Bitte. Sie sprach über einen Pakt, den ihre Familie vor Jahrhunderten mit einem uralten Vampirgeschlecht geschlossen hatte. Das Geschlecht, das vor den Menschen lebte, war bedroht. Sie brauchten Nahrung, aber sie konnten die Menschen nicht einfach töten. Sie mussten von dem Blut einer bestimmten Blutlinie leben, einer Blutlinie, die sie selbst beschützten. Im Gegenzug für das Blut sorgten die Vampire dafür, dass ihre Nachkommen vor allem Unglück bewahrt blieben. Die Blutlinie war kein Segen, sondern ein Fluch. Steffi war ein Teil dieses Fluches. Sie erfuhr, dass sie die nächste Wächterin sein würde, die Auserwählte, die die Vampire mit Blut versorgen musste. Tränen liefen über ihr Gesicht, als sie das las. Steffi hatte sich immer gefragt, warum in ihrer Familie so viele unerklärliche Unglücke passierten, warum ihre Familie so einsam war. Sie hatte sich immer gefragt, warum sie das Gefühl hatte, von einer dunklen, unsichtbaren Kraft bewacht zu werden. Sie war nicht verrückt gewesen. Sie war Teil eines Paktes. Kapitel 2: Die Wächterin Die Wahrheit schwebte in Steffis Leben wie ein dunkler Schleier. Sie war nicht länger nur eine Erbin, sie war eine Gefangene. Sie war die "Wächterin" der Vampire, die sich von ihrer Blutlinie ernährten. Das alte Haus war nicht nur ein Haus, es war ein Gefängnis, ein Wächter über das Geheimnis der Blutlinie. In den Nächten, wenn sie wach lag, spürte sie, dass sie nicht allein war. Sie hörte Geräusche in den Schatten, ein leises Kratzen an den Wänden, als würde etwas dort leben, etwas, das Hunger hatte. Die Tagebücher, die sie im Haus ihrer Urgroßmutter fand, wurden ihr zum Trost, aber auch zu einer schrecklichen Quelle der Erkenntnis. Sie las, wie die früheren Wächterinnen ihre Aufgabe erfüllt hatten. Sie mussten ihr Blut regelmäßig opfern, um die Vampire am Leben zu erhalten. Die Vampire, so las sie, lebten im Verborgenen, in einer eigenen Gesellschaft, die sich in den Schatten der menschlichen Welt befand. Sie hatten ihre eigenen Gesetze, ihre eigene Hierarchie. Sie lebten in einer Art parasitären Symbiose, die auf dem Blut ihrer Wächter basierte. Die Wächterinnen, so las Steffi, entwickelten eine Art seltsame Anziehung zu den Vampiren. Sie waren nicht nur Gefangene, sondern auch Teil der Gesellschaft, in der die Vampire lebten. Sie wurden respektiert, mit Gold und Schmuck beschenkt. Doch der Preis war der unaufhaltsame Verlust ihrer Lebenskraft, ein Gefühl von Müdigkeit und Leere, das sie langsam, aber sicher verzehrte. Steffi war schockiert, als sie las, dass ihre Urgroßmutter, die sie nur als eine gebrechliche alte Frau gekannt hatte, nicht so schwach war, wie sie schien. Sie hatte in ihren späten Jahren eine Art mysteriöse Energie gehabt, einen Funken, der ihr Leben belebte. Das war, so erkannte Steffi, die Energie, die die Vampire ihr zurückgaben, als sie sie mit ihrem Blut fütterte. Die Vampire kontrollierten ihre Wächter, wie ein Bauer seine Felder kontrolliert, um die bestmögliche Ernte zu erzielen. Steffi, die nicht in Trance leben wollte wie ihre Urgroßmutter, entschloss sich zu einem gefährlichen Spiel. Sie würde die Vampire suchen. Sie würde sie konfrontieren und sie würde einen Weg finden, sich von dem Fluch der Blutlinie zu befreien. Sie verbrachte die nächsten Nächte damit, sich auf die Suche nach ihnen zu machen. Sie verließ das Haus, ging in den Wald, in die Dunkelheit, in der sich die Schatten bewegten. Sie fand einen geheimen Eingang im Boden, versteckt unter einem alten Eichenbaum. Sie tastete sich einen dunklen, feuchten Gang hinab, der in eine andere Welt führte. Was sie fand, war eine unterirdische Stadt, die in der Dunkelheit glühte. Es gab Häuser, Straßen und Plätze, aber alles war aus dunklem, fast schwarzem Stein, und die einzige Beleuchtung kam von einem seltsamen, glühenden Pilz, der an den Wänden wuchs. Sie sah sie, die Vampire, die sich dort versteckten. Sie waren schön, mit blasser Haut, scharfen Zügen und Augen, die in einem tiefen, unheilvollen Rot leuchteten. Sie waren nicht die Monster, die sie sich vorgestellt hatte, sie waren anmutig, fast elegant. Und sie waren überraschend zahlreich. Es gab Hunderte von ihnen, in Familien und Clans organisiert. Und inmitten dieser Gesellschaft sah sie etwas, das sie zu Boden sinken ließ. Sie sah andere Wächterinnen. Es waren Frauen, die genau wie sie aussahen, mit einem Gefühl der Müdigkeit in den Augen. Sie waren hierhergebracht worden, um ihr Blut zu spenden. Steffi war nur die neueste in einer langen Reihe von Opfern. Die Blutlinie, von der ihre Urgroßmutter gesprochen hatte, war nicht nur ihre, sondern eine ganze Reihe von Familien, die dazu verurteilt waren, die Vampire zu füttern. Sie war eine Gefangene. Und ihre einzige Chance, dem zu entkommen, war zu sterben. Kapitel 3: Der Preis Steffi, die sich unter einer Schicht von leuchtenden Pilzen versteckte, starrte auf die Szene. Die Vampire, elegant und tödlich, bewegten sich in der Dunkelheit, eine Gesellschaft von Schatten, die von menschlicher Lebenskraft genährt wurde. Sie beobachtete, wie eine andere Wächterin, eine alte, zerbrechliche Frau, von einem Vampir empfangen wurde. Die Frau hob die Hand, eine kleine Schnittwunde zeigte sich an ihrem Handgelenk, und der Vampir trank. Das Gesicht der Frau war ausdruckslos, aber ihre leeren Augen waren eine offene Wunde. Es war eine erschreckende, unheilvolle Szene, die Steffi bis ins Mark erschütterte. Steffi wusste, dass sie eine Wahl treffen musste. Sie konnte sich den Vampiren unterwerfen, ein Teil ihrer Gesellschaft werden, wie ihre Urgroßmutter, die ein Leben der Sicherheit gegen ihre Freiheit getauscht hatte. Oder sie konnte versuchen, sich zu befreien, aber zu welchem Preis? Würde sie das Leben ihrer Familie gefährden, die, ohne den Schutz der Vampire, angreifbar wäre? Oder würde sie ihr eigenes Leben opfern, um sie zu befreien? In den folgenden Tagen dachte Steffi über ihre Optionen nach. Sie las weiter in den Tagebüchern, suchte nach einer Möglichkeit, dem Pakt zu entkommen. Sie fand einen letzten Eintrag, den ihre Urgroßmutter in den letzten Tagen ihres Lebens geschrieben hatte. Der Eintrag sprach von einem "letzten Opfer", das die Blutlinie von ihrem Fluch befreien würde. Es war ein Opfer, das niemand bereit war zu geben, ein Opfer, das die Blutlinie, die sie so lange beschützt hatte, zerstören würde. Das Opfer bestand darin, ein Ritual zu finden, das die Verbindung zu den Vampiren trennen würde. Das Ritual, so las sie, war ein...