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Cantus firmus ist ein fester (lat. firmus) Gesang (cantus), eine gegebene Melodie, die einer vokalen oder instrumentalen Komposition zugrunde liegt (abgekürzt c.f.). Die Melodie kann dem geistlichen oder weltlichen Repertoire entstammen oder, in Sätzen der Renaissance gelegentlich, frei erfunden sein. Im 16. Jahrhundert war das deutsche Tenorlied überaus verbreitet, mit dem c.f. in der Tenorstimme. Es gibt unzählige, durchweg vierstimmige Sätze, deren Satzart vielgestaltig ist: schlichte Homophonie, Imitationen einzelner oder aller Stimmen und mannigfache Mischformen. Gern werden die einzelnen Liedzeilen im Tenor von den anderen, ihn umrankenden Stimmen imitatorisch vorbereitet oder nachgesungen, wie in diesem Liedsatz aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Alt und Sopran singen anfangs (T. 1/2) eine Vorimitation des Tenors und imitieren dadurch auch einander, der Bass (T. 4) singt eine Nachimitation.
Stiltypisch ist auch das Verfahren bei der zweiten Zeile: »bringt mir groß Leid«. Ihr Quartauftakt und die absteigenden Sekunden im Tenor T. 6/7 werden nur vom Sopran T. 5/6 vorimitiert, der Alt T. 5/6 und der Bass T. 7 mit Auftakt verlaufen melodisch anders. Dennoch wirken auch sie als Imitationen, weil sie nicht nur rhythmisch gleich sind, nämlich auftaktig und in Viertelbewegung, sondern auch textlich. Rhythmische Identität verbindet, und die Art der Textverteilung ist bedeutsam: Textwiederholung kann »Imitation« suggerieren.
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Canzone ist eine Anfang des 17. Jahrhunderts gepflegte, rhythmisch meist lebhafte instrumentale Gattung. Der Beginn einer Canzone von Girolamo Frescobaldi, aus seiner Sammlung Fiori musicali (Musikalische Blumen, 1635), zeigt die für Canzonen typische Tonwiederholung und die charakteristische Imitation der Stimmen, durchweg wie hier im Quintabstand.
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Das Besondere bei einer Canzone ist nicht die Satzart - sie folgt der tradierten Vokalmusik -, sondern die Darbietung: das Instrumentale und seine spielerische Lebendigkeit.
Chaconne heißt eine barocke Gattung, die einen mehrfach wiederholten Bassgang mit wechselnden Spielfiguren versieht. Der Bass gibt den Grund vor, der von den Oberstimmen harmonisch ausgestaltet und mit Bewegungen überlagert wird. Einer Ciacona von Johann Pachelbel (1653-1706) sind die drei folgenden Viertakter entnommen, die - wie üblich - ihr jeweiliges Spielmuster beibehalten: Punktierungen, Auflösung zu Achteln, weitere Verkleinerung mit Imitation zwischen den Oberstimmen (die nicht abgebildeten Takte 5-8 und 13-16 sind im Wesentlichen Wiederholungen der Taktgruppen davor).
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Eine Abgrenzung zur zeitgleichen, analog ablaufenden Passacaglia fiel schon damals schwer. Johann Gottfried Walther sagt (Musikalisches Lexikon, 1732), die Passacaglia sei »eigentlich eine Chaconne«(!), nur dass sie »langsamer« gehe. Johann Mattheson (Der vollkommene Capellmeister, 1739) widerspricht: Die Chaconne gehe »bedächtiger und langsamer« einher; und die Passacaglia binde sich im Unterschied zur Chaconne »an kein eigentliches Subject« - während Walther der Chaconne = Passacaglia ein »Bass-Subjectum« unterstellt. Selbst Matthesons Behauptung, eine Chaconne liebe »die grossen Ton-Arten«, also Dur, ist nicht absolut zu setzen: Buxtehudes Ciacona Bux WV 159 und Pachelbels Satz oben stehen in Moll. Festhalten lassen sich jedoch anhand der komponierten Werke vier Merkmale:
1. Beide Arten stützen sich auf ein »Subjekt«, eine Basslinie, über der wechselnde Bewegungsmuster ablaufen. »Variationen« wäre für sie ein unangemessener Ausdruck, weil der erste Durchlauf in der Regel nicht das »Thema« für die folgenden vorgibt, sondern eine mögliche Version vorstellt.
2. Das Bass-Subjekt erscheint bei einer Passacaglia anfangs gern allein, bei der Chaconne nicht.
3. Die Spielmuster über dem Bass lassen in vielen Werken (wie schon oben in Pachelbels Ciacona) eine zunehmende Erregungskurve erkennen. Bachs Orgel-Passacaglia c-Moll BWV 582 verfolgt in den ersten zehn Durchgängen einen klaren Bewegungsplan: punktierte Achtel |35| synkopiert - durchlaufende Achtel - Achtel plus Sechzehntel - verschiedene Sechzehntelanordnungen - durchlaufende Sechzehntel über Akkordschlägen. (Die Idee, den Bewegungsgrad zu steigern, haben Variationszyklen der Klassik bewahrt.)
4. Es scheint, als wurde die Passacaglia als die flexiblere Form aufgefasst. Ihr Bass-Subjekt wandert auch in die Oberstimme, bei Bach im Mittelteil seiner Passacaglia. Buxtehudes Passacaglia d-Moll Bux WV 161 bringt den Bass auch in anderen Tonarten, sodass sich der harmonische Bauplan d-Moll/F-Dur/a-Moll/d-Moll ergibt, ausbalanciert in gleich langen Abschnitten.
Anregungen zur Weiterarbeit
Für Klavier (Zweistimmigkeit reicht!) und für Melodieinstrumente plus Bassinstrument: eine Chaconne improvisieren. Gern wurde als Bass ein fallender Quartzug genommen. Er lautet in e-Moll e-d-c-h und kann, wie oben bei Pachelbel, in punktierten Halben ablaufen. Man entwerfe harmonische Möglichkeiten über jedem der vier Töne sowie einen rhythmischen Plan, beispielsweise: punktierte Halbe - Halbe mit einem Viertel - durchgehende Viertel . Dann kann das Spiel beginnen. Die Figuren der Oberstimme sollten auf der Takteins womöglich klangbetonte Intervalle ansteuern: Terzen und Sexten.
Musikbeispiele
Bachs Ciaccona, das Finale der Partita d-Moll für Violine solo BWV 1004 mit ihrem Moll-Dur(!)-Moll-Aufbau.
Bachs Passacaglia c-Moll für Orgel BWV 582. Ein Hinweis zum Ablauf für den, der keine Noten zur Hand hat: Bass-Subjekt allein - dann A: zehn Durchläufe - B: fünf Durchläufe mit dem Subjekt in der Oberstimme und ganz auf Sechzehntelbewegungen abgestellt - C: erneut fünfmal das Subjekt, wieder im Bass. Anschließend die Krönung: eine Doppelfuge (eine Fuge mit zwei Themen) über das Bass-Subjekt und sein Gegenthema. Sie bleiben einander die ganze Fuge hindurch verbunden, während sich alles andere motorischer Sechzehntelbewegung hingibt.
Brahms schreibt das Finale seiner 4. Symphonie in der Tradition der Passacaglia, überlagert von sonatenähnlichem Denken. Für Partiturleser: T. 97-128 ist ein Mittelteil, der sich als ein Stellvertreter einer »Durchführung« verstehen lässt, T. 129 beginnt unüberhörbar eine »Reprise«: das Anfangsthema kehrt wieder .
|36| Charakteristische Dissonanz ist eine spezielle Art dissonanter Töne: Für die Subdominante, den Dur- oder Mollakkord auf der IV. Stufe einer Tonart, gilt die hinzugefügte große Sexte als charakteristische Dissonanz (dass diese Auffassung im Rahmen einer Kadenz problematisch ist, wird unter Sixte ajoutée dargestellt). Für die Dominante, den Durakkord auf der V. Stufe einer Tonart, ist die kleine Septime charakteristisch.
Sie werden »charakteristisch« genannt, weil sie typische Bestandteile der Subdominante und Dominante sind und weil sie einem unbestimmten Dur- und Mollakkord die Bedeutung einer Subdominante (S) geben bzw. einem Durdreiklang die Bedeutung einer Dominante (D), genauer: ihn zum Dominantseptakkord (D7) machen:
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Chromatik entsteht durch die »Verfärbung« von Tönen (gr. chroma = Farbe), indem die Töne erhöht oder erniedrigt werden. Chromatik wird in unterschiedlichen Größenordnungen wirksam:
1. Bei einzelnen Tönen: Der Beginn von Beethovens Präludium durch alle Dur-Tonarten op. 39,1 chromatisiert - harmonisch begründet - einzelne Töne. Dadurch bilden sich kleine chromatische Züge, die durch die Stimmen wandern, ab T. 3 von oben nach unten verfolgt: e-f-fis-g/ d-dis-e/c-h-b-a und zurück a-b-h-c.
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2. In einer melodischen Linie: Das Fugenthema aus Bachs Chromatischer Fantasie und Fuge BWV 903 kontrastiert aufwärts schreitende Chromatik (T. 1/2; T. 3/4 als Sequenz) und abwärts gerichtete Diatonik (T. 5-8).
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3. seiner überhitzten Chromatik verkörpert ein inbrünstiges Sehnen, |37| ausgedrückt durch immerwährende chromatisierte...
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