Schweitzer Fachinformationen
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Graue Doppel- oder Reihenzechenhäuschen mit steilen Giebeldächern zwischen altem Baumbestand. Erbaut Anfang des 19. Jahrhunderts für die Arbeiter der Zeche Bergmannsglück. Unterschiedlich große Gärten hinter jenen Häusern, meistens ein Stall in einem Anbau und oft ein Gartenhaus. Hier und da gurrende Tauben auf den Dachfirsten. Deutsche und türkische Nachbarn in friedlichem Nebeneinander.
In dem kleinen Garten eines 66Quadratmeter großen Zechenreihenhauses in der Hasseler Körnerstraße ging an diesem Samstagnachmittag, trotz Hitze, die Post ab. Die Fahne von Schalke04 an dem mindestens fünf Meter hohen Mast wehte fröhlich im seichten Wind. Gerade hatte die 2. Halbzeit begonnen, was dem krächzenden Radio zu entnehmen war, das auf der ins Häuschen führenden Steintreppe stand. Margareta hätte am liebsten den Stecker gezogen und den Kasten über die Hecke geworfen, direkt auf das alte Zechengelände. Es hörte sowieso niemand hin, alle redeten gleichzeitig, laut und erbarmungslos durcheinander.
Ihr Bruder Gisbert hatte zum Grillen geladen. Ein Highlight für ihre Mutter Waltraud. Sie hatte sich riesig gefreut, als er gestern anrief, um sie und seine Schwester zu informieren. Margareta hatte den Braten sofort gerochen. Gisbert wollte sie verkuppeln. Es war jedoch kein Bratenduft, der soeben herüberzog. Es war der Geruch von mittelprächtigem Männerschweiß, gepaart mit dem Odeur von vergossenem Bier. Nur Norbert Koslowski konnte so riechen. Er stand in voller Pracht vor ihr – mit einer Hand hielt er sich am Fahnenmast fest – und schwang Reden, dass ihr schlecht vom Zuhören wurde. Seit Gisberts Holde ihren Bruder einschließlich der beiden Gören verlassen hatte, hing er mit seinem Nachbarn, diesem Frührentner, ab. Sie hatten etwas gemeinsam. Auch Koslowski war von seiner Gattin verlassen worden. Er lebte jetzt allein mit seinem Sohn Kevin. Irgendwann hatte Gisbert wohl den kranken Gedanken gesponnen, ihr diesen ollen Pott andrehen zu wollen. Sie ist allein, er ist allein, da bringen wir die beiden zusammen, wird er gedacht haben. Pustekuchen, ohne mich, sagte sich Margareta und zog ein grimmiges Gesicht.
Ihre Mutter sprengte fast den weißen Zehn-Euro-Kunststoffsessel, mit ihrem in eine gelbe Capri-Hose gepressten Hintern, der in den letzten Wochen dank Ferrero Küsschen und Muschelpralinen ordentlich an Umfang gewonnen hatte. Bei jedem ihrer Lacher wackelte der Stuhl bedenklich und schrappte über die Waschbetonplatten, was ein nerviges Geräusch verursachte. Tinnitus sei gegrüßt!
Gisberts Rathauskollegin Bettina Malicki war es zu verdanken, dass auf dem Grill Schweinefilets, Hacksteaks und Geflügelwürstchen lagen. Wohlwollend schaute die aufgetakelte Bettina auf den danebenstehenden Tisch, wo sie ihre mitgebrachten Salate drapiert hatte: Tomatensalat in der Tupper-Schüssel Eleganzia, Nudelsalat in der großen Tafelperle und den Feldsalat mit gehäuteten Mandarinenspalten in der Servierschale Allegra. Alles fettarm zubereitet, wie die Gestylte in ihrem kleinen Schwarzen aus Kunststoff mehrfach betonte. Ihr zu Ehren grillte Gisbert heute im gelben Lacoste-Polohemd und langbeiniger Jeans statt im Koslowski-Outfit – Feinrippunterhemd mit blauen Boxershorts.
»Letzte Woche gabet hier noch Schweinebauch und grobe Bratwurst. Gipptet heute kein Kartoffelsalat?« Mit lüsternem Blick starte Koslowski Bettina in den tiefen Ausschnitt und grinste.
»Ich hätte dir gerne eine Schüssel Kartoffelsalat gemacht, mein Junge«, meldete sich Waltraud zu Wort. »Da hat der Norbert nun mal recht. Grillen ohne Kartoffelsalat ist kein Grillen. Nicht wahr, Norbert?«
Freudig erregt gluckste Koslowski los. »Genau, so ’ne neumoderne Kacke, datt ist doch nix. Fettarm, pfui Teufel!«
Seine Reaktion war Waltraud wiederum peinlich. Sie senkte den Blick, denn sie wollte es sich nicht gleich mit der neuen Freundin ihres Sohnes verderben und schwieg lieber. Margareta sah keine Notwendigkeit, sich auf irgendeine Seite zu schlagen. Sie mochte die hohle Bettina ebenso wenig wie Norbert Kosloswki, der irgendwie Angst vor ihr hatte, was unschwer zu erkennen war. Erst neulich hatte sie ihn dabei erwischt, wie er mit sichtlichem Wohlgefühl und bei eintretender Dämmerung seinen Urinstrahl gegen seine Hecke hinten im Garten richtete.
Wenn er endlich verschwinden würde, dachte sie und starrte auf Koslowskis Füße, die in zerfledderten Birkenstocklatschen steckten. Ihr Blick blieb an seinen Parmehacken hängen und sie hätte würgen können. Sie hasste Männer mit Parmehacken. Sie fand, diese gelblich vertrocknete Hornhaut sah genauso aus wie Parmesan am Stück. Auch diese Masse konnte man mit einem Hobel bearbeiten: statt Käseraspel mit der Hornhautfeile. Die Konsistenz beider Streuselarten wäre die gleiche, ob vom Fuß oder vom Käsestück.
»Kevin is mit seine Kumpels auf Schalke«, versuchte Koslowski Margareta ein Gespräch aufzuzwingen.
»Dort ist er doch bei jedem Heimspiel, oder etwa nicht?«
»Ja, eigentlich schon. Ich mein’ ja nur.«
»Und du, was hast du heute noch vor?« Margareta schaute auf seinen hervorstehenden Bauch, der in einem besudelten Unterhemd Halt fand. Sie überlegte, ob er in dieser Kluft heute seinen Taubenstall gereinigt hatte und es sich bei den Flecken wohl um Kot seiner gefiederten Lieblinge handelte. Für Margareta völlig unverständlich, dass man in der heutigen Zeit noch Tauben hielt. Galten sie in den 1970er Jahren als die Rennpferde des kleinen Mannes, waren die meisten Taubenställe – soweit welche auf den Dachböden vorhanden waren – heute verwaist.
»Ja, gar nix hab ich vor. Gisbert hat mich zum Grilln eingeladen«, kam es patzig aus seinem mit Bierschaum verschmierten Mund.
»Ach wie nett.« Margareta und Bettina sahen sich an und waren ausnahmsweise einer Meinung.
Der verärgerte Koslowski drehte das Radio lauter und lauschte der aufgeregten Männerstimme, die live aus dem Stadion das Spiel moderierte.
»Hoffentlich zeigen se heute ma den Schwatzgelben, wo et lang geht«, ließ er gehässig verlauten.
»Ist doch egal, wer gewinnt, ob die Schalker oder die Borussen«, meinte Margareta gelangweilt und streckte sich auf ihrem Stuhl aus. Kaum ausgesprochen, konnte sie lautstarke Proteste aus vier Männer- sowie zwei Frauenmündern vernehmen.
Was mache ich hier eigentlich, fragte sie sich, während sie ihren Blick über das weite Hochplateau schweifen ließ, welches sich ihr hinter dem Gartenzaun präsentierte. Im Anschluss an das 90.000 Quadratmeter große stillgelegte Gelände der Zeche Bergmannsglück, mit seinen teilweise mystisch aussehenden Bauwerken, konnte man hinter den E.ON-Gebäuden an der Bergmannsglückstraße die Ruhröl-Chemie erkennen. Dieses Werk, wie es da in der Abendsonne lag, hatte Margareta schon als Kind fasziniert, wenn sie im Fahrradkorb mit Opa auf dem Drahtesel Streifzüge durch ihre Heimatstadt unternahm. Der Qualm aus den langen Schornsteinen, der für kurze Zeit auf ihnen thronte wie Sahnehäubchen, um anschließend in den Wolken zu verschwinden, war ein beruhigender Anblick. Daneben die vielen Kessel, kugel- oder zylinderförmig, aus denen es brodelte, endlos lange Rohre, rund und dick oder dünn und schmal, die diese Kessel miteinander verbanden.
Türme aus Stahl, die aussahen wie die Türme, die Gisbert früher als Kind aus seinem Trix-Baukasten gebastelt hatte. Dahinter befanden sich die sogenannten Halden, die später begrünt worden waren.
Die Realität holte sie ein. Sie wurde gefragt, ob sie lieber ein Hacksteak oder eine Geflügelwurst wollte. ›Nichts von beiden‹, hätte sie am liebsten geantwortet, ›ich würde jetzt lieber mit einem tollen Mann in einem italienischen Lokal bei einem guten Wein und meinem Lieblingsessen sitzen, statt hier in einem mickrigen Zechenhausgarten begrillt zu werden‹. Stattdessen redete sie sich ein, dass ihr Bruder es gut mit ihr meinte und entschied sich für eine Wurst.
Koslowski hatte derweil bewaffnet mit zwei groben Bratwürstchen auf der Steintreppe Platz genommen, was Margareta einen freien Blick zwischen seine geräumigen Hosenbeine gewährte. Wieso immer ich?, fragte sie sich, während sie einen Schluck aus ihrem Bierglas nahm. Waltraud und Bettina unterhielten sich über die Vor- und Nachteile der legendären Tupperware. Während Bettina behauptete, es gäbe keine Nachteile, hielt Waltraud dagegen, dass diese Plastikpötte, wie sie diese Behältnisse nannte, viel zu teurer wären.
Gisbert, Koslowski sowie die zwei anderen Grillgäste, die Nachbarn Heinz und Hubert von gegenüber, die nicht so krasse Ruhrpotturgesteine wie Koslowski waren, hatten nur Fußball im Kopf und gaben Prognosen ab, wer denn gewinnen würde.
Na ja, vielleicht besser hier zu sein, als allein in deiner Wohnung, tröstete Margareta sich. Da würde sie wahrscheinlich von Fenster zu Fenster laufen, um schlussendlich am Schlafzimmerfester stehen zu bleiben und rüber zu Karols ehemaligem Domizil zu starren, in der Hoffnung, die Zeit ein Jahr zurückdrehen zu können und ihn dort sitzen zu sehen. Schuhe reparierend, eingesperrt, um von ihr entdeckt zu werden. Doch Karol war Vergangenheit. Seine plötzliche Legalität, sein Emporkommen aus der Welt des kleinen Schuhmachers zu einem angesehenen Mann, der es beruflich in kürzester Zeit zu etwas...
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