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Moderne Managementkonzepte zeigen überraschende Parallelen zu nationalsozialistischen Vorstellungen. In seinem neuen Buch argumentiert Stefan Kühl, dass diese Ähnlichkeiten nicht auf personalen Kontinuitäten vom NS-Staat zur Bundesrepublik beruhen. Gerade prominente Nationalsozialisten, die den Führungsdiskurs in der Nachkriegszeit prägten, mussten darauf achten, nicht mit der NS-Ideologie in Verbindung gebracht zu werden. Heutige Verfechter einer sinnstiftenden Zweckausrichtung, starken Gemeinschaft und transformationalen Führung haben keine Sympathien für die Idee einer rassisch homogenen Volksgemeinschaft. Aber sie ignorieren die Wurzeln zentraler Managementprinzipien und übersehen, wie stark sie Konzepte propagieren, die bereits von Nationalsozialisten vertreten wurden.
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Ja, vielleicht verhält es sich sogar so, daß dieser völlige Mangel an Kontakt mit der Nazi-Mentalität es mir zunächst schwer oder unmöglich machte, eben diese Mentalität wirkungsvoll zu bekämpfen. Unser Haß wird wohl nur dort aktiv und militant, wo wir eine gewisse Nähe zum Gegner spüren. Man bekämpft nicht - oder doch nicht mit vollem Einsatz -, was man verachtet. [.] Diese Nazis - ich verstand sie nicht. Ihre Journale - »Stürmer«, »Angriff«, »Völkischer Beobachter« oder wie der Unflat sonst noch heißen mochte - hätten ebenso gut in chinesischer Sprache erscheinen können. Ich kapierte kein Wort.[1]
Der Schriftsteller Klaus Mann
Führung spielt in der nationalsozialistischen Ideologie eine zentrale Rolle. Auch wenn Adolf Hitler nie eine konsistente Theorie der Führung vorgelegt hat, wurde doch schon in seinem Mitte der 1920er Jahre entstandenen Buch Mein Kampf deutlich, wie er sich die Führung in der nationalsozialistischen Bewegung - und darüber hinaus in einem nationalsozialistischen Staat - vorstellte.[2] Mit seinem Grundsatz »der unbedingten Führerautorität« brachte Hitler seine Ablehnung des demokratischen Mehrheitsprinzips zum 10Ausdruck, das seiner Meinung nach den Führer »zum Vollstrecker des Willens der Meinung anderer« degradiere.[3]
Bei Führung komme es, so Hitler, zuallererst auf die »Persönlichkeit« an.[4] Diese müsse durch eine »Verbindung von Fähigkeit, Entschlußkraft und Beharrlichkeit« gekennzeichnet sein. Die Überzeugungskraft dieser »Persönlichkeit« drücke sich im »Fanatismus« aus, mit der sich Anhänger ihr unterordnen.[5] Führung heiße, so die Kurzformel, »Masse bewegen können«.[6]
Folglich sei, so Hitler, das erste Fundament von Führung »stets die Popularität« gegenüber der Gefolgschaft. Aber eine Autorität, die nur auf Popularität basiere, sei »schwach, unsicher und schwankend«. Zur Absicherung bedürfe es deswegen eines zweiten Fundaments, der »Bildung von Macht«, die in letzter Konsequenz auch Ausdruck in Gewalt finden könne. Wenn sich Führungsansprüche durch Popularität und Macht über längere Zeit stabilisiert hätten, dann bilde sich »Tradition« als drittes Fundament aus und bewirke, dass die »Autorität als unerschütterlich« betrachtet werde.[7]
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten diente die von Hitler formulierte Vorstellung nicht mehr nur als Leitbild für die Führung der NSDAP, der SA oder der SS, sondern als Orien11tierungsrahmen für alle Organisationen im NS-Staat.[8] Ministerien sollten sich an diesen Führungsprinzipien orientieren, Verwaltungen sich auf diese umstellen, Armee und Polizei sich darauf ausrichten, Universitäten sich entsprechend umstrukturieren und die Unternehmen sich daran halten.[9]
Die Prominenz des Führungskonzeptes in der Selbstbeschreibung des NS-Staats führt zwangsläufig zur Frage, in welcher Form nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes an diese Denkweise angeschlossen wurde. Wie stark hatten sich die nationalsozialistischen Konzeptionen von Führung in den zwölf Jahren des NS-Staates festgesetzt? Wie groß war der Akzeptanzverlust durch die Niederlage im Zweiten Weltkrieg? Wo hat es im Übergang vom NS-Staat zur Bundesrepublik Deutschland Kontinuitäten im Denken über Führung gegeben und wo gab es deutliche Brüche?
Ein zentraler Forschungsstrang zum Nationalsozialismus geht von inhaltlichen Kontinuitäten des NS-Staates zur Bundesrepublik Deutschland aus. In unterschiedlichen Feldern wie der Rechtsprechung, der Familienpolitik, der Gesundheitsfürsorge, der Militärführung und dem Unternehmensmanagement ließen sich, so die These, die Wirkungen der nationalsozialistischen Ideologie bis in die heutige Zeit nachweisen.[10] Die Nationalsozialisten hätten nicht »einfach verloren, sondern in einem wahrhaft unheimlichen Sinn 12viele ihrer Hauptziele durchgesetzt«. Gesiegt hat »in dieser schwarzen Perspektive« letztlich »das NS-System«, weil nicht wenige der nationalsozialistischen Vorstellungen in der Nachkriegszeit in Erfüllung gegangen sind«.[11] »Der Nationalsozialismus«, so das Diktum Theodor W. Adornos, »lebt nach.«[12]
Vertreter der Kontinuitätsthese gehen nicht davon aus, dass die NS-Ideologie einfach bruchlos fortlebte. Sie interessieren sich vor allem dafür, wie diese an die neuen Verhältnisse angepasst und dadurch transformiert wurde. Die NS-Ideologie presse sich, so der Sozialphilosoph Nikolas Lelle, in »entnazifizierte Formen« und könne gerade dadurch bis heute weiterwirken. Trotz dieser Transformationen sehe man sich beim Blick auf den NS-Staat und die Bundesrepublik Deutschland jedoch zwangsläufig mit einer »Wiederkehr des Ähnlichen« konfrontiert.[13] Kurz: Nazis waren auch in der Bundesrepublik Deutschland Nazis - bloß, dass sie ihre Auffassung an die neue staatliche Ordnung anpassten.
Als Fundament für die vielfältigen inhaltlichen Kontinuitätslinien wird die starke personale Kontinuität bei den Funktionseliten vom NS-Staat zur Bundesrepublik Deutschland angesehen. Diese Kontinuitäten sind bereits auf den ersten Blick frappierend. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat es nur wenige Jahre gedauert, bis Funktionäre des NS-Staates erneut Schlüsselstellen in Wirtschaft, Politik, Recht, Wissenschaft, Medizin und Massenmedien besetzt hatten.[14] In der frühen Bundesrepublik war in einigen Ministerien und Ver13waltungen der Anteil früherer NSDAP-Mitglieder bereits höher als zu Beginn der 1940er Jahre.[15]
Den Vertretern der Kontinuitätsthese dient die nationalsozialistische Vorstellung von Führung als prominenter Beleg für ein anhaltendes nationalsozialistisches Denken in der Bundesrepublik.[16] Die von Hitler entwickelte Vorstellung von Führung habe, so die These, auch nach dem Ende des NS-Staates »fröhliche Urstände« gefeiert und würde unter dem Begriff des Managements bis in die heutige Zeit nachwirken.[17] Mit Blick auf neue Managementkonzepte würde, so der Historiker Johann Chapoutot, ins Auge fallen, wie »modern manche Aspekte des Nationalsozialismus« seien. Zwar hätte es im Nationalsozialismus noch keine »Tischkicker, Yoga-Kurse oder Chief Happiness Officers« gegeben, aber das »Prinzip und der Geist« seien in der Wirtschaft des NS-Staates die gleichen gewesen - »Wohlbefinden, wenn nicht gar Freude als Faktoren der Leistungsfähigkeit und Produktivitätssteigerung«.[18]
Festgemacht wird die These einer Kontinuität des Denkens über Führung oft an einer Person, die in der geschichtswissenschaftli14chen Forschung über den Nationalsozialismus für Jahrzehnte kaum beachtet wurde - Reinhard Höhn.[19] Höhn gehörte zu den zentralen Staatsrechtlern des NS-Staats, war ein Theoretiker der rassistischen Lebensraumpolitik der Nationalsozialisten, spielte als Leiter des Hauptamtes »Lebensgebietsmäßige Auswertung« eine wichtige Rolle beim Aufbau des Sicherheitsdienstes der SS und wurde noch kurz vor Kriegsende zum SS-Oberführer befördert.[20] Trotz dieser Bedeutung für den NS-Staat hat er in der Forschung lange Zeit weniger Aufmerksamkeit bekommen als seine zeitweiligen Vorgesetzten Reinhard Heydrich und Heinrich Himmler.[21]
15Das inzwischen wachsende Interesse der Forschung an Höhn hängt damit zusammen, dass man an seinem...
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