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LAMBORGHINI
LEIDENSCHAFT AUF VIER RÄDERN - IM ZEICHEN DES STIERS
»Die berühmtesten Sportwagen der Welt habe ich besessen. An jedem dieser großartigen Autos habe ich Mängel gefunden: Zu heiß oder unkomfortabel, nicht schnell genug oder schlampig verarbeitet. Jetzt werde ich selbst einen fehlerlosen Gran Turismo bauen. Nichts Außergewöhnliches - ein ganz normales Auto. Aber ein perfektes Auto.«
Ferruccio Lamborghini im Oktober 1963
Ein Jahr vor der Gründung seiner Automobilfirma ist Ferruccio Lamborghini 46 Jahre alt, und Fotografien dieser Zeit zeigen einen sichtlich glücklichen Mann. Man sieht einen nicht großen, aber stämmigen Herrn mit einem sanften, offenen und zufriedenen Gesichtsausdruck. Ferruccio Lamborghini ist Perfektionist. Als Techniker und als Unternehmer gleichermaßen. Er ist davon überzeugt, dass sich Qualität und Emotionen nicht ausschließen. Und er ist sich sicher: Die Suche nach neuen und ungewöhnlichen Lösungen führt immer zu spannenden Ergebnissen.
Zu Beginn der 1960er-Jahre beauftragt Lamborghini sein junges, hochmotiviertes Team damit, einen Sportwagen zu entwickeln. Die seinerzeit beste verfügbare Technik soll darin vereint sein. Als Antrieb ist ein Leichtmetallmotor mit vier obenliegenden Nockenwellen geplant - zudem Einzelradaufhängung. Der Sportwagen soll eine aerodynamische Form besitzen, die Sportlichkeit mit Eleganz verbindet. Bis zu diesem Zeitpunkt sind schnelle Sportwagen meist filigrane und kapriziöse Geschöpfe, die von ihren Besitzern viel Geduld und Demut abverlangen. Lamborghini fordert von seinen Mitarbeitern ein Auto, das temperamentvoll und schnell, robust und ausdauernd, aber auch qualitativ hochwertig verarbeitet ist. Und: Es soll begeistern!
Ferruccio Lamborghini ist eine außergewöhnliche und charismatische Persönlichkeit. Den Eindruck, den er bei seinen Zeitgenossen hinterlässt, erweckt schnell eine gewisse Sympathie für seine Person und verlangt gleichzeitig Respekt ab, wie man aus den folgenden Äußerungen herauslesen kann.
So stellte ein britischer Fachjournalist Ferruccio Lamborghini seinerzeit als einen Mann dar, "der mindestens zehn Jahre jünger wirkt, als er tatsächlich ist. Er ist recht klein, stämmig, gebaut wie ein junger Bulle, gutaussehend und zäh, lacht gern, vermittelt aber auch den Eindruck von Stärke und Entschlossenheit. Klar erkennbar ein Magnat, und einer von der Sorte, mit der man sich besser nicht anlegt. Der angreifende Stier, der zu seinem Markenzeichen wurde, war eine kluge, wohlüberlegte und poetische Wahl."
Und Valentino Balboni, Testfahrer und 45 Jahre lang bei Lamborghini beschäftigt, verrät über seinen Boss Ferruccio: "Ferruccio Lamborghini war ein netter Bauer. Er konnte fast kein korrektes Italienisch sprechen noch schreiben. Aber er hatte so viel Charakter, Temperament und Motivation. Ein Mann mit unglaublich viel Charisma und nahbar; er bewegte sich immer unter uns. Ich war damals noch ein Lehrling. Ferruccio kümmerte sich immer intensiv um seine Mitarbeiter und seine Kunden, selbst bis spät abends."
Der Vertreter einer italienischen Tageszeitung bezeichnete ihn damals als "den perfekten Vertreter des italienischen Industriemagnaten, der im Gegensatz zu den amerikanischen Bonzen dieser Art immer lacht, Vitalität ausstrahlt und über seine Firma sowie seine Produkte, aber auch über Frauen, gute Weine und gutes Essen spricht, wobei er natürlich jeweils das rechte Maß berücksichtigt."
Sein langjähriger Mitarbeiter, der neuseeländische Entwickler und Testfahrer Bob Wallace, der zunächst für den Rivalen Ferrari und erst später für Lamborghini arbeitete, berichtet: "Im Grunde genommen sind Ferrari und Lamborghini einander sehr ähnlich. Sie haben beide das Talent, Positionen mit genau den richtigen Leuten zu besetzen und diesen dann relativ freie Hand zu lassen. Ferrari ist gewiss nicht das, was immer wieder von ihm behauptet wird - herzlos und Ähnliches -, aber zu seinen Mitarbeitern hält er doch immer deutlich Distanz. Lamborghini hingegen ist eigentlich der typische Bauer. Den italienischen Staatspräsidenten begrüßte er beispielsweise mit 'Ciao!'. Förmlichkeiten liegen ihm überhaupt nicht. Er ist vielleicht manchmal ein wenig grob, aber alles in allem ist er ein sehr offener Mensch. Ich habe ihn immer für sehr fair und sehr ehrlich gehalten." Und Wallace weiter: "Davon abgesehen war er ein prima Kerl: Als ich mal mit einem Mädchen aus Modena verabredet war, fragte ich ihn, ob er mir seinen Ferrari leihen könnte. 'Kein Problem', sagte er, gab mir die Schlüssel und fuhr mit meinem Fiat 500 nach Hause."
Einem englischen Journalisten drückte Lamborghini seine Befindlichkeit - als Ingenieur mit Leib und Seele - einmal wie folgt aus: "Bitte entschuldigen Sie, ich spreche Ihre Sprache nicht. Mein Kopf ist zu sehr mit Getrieben gefüllt." Und das britische Fachblatt Motor fand 1970 in einem Interview mit Ferruccio Lamborghini heraus: "Lamborghini hat einen einfachen Geschmack. Er liest nie, nicht einmal die Zeitung, und er schaut gerne Westernfilme. Von harter Arbeit hält er nicht viel und hält sich nur am späten Vormittag in seinen Fabriken auf. Stattdessen verlässt er sich auf erstklassige hochdotierte Berater." Das wird dem umtriebigen Lamborghini sicher nicht gerecht. Zwar verbringt er tatsächlich nur wenig Zeit an seinem Schreibtisch, vielmehr motiviert er aber als pragmatischer Chef höchstpersönlich die Mitarbeiter in seiner Fabrik. In den ersten Jahren krempelt er gerne selbst die Ärmel hoch und packt mit an. Ein Rezept seines frühen Erfolgs liegt darin, dass er Talent dafür hat, Teams zusammenzuschmieden und auf Menschen zuzugehen.
Der 24-jährige Ingenieur Paolo Stanzani kommt direkt nach seinem Maschinenbaustudium an der Technischen Universität Bologna zur Lamborghini Automobili S.p.A. und nimmt eine Schlüsselrolle in deren Frühgeschichte ein. Stanzani erinnert sich: "Ich hatte großen Respekt vor Ferruccio Lamborghini, denn er war einer der intelligentesten Menschen, die ich je getroffen habe. Er hatte jedoch eine einfache Erziehung genossen und wenig Gefühl für Kultur. So gab es kein persönliches, sondern ein eher distanziertes Verhältnis zwischen uns."
Ein anderer Zeitgenosse berichtet, dass "Ferruccio Lamborghini sein eigener Herr ist", der auf eine ihm sehr eigene Art seinen Erfolg genieße. Er kann sich jedes Auto leisten, das ihm gefällt, und er kann sich auch so anziehen, wie es ihm gefällt, und tut dies auch. So mancher Besucher einer Party in der Casa Lamborghini in Bologna erzählt, vom Gastgeber "in Arbeitskleidung mit Pantoffeln an den Füßen" begrüßt worden zu sein, denn Lamborghini "war schließlich bei sich zu Hause".
Für einen Industriellen ist Lamborghini bemerkenswert leicht ansprechbar und umgänglich. Als ein Journalist den frischgebackenen Automobilhersteller 1963 zum ersten Mal in dessen neuem Werk in Sant'Agata Bolognese aufsucht, findet er ihn mit hochgekrempelten Ärmeln zusammen mit einigen Mitarbeitern fröhlich an einem Motor herumschrauben. Die meisten Leute halten ihn für einen außergewöhnlich demokratischen Chef, der erstaunlicherweise nichts dagegen hat, Autorität zu delegieren. Dieser Punkt ist sehr bemerkenswert.
Doch hier sei sie erzählt, die Geschichte des Ferruccio Lamborghini, des "Traktorenkönigs", der mit den Profiten aus dem Agrarmaschinengeschäft einige der aufregendsten Sportwagen auf die Räder stellt, welche die Welt je gesehen hat.
Im Jahr 1916, inmitten des Ersten Weltkriegs, gelten im farbenprächtigen Italien noch alte Herrschaftsregeln: Der Geburtsort eines Mannes und sein Sternzeichen sind heilig. Somit scheint ein Teil von Ferruccio Lamborghinis Lebens bereits vorgezeichnet zu sein. In Renazzo, einer Ortschaft zwischen Bologna und Ferrara, gelegen in der norditalienischen Provinz Emilia, wird am 28. April 1916, im Haus mit der Nummer 22, der Bauernsohn Ferruccio Elio Arturo Lamborghini geboren. Seinem Sternzeichen, dem Stier, wird er alle Ehre machen. Nur vier Tage später, am 2. Mai 1916 wird Ferruccio (eine Koseform von Ferro, der Eiserne) römisch-katholisch getauft. Dem Stammhalter folgen in den nächsten Jahren noch vier weitere Geschwister.
Die Familie Lamborghini befasst sich seit Generationen mit der Landwirtschaft und dem Weinbau. Den jungen Ferruccio hingegen fasziniert alles Mechanische. Er hilft früh bei den Reparaturen von Vaters Traktor und ist mehr von landwirtschaftlichen Maschinen als vom landwirtschaftlichen Lebensstil angezogen. Bald richtet er sich in der Scheune des elterlichen Bauernhofes eine kleine Werkstatt ein und repariert dort alles, was es vor Ort zu...