Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Wurden Sie jemals zu einem Dinner eingeladen, weil Sie Garnelen perfekt mit Messer und Gabel schälen können? Haben Sie Ihren letzten Karriereschritt deshalb getan, weil Sie wussten, dass ein promovierter Arzt einem adligen Arzt ohne Doktortitel zuerst vorgestellt wird, der adlige promovierte Arzt aber zuerst dem unadeligen Träger eines Doktortitels? Und sind Sie deshalb so beliebt bei Ihren Schwiegereltern, weil Sie allen Familienmitgliedern die Torte in der richtigen Reihenfolge servieren?
Wir meinen, dass es nicht so ist. Wir glauben, dass Sie bei Ihren Freunden eingeladen werden, weil Sie ein angenehmer, unterhaltsamer, hilfsbereiter, kluger und charmanter Mensch sind. Dass Sie beruflich erfolgreich sind, weil Sie gute Arbeit leisten und über eine integre Persönlichkeit verfügen. Und dass Ihre Schwiegereltern Sie mögen, weil Sie ein liebenswürdiger Ehemann (oder Ehefrau) sind und nicht ständig auf Ihr Handy starren, wenn Sie mit Ihrer Familie am Tisch sitzen.
Wir würden sogar behaupten, dass es den meisten Menschen so geht. Damit möchten wir nicht sagen, dass Benimmregeln heute nicht mehr nötig wären, im Gegenteil: Durch die Verdichtung in den Städten wird das menschliche Miteinander zu einer Dschungelprüfung im Kampf um Wohnungen, Jobs, Parkplätze, einen Platz im Kinderturnverein und die ruhige Ecke im Stadtpark. Wenn hier alle die Ellenbogen ausfahren, wird unsere schöne Utopie von einer freundlichen, toleranten Gesellschaft zu einem endlosen Reibungsverlust. Schmerzhafte Menschenfeindlichkeit und Verlust der eigenen Würde wären das Resultat, von der Unfähigkeit, ein erfolgreiches Leben zu führen, ganz abgesehen. Denn Grobheit und fehlende Manieren sind eine schlechte Strategie, um überhaupt ein Ziel zu erreichen - wir würden sogar behaupten, dass schlechte Manieren schlichtweg in die Kategorie des selbstverletzenden Verhaltens gehören. Man tut sich einfach keinen Gefallen, wenn man die eigene Identität mit Gezeter, schlechten Gedanken und Hass auflädt.
Die Hölle, das sind eben nicht nur die anderen plus Donald Trump, sondern manchmal auch man selbst. Bei allem liberalen Laissez-faire werden wir bestimmt niemandem ans Herz legen, die Regeln des guten Benehmens bei der nächsten Wertstoffinsel zu entsorgen. Weder werden wir Sie ermutigen, unpünktlich zu sein, noch Crocs in die Oper anzuziehen. Oder mit Crocs in die Oper zu gehen und dann, Gott bewahre, auch noch unpünktlich zu erscheinen.
Gute Manieren sind als Schmierstoff unseres Alltags wichtig - trotzdem sind wir der Meinung, dass die aktuellen Benimmregeln erneuert und an den Zeitgeist angepasst werden müssen. Denn dieser hat sich in den letzten Jahren rasant verändert und völlig neue Verhaltensweisen hervorgebracht. Die amerikanische Vizepräsidentin Kamala Harris hat ihren Wahlkampf hauptsächlich in Sneakern bestritten, wir werden nicht nur mehr von IKEA, sondern auch von unseren Spitzenpolitikern geduzt, und der aktuelle Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU ist mit einem Mann verheiratet.
Zum Glück sind Sexismus, Rassismus und alle anderen Formen der Diskriminierung in unseren Fokus gerückt. Alltagsrassismus ist nicht mehr das Problem der Betroffenen oder der USA, sondern wird breit diskutiert. Sich abfällig über trans Menschen zu äußern sorgt nicht mal mehr beim Karneval, der letzten Hochburg des Herrenwitzes, für Lachsalven und Juxkanonen.
Im Privatleben werden WhatsApp-Dramen in der Kindergartengruppe wichtiger als das korrekte Ausspucken eines Olivenkerns, Gastgeber fragen sich, wie sie ein ethisch vertretbares Menü kochen können, und im Büro Jeans zu tragen ist zwar in Ordnung, den Jeanshintern der Kollegin zu kommentieren hingegen nicht.
Selbst wenn Sie zum Sommerfest beim Bundespräsidenten eingeladen sind, würden wir Ihnen auch nicht ans Herz legen, sicherheitshalber den promovierten Adligen vor seinem bürgerlichen Kollegen zu grüßen. Nach unserem Demokratie- und Menschenverständnis gibt es auch keinen Grund, einem adligen Arzt mehr Respekt entgegenzubringen als seinem bürgerlichen Kollegen. Ohnehin - kommt Ihnen die Situation nicht so hochgradig konstruiert vor, dass sie vermutlich nur in Ihren surrealistischen Fieberträumen oder im Abschlusstest eines Knigge-Wochenendseminars stattfinden würde?
Unser imaginärer promovierter adliger Arzt hat hoffentlich genügend Verstand, um seinen Familiennamen nicht mit Privilegien zu verbinden. Und wenn Sie es bis zum Tee mit der Queen, an den Tisch der Bundeskanzlerin oder die lange Tafel des Nobelpreisträger-Ehrendinners geschafft haben, dann sind sowieso ganz andere Dinge wichtig, die Sie in Ihrem Leben geleistet haben.
Die Zeiten sind schön und fragil zugleich: Den meisten Menschen auf der Welt geht es besser als vor zwanzig Jahren. Es gibt weniger bewaffnete Konflikte, noch nie waren die Menschen weniger gewalttätig als heute. Mittlerweile ist es in unserer Gesellschaft inakzeptabel, Kinder oder Tiere zu schlagen, stattdessen werden ihre Bedürfnisse ernst genommen. Vegetarier und Veganer gelten nicht mehr als Spinner, sondern sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Noch nie wurde Minderheiten so viel Respekt entgegengebracht wie heute. Selbst das Personenstandsgesetz kennt mittlerweile mehr als die binäre Geschlechterzuordnung, gleichzeitig wird über passende Anreden und Toilettenumbauten diskutiert.
Auf unser alltägliches Miteinander heruntergerechnet bedeutet das, dass nicht nur viele Gewissheiten veraltet sind, sondern dass auch viele Fragen zum ersten Mal gestellt werden.
Der jahrzehntelange Überfluss und die weltweite Klimakrise stellen unsere Konsumkultur und das damit verbundene Ritual des Schenkens vor neue Herausforderungen, wir haben ohnehin kaum noch Wünsche, die ein Geschenkbudget erfüllen könnte. Die Dynamik der niedrigschwelligen Kontaktmöglichkeiten über Facebook, Instagram und WhatsApp führt zu Missverständnissen, die unsere Großmütter an ihren Damensekretären niemals geahnt hätten. Überhaupt ist in Zeiten von Hatespeech und Fake News ein reflektierter und couragierter Umgang mit dem öffentlich geschriebenen Wort wichtiger denn je, nicht nur für das eigene Image, sondern auch für den Gesellschaftsfrieden.
Wenn alles im Wandel ist, woran soll man sich denn überhaupt noch orientieren? Wer legt denn fest, was der gesellschaftliche Konsens ist? Und die gute Gesellschaft - wo und was soll das denn überhaupt sein? Wer bestimmt denn noch, was gutes Benehmen ist und was nicht?
Früher war der Adel lange Zeit maßgebliches Vorbild für das Verhalten des Bürgertums, mit seinen Benimm- und Sprachcodizes schuf er Standards. Mit dem Verlust seiner politischen und gesellschaftlichen Macht hat er auch seine Vorbildfunktion eingebüßt. Doch wie ist es nun um die bürgerlichen Eliten bestellt, die die Lücke schließen könnten? Die sogenannte wirtschaftliche Elite unseres Landes hat ein derart entspanntes Verhältnis zu den Primärtugenden Ehrlichkeit, Redlichkeit und Verantwortungsbereitschaft, dass sie ihre guten Manieren im Umgang mit der Staatsanwaltschaft, im Gerichtssaal oder in Einzelfällen gleich im Strafvollzug unter Beweis stellen kann. Und wenn sie den großen, den geschliffenen Auftritt dort ganz sicher beherrschen, dann mag das gut gelernt und antrainiert sein - doch wir alle wissen, dass es hier um alles Mögliche geht, nur nicht darum, ein anständiger Mensch zu sein.
Ordnung, Fleiß, Disziplin und Zuverlässigkeit haben seit den 1960er Jahren stark an Wert verloren, hängt ihnen doch die Tauglichkeit bei der Organisation eines Weltkrieges rufschädigend an. Natürlich helfen sie weiterhin dabei, den Haushalt und die eigene wirtschaftliche Existenz am Laufen zu halten, sind einem jedoch wenig nützlich im Umgang mit anderen Menschen (obwohl Reinlichkeit natürlich schon eine gute Grundvoraussetzung ist).
Schwarze Pädagogik hat sich glücklicherweise aus unserem Alltag verabschiedet und Platz für kreativitätsstärkende Spaghettipartys im Stil Pippi Langstrumpfs gemacht. Wir erziehen unsere Kinder heute zu starken Individuen, die schon im Kindergarten Vokabeln für ihre Gefühlswelt lernen und Mobbingbeauftragte in der weiterführenden Schule werden. Dass dabei die saubere Heftführung zweitrangig ist und der Ellbogen auf dem Tisch nicht mehr korrekturbedürftig erscheint, nehmen wir in Kauf. Eine in der ersten Interaktion bemerkbare »gute Erziehung« hat an Wert verloren, denn auch ein Akademikerkind weiß heute nicht zwangsläufig, wie es die Gabel zu halten hat, von der fehlenden Distinktionskraft der klassenübergreifenden H&M-Kleidung ganz abgesehen.
Natürlich ist die Durchlässigkeit unserer Gesellschaft oft nur eine scheinbare. Es gibt auch heute noch Soziotope, die zumindest einen gewissen Aufstieg garantieren, wie Studentenverbindungen, Clubs wie Rotary und Lions, elitäre Sportvereine und sogar ganze Stadtteile. Wer es schafft, hier Zugang zu finden, kann Verbindungen knüpfen, Geschäfte machen, von alten Herren protegiert einen Karrierestart ertrinken und bestenfalls sogar Charitywork leisten. Dabei gelten auch hier unausgesprochene Regeln, Codes und Benimmtraditionen, die sich dechiffrieren ließen. Aber wir wollen Sie nicht mit einer Anleitung versehen, hier durch Anpassung, Tarnung oder gar Selbstverleugnung erfolgreich zu sein. Denn entweder sind Sie ein natürlicher Bewohner dieses Habitats oder mit einer solchen Krull'schen Begabung und Entschlossenheit zur Illusion begabt, dass Sie unsere Hilfe nicht benötigen. Alle anderen werden entweder einen so unzureichenden Grad an Anpassung erreichen, dass sie ohnehin auffliegen, oder aber für immer unter der Angst vor der Enttarnung leben. Und wie erstrebenswert...
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