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Kraft.
Hannover hatte Kraft, eine stabile und intelligente Kraft, fast schon einen wunderbaren Trotz. Genau das lag auch in dem sehr jungen Rudolf Augstein. Er öffnete die Tür in kurzen Hosen, Diels trat ein.
Augstein führte ihn über einen kleinen Flur. "Das Hochhaus kann durchaus beengend sein, Herr Diels. Dies hier sind private Räume meiner Familie, mein Bruder und ich nutzen sie des Öfteren mal, sie kennen ihn ja", sagte er. "Kenne, und schätze ihn", sagte Diels, im einfachen weißen Hemd und dunkelblauer Leinenhose. "Bester Jurist. Vielversprechend."
"Der Vielversprechende aus unserer Familie, der bin nun allerdings ich!", entgegnete Augstein und setzte sich ihm schmunzelnd in den elegant abgenutzten Klubsessel gegenüber. "Sollte ich selbst einmal Rechtsbeistand benötigen, würde ich dann gerne Carl Schmitt bemühen."
"Seine Einzelhaft in Nürnberg, eine Schande", entgegnete Diels. "Er stand sie wohl nur durch, indem er sich vorstellte, das Ganze als Fall von seinen besten Studenten lösen zu lassen."
"Die Aufgabe", meinte Augstein, "mochte wohl ungefähr so geheißen haben: Was hat der eingedrungene Fremdkörper nunmehr mit unserem Lande vor? Arbeiten Sie drei mögliche Szenarien durch. Den Amerikanern muss er ja wie dunkle Magie vorkommen."
Augstein war 1949 schöner als jemals Schostakowitsch! Sein feines, hell durchspültes Haar war nass von dem prinzenhaften Gesicht weggekämmt. Seine warmen Augen ruhten oder rotierten geheimnisvoll in seinem geschärften Blickrahmen, sie schwangen weg oder durchbrachen einen. Es war Hannover, aber es hatte was von Amalfi, wenn er mit seiner Sommerhaut und übergeschlagenen Beinen in seinen Pastellfarben vor einem saß. Seine entschlossenen Hände lagen bewegungslos lässig auf den Lehnen des Sessels oder auf seinem Bein, als würde ein tausendarmiger, unsichtbar über ihm schwebender Apparat gleichzeitig sein Hirn für ihn durchsuchen, auf dass er sich selbst nicht zu sehr traue. Er besaß eine wilde, zarte Aura.
"Jede Form von geistiger Auseinandersetzung ist für Amerikaner dunkle Magie", sagte Diels. "In ihrer hysterischen Umerziehung ist Schmitt das Letzte, was sie gebrauchen können. Sie isolierten ihn, weil sie fürchteten, er könne Scharen von Deutschen anziehen. Dabei war es kurz nach dem Krieg doch ein amerikanischer Besatzungsgeneral, der rund dreihunderttausend Menschen als politische Gefangene in seinen süddeutschen Lagern festhielt. Absurd, nicht?"
"Absurd und teuer für uns", sagte Augstein. "Aber stellen sie sich vor, Herr Diels, meine Mitarbeiterin, sie sehen sie dort am Tisch neben meiner Gattin Lore arbeiten, konnte ein paar Kalorien beschaffen. Da wären gefüllte Pfannkuchen, allerhand Kaffee-Ersatz und Zigaretten, bedienen Sie sich. Später könnte es sogar noch etwas Feierliches zu trinken geben. Literweise hätte ich noch Deinhard-Cabinet im Angebot, der uns wöchentlich ereilt, aber wie gesagt, warten wir lieber auf das feine Zeug! Sie sind nicht böse, wenn wir hier nicht zu zweit sitzen, sondern uns die bescheidene Schar des Spiegels umgibt, nicht wahr, lieber Herr Diels?"
"Kein bisschen. Und auch ich bin nicht mit leeren Händen gekommen", Diels reichte ihm ein winziges Päckchen.
"Also Herr Diels, wenn Sie glauben, ich bräuchte mal wieder ein Geschenk, um mich so richtig gut zu fühlen, dann haben Sie durchaus zutreffend geraten!" -
Augstein entfaltete es lächelnd und fand darin einen Johann-Faber-Anspitzer aus Messing mit frisch eingesetztem Messer.
"Für die Wahrheit", sagte Diels.
Augstein zog einen Bleistift aus der Brusttasche seines kurzärmligen Hemdes, die Spitze leicht abgeflacht. "Den brauche ich, wie sie unschwer erkennen können, ja nun dringend, und die Wahrheit, wie sie sagen, die muss noch dringlicher erforscht werden, auch und gerade mit Ihnen, mit Ihrem Auge, das ja diesen unerhörten Einblick besitzt. Sie haben das Innere des Dritten Reichs mit entstehen sehen, Sie haben die Nürnberger Prozesse erlebt, beides hautnah - natürlich will ich diesen Blick festhalten, denn die Wirklichkeit um mich herum, löst sich gerade gewissermaßen in eine, nun ich will nicht sagen einzige, so aber doch sehr amerikanische . -"
"In eine amerikanische Scheinwirklichkeit auf", beendete Diels den Satz.
"Ich würde sogar sagen, in eine Scheinsouveränität", bemerkte Augstein, seine Stimme klang klar und fest in ihrem angenehm matten Staccato. "Und ich komme nicht umhin, diesen Schein also als trügerisch zu charakterisieren."
"Ich habe das alles gesehen, ja. Das Dritte Reich und seine Liquidierung, befand mich in Gestapohaft von Himmlers Polizei und kenne die verhangenen Zimmer der Nürnberger Prozesse. Das klingt jetzt vielleicht etwas salopp, aber ich geriet von dem einen ins andere, und wenn Sie mich heute fragen, wie, dann weiß ich es nicht.
Durch meine Vorbildung natürlich, durch meine Kenntnisse, und doch wurde mir eben das immer wieder zum Verhängnis", Diels hauchte den Rauch seiner Zigarette weit ins Zimmer, an einem größeren Tisch saßen drei Frauen und ein Mann über verschiedenen Inseln von Texten und Bildern, sahen kaum auf, vom Fenster her spielte Nachmittagslicht herein.
"Sie haben unseren ja nunmehr verflogenen Staat richtiggehend in Händen gehalten, den preußischen Geiste der Verwaltung immer verteidigt", fing Augstein wieder an.
"Da die Alexander und Napoleone unserer Zeit gottlose Massenmenschen sind, ist das Studium der deutschen Verwaltungsorganisation auch tatsächlich das erste, was ich jedem empfehle, der zu mir kommt. Guter Wille allein reicht nicht, Betulichkeit ist sehr gefährlich." Diels winkelte seinen Arm an der Lehne des Sessels an. So saß er am liebsten.
Augstein betrachtete die feinen Strukturen im Diels-Gesicht, die Schnitte auf der Haut, dunkle Flüster-Flüsse in einer sanften Landschaft. "Der Spiegel ist ein Exponent gegen diese Betulichkeit, überhaupt deshalb bin ich hier. Wenn, dann kann Ihre Arbeit die Wahrheit ergründen", sagte Diels. "Es sind zu viele auf den Plan getreten, die das verderben wollen."
"Nicht selten mit Widerstandslorbeer geschmückt", warf Augstein ein.
"Vergoldet gleich jedes einzelne Blatt", sagte Diels, "es genügt, ein Denunziant zu sein, die Amerikaner lieben so was."
"Unsere preußische Verwaltungsorganisation", fragte Augstein, "ist das der Komplex der Amerikaner?"
"Wilson begann doch kaum eine Schrift ohne Verherrlichung Preußens. Das ist es, was Roosevelt eigentlich 'ausrotten' wollte, das Deutsche schlechthin und möglichst endgültig. Die deutsche Kultur, wenn Sie so wollen, die für ihn ja ihrem Wesen nach schon militaristisch ist. Ich darf doch ganz ungeschützt zu Ihnen sprechen, Herr Augstein? Der Nürnberger Gerichtssaal wurde wie das größte Bühnenbild hergerichtet, von jeder Art Naziverbrecher gab es ein besonderes Exemplar, das, stellvertretend für jeden einzelnen Deutschen, dasaß, und Kameras in Form von Riesenschlangen flogen über die Köpfe hinweg, wie in einem der Studios von Hollywood. Ein guter Deutscher, wollten die Amerikaner dann klarmachen, könne nur ein Antideutscher sein, und selbst der Edelstein in unserer humanistischen Kultur sei einst nur darauf spitzgeschliffen worden, einmal die Juden zu vernichten, wir hätten doch alle in unseren feuchtesten Träumen immer nur einen Himmler ersehnt, Deutschland, ein einziger grinsender Totenkopfverband, ein SS-Volk von vornherein. Dass der missbrauchte preußische Staatsgeist eine sittliche Ordnung ist - mal liberaler, mal konservativer - eine höhere, organische Form, das wissen die zwar, das haben sie in Harvard gelernt, wo man zuweilen sogar Descartes zu entziffern fähig ist, aber da Gerechtigkeit nur amerikanisch sein kann, nutzten sie die 'Gunst' der Stunde in Nürnberg, nahmen sie auch gern einen Hitler als 'Anlass', das Deutsche ein für alle Mal zu kastrieren." Diels brach direkt mit seinen amethystfarbenen Augen in Augsteins aufmerksame, punktgenaue, dunkle Peridotlinsen ein: "Hitler hat Preußen schwer beschädigt, die Amerikaner haben Preußen beendet."
"An den deutschen Eliten stören sie sich ja nun auch gewaltig, die Bringer der Freiheit", sagte Augstein.
"Ja", sagte Diels. "Da haben sich die Briten und Amerikaner bereits kurz nach Kriegsende in deutschen Gefangenenlagern reich bedient, an solchen Zu-kurz-Gekommenen, die sich sowieso schon vor und seit '33 an diversen Offizieren, am Bürgertum, an der Wirtschaft oder an der Industrie abreagieren wollten."
"Sogar...
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