Schweitzer Fachinformationen
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Die Blechtür wird mit einem Vierkantschlüssel zugesperrt, die Gondel ruckt an, gleitet hinauf zur ersten Zwischenstütze, rasselt, schaukelt, und schon der Rhein, rechts und links der Zoobrücke, die dem Panoramabild eine breite Mittelachse setzt. Dreibahnig gleitet es heran, westwärts, dreibahnig gleitet es unter der Gondel hervor, ostwärts.
Er läßt den Blick nach links hinausschwingen, zur Mülheimer Hängebrücke, zum Hochhaus der Firma Bayer in Leverkusen, zu den Ausläufern des Bergischen Landes. Die Gondel schwebt über die Zoobrücke hinweg, schon gleißt der Fluß auf: Flimmerpunkte so dicht beisammen, daß eine schwingende Lichtfläche entsteht, gegliedert von gestaffelten Bugwellen eines Güterschiffs, dessen Konturen abzuschmelzen scheinen. Je näher die Lichtbahn, Flimmerbahn an die Brücke heranreicht, desto stärker die Auflösung; an den Rändern nur noch einzelne Blitz- und Funkelpunkte, in Zufallsverteilung.
Herkenrath löst den Blick von den Lichtpunkten, schaut südwärts auf den Fluß zwischen dem unbefestigten, flachen Ufer des Rheinparks und dem befestigten Ufer rechts. Weiter hinaus der Dom und Groß St. Martin, die beiden Funkhochhäuser am Raderberggürtel, die Südbrücke. Rechts von ihr, im Stadtbild nicht betont, sein künftiger Tatort. Und vor der Südbrücke die Severinsbrücke und die Deutzer Brücke und die Hohenzollernbrücke: der künftige Aktionsraum. Ja, Aktionsraum Rheinschiene, im Streckenabschnitt Südbrücke/Zoobrücke, eventuell erweitert zur Rodenkirchener Brücke dort im Süden, zur Mülheimer Brücke hier im Norden der Stadt.
Die Gondel hat den Rhein bereits überquert, schwebt über der breiten Zone von Sand und Geröll, schwebt über Wiesenflächen, über Bäumen, Buschgruppen, Blumenbeeten, schon rasselt das Laufwerk der Gondel zwischen den Leitschienen der östlichen Zwischenstütze, er sieht das ausgebrannte Thermalbad mit leeren Becken in dachloser Halle, die umgeben ist von dachlosen Nebenräumen, schon wird das Tragseil nach unten geführt zur Station Rheinpark: die letzten der 935 Meter, schon das halbe Umrunden des mächtigen Antriebsrads, mit kleinem Ruck hält die Gondel an, leicht pendelnd, wird aufgesperrt. Nein, kein Spaziergang im Park, er behauptet, er müsse sofort zurück, habe versehentlich die Herdplatte angelassen, die Suppe könnte verkochen . Er reicht die Rückfahrkarte hinaus. Achselzucken, Türschließen, Schlüsseldrehen.
Die Gondel ruckt an, gleitet hinauf zum Mast; auch diesmal scharfes Rasseln, dann sanftes Pendeln; erneut die Wiesen, die Bäume, die Buschgruppen, die Blumenbeete; erneut die Lichtblitzpunkte und ihre Verdichtung zu scheinbar atmendem Flimmern - er schaut hinein, bis ihm schwarz vor Augen wird. Er schließt sie: in den Hirnraum verteilte Lichtblitzpunkte . wellenförmige Verdichtung im Flimmern . in sich schwingende Lichtfläche, die sich an den Rändern wiederum auflöst in Lichtblitzpunkte, wie abgesprengt von der Flimmerbahn. Was hier auf ein paar hundert Metern konzentriert ist, wird sich, mit ähnlicher Summe der Lichtstärke, in höchster Atmosphäre verteilen als sanftes Schimmern, ruhiges Flimmern: Lichtkaskade, fast reglos - höchstens ein leichtes Wehen im Sonnenwind. Sein weiträumiger Entwurf: Sky Art.
Und wieder: die Augen auf! Nun rechts zu sehen: die Mülheimer Hängebrücke, das Hochhaus in Leverkusen, die erste Hügelkette des Bergischen Landes. Und er blickt zur Hohenzollernbrücke, weiter hinaus zur Deutzer Brücke, noch weiter hinaus zur Severinsbrücke, Südbrücke. >Seine< Südbrücke: Zentrum der geplanten Manifestation.
Schon ist Herkenrath über der Rheinuferstraße, über der schmalen Grünanlage, steil gleitet die Gondel hinunter zum Breitmaul der Station Zoo der Rhein-Seilbahn, wieder das halbe Umrunden des weiten Laufrads, das Abbremsen, das Schüsseldrehen. »Ging aber schnell diesmal .«
Ja, seine Frau kommt gleich zu Besuch, sie hat Kolleginnen der Volkshochschule eingeladen, »da muß ich ein bißchen was vorbereiten .« Und Herkenrath zeigt auf den Vierkantschlüssel in der Faust des Aufsehers: Schade, daß nicht alle Schlüssel so simpel ausgeführt sind .
»Seit wann interessieren Sie sich für Schlüssel?«
»Können Sie sich wohl denken: ich plane einen Einbruch.«
»Hätt ich eigentlich drauf kommen müssen .! Wie wär's mit zehn Prozent Beteiligung - als Schweigegeld?«
»Mit Prozenten läßt sich in dem Fall nicht rechnen, es geht mehr um ein ideelles Objekt.«
»Aber in Edelmetall?«
»Nein, schwarzer Stein. Aber mit besonderer Wirkungskraft . Ich sage nur: Codewort Tulivkap.«
»Alles klar. Tschüs denn.«
Kleines Winkzeichen, und er verläßt das Stationsgebäude, überquert auf der Fußgängerbrücke die Riehler Straße, geht dicht am Terrarium vorbei neben dem Haupteingang Zoo: Nashornleguane, reglos hingestreckt. Wie auf jedem Hinweg zum Rhein, auf jedem Rückweg zum Leipziger Platz geht er an der Außenmauer der Flora entlang. Auch werbende Hinweise (»Betörende Düfte, verlockende Pflanzen«) können ihn nicht in den Botanischen Garten locken.
Er überquert die in diesem Abschnitt abgesenkte, eingefräste Amsterdamer Straße mit zwei Fahrtrassen, zwei Gleisen, erreicht die Florastraße: Wohnlage ohne Durchgangsverkehr. Zu seiner Rechten ein Kirchenbau der sechziger Jahre, mit kleinen quadratischen Fenstern hoch oben in beinah weißer Klinkermauer. Und der schmale Ausläufer des Nordparks. Und die Erziehungsberatungsstelle der Stadt Köln. Er überquert die Niehler Straße; Fortsetzung der Florastraße. Ein dicker Junge stellt sein Mountainbike quer zwischen einem der geparkten Autos und einer Hauswand.
»Hast du meinen Bruder gesehn, so einen kleinen Furzknoten?«
Den kennt er nicht. Und bitte, er will jetzt weitergehn, hat es eilig, muß Suppe kochen.
»Da mußt du erst 'ne Mark zahlen.«
»Hab ich nicht.«
»Du hast doch Geld. Du verdienst doch gut. Außerdem bist du Single.«
»Woher willst du das wissen?«
»Du kommst doch immer allein hier durch.«
»O.k., da hast du die Mark. Die reicht aber fürs ganze Jahr.«
Die Sperrung wird aufgehoben. Weiter, bis zur Kreuzung mit der Bülowstraße; dort schwenkt er nach rechts ein, geht zum Leipziger Platz.
Grünanlage in geometrischem Grundriß: hochgewachsene Bäume, ausgedünnte Buschgruppen; weite Sandfläche für Kinder; an der Bronzestatue des Generalfeldmarschalls Friedrich Graf Kleist von Nollendorf: Farbproben, aufgesprüht.
Ringsum geschlossene Bauweise: die Hauptfassade des Blücher-Gymnasiums und dreigeschossige Häuser aus der Zeit zwischen Jahrhundertwende und Erstem Weltkrieg: Stuckfassaden mit Backsteingliederung und Backsteinfassaden mit Stuckgliederung und Erker mit Balkonen und Fachwerkgiebel und Zierbalkone und Natursteinsockel - Altbau-Ensemble mit zwischengeschobenen Neubauten, meist aus den sechziger Jahren.
Herkenrath geht auf das Haus zu, in dem er wohnt. Stuckfassade, vier Geschosse. Sein Giebelgeschoß; vom Balkon der Blick herab auf die Grünanlage.
ER RÜHRT DIE FISCHSUPPE im Uhrzeigersinn, zügig gleichmäßig, rührt gegen den Uhrzeigersinn, gleichmäßig zügig. Stimmen aus dem Wohnzimmer. »Aber wenn die demnächst wieder den Etat kürzen . Interessengemeinschaft Kunst . Also, ich hab dem Dezernenten gesagt . Kreatives Freisetzen . Wir kriegen das nur durch, wenn wir in den Fachbereichen simultan .« Rühren im Uhrzeigersinn, zügig gleichmäßig.
Sigrid schaut in die Küche, über den Rand ihrer Lesebrille hinweg, Stirnfalten gebündelt. »Und, was macht die Suppe?«
»Sie braucht noch ein paar Minuten.«
»Du, wir haben Hun-ger!«
Sie zieht den Kopf zurück, wird wieder hörbar im Wohnzimmer. Volkshochschule Nippes: Arbeitstechnik und Rhetorik . »Activate your English« . Rechnungswesen und Existenzgründung . Wirbelsäulengymnastik . Tabellenkalkulation mit Excel . Aber: es soll eine neue Programmakzentuierung angedacht werden. Weil Sigrid für diese Planungsarbeit auch Atmosphärisches wichtig scheint, lud sie ein in die Wohnung am Leipziger Platz: Arbeitsessen. »Wenn du schon nicht Protokoll führen willst, koch uns wenigstens eine Suppe.« Bouillabaisse à la Herkenrath: Süßwasserfische; keine Grönland-Crevetten; Gemüse aus dem Vorgebirge, auf dem Markt gekauft. Rühren, das sich selbständig macht . Selbstvergessenes Rühren .
Sigrid kommt mit einem Aschenbecher, schwenkt den Mülleimer heraus, bückt sich, der schwarzgraue Zopf schwingt vorbei am Ohr, am Clip (Art deco), sie richtet sich auf, schlenkert den Zopf nach hinten; ihr straff zurückgekämmtes Haar. »Die Kolleginnen sitzen bald eine geschlagene Stunde da! Wenn die Suppe so lang braucht, hättest du früher anfangen sollen, statt da herumzugondeln .«
»Ich bin nicht herumgegondelt, ich bin mit der Gondel gefahren. Das gehört zu meinen Vorarbeiten. Dazu gehört übrigens auch das Suppenrühren; es gibt mir innere Ruhe zu kreativen Gedankengängen.«
»Na bravo! Aber wenn du noch ein bißchen schneller rühren würdest - drei Frauenmägen wären dir dankbar.« Und sie geht.
Protokoll der Gesprächsrunde vom 18. Mai 1992. Teilnehmerinnen: Dr. Sigrid Herkenrath, 56, Fachbereichsleiterin für Sonderprogramme Psychologie, Religionswissenschaft, Kulturelle Bildung, Heimat- und Länderkunde, Bildungsprogramm für Mitbürger/innen aus der Türkei; Barbara Thieme, 48,...
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