Schweitzer Fachinformationen
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Als ich mich bereiterklärt hatte, an die Front zu gehen, hatte ich mir Guerillakampf vorgestellt und nicht, von einem Korporal der fucking Bundeswehr angebrüllt zu werden. Ich zog den Splint mit den Zähnen aus der Handgranate, stellte mir kurz vor, das Ding nach Schmitt zu werfen, und schleuderte es dann doch so weit wie möglich in die Richtung des Predigerlagers. Bevor das Teil den Boden berührte, hatte ich den Kopf wieder eingezogen.
»Verdammt, Herr Weber! Ich habe Ihnen schon hundertmal gesagt, Sie sollen das mit der Hand machen!«, grölte Schmitt los. Sein speckiges Gesicht lief rot an, wenn er schrie, und an seiner Schläfe pulsierte eine Vene, in die ich ziemlich gern einen scharfen Gegenstand gesteckt hätte. »Das hier ist kein Actionfilm! Sind Sie so blöd oder tun Sie nur so?«
Ganz lässig zeigte ich ihm den Mittelfinger. Eigentlich wollte ich irgendwas Cooles sagen, aber in dem Moment explodierte die Granate und jagte dabei die Barrikade in die Luft, die uns die Zufahrt zum Dorf versperrt hatte. Deswegen schenkte ich mir eine verbale Retourkutsche und grinste selbstzufrieden. Außerdem klingelten mir die Ohren von dem Lärm, ich hätte mich bestimmt nicht mal selbst richtig gehört. Und mir war schlecht. Was brachte ein cooler Kommentar, wenn man danach kotzen musste?
Korporal Schmitt wandte sich mit angeekeltem Gesichtsausdruck von mir ab. »Uuuuuund sammeln!«, brüllte er. »Vorwärts marsch!«
Ich hasste diese Kommandos mit derselben Intensität, mit der Schmitt mich verabscheute. Am liebsten wäre ich stur sitzen geblieben und hätte gewartet, bis der Kerl einen Schlaganfall bekam vor Wut. Das half nur leider nicht gegen die Prediger, also packte ich meine Maschinenpistole und folgte dem Korporal und der Handvoll armseliger Hilfskräfte, die ihm unterstellt waren.
Offenbar nicht schnell genug. »Nicht so langsam, Mann!«, schrie er mich an und die Vene an seiner Schläfe sah aus, als würde sie jeden Moment platzen. »Los, los, ist Granaten werfen alles, was Sie können?«
Wenn der nicht gleich mal die Fresse hielt, musste ich ihn erschießen und es wie einen Unfall aussehen lassen. Immerhin herrschte Krieg, da passierten solche Sachen.
Hinter den Überresten der brennenden Barrikade kamen fünf Prediger zum Vorschein, alle mit Waffen im Anschlag. Gut, das entsprach den Berichten, wegen denen wir hergekommen waren. Wir waren zu siebt, wenn man den dämlichen Korporal mitrechnete. Der riss seine eigene Pistole hoch und brüllte: »Feuer!«
Wow, echt? Das war ja mal eine originelle Idee. Ich legte an, gab mir ein möglichst professionelles Aussehen und zielte. Okay, auf die Beine, aber das wusste ja keiner. Granaten zu werfen war leichter. Da sah ich nicht, was ich traf.
Es war einfach, die fünf Idioten zu überwältigen. Nach zwei Minuten waren vier von ihnen tot und der fünfte lag im Sterben, das sah sogar ich als medizinischer Laie. Wer so blutete, machte nicht mehr lange.
Wir lebten alle noch. Nur einer der Freiwilligen war angeschossen worden und wand sich vor Schmerzen schreiend auf dem Boden. Ich hatte seinen Namen vergessen - Tim oder Tom oder so - und fand ihn ohnehin ziemlich unangenehm. Klar, so ein Loch in der Schulter war scheiße, aber Jojee hatte nicht so einen Aufstand gemacht damals.
»Umgebung sichern!«, schrie Schmitt und sah sich mit angelegter Waffe um wie ein Vogel, der sein Nest bewacht. Der Rest der Freiwilligen machte mit. Ha, als ob die wüssten, was sie taten.
Ich sicherte meine Pistole und ließ die Schultern kreisen, um die Verspannungen zu lockern. Sollte Schmitt doch brüllen, bis er heiser wurde. Dass hier niemand mehr lebte, sah ich auf den ersten Blick. Wenn die Idioten unbedingt Hollywood spielen mussten, bitteschön. Ohne mich.
Jetzt eine rauchen, das wär´s. Ich hatte mich nicht getraut, wieder anzufangen, aber gerade war der Gedanke echt verlockend. Und fuck, da kam schon Felix und machte die Vorstellung von einer Kippe nochmal attraktiver.
Er war ohne Notarzt unterwegs, hatte nur zwei andere Sanitäter im Schlepptau und guckte so angepisst wie üblich. Wann hatte der Mann zum letzten Mal gelacht? Er und seine Kollegen sahen sich um und die zwei hockten sich zu dem angeschossenen Freiwilligen. Felix selber betrachtete den verblutenden Prediger. »Mann, Zecke«, maulte er mich an. »Du könntest die Leute wenigstens vernünftig erschießen.« Anklagend wies er auf den Verletzten, der mittlerweile das Bewusstsein verloren hatte. Nur leises Röcheln zeigte an, dass er noch nicht ganz tot war. »Was soll ich mit so was anfangen, du dämlicher Idiot?«
Niemand nannte mich einen dämlichen Idioten. Heißer Zorn kochte in mir hoch, legte sich wie ein roter Schleier über meine Augen und spülte mir einen bitteren Geschmack in den Mund. Nein, Mann. Mira dreht durch. Ich schluckte. Atmete tief ein und aus. Felix war es nicht wert, die Kontrolle zu verlieren. Diesmal nicht.
Der Spinner kniete sich neben den Prediger und betrachtete die klaffenden Wunden in der Hüfte mit professionellem Interesse. »Nee«, sagte er schließlich. »Das wird nichts mehr. Den lassen wir liegen.«
»Wer bist du, dass du über Leben und Tod entscheidest?«, rutschte mir raus, in einem Tonfall, den ich sonst nur den Bullen gegenüber an den Tag legte. Aber hey, was sollte das denn hier? Felix war Notfallsanitäter, kein Heiliger, obwohl er sich ständig so aufführte. Mit welchem Recht entschied er, wer leben durfte und wer sterben musste?
Roro ... Ich wollte nicht an sie denken. Weder daran, wie dieses Arschloch kaltblütig über ihren Tod bestimmt hatte, noch an die Waffe, die er mir deswegen ins Gesicht gehalten hatte, und schon gar nicht an den Tag, an dem er sie mit mir in gefrorener Erde begraben hatte. Einfach nicht daran denken.
Felix verdrehte die Augen. »Hey, bin ich Gott oder was? Wenn irgendein Idiot ihm alle Arterien im Unterleib zerschießt, kann ich halt auch nichts machen.« Er stand wieder auf und betrachtete den Verletzten. »Außerdem mangelt´s mir eh an Mitgefühl für diese Wichser.«
Ich an seiner Stelle hätte den Prediger mal kurz und hart in die Rippen getreten. Felix begnügte sich mit einem abschätzigen Blick. Waschlappen. »Erschieß ihn doch«, schlug ich vor. Sollte der große Sani mal beweisen, dass er Eier hatte und nicht nur große Sprüche klopfte.
Doch Felix warf mir nur einen tadelnden Blick zu. »Ich glaube, das ist dein Job«, sagte er aalglatt und sah sich nach seinen Kollegen um. »Wie sieht´s aus?«
Der angeschossene Freiwillige lag mittlerweile auf einer Trage und trug einen Druckverband. Einer der beiden Sanis sah auf. »Wir sind so weit.«
Felix sagte kein Wort mehr. Er nickte mir knapp zu - allein dafür hätte er eine Ohrfeige verdient - und marschierte mit seinen Kollegen davon. Im Weggehen zog er seine Jacke aus und schmiss sie sich unzeremoniell über die Schulter. Auf seinem Unterarm erahnte ich die Narbe, dieses grässliche, manschettenförmige Miststück. Selbst jetzt durchfuhr mich das schlechte Gewissen.
Und was stellte ich mit dem verletzten Prediger an? Wahrscheinlich war es gnädiger, ihn von seinem Leid zu erlösen. Ich tastete nach dem Sicherungshebel meiner Waffe und schaffte es nicht, ihn zu umzulegen. Fuck, man schoss doch nicht auf Leute, die schon am Boden lagen, oder? Nur weil grade Krieg war? Hätte der nicht einfach bei der Granatenexplosion sterben können? Mühevoll schluckte ich Galle runter und sah weg. Musste er eben so sterben. Armer Kerl.
Leider stand Korporal Schmitt wie aus dem Nichts vor mir. »Was fällt Ihnen ein!«, kreischte er. Die Ader pulsierte. »Sind Sie taub oder was?«
»Äh, nein.« Ich verschränkte die Arme entspannt über meiner Waffe. Was wollte er schon tun, mich rausschmeißen? Dafür gab es zu wenig Hilfskräfte, und mal ehrlich, die Bundeswehr war so dezimiert, dass sie alles nahm.
»Dämlicher Idiot!«, spuckte Schmitt mir ins Gesicht. »Ich bin ja mit euch Freiwilligen gestraft, aber Sie! Sie sind schlimmer als -«
Dämlicher Idiot. Was glaubte der Pisser eigentlich, wer er war? Meine Maschinenpistole bewegte sich fast von selbst und zischte nur Millimeter an der Fresse des Korporals vorbei. »So reden Sie nicht mit mir.«
Schmitt stolperte rückwärts. Er jaulte auf und presste beide Hände auf sein Gesicht, als hätte ich ihn wirklich erwischt. »Sie scheiß Hurensohn!«, schrie er. »Das werden Sie bereuen!«
»Glaub ich nicht«, gab ich zurück, viel lockerer, als ich mich fühlte. Fuck, der übertrieb aber auch. Ich hatte ihn ja nicht mal berührt! »Und Sie sind selbst Schuld, wenn Sie mich beschimpfen, Sie hässlicher Wichser.« Bundeswehr hin oder her, der hatte kein Recht, so mit mir umzuspringen. Niemand hatte das.
»Wie können Sie es wagen!« Die Ader an der Schläfe des Korporals pulsierte...
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