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JA, DER ANFANG ... Wie man weiß, der Anfang ... Bekanntlich der Anfang ... Berüchtigt der Anfang: gilt als besonders schwer. Es wäre freilich kein guter Anfang, würde ich wie folgt beginnen: »Sehr geehrter Herr Geheimrat von Goethe! Ich eröffne diesen Brief mit einer Bitte: Lesen Sie ihn.« Solch einen Brief würden Sie gleich beiseitelegen, falls er Ihnen vom jeweiligen Sekretär überhaupt vorgelegt würde. So muss ich wohl einen besseren Anfang suchen.
Und da könnte ich Ihnen denn, bevor ich zum Anlass dieses Schreibens komme, ein Bild vermitteln von der Konstellation, die zum voraussichtlich umfangreichen Brief aus Lüneburg führt.
Ich schreibe in einem Haus einer Straße mit dem poetischen Namen »Auf dem Meere«. Im Erdgeschoss ein Vorbau, daneben die Haustür, anschließend das Fenster meines Buchladens. Zwischen den fünf Fenstern des ersten und den drei Fenstern des zweiten Stockwerks: Wandnischen mit den Büsten des Paracelsus, des Plotin und des Hermes Trismegistos - das Haus war von einem Arzt erbaut worden, der seine Tätigkeit dem Patronat des »dreifach großen« Arztes, Philosophen, Zauberers Hermes unterstellt hatte. Hoch droben in der abgestuften Backsteinfront sodann ein Kranwindenbalken. Die Bücher meiner Verlagsbuchhandlung werden im rückwärtigen Anbau des Hauses gedruckt; der größte Teil der Pakete wird von einem Spediteur nach Leipzig verfrachtet, zur Präsentation auf der Oster- oder auf der Michaelismesse; die noch nicht expedierten Bücher werden mit der Winde hochgezogen zum Lagerraum im Speicher - um möglichst bald herabgelassen und an die Herren Mitbuchhändler verschickt zu werden.
Während ich dies niederschreibe, löst sich aus dem Himmel, der längst leergeschneit sein müsste, weiterhin Schnee. Kein festlicher Schneefall: fortgesetztes Herabsinken von winzigen Schneeflocken, von Nieselschnee aus dem Grau, das nicht nur auf Stadt und Heide lastet, sondern zugleich aus Stadt und Heide aufzusteigen scheint. Zwar sind Dächer, Straßen, Plätze weiß bedeckt, an den Dachkanten reihen sich Eiszapfen, diese Aufhellungen von Schnee und Eis kommen aber nicht an gegen das Grau-in-Grau mit dem Schnee-Geriesel, das eingemuldete Dach scheint immer schwerer auf dem Mauerwerk zu lasten: hohl der Rücken, dick der Bauch des Hauses ... Und hier gehe ich umher auf klappernden Steinplatten, knarrenden Bohlen.
Auf dem Meere ... Das Haus ... Das Arbeitszimmer ... Das Schreibpult, an dem ich, die Beine von einer Decke umhüllt, im Licht der Petroleumlampe sitze ... Und wieder einmal streichen die Katzen, die nur scheinbar aus der Nachbarschaft stammenden, nur scheinbar auf vertraute Namen hörenden Katzen im Zimmer umher, das Fell gesträubt, als säße ein Knisterfunke am Ende jedes Katzenhaars, erst recht an jedem Katzenschnurrbarthaar, Funken so groß wie Diamantsplitter, Schritt um Schritt mitschwingend, und grün phosphoreszierend die Augen. Schon ist eine von ihnen hochgesprungen, legt sich schnurrend-knisternd auf den Papierbogen, ich schreibe um die Katze herum, Sie sehen das am Schriftbild, schon bilden sich Fünkchen an den Fingergelenken meiner Schreibhand, springen knisternd über zu den Katzenhaaren, die sich meiner Hand entgegensträuben - aufgerichtet zugleich die wenigen Haare auf dem Handrücken ... Auch wenn die beiden anderen Katzen aneinander vorbeistreichen: hörbares Knistern, und die Augen phosphoreszieren noch intensiver, noch tiefer eingeschnitten die schwarzen Sehschlitze. Die Katzen springen auf Sessel, Büchertisch, Bücherschrank, ich verliere die Geduld, laufe in die Küche, hole einen frischen Birkenreiserbesen, stippe ihn in den Topf über dem Feuer, in den heißen Abendbrei von Milch und Buchweizen, laufe ins Zimmer, schwenke den Besen kreuzförmig vor den Katzen - der heiße Brei trifft in dicken Spritzern ihr nachtschwarzes Fell, sie fauchen wild, meine drei Schönen, schon ist der Katzenspuk vorbei. Und ich bin wieder ruhig, Exzellenz, bin wirklich ganz ruhig ...
NUN KANN ICH, muss ich zum Thema kommen - neu ansetzend am nüchternen Vormittag. Lüneburg ist mit weiterhin fallendem Schnee fast von der Welt abgetrennt, es treffen keine Bestellungen ein, gehen keine Pakete hinaus, ich nutze die untypisch ruhige Morgenstunde, um fortzufahren in diesem Schreiben.
Sinnvollerweise stelle ich Ihnen erst einmal, mit Blick auf einen bald erfolgenden Vorschlag, einige der Titel vor, die in meinem Hause gedruckt wurden. Selbstverständlich, ja beinah obligatorisch: ein Band »Ansichten von Lüneburg und Umgebung« mit sechzehn Kupfertafeln - die Vorzugsausgabe auf Velinpapier gedruckt. Sodann die Mappe »Zwölf Pferdearten, nach der Natur gezeichnet« - hier reicht das Spektrum von Ostfriesland bis Arabien. Des Weiteren ein »Taschenbuch für Menschenkenntnis und Selbstbesserung«. Und neuerdings »Die Kunst, Krankheiten vorzubeugen. Nebst Kants Ideen über moralische Diätetik«. Ebenfalls der Erwähnung wert: »Briefe über Wichtigkeit, Pflicht und Vorteile des Frühaufstehens«.
Besonders gern würde ich Exzellenz ein Werk vorlegen, das den Naturwissenschaftler in Ihnen ansprechen dürfte: »Der Salzdom« - eine Schrift über geologische Formationen unter Lüneburg und näherer Umgebung, also über den unsere Stadt (finanziell) tragenden, sie hier und dort (tektonisch) absenkenden Salzstock oder Salzdom.
Der Salzdom ... Während ich dieses Wort schreibe, wächst er vor mir aus dem Erdreich empor, Sedimentschichten durchbrechend, im Tageslicht Gestalt annehmend zwischen Krypta und Turmspitze: Hauptschiff aus Salz, Vierung und Chor aus Salz, Seitenschiffe aus Salz, Heiligenfiguren auf Konsolen aus Salz, Spukfiguren an Kapitellen aus Salz; aus Salz die Fensterbögen: Steinsalz-Filigranwerk; sogar die Orgel aus Salz, samt reichverziertem Prospekt. Ebenso die Wendeltreppe aus Salz im Turm aus Salzquadern, und ich steige mit geschlossenen Augen hinauf, vorbei an Glocken aus Salz im Glockenstuhl aus Salz, trete hinaus auf den TürmerRundgang unter der Turmspitze aus Steinsalz-Filigran, schaue hinab auf das Dach aus Salz, die Wasserspeier aus Salz - und gleich die Angst, der Dom könnte sich in einem Gewitterregen auflösen, zuerst an den Wasserspeiern -, sofort versetze ich mich wieder ans Schreibpult.
WAHRSCHEINLICH IST IHNEN LIEBER, ich beginne mit gebührender Nüchternheit, hier beim Stichwort Salz. Nun denn: Auch während ich dies schreibe, wird unablässig Sole aus dem Salzstock hochgepumpt, jeweils vier Mann halten die Pumpenschwengel in Bewegung, taktgenau, das salzhaltige Wasser verteilt sich in vierundfünfzig Häuser, in denen Riesen-Bleipfannen über Feuern stehen. Diese Salzpfannen schreien nach Salzwasser, Salzwasser, Salzwasser und die Feuer unter ihnen nach Holz, Holz, Holz, herangeschafft auf der Ilmenau.
Zuweilen, wenn es windstill ist über der Heide, windstill über Lüneburg, und Dampf steigt senkrecht auf über Häusern, in denen Solewasser verkocht, Salz kristalliert, da komme ich mir vor wie eingesalzen - mir jucken die Augen, ich lecke Salz aus den Mundwinkeln, habe das Gefühl, es kristallisiert sich Salz im Schnurrbart, womöglich im Vollbart, den ich manchmal trage, den ich vor einer Reise jedoch entfernen würde, um nicht als Pökelsalzknabe zu erscheinen. Manchmal erscheint mir das Leben hier in Lüneburg ziemlich versalzen.
EIGENTLICH HABE ICH HEUTE KEINE RECHTE LUST, diesen Brief weiterzuschreiben. Dass ich dennoch ansetze, geschieht eher aus Trotz gegenüber der Geliebten, die seit einiger Zeit bei mir lebt - unter diesem sehr alten, etwas durchhängenden Dach, das im Sommer in der Heidehitze knackt und im Winter unter der Schneelast. Und ständig huschen im Speicher Mäuse umher. Und zuweilen Geräusche dort oben, die besonderer Erklärung bedürfen - davon später.
Ich will meine persönliche Situation nicht näher beschreiben, möchte pauschal nur andeuten: Wegen der Liaison mit einer jungen Mitarbeiterin meiner Verlagsbuchhandlung hat sich meine Frau von mir getrennt; sie zog zu ihrer steinalten Mutter. Vor der Trennung schlimme Szenen: Stundenlang Schimpfen und Schmähen ... Zertrümmern zerbrechlicher Teile der Wohnungseinrichtung ... Zerstören gemeinsamer Vergangenheit ... Ich will indes nicht weiter von Eifersuchtstaten meiner Frau berichten, das wäre indezent, möchte jedoch eine Entwicklung andeuten, die über das Private hinausweist ins Öffentliche: Als meiner Frau dämmerte, dass Dörtje für mich mehr war als nur Gehilfin, begann sie uns zu beobachten, zu belauern.
Ein Beispiel? Sobald ich mit Dörtje allein war im Kontor, mit leidiger Buchführung beschäftigt, tauchte mit irgendeiner Frage der Lehrbub auf - ich entließ ihn bald darauf. Damit war für meine Frau bewiesen: Jan Delmenhorst hat etwas zu verbergen. So kam sie immer öfter von der Wohnung herunter in die Buchhandlung, in die Druckerei, und ich sah im eignen Hause wiederholt (oder nachgebildet), was in unseren Landen auf Betreiben des Staatskanzlers Metternich allzu selbstverständlich geworden ist: Bespitzeln und Denunzieren. Das führte zu heftigen Auseinandersetzungen - die Wogen gingen hoch »Auf dem Meere«!
Weil ich mich hier bereits an den heiklen Punkt herangeschrieben habe, kurzes Resümee: Als meine Frau das Haus verlassen hatte, zog Dörtje ein. In diesem Satz: ein Roman! Aber soll ich den erzählen? Einzelheiten würden Ihnen aufdringlich, mir indiskret erscheinen, also erwähne ich nur, dass meine vormalige Frau noch immer in Uelzen lebt, obwohl ihre Mutter, in den letzten anderthalb Lebensjahren pflegebedürftig, zwischenzeitlich verstorben ist. Und: dass Dörtje weiter...
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