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Katabasis, Substantiv, Altgriechisch: Die Geschichte eines Helden, der in die Unterwelt hinabsteigt.
Alice Law hat ihr ganzes Leben lang nur ein Ziel verfolgt: die Beste auf dem Feld der Analytischen Magie zu werden. In Cambridge, als Doktorandin des weltberühmten Professors Jacob Grimes, scheint ihr Traum endlich in Erfüllung zu gehen. Zumindest, bis Grimes bei einem Unfall stirbt, an dem Alice möglicherweise nicht ganz unschuldig ist. Kurzerhand beschließt sie, ihrem Professor in die Hölle zu folgen. Dumm nur, dass ihr Erzrivale Peter Murdoch dieselbe Idee hat.
Mit den Berichten von Orpheus, Dante und T. S. Eliot im Gepäck brechen die beiden auf, um die Seele ihres Mentors zu retten - welchen Preis sie dafür auch zahlen mögen. Doch die Hölle ist nicht so, wie erwartet, und Magie nicht die Antwort auf alles. Denn Alice und Peter verbindet etwas, das sie entweder zu perfekten Verbündeten macht oder für ihren Untergang verantwortlich sein wird.
Nämlich diejenigen, die sich auf rechte Art mit der Philosophie befassen, mögen wohl, ohne dass es freilich die andern merken, nach gar nichts anderem streben, als nur zu sterben und tot zu sein. Ist nun dieses wahr, so wäre es ja wohl wunderlich, wenn sie ihr ganzes Leben hindurch zwar sich um nichts anderes bemühten als um dieses, wenn es nun aber selbst käme, hernach wollten unwillig sein über das, wonach sie lange gestrebt und sich bemüht haben.
Platon - Phaidon
Cambridge im Oktober, Michaelmas-Trimester. Es wehte ein schneidender Wind, die Sonne verbarg sich hinter den Wolken, und anstatt ihren Studierenden am ersten Unterrichtstag näherzubringen, dass nur ein Idiot versuchen würde, mit dem Cartesianischen Trennungszauber Pinkelpausen beim Lernen einzusparen, machte Alice Law sich auf, um die Seele ihres Doktorvaters aus den Acht Höfen der Hölle zu retten.
Professor Jacob Grimes war durch einen schrecklich grausamen Unfall ums Leben gekommen, der gewissermaßen Alice' Schuld war. Sie hielt es also aus moralischer Verpflichtung wie aus Eigeninteresse - ohne Professor Grimes hatte sie keinen Prüfungskomiteevorsitzenden, konnte ihre Dissertation nicht verteidigen, keinen Abschluss machen und sich nicht auf eine Festanstellung in der Analytischen Magie bewerben - für nötig, König Yama den Gerechten, den Herrscher der Unterwelt, um die Wiederbelebung des Professors zu bitten.
Das war kein leichtes Unterfangen. Auch wenn es sich nicht um eine ihrer Teildisziplinen handelte, war sie im vergangenen Monat durch pures Selbststudium zu einer Expertin der Tartarologie geworden. Heutzutage belegte niemand dieses Fach, denn Tartarologen überlebten nur selten lange genug, um ihre Erkenntnisse zu veröffentlichen. Seit Professor Grimes das Zeitliche gesegnet hatte, hatte sie jeden wachen Moment damit verbracht, alle Monografien, Aufsätze und Korrespondenzen über die Reise in die Hölle und zurück zu studieren, derer sie habhaft werden konnte. Mindestens ein Dutzend Gelehrte waren den Abstieg angetreten, hatten überlebt und mehr oder weniger glaubwürdige Aufzeichnungen hinterlassen, doch viele dieser Berichte waren über ein Jahrhundert alt. Die Quellen waren teilweise höchst unzuverlässig und obendrein noch verteufelt schwierig zu übersetzen. Dantes Erzählung war so voller gehässiger Seitenhiebe, dass sein eigentlicher Bericht völlig unterging. T. S. Eliot hatte eine der neueren und detaillierteren Landschaftsbeschreibungen verfasst, doch Das wüste Land bezog sich so sehr auf sich selbst, dass sein Status als Reisebericht in der Forschung ernsthaft angezweifelt wurde. Orpheus' Aufzeichnungen waren auf Altgriechisch und obendrein, wie er selbst auch, nur fragmentarisch erhalten. Und Aeneas . tja, das war bloß römische Propaganda. Möglicherweise gab es in weniger verbreiteten Sprachen noch mehr Berichte - Alice hätte sich jahrzehntelang in den Archiven vergraben können -, doch ihr Stipendium lief langsam, aber sicher aus. Am Ende des Trimesters drohte die Zwischenbesprechung, und ohne einen Doktorvater konnte Alice bestenfalls darauf hoffen, dass eine Förderverlängerung sie über Wasser hielt, bis sie an einer anderen Uni einen neuen Betreuer gefunden hatte.
Doch sie wollte nicht wechseln, sie wollte einen Cambridge-Abschluss. Und sie wollte nicht irgendeinen Doktorvater, sie wollte Professor Jacob Grimes, Fakultätsvorsitzender, Nobelpreisträger und zweifach gewählter Präsident der Königlichen Akademie für Magie. Sie wollte das güldene Empfehlungsschreiben, das ihr alle Türen öffnete. Sie wollte für alle die erste Wahl sein. Also musste Alice in die Hölle, und zwar noch heute.
Wieder und wieder vergewisserte sie sich, dass ihre Kreide-Inschriften korrekt waren. Sie schloss den Kreis immer erst am Ende, wenn sie sich absolut sicher war, dass sie das Pentagramm ohne Gefahr für Leib und Leben intonieren und so aktivieren konnte. Man musste stets auf Nummer sicher gehen. Magie verlangte nach Präzision. Sie funkelte die säuberlichen weißen Linien an, bis sie vor ihren Augen verschwammen. Besser würde es nicht werden. Menschen waren fehlbar, doch für Alice galt das weniger als für die meisten, und gerade konnte sie sich auf niemanden sonst verlassen.
Sie packte die Kreide fester. Noch ein gleichmäßiger Strich, und das Pentagramm war fertig.
Sie holte tief Luft und trat hinein.
Natürlich musste sie einen Preis zahlen. Ungeschoren reiste niemand in die Hölle. Doch das hatte sie schon ganz zu Anfang in Kauf genommen, denn im Großen und Ganzen schien das Opfer unerheblich. Sie hoffte nur, dass es nicht weh tat.
»Was machst du da?«
Diese Stimme kannte sie. Noch bevor sie sich umdrehte, wusste sie, wer in der Tür stand.
Peter Murdoch: aufgeknöpfter Mantel; das Hemd nicht in der Hose; zahllose Papiere, die aus seiner Umhängetasche ragten und jederzeit herauszuflattern drohten. Dass Peter, der stets so aussah wie gerade erst aus dem Bett gerollt, zum Institutsliebling geworden war, hatte Alice ihm immer übel genommen. Doch überraschend war das nicht: Die akademische Welt respektierte Disziplin und belohnte Anstrengung, doch noch viel mehr verehrte sie ein Genie, das sich gar nicht anstrengen musste. Peter Murdoch hatte Haare wie ein Vogelnest, lange Glieder, ein klappriges Fahrrad und sah aus, als hätte er sich noch nie im Leben anstrengen müssen. Er war schlichtweg brillant auf die Welt gekommen, all das Wissen war ihm von den Göttern direkt in den Kopf gegossen worden, ohne dabei einen Tropfen zu verschwenden.
Alice konnte ihn nicht ausstehen.
»Lass mich in Ruhe«, sagte sie.
Peter latschte direkt in ihr Pentagramm. Wie unhöflich! Man sollte immer fragen, bevor man das Pentagramm eines anderen Magiers betrat. »Ich weiß, was du vorhast.«
»Tust du nicht.«
»Tsus Elementares Transportpentagramm mit Setiyas Modifikationen«, sagte er. Alice war beeindruckt, denn er hatte nur einen kurzen Blick auf den Boden geworfen, und das auch noch von der anderen Seite des Raumes aus. »Die Ramanujansumme mit Implikationen für den Casimir-Effekt, um eine psychische Verbindung mit dem Ziel herzustellen. Acht Balken für acht Höfe.« Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Alice Law, du böses Mädchen. Du willst in die Hölle.«
»Tja, wenn du so viel weißt«, fauchte Alice, »dann weißt du auch, dass das ein Solo-Trip ist.«
Peter kniete sich hin, schob seine Brille die Nase hinauf und änderte mit einem eigenen Kreidestück schnell etwas am Pentagramm. Auch das war sehr unhöflich - man sollte immer fragen, bevor man die Arbeit eines anderen Wissenschaftlers veränderte. Doch mit Etikette brauchte Peter Murdoch sich nicht abzugeben. Die Selbstvergessenheit, mit der er durchs Leben schritt, wurde ihm ebenfalls nur aufgrund seines Genies verziehen. Alice hatte beobachtet, wie Peter beim exklusiven Abendessen mit ausgewählten Studierenden und Institutsmitgliedern Schokoladensirup über den Umhang des Collegerektors gekleckert und dafür nur einen Tadel, einen Klaps auf die Schulter und einen Lacher kassiert hatte. Wenn Peter einen Fehler machte, war das süß. Alice selbst hatte einmal das gesamte Abendessen lang wegen eines umgestoßenen Brotkorbes im Damenklo gesessen und hyperventiliert.
»Aus eins mach zwei.« Peter wackelte mit den Fingern. »Abrakadabra.«
Alice überprüfte seine Zeichnungen und stellte sehr zu ihrem Missfallen fest, dass er perfekte Arbeit geleistet hatte. Sie hätte es vorgezogen, wenn ein Fehler ihn ein Bein gekostet hätte. Und noch schöner wäre es gewesen, wenn seine nächsten Worte nicht »Ich komme mit dir« gelautet hätten.
Von allen Studierenden des Instituts für Analytische Magie war Peter Murdoch der letzte, mit dem sie in die Unterwelt reisen wollte. Der perfekte, brillante, unausstehliche Peter, der bei jeder Gelegenheit die angesehensten Preise gewannt - Bester Aufsatz eines Studierenden im ersten Jahr, Bester Aufsatz eines Studierenden im zweiten Jahr, Medaillen des Dekans in Logik und Mathematik (Alice war zwar zugegebenermaßen in beiden Fächern verhältnismäßig schlecht, hatte jedoch bis zu ihrem Studium in Cambridge kaum Erfahrung darin gehabt, übertrumpft zu werden). Peter war eines dieser typischen Akademikerkinder, der Sohn eines Mathematikers und einer Biologin. So war er mit den unausgesprochenen Regeln des Elfenbeinturms vertraut gewesen, noch bevor er laufen konnte. Peter hatte bereits alles, wonach man in der Welt streben konnte. Er bekam auch ohne Empfehlung von Professor Grimes eine Stelle.
Am schlimmsten war jedoch seine unbeirrbare Freundlichkeit. Er stolperte mit einem unbekümmerten Lächeln durchs Leben, bot seinen Kommilitonen Hilfe bei Forschungsprojekten an und fragte alle im Seminar nach ihrem Wochenende, obwohl er genau wusste, dass sie über Hausaufgaben in Tränen ausgebrochen waren, die er im Schlaf gelöst hätte. Peter prahlte nie und war nie herablassend, er war einfach nur besser, und gerade deshalb fühlten sich alle schrecklich.
Nein, Alice wollte dieses Problem selbst lösen. Peter Murdoch sollte ihr nicht die ganze Zeit über die Schulter blicken, er sollte nicht ihre Pentagramme bemäkeln, einfach nur weil er helfen wollte. Und falls sie Professor Grimes' Seele wohlbehalten wieder zurückbrachte, wollte sie sich die Lorbeeren sicher nicht mit Peter teilen.
»In der Hölle ist es einsam«, sagte Peter. »Du wirst Gesellschaft brauchen.«
»Die Hölle, das sind die anderen, habe ich gehört.«
»Sehr witzig. Na, komm. Du kannst die ganze Ausrüstung doch gar nicht allein tragen.«
In ihrer Tasche hatte...
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