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Matthäus Merian junior hat dieses Familienportrait gemalt. Dominierend sein Vater, der große Kupferstecher und Verleger. Links von ihm stellt sich der Maler dieses Bildes selbst dar. Auf gleicher Höhe rechts: sein Bruder Caspar, der später in Marias Leben einwirken wird. Leider ist sie, als Kind, auf diesem Gemälde nicht zu sehen, es wurde vor ihrer Geburt gemalt.[1]
JA, SO WIRD ÜBER MARIA SIBYLLA MERIAN GERN ERZÄHLT: Schon als Kind, als Mädchen von dreizehn, begann sie zu forschen, zuerst bei den Raupen des Seidenspinners, und früh schon, auffallend früh zeigte sich ihre Begabung als Zeichnerin, und sie nutzte einen Aufenthalt in den Niederlanden, beim Stiefvater, um einem Grafen eine (sicherlich geflammte) Tulpe zu stibitzen, sie zeichnete diese rote und weiße Blüte im verborgenen Kämmerlein, wurde dennoch entdeckt, doch zur Empörung kam Staunen: Das ist ja eine kleine Künstlerin .! So setzte sich das fort, das Zeichnen, das Aquarellieren, das Kupferstechen und: das Forschen; sie wies, offenbar als Erste, die gesamte Entwicklung von Insekten nach, vom Ei über die Raupe oder Larve zur Krabbel- oder Flugform, entdeckte als Erste auch die Symbiose von Raupe und Wirtspflanze, stellte diese Zusammenhänge in Illustrationen dar, entwickelte sich, darüber hinaus, zu einer der führenden Malerinnen von Stilleben. Und sie lernte einen Mann kennen, Johann Andreas Graff, einen Schüler ihres Stiefvaters, sie heirateten, es kam das erste Kind auf die Welt, sie zogen nach Nürnberg, arbeiteten gemeinsam weiter, sie an Blumenbildern, er an Stadtbildern, sie publizierte ihr Blumenbuch, und weiterhin sammelte sie Raupen, die anderen eklig waren, nahm sie zu Dutzenden mit nach Hause, fütterte sie, um die Verwandlung, die Metamorphose zu beobachten, da kümmerte sie nicht weiter das Geschwätz in der Stadt, sie riskierte es, womöglich als Hexe vor Gericht gestellt zu werden, andererseits galt ihre Haushaltsführung als vorbildlich, doch schien es Probleme in der Ehe zu geben, erst ein Jahrzehnt nach Johanna Helena wurde Dorothea Maria geboren, zugleich das letzte Kind, Frau Graff setzte sich mit den beiden nach Frankfurt ab, veröffentlichte dort den zweiten Teil ihres Raupenbuchs, zog dann, von Töchtern und Mutter begleitet, ins niederländische Friesland, wurde dort, vermittelt durch ihren Halbbruder Caspar, von einer pietistischen Kommune aufgenommen, erreichte auf diese Weise, was sie vor dem Nürnberger Magistrat nicht hätte durchsetzen können: die Trennung; sie ließ ihren angereisten Mann in eine Falle laufen, entzog sich ihm souverän, wurde dabei von Töchtern und Mutter unterstützt, drei Generationen Merian-Frauen solidarisch, der Mann zog geschlagen ab. Nach einigen Jahren in der ländlichen Kommune übersiedelten Mutter und Töchter doch wieder in eine Stadt: einige Jahre Amsterdam. Und sie reiste, mit Dorothea, ins ferne, ferne Surinam, eine niederländische Kolonie an der Ostküste Südamerikas, sie wollte Flora und Fauna der Tropenwelt erforschen, unerschrocken drang sie mit ihrem Sklaventrupp in den Urwald ein, in den Dschungel, forschte unter Lebensgefahr, wurde denn auch malariakrank, musste früher als geplant nach Europa zurückkehren, bereitete dort ihr großes und bald berühmtes Buch vor über die Insekten von Surinam; dieses allseits gefeierte Buch sollte fortgesetzt werden, doch ihre Kräfte ließen nach, es kam der Schlaganfall und damit die Lähmung, sie starb in einem für damalige Verhältnisse hohen Alter und fand, nach einer Zeit des Vergessenwerdens, neue Präsenz als Naturforscherin und Künstlerin - die sonst getrennten Welten verbunden, vereint in dieser Person, die Kunst und die Wissenschaft, die Wissenschaft und die Kunst; wir brauchen, in dieser Welt weiterhin zunehmender Spezialisierung, solche Leitfiguren.
Ist es so? War es so?
UND SO FÄNGT DIE LEBENSGESCHICHTE AN: mit der Beschreibung eines Bildes. Und zwar aus dem Fünften Teil der Fortlaufenden Chronik europäischer Ereignisse: »Historische Darstellung aller herausragenden und denkwürdigen Ereignisse, die hier und dort in Europa, insbesondere im Reich Deutscher Nation, in den Jahren 1642 bis 1647 stattgefunden hatten.«
So lautet, ein wenig abgekürzt, der Titel des letzten Sammelbandes seiner Weltchronik, den Matthäus Merian noch gestaltet oder mitgestaltet hat. Auf dem »Titelkupfer« mythologisches Personal, von dem ich hier absehe; interessant dagegen die Fläche vor den denkmalsähnlich aufgesockelten Damen und Herren. Da liegt ein geöffnetes Buch auf dem Boden, mit Löchern in den Seiten . da liegt eine hingeworfene oder hingefallene Palette mit Pinseln . da liegen ein Säulenstück, eine Trommel, ein Kruzifix . da liegen Schlägel, Fanfaren, Hellebarden . da steht ein Globus. Über diese symbolischen Objekte kriechen stilisierte Schlangen, die Seeschlangen gleichen oder frisch nachgewachsenen Häuptern einer Hydra, an schlangengleichen Hälsen.
Dies war, in barocker Bildsprache, die Welt, in die Maria Sibylla anno 1647 hineingeboren wird. Pathetisch im Stil jener Zeit: Die Lebensbühne, die sie betreten wird, ist voller Requisiten des Krieges. Aber die Trommel wird nicht mehr gerührt, vorerst, die Fanfare wird nicht mehr geblasen, vorerst, die Hellebarde wird nicht mehr geschwungen, vorerst.
LEBENSBILD 1: Familien-Ensemble. Charakteristisches Arrangement der Barockzeit: links ein theatralisch gereffter Vorhang; in der Mitte Durchblick auf das Mainufer von Frankfurt; als Dekoration rechts ein Säulenstumpf, zum Abstützen von Ellbogen oder zum Ablegen von Objekten, die hervorgehoben werden sollen. In der Mitte der kleinen Personengruppe: eine Frau von Mitte zwanzig; sie hält in der Armbeuge ein Kleinkind, das streng umwickelt ist. Und weitere Familienmitglieder: eine Tochter des Matthäus Merian, ein Sohn, eine zweite Tochter, ein zweiter Sohn, ein dritter Sohn, eine dritte Tochter, alle nebeneinander in bildgerechter Gruppierung, nach dem Leben gezeichnet oder aus der Erinnerung. In der Mitte der Familienvater. Versammelt sind hier demnach fünf Kinder aus der ersten Ehe des Matthäus Merian, dazu die zweite Ehefrau. Und das Wickelkind Maria Sibylla. (Feder in Schwarz, grau laviert, auf schwach altfleckigem Papier; vertikale Knickfalte.)
MARIA SIBYLLA MERIAN: EIN NACHKRIEGSKIND. Der Dreißigjährige Krieg als Faktor auch in ihrer Lebensgeschichte: sie wächst auf in einer Welt mit Kriegsspuren, mit Kriegsfolgen. Die sind in Frankfurt kaum zu sehen - die Stadt meist am Rand des Kriegsgeschehens. Und: sie war von einer abschreckend mächtigen Festungsanlage umgeben, mit zwölf (damals) modernen Bastionen. Und: der Rat der Stadt hatte geschickt laviert zwischen den Kriegsparteien, Kriegsparteiungen. Draußen aber: weitflächige Zerstörung.
Schon mit zwölf wird Maria Sibylla von ihrem niederländischen Stiefvater auf eine Reise nordwärts mitgenommen, und dort waren Kriegsfolgen unübersehbar. So etwas wird von der Merian später nie erwähnt, deshalb darf es aber nicht ausgeschlossen bleiben aus ihrer Lebensgeschichte.
Der Dreißigjährige Krieg: eine Folge von drei Kriegen, zusammengefasst unter dieser Sammelbezeichnung. Wer auch immer aufmarschierte, einmarschierte, durchmarschierte - der Krieg blieb nicht an einem pfälzischen oder böhmischen oder schlesischen Horizont, die Kriegsfurie zog kreuz und quer durch die Lande, verheerend im alten Wortsinn. Zu den Zerstörungen die Menschenopfer: erschossen, erstochen, verbrannt, zu Tode gequält oder vergewaltigt - die vielfach beschworenen Gräuel umherziehender Soldateska. Von 21 Millionen Menschen im ehemaligen Kaiserreich der Habsburger überlebten nur 13 Millionen.
Dieser Krieg darf nicht bloß erwähnt werden, pauschal und abstrahierend, damit verharmlosend. Aber wie hier vorgehen? Eine kurz gefasste Geschichte des Dreißigjährigen Krieges einbringen, mit besonderer Berücksichtigung des Rhein-Main-Gebiets? Statt längerer Ausführungen ein kurzes Zitat.
Matthäus Merian zum Ausmaß der Zerstörung, in barockem, hier nur in der Schreibweise modernisiertem Deutsch: »Und ist vor dem jetzigen Krieg das Deutschland von so vielen Städten, Schlössern bebaut und geschmückt gewesen, dass dies von keinem anderen Land übertroffen werden kann. Diese schöne Gestalt ist aber so hässlich zugerichtet worden, dass, wenn ein Durchreisender das jetzige Deutschland betrachtet und das vor wenigen Jahren bestandene dagegenhält, so kann er dies nicht anschauen, ohne heiße Zähren zu vergießen.«
LEBENSBILD 2: Maria Sibylla als Wickelkind. Das regelmäßig, also vorschriftsmäßig bis zum Hals umwickelte Kleinstkind in der Mitte des sonst leeren Blatts. Betonend freigestellt und leicht aus der Mittelachse gedreht, wirkt der Leib wie ein Kokon. Erste Erfahrung also: sich nicht frei bewegen können. Eingeengt, umschlossen, gefesselt sein in einer Tradition, die glaubte, auf diese Weise Misswuchs oder Schwächen verhindern zu können. (Schwarze Kreide, weiß gehöht, auf grünlichem Papier. Unauffälliger Randeinriss unterlegt. Monogrammiert: AM.)
DIE ZEIT NACH DEM DREISSIGJÄHRIGEN KRIEG: reichlich Kriege. Sie werden fast die gesamte Lebenszeit der Maria Sibylla Merian begleiten.
Erst 1650 ziehen die französischen und schwedischen Truppen aus Deutschland ab; ihnen müssen, nach allem, was sie zerstört hatten, Kriegsentschädigungen gezahlt werden. Zwei Jahre später beginnt der Seekrieg zwischen England...
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