Schweitzer Fachinformationen
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Die Kuppeln der Abhöranlage ragten wie Riesenpilze oder Raumschiffe in den strahlend blauen Himmel hinein. Relikte einer vergangenen Zeit.
Magnus biss in einen Schokoriegel und reichte ihn dann mir.
»Danke.« Ich streichelte über sein sommersprossiges, schmales Gesicht und lehnte mich an ihn.
Direkt neben uns versuchten Leute bei fast völliger Windstille einen Drachen steigen zu lassen. Wir sahen ihnen dabei zu, wie sie es unermüdlich immer wieder probierten.
Ich nahm die Wasserflasche aus dem Rucksack.
»Ganz schön heiß heute«, bemerkte ich.
Magnus nickte. Er gähnte und ließ sich nach hinten ins platt getretene Gras fallen.
»Früher bin ich oft hier gewesen«, sagte er.
»Ich weiß.«
»Bei gutem Wetter sieht man die ganze Stadt.«
Ich ließ meinen Blick über das beeindruckende Panorama schweifen und erkannte mit zusammengekniffenen Augen den Fernsehturm.
Das Wasser aus der Flasche schmeckte brackig. Ich spuckte es aus und ließ mich neben Magnus fallen.
»Wir können jetzt öfter hierherkommen«, schlug ich vor.
Magnus schloss die Augen, ohne zu antworten. Ich kitzelte ihn mit einem Grashalm an der Lippe und er zuckte ärgerlich zusammen.
In den letzten drei Jahren hatten wir uns nur selten gesehen, denn Magnus lebte im Ausland. Letztes Jahr war er von London nach Barcelona umgezogen. Ich hatte ihn besucht, in London, in Barcelona, und auch er war ein paarmal bei mir gewesen. Magnus war ständig in irgendwelche Kunstprojekte verstrickt, die schlecht bezahlt wurden, aber viel Spaß machten. Seine Eltern überwiesen ihm jeden Monat ein ordentliches Sümmchen und ich beneidete ihn darum.
»Was hältst du davon?«, griff ich meinen Vorschlag wieder auf. »Wir kommen jeden Sonntag hierher. So als Tradition.«
Magnus murmelte etwas, das ich nicht verstand.
Ich biss in den warmen Schokoriegel und starrte in den Himmel. So lange hatte ich auf diesen Tag gewartet. Auf den Tag, an dem Magnus endlich wieder in die Stadt ziehen würde, aus der er kam, und wir zusammen sein konnten, ohne in ein Flugzeug steigen zu müssen.
Ich drehte den Kopf zur Seite und schaute ihn an. Hinter seinen geschlossenen Lidern zuckte es. Woran dachte er?
An seiner Schläfe hing ein Schweißtropfen. Es war wirklich verdammt heiß heute.
Gestern hatte ich Magnus am Flughafen abgeholt und mir das Auto von Nina, meiner besten Freundin, geliehen. Ich wollte mit Magnus eine Ehrenrunde durch die Stadt drehen, ihn gebührend willkommen heißen. Aber dann war Magnus müde gewesen und hatte nichts von zusätzlichen Schlenkern wissen wollen. Beinahe schweigend hatte ich Ninas burgunderfarbene Kiste zu mir nach Hause gelenkt.
Heute Mittag, Magnus schlief wie üblich bis spät in den Tag hinein, hatte ich den Vorschlag gemacht, auf dem Teufelsberg zu picknicken. Ich wusste, dass Magnus den Teufelsberg liebte. Zwar hatten wir dann bloß Schokoriegel und Wasser eingepackt, aber die Sonne schien und wir hatten ja uns.
»Schade, dass du Nina das Auto zurückgebracht hast«, murmelte Magnus schläfrig.
»Wieso?«
»Ich will meine Sachen zu meiner Cousine schaffen.«
Ruckartig setzte ich mich auf. »Was meinst du damit? Du wohnst doch bei mir.«
Magnus schlug die Augen auf. »Mathilda, so war es doch besprochen. Ich bleibe erst mal bei meiner Cousine und dann schauen wir weiter. Wir können uns ja trotzdem sehen.«
»Das haben wir überhaupt nicht besprochen«, protestierte ich.
Angst griff nach meinem Herzen.
»Und überhaupt, was sagt denn die Häsin dazu?«, fragte ich. »Die haben doch ein Baby und gar keinen Platz für dich. Ich aber. Ich habe Platz für dich.«
Magnus fasste sanft nach meiner Schulter. »Mathilda. Lass es uns doch langsam angehen, okay?«
»Langsam?«, fauchte ich. »Wir sind seit drei Jahren zusammen!«
Magnus' Hand fiel von meiner Schulter herab. »Jetzt sei nicht gleich sauer. Ich habe nie gesagt, dass ich zu dir ziehe.«
Ich wollte ihm widersprechen, unbedingt. Doch sosehr ich auch meine Erinnerungen durchforstete, Magnus hatte recht. Er hatte mir tatsächlich nie ein solches Versprechen gegeben.
Eisiges Entsetzen durchfuhr mich.
Hatte ich mir diese Liebe nur eingebildet?
Hatte ich Jahre damit vertan, etwas aufzubauen, was nun, wie die Abhöranlagen in meinem Blickfeld, einfach zerfiel?
Ich war immer davon ausgegangen, dass Magnus dasselbe wollte wie ich. Eine gemeinsame Zukunft. Immer hatte ich geglaubt, nur noch ein bisschen durchhalten zu müssen. Irgendwann würde er genug haben vom Ausland und heimkehren. Und dann wäre alles gut.
»Außerdem habe ich ein Angebot bekommen. Für Buenos Aires. Ein multimediales Theaterprojekt.«
Ich traute meinen Ohren nicht. »Du hast was?«
Magnus sah mich an. Ich wurde nicht schlau aus seinem Blick. Trauer erkannte ich, aber auch etwas Fremdes, das gefährlich glitzerte.
»Aber erst in ein paar Wochen. Das ist noch lange hin. Außerdem ist es nicht sicher. Wahrscheinlich klappt es gar nicht.«
Ich rang nach Atem.
Wie viele böse Überraschungen konnte eine einzige Stunde bereithalten?
»Du hast doch aber gesagt, du suchst dir hier etwas«, piepste ich kläglich.
»Ich habe gesagt, vielleicht suche ich mir hier etwas«, verbesserte mich Magnus.
Ich war am Ende.
Vielleicht?
Ja, das hatte er wohl gesagt.
Magnus war der König des Reiches Vielleicht. Er war Staatsratsvorsitzender und Topmanager von mal sehen und eventuell.
Unruhig steckte ich die Hand in die Rocktasche. Natürlich waren keine Zigaretten darin. Ich hatte das Rauchen vor Jahren aufgegeben.
»Nun guck nicht so biestig«, verlangte Magnus.
Als ich ihn anstarrte, entdeckte ich einen Schokoladenrest an seinem Mund. Ich sagte nichts.
»Wir haben uns sonst auch nur alle paar Monate gesehen, Mathilda.«
Ich dachte daran, dass ich gestern den ganzen Tag lang geputzt und aufgeräumt hatte. Dass ich mir die Haare frisch gefärbt und mich besonders hübsch gekleidet hatte.
Wozu?
Die Leute mit dem Drachen fingen an zusammenzupacken. Sie hatten aufgegeben. Sie waren realistisch. Von ihnen konnte ich etwas lernen.
»Man muss das genießen, was ist«, sagte Magnus.
Er klang nicht überzeugt.
»Es war doch irgendwie klar, dass das mit uns nicht für immer so weitergeht, Mathilda.«
»Aber wir lieben uns«, flüsterte ich.
Ich musste daran denken, wie ich Magnus zum ersten Mal gesehen hatte, auf einer Party seiner Cousine, der Häsin. Sie war die Frau meines ältesten Freundes aus der Schulzeit, den wir schon als Kind immer nur Hase genannt hatten.
Magnus war mir sofort aufgefallen, obwohl er eigentlich kein schöner Mann war. Aber er hatte das gewisse Etwas. Einen Hauch von Unberechenbarkeit, von Unantastbarkeit. Er war einer dieser Typen, die nicht blendend aussehen, aber sehr aufregend sind. Ein Mann, bei dem der Bauch zu kribbeln beginnt.
»Liebe wird überbewertet«, konstatierte Magnus säuerlich. Er zog die Sonnenbrille aus seiner Hemdtasche und schob sie auf die Nase.
Mein Handy brummte.
Ich fischte es aus der Handtasche und starrte mit verschleiertem Blick auf die SMS, die mir Tatjana geschickt hatte.
Lust auf Party im SO36?
Ich steckte das Handy zurück in die Tasche. Der morgige Tag wartete hinter einem Dunstschleier verborgen, den ich nicht einmal mit einer Spezialbrille hätte durchdringen können. Ich versuchte immer noch, den Schock zu bewältigen, unter dem ich stand.
Es war doch die Ferne, die Leute auseinanderbrachte. Nicht die Nähe. Nicht die Tatsache, sich endlich ungehindert in den Armen liegen zu können.
Mir fiel der Urlaub ein, den ich mit meinen Freunden geplant hatte. Dieses Mal hätte Magnus mitkommen sollen.
Die Enttäuschung hielt mein Herz im Klammergriff.
Wieso bereitete einen niemand auf solche Schläge vor?
In der Schule hatte ich Schreiben, Rechnen und Bockspringen gelernt, aber nicht das, worauf es ankam. Wie man sein Leben meisterte. Wie man glücklich war.
Magnus sprang auf die Füße. »Komm«, sagte er, »gehen wir zurück. Ich habe Hunger.«
Von hier oben bis zum nächsten anständigen Restaurant war es ein ordentlicher Fußmarsch. Er würde sich ein Weilchen gedulden müssen, aber das wusste er natürlich. Magnus kannte den Grunewald in- und auswendig.
»Los, komm.« Er beugte sich zu mir.
Ich dachte, er würde mich streicheln, aber stattdessen griff er bloß nach dem halb aufgegessenen, klebrigen Schokoriegel im Gras. Weil Magnus die Sonnenbrille trug, konnte ich seinen Blick nicht entschlüsseln.
Wie stellte er sich den weiteren Tag denn vor?
Wollte er jetzt tatsächlich einfach, als sei nichts gewesen, etwas essen gehen?
Ich blieb sitzen.
»Mathilda.« Magnus schnippte mit den Fingern. »Hast du keinen Hunger?«
Ich zuckte mit den Schultern, aber schließlich trottete ich ihm hinterher.
Als wir den Berg herunterkletterten, knickte ich um.
»Scheiße!«
»Was ist?« Magnus drehte sich zu mir um und hielt sich an einem Grasbüschel fest.
Ich zeigte auf meinen Fuß. »Umgeknickt«, erklärte ich.
»Mist. Kannst du allein laufen?«
Ich versuchte es. »Nein.«
»Also gut. Stütz dich auf mich.« Er fasste mich unter.
»Es tut weh«, sagte ich.
Irgendwie schafften wir es bis in die Ebene.
Magnus hockte sich hin und tastete meinen Fuß ab.
»Na prima«, erklärte er schließlich, »entweder gebrochen oder verstaucht.«
»Bestimmt nur verstaucht«, erwiderte ich.
»Verstaucht ist schlimmer«, meinte...
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