Schweitzer Fachinformationen
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Würde Helmut Schmidt, der Altbundeskanzler, mich ein zweites Mal empfangen?
Diese Frage stellte ich mir nach dem unvergessenen »Streitgespräch« 1985 in Bonn, als er mir gegen seine Gewohnheit ein einziges Mal recht geben musste. Unser Thema war die »Kunst«.
Der Brief mit der erhofften Zusage auf meine wiederholte Bitte um eine Begegnung schloss mit dem Satz: »Beharrlichkeit hilft - das gilt nicht nur für die Politik!«
Was lag da näher, als es noch einmal zu versuchen? Also wagte ich einen Anruf, diesmal in seinem Büro im ZEIT-Verlag. Nachdem ich die Sekretärin, Frau Loah, telefonisch gebeten hatte, Herrn Schmidt zu fragen, ob er noch einmal zu einer Begegnung bereit sei, ließ er mich wissen:
»Ja - er könne sich gut erinnern! Er sei zu einem erneuten Treffen bereit.« Diese Antwort hatte ich nicht erwartet.
Überpünktlich erschien ich im Pressehaus. Frau Loah, erleichtert, dass der Termin nicht wieder verschoben werden musste, machte mir Mut: »Er scheint heute gut gelaunt zu sein .« Diesmal war mir erlaubt, gleich das Zimmer von Helmut Schmidt, dem neuen Mitherausgeber der ZEIT, zu betreten. Das gleiche Bild wie ich es schon zur Genüge kannte: Helmut Schmidt hinterm Schreibtisch, irgendwelche Schriftstücke lesend, unterschreibend, abhakend, zur Seite legend. Doch im Gegensatz zu früher wohl aussehend, leicht gebräunt, ein Mehr an Volumen - eingeknöpft in das obere Drittel der Weste.
Er erhebt sich, reicht mir kurz angebunden fest die Hand, und - schon wendet er sich seinen Papieren zu. Kurz zur Sekretärin:
»Kannst du etwas für Frau von Kruse tun? - Kaffee oder Tee? . Und Sie wollen mich wieder fotografieren? Kann ich dabei weiterarbeiten?«
»Ja, aber bitte nicht dauernd.«
»Nicht dauernd?! - ich habe zu tun!!«
»Ich weiß, ich weiß .« »Bockig«, wie man das bei Kindern kennt, heftet er den Blick umso fester auf die Papiere; mit einem Stift wird geräuschvoll darauf herumgearbeitet . Die Absicht ist klar: Es soll mir schwer gemacht werden, man will mich zappeln lassen. Umso unverdrossener verfolge ich mein Ziel, die allzu bekannten Ecken und Kanten zu umrunden, den Widerspenstigen von seiner bedeutenden Arbeit wegzulocken, die so demonstrativ erledigt werden muss.
»Sie wissen, Herr Schmidt, dass Sie mir damals rieten, ein Buch zu machen?«
»Das weiß ich nicht!«
»Aber Frau Loah hat Ihnen davon erzählt!«
»Weiß ich nicht .«
Auf störrische Weise soll die bereits zugestandene Bereitschaft zum Portrait heruntergespielt werden, das merke ich wohl. Gezielt platziere ich den kleinen Sammelband »Vom deutschen Stolz« mit der Bitte um ein Autogramm auf dem Schreibtisch. Ohne ein Wort wird diese Lästigkeit erledigt. Unbeirrt schiebe ich einige Fotografien vom Schleswig-Holstein Musikfestival nach.
»Ah, mein Freund >Lenny
»Das ist für Sie!«
»Prima.«
Umgehend wird auf der Rückseite das Entstehungsdatum notiert: »Sommer 1987«.
»Wie heißt noch das komische Schloss?«
»Schloss Salzau.«
»Aha.«
»Salzau« wird notiert, dann verschwindet das Foto in einer Zellophanhülle. Unversehens entgleitet ihm ein Blick - nach oben - zu mir, und unversehens klackt der Auslöser. Ich ziehe Celibidache aus der Tasche.
»Oh, den haben Sie auch!«
Auch dieser gleitet in die Zellophanhülle.
»Lenny wird im nächsten Jahr siebzig. Der ruiniert sich völlig.«
»Ja, ich fürchte, langsam aber sicher verbrennt er sich.«
»Das kann man wohl sagen.«
Währenddessen hält Helmut Schmidt seinen Blick eisern unter Kontrolle, beständig nach unten gerichtet . Und ich muss innerlich lachen:
»Was werden Sie mit den Fotos in der Hülle machen?«
»Meine Frau und ich haben ein System entwickelt. Alle Bilder werden in Be-s-timmte Mappen geklebt, um sie bei passender Gelegenheit zur Hand zu haben. Selbstver-s-tändlich kommt dem Fotografen ein Honorar zu.«
Unter dem Druck, Zeit zu verlieren, lässt er nicht ab von seiner geheiligten Arbeit. Jetzt ziehe ich meine Trümpfe hervor: Marion Dönhoff, Marcel Marceau, Ida Ehre, György Ligeti ., um gleichzeitig den Altkanzler um einen handschriftlichen Gedanken für das geplante Buch »Zeit und Augenblick« zu bitten. Mit eisern nach unten gerichtetem Blick: »Darüber muss ich noch nachdenken« .
Und nun das Ass: das Autograph von Karl Popper.
»Der interessiert mich! Er ist einer der bedeutendsten Menschen, die ich kennengelernt habe.«
»Und einer der bescheidensten!«
»Das kann man wohl sagen. Anlässlich seines fünfundachtzigsten Geburtstags habe ich in der ZEIT einen Artikel geschrieben - auch über seine ungewöhnliche Bescheidenheit.«
Und plötzlich reicht's: »Also Gnädigste, wenn Sie glauben, Sie können mich durch Ihre Plauderei gefügig machen und mich von meiner Arbeit abbringen, dann haben Sie sich getäuscht!«
Amüsiert gestehe ich mein Versagen ein, frage darauf frank und frei:
»Herr Schmidt, würden Sie sich mir zuliebe zehn Minuten an einen anderen Platz setzen?«
»Dann kann ich nicht arbeiten.«
»Ich soo auch nicht.«
»Zehn Minuten sind zu lang .«
»Fünf Minuten?«
»Na ja, fünf Minuten - vielleicht .«
Dennoch wird weiter Papierarbeit demonstriert, und ich demonstriere Untätigkeit, wende ihm den Rücken zu, schaue zum Fenster hinaus und schweige . Nach endlosen fünf Minuten angespannten Arbeitseifers erhebt sich Herr Schmidt.
»Erlauben Sie, Gnädigste, dass ich für fünf Minuten verschwinde und mir die Hände wasche? Danach habe ich fünf Minuten für Sie Zeit.«
Frau Loah erscheint, ebenfalls der nette Sicherheitsbeamte von damals in Bonn. In Windeseile wird ein leichterer Stuhl an einen passenden Platz manövriert, alles störende Mobiliar beiseitegeschoben . Ein freundlicher Zufall schickt mir eine reizende Dame, Hilde von Lang, die mit Helmut Wichtiges zu besprechen hat. Blitzschnell erfasst sie die Situation, setzt sich neben mich auf das Sofa, sodass während des geplanten Gesprächs gezwungenermaßen sein Blick auch in meine Richtung gehen muss. Erst nach zehn Minuten erscheint Helmut frisch aufpoliert. Wenn auch verblüfft, amüsieren ihn die zwischenzeitlich vorgenommenen Umbauten.
»Aha, da soll ich sitzen?«, und gefügig nimmt er auf dem vorgesehenen Stuhl Platz. Im Gespräch geht es um die plötzlich veränderte Börsensituation. Von heute auf morgen sind die Kurse gefallen wie seit der Kubakrise nicht mehr. Man beleuchtet die Ursachen und Perspektiven. Auch der gerade erschienene Artikel »Glaubwürdigkeit des Politikers - Stellungnahmen von Helmut Schmidt, Marion Dönhoff, Theodor Eschenburg zum Barschel-Skandal«, steht im Focus des Gesprächs. Ich sehe Helmut Schmidt in Hochform, er sitzt aber nicht bildgefällig, bis Frau von Lang nicht mehr an sich hält:
»Helmut, setz dich anständig hin! Sie mag es dir nicht sagen, aber wir beide sehen es!«
»Was? Ach, ihr meint mein Doppelkinn? Das kann ich mir wohl langsam leisten .«
»Grade hinsetzen!«, rufe ich.
Ruckartig richtet er sich auf und das sogenannte »Doppelkinn«, nämlich der Bauch, wölbt sich nur noch ein wenig in den Vordergrund. Wie im Chor loben wir Damen den Gezähmten: »Toll! Wunderbar!«
Jetzt kommt der Widerständler »in Form«. Ich bin begeistert und nutzte die Gunst der Stunde, um mir ab und zu eine Frage oder Bemerkung zum Gespräch zu erlauben, worauf Schmidt väterlich meint: »Kind, das, was Sie hier gehört haben, müssen Sie gleich wieder vergessen.«
»Ist schon vergessen.«
Zu Frau von Lang gewandt: »Du wolltest mir doch etwas erzählen? Sollen wir die Dame für fünf Minuten nach draußen bitten?«
Nur zu bereitwillig räume ich das Feld, um Filme zu wechseln und mit Frau Loah sprechen zu können.
Helmut Schmidt erscheint...
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