Schweitzer Fachinformationen
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Im ersten Kapitel dieses Buches habe ich einen sehr persönlichen Einblick in mein Leben gegeben, im Schnelldurchlauf. Diese Art der Erzählung wird sich durch dieses Buch ziehen. Denn ich glaube, mit dem Gefühl, das beim Lesen der beschriebenen Situationen und Erlebnisse entsteht, kann ich Verständnis aufbauen. Wichtig ist mir außerdem, die aktuelle Lage zu beschreiben, in der sich Angehörige der LGBTQIA+ Community befinden, aber auch Wissen zur historischen Entwicklung zu teilen. Woher kommen die Demonstrationen am Christopher Street Day? Wie sieht die Situation heute bei uns aus? Welchen Problemen stehen wir gegenüber? In welchen Bereichen wird besonders häufig über (und ja, auch wirklich: über, und nicht mit) trans Menschen diskutiert?
Der Christopher Street Day ist auch für mich ein bedeutendes Ereignis. Historisch und für die ganze queere Community sind die Krawalle, auf die die Demonstration und die Feier an diesem Tag zurückzuführen sind, sehr relevant.
Natürlich gibt es Erzählungen über Queerness, seit es überhaupt Erzählungen gibt - also bereits vor Christus. In den uns übermittelten und übersetzten Schriften werden queere Liebe und Geschlechtsidentitäten oft im Rahmen enger Freundschaften beschrieben. Noch nicht lange findet eine breitere Auseinandersetzung damit statt, was in weniger weiß und christlich geprägten Kulturen anders ist bzw. vor dem Aufzwingen eines heteronormativen Wertesystems war - auch in Bezug auf Erzählungen.
1726 gibt es vermeintlich erste Berichte über einen Mann, der "offen" zu seinem Schwulsein stand. Damals hieß es, er hätte sich seiner Sodomie nicht geschämt. Unter dem Begriff "Sodomie" wurde zur damaligen Zeit sündiges Sexualverhalten, das nicht der Fortpflanzung in der Ehe diente, verstanden. Es handelt sich um ein religiöses, christliches Konstrukt. Heute wird Sodomie im Zusammenhang mit Homosexualität nur selten verwendet und gilt als diskriminierend. Die Bedeutung hat sich stark gewandelt, der Begriff Sodomie bezeichnet mittlerweile den Geschlechtsverkehr mit Tieren. Aber zurück in das Jahr 1726: William Brown wurde laut der Erzählung verhaftet, nachdem er eine Cruising Area in London verlassen hatte. In einem solchen Gebiet, meist Parks oder Parkplätze, treffen sich auch heute noch vor allem schwule Männer für unkomplizierten Sex.
"Ich habe es gemacht, weil ich ihn kannte und weil ich denke, dass es kein Verbrechen ist, zu tun, was meinem Körper gefällt."
Brown wurde dazu verurteilt, in London an den Pranger gestellt zu werden - also öffentlich gefesselt und vorgeführt zu werden -, außerdem erhielt er eine Geldstrafe und musste für zwei Monate ins Gefängnis. Diese Überlieferung gilt heute also als die erste, in der ein Mann seine homosexuelle Liebschaft bestätigte.
Verhältnismäßig offener wurde es in Europa und in den USA in den 1920er-Jahren, in denen es queeren Menschen wenigstens in bestimmten Safe Spaces möglich war, sich auszuleben. Es wurden Songs geschrieben, die Homosexualität zumindest andeuteten, und die Gesellschaft schien sich in eine aufgeschlossenere zu entwickeln. Aber dann kamen die 30er-Jahre, und die LGBTQIA+ Community wurde erneut verfolgt. Und auch nach Kriegsende, bis in die 1960er-Jahre hinein, lockerte sich die Sicht auf Homosexualität nicht wirklich. Viele queere Personen empfanden ihre Sexualität oder Geschlechtsidentität selbst als krank oder minderwertig und versuchten, jegliche Facetten, die von Heteronormativität abwichen, zu verstecken. Ihre Bedürfnisse lebten sie - falls überhaupt - nur heimlich aus. Ein Versuch, für mehr Toleranz einzustehen, war die internationale Zeitschrift "Der Kreis" - darin wurden von 1943-1967 unter Pseudonymen Texte von queeren Autoren veröffentlicht. Meines Wissens ausschließlich von schwulen Männern.
Kommen wir zurück zu den Demonstrationen und Aufständen, denen wir an der heutigen Pride gedenken: Am 19. September 1964 fand in New York City die erste Demonstration für die Rechte homosexueller Menschen statt. Diese Demo umfasste eine Mahnwache, an der zehn Personen teilnahmen. Sie setzten sich gegen die Ausmusterung und Entlassung von Homosexuellen aus der U.S. Army ein. In den USA und Europa gab es in den folgenden Jahren immer wieder öffentliche Proteste, und es schlossen sich Gruppen zusammen, Organisationen entstanden. Im Vergleich zu heute geschah das alles in einem sehr kleinen Rahmen. In den 1960er-Jahren gab es in New York und auch in anderen Städten immer wieder gewalttätige Razzien in sogenannten "Schwulenlokalen". Dabei wurden die Anwesenden aufgereiht, deren Identität festgestellt und teilweise veröffentlicht. Aufgrund von "anstößigem Verhalten" wurden Angestellte, Menschen in "geschlechtsuntypischer" Kleidung oder Anwesende ohne Papiere verhaftet. Grundsätzlich waren Bars für Homosexuelle legal, so auch das Stonewall Inn in der Christopher Street in Greenwich Village. Es geriet ins Visier der Polizei, weil dort hin und wieder knapp bekleidete "Go-go-Boys" auftraten. Das Lokal fiel jedoch vor allem dadurch auf, dass dort Menschen Zutritt hatten, die in anderen queeren Bars keinen bekamen: obdachlose Jugendliche, Schwarze Drag Queens und BIPoCs (Black, Indigenous and People of Color) allgemein, schwule Sexarbeiter und Lesben.
In der Nacht von Freitag, den 27. Juni, auf Samstag, den 28. Juni 1969, wurde ab halb zwei Uhr morgens im Stonewall Inn eine der üblichen Razzien durchgeführt. Ungewöhnlich war daran die Uhrzeit. Normalerweise wussten die Betreibenden vorab Bescheid, und die Razzien fanden am frühen Abend statt, sodass das Hauptgeschäft anschließend ganz regulär weiterlaufen konnte. Vielleicht war genau dies der Auslöser dafür, dass sich die Anwesenden anders verhielten als sonst: Die, die nicht verhaftet wurden, blieben vor dem Stonewall Inn stehen, andere Menschen in der Christopher Street kamen hinzu, und Verhaftete wehrten sich erstmals. Es kam das Gerücht auf, das übliche Schmiergeld wäre in dieser Nacht nicht an die Polizei gezahlt worden. So fingen die Menschen an, Pennys auf die Gesetzeshütenden zu werfen, und aus Münzen wurden irgendwann Flaschen und Ziegelsteine.
Welche Person letztendlich den Aufstand begonnen hat, von wem er ausging, ist nicht sicher geklärt. Es ist anzunehmen, dass sich die Dynamik im aufkommenden Durcheinander durch alle Anwesenden entwickelt hat. Im Besonderen durch drei Personen.
Die ersten Steine oder auch Flaschen sollen Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera geworfen haben. Johnson wuchs in New Jersey auf, lebte nun im offeneren Viertel Greenwich Village, wo sich auch das Stonewall Inn befand. Sie war Schwarz, trans, Drag Queen, Sexarbeiterin und Aktivistin. Bis heute ist sie eine der bedeutendsten queeren Personen unserer Geschichte.
Sylvia Rivera wurde in New York in eine Familie venezolanischer und puerto-ricanischer Abstammung geboren. Sie wurde als Kind zur Waise. Rivera war ebenfalls trans, und schon in ihrer Grundschulzeit begann sie, Make-up zu tragen. Aufgrund dessen wurde sie im Alter von zehn Jahren von ihrer Großmutter verstoßen und war anschließend obdachlos. Ihr Geld verdiente sie als Prostituierte, und sie wurde von einem New Yorker Drag-Queen-Kollektiv aufgenommen.
Außerdem gibt es Berichte, dass Stormé DeLarverie die Aufstände in dieser Nacht mit ausgelöst hat. Sie war eine lesbische Frau, die in New Orleans als Tochter einer afroamerikanischen Mutter und eines weißen Vaters geboren wurde. Ihre Mutter arbeitete als Hausangestellte bei der wohlhabenden Familie ihres Vaters, den sie später auch heiratete. Stormé DeLarverie trat als Drag King auf und ist bekannt für ihre Vorliebe androgyner Kleidung, die sie privat trug - oft wird Stormé als frühes Beispiel einer Entwicklung genannt, in der "geschlechtsneutrale" Kleidung gesellschaftsfähiger und beliebter wurde.
Hier wird deutlich, dass es schlichtweg nicht richtig ist, wenn in verschiedenen Quellen und der Überlieferung ausschließlich von "Schwulenbars" oder der "Schwulenbewegung" gesprochen wird. In dieser Nacht haben u. a. drei Personen den Grundstein für eine gesellschaftliche Entwicklung und den Menschenrechtskampf gelegt, die nicht schwul waren.
Zurück in das Jahr 1969, in die Nacht in der Christopher Street, die Geschichte geschrieben hat. Marsha P. Johnson war zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre, Sylvia Rivera 18 Jahre und Stormé DeLarverie 49 Jahre alt. Da in der Vergangenheit vonseiten der queeren Community bei diesen Razzien kein oder nur wenig Widerstand geleistet wurde, war die Polizei überrascht von den Reaktionen. In der Schlägerei wurden die acht ursprünglich angerückten Beamten schnell überwältigt und flüchteten sich in die Bar. Immer mehr Menschen strömten herbei, überall erklang die Parole "Gay Power!". Letztendlich standen 2.000 Protestierende einem Aufgebot von 400 Cops gegenüber. Die Polizei versuchte die Menge auseinanderzutreiben. Menschen, die als...
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