Schweitzer Fachinformationen
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Eine Einführung, die uns wahrhaftig weismachen will, das erste Kapitel zu sein und sofort in medias res gehen zu können.
Zum Kuckuck, warum sollte man über das einst so berühmte und jetzt so vergessene Wikmansche Gymnasium nicht einen Roman schreiben?! Wo doch das Maurus'sche mit Hilfe einer fünfbändigen Epopöe bekannt wurde! Und nicht nur bekannt, sondern auch anerkannt. Sodass seine ehemaligen Schüler jetzt auch als seine ehemaligen Schüler sterben dürfen. Wir alle haben die Anzeigen im »Abendblatt« gelesen, in denen der und der Jahrgang des Maurus'schen Gymnasiums dem und dem zum Gedenken . - Aber hat man jemals eine Todesanzeige gesehen, in der ein Wikmanscher Jahrgang gedenkt?! War das Wikmansche Gymnasium etwa eine Art Académie française? Seine Zöglinge ergo unsterblich? Sodass etliche von ihnen im Laufe der letzten vierzig Jahre nicht ins bessere Jenseits eingegangen sind?
Wahrhaftig, ein Roman über das Wikmansche Gymnasium wäre ein starkes Stück! Zumal über den Maurus'schen seinerzeit geschrieben wurde, er sei miserabel, bestenfalls als belangloses Histörchen zu werten. Denn besonders romanungeeignet sei der passive Charakter des Haupthelden. Wenn Herr Hamburg das bereits vor fünfzig Jahren so empfand - wo würde man dann wohl einen Helden für den Wikman-Roman hernehmen, noch dazu, wenn er in unseren dynamischen (um nicht zu sagen dynamitischen) Zeiten den Geschmack der Herren Hamburger treffen sollte? O ja, die Zensoren, deren nichtvorhandenes Vorhandensein dadurch gewährleistet ist, dass sie ihr Vorhandensein nicht gestatten zu erwähnen, werden mir doch nicht verbieten, unsere Zeiten als dynamitisch zu bezeichnen?! Wo doch die Zerstörungskraft eines hundertzwanzigjährigen Dynamits, verglichen mit den heutigen Errungenschaften - unser aller Stolz und Geheimnis -, sich annähernd wie Pudding zu Nitroglyzerin verhält.
Der zweite und erheblichere Nachteil: Welche Schulgeschichte kommt ohne die Tochter des Direktors aus?! Der Maurus-Roman wurde allein dank der Tatsache geboren, dass unser großer Tammsaare Herrn Maurus eine Tochter andichtete. Herrn Wikman können wir schon der Gefahr eines Plagiats wegen keine andichten. Insbesondere jedoch verbietet es sich durch die Person des Herrn Wikman. Denn, um Himmels willen, des Direktors Bürstenhaar würde allein vom Gedanken an diese Niedertracht noch kerzengerader stehen, als es ohnehin stand, und er würde ausrufen: »Meine Härren! Wie können Sie Ihren Diräktor beschuldigen, Vater einer Tochter zu sein, wenn Ihr Diräktor nie im Läben eine Frau berührt hat! Denn im Sinne unseres Vaterlandes hatte er Wichtigeres zo ton!«
Aber jetzt haben wir ihn. Den Herrn Direktor Wikman persönlich. Nicht als Haupthelden, nein, nein. Direktorenk ö n n e nnatürlich Helden sein. Mitte der dreißiger Jahre hätte vielleicht sogar ein Leiter der Schulverwaltung Held sein können, allerdings in einem anderen als dem teigig-vaterländischen Memorialmonumentalwerk. Aber was fängt ein Roman mit einem Helden an, der nie im Läben eine Frau berührt hat, denn er hatte Wichtigeres zo ton?!
Als Nebenfigur kommt uns Herr Wikman jedoch nicht ungelegen. Gerade, weil er uns heute so deutlich vor Augen steht.
Herr Wikman oben im Gelben Saal des alten Schulhauses in der Hommiku-Straße, zu Deutsch Morgen-Straße, während der Morgenandacht Aug in Auge mit seinen vierhundert Zöglingen.
Einer unserer Pastoren, ob nun Konditor, das heißt Magister Saul, oder Märtyrer, das heißt der bischöfliche Vikar Tooder, oder der dicke Bischof persönlich (er hat keinen Spitznamen, denn er hält sich selten, für einen Bischof hingegen überraschend oft im Gymnasium auf) - einer dieser Herren hat die Morgenandacht bereits gehalten. Das sieht so aus, dass die Jungen zwei oder drei Choralverse in Klavierbegleitung singen, danach gibt der Geistliche von einem winzigen Podium aus, nach einem für passend befundenen Bibelvers, eine sehr kleine und sehr lehrreiche Geschichte zu Gehör. Im Falle Konditors süßlich-intim, im Falle Tooders staubtrocken, im Falle des Bischofs erhaben-erudiert. Daraufhin schickt der geistliche Herr ein Gebet über die Köpfe der Jungen hinweg: eine minutenlange Improvisation, ausklingend im Vaterunser. Danach singen die Jungen unter Klavierbegleitung des Schülers Vaarak zwei weitere Choralverse. Dann klappt der geistliche Herr den Mund zu und steigt vom Podium herab. Heute jedoch, anstatt seine Schäfchen in die Ställe zu schicken, damit sie sich an der Streu des Wissens laben, steigt der Herr Direktor persönlich aufs Podium und nimmt sich die Schäfchen einzeln vor.
Herr Wikman, in tadellosem schwarzen Frack, gestreiften Hosen und weißem Vatermörder, ist ein recht schlanker Herr, jedoch mit einem stämmigen Nacken. Sein Bürstenschnitt ist aschblond, der kleine Schnauzbart hingegen rötlichbraun. Er hat starke Backenknochen, sodass Kopf plus Hals ein aufrecht stehendes Rechteck bilden. Somit sieht er einem damaligen baltischen Staatsbeamten, einem Tschinownik, ähnlich, und seine fordernden, vorwurfsvollen grauen Augen vertiefen diesen Eindruck. Sodass sein Mund unter dem kleinen rotbraunen Schnauzbart im Grunde eine Überraschung ist: denn es ist der Mund eines verständigen, vielleicht sogar humorvollen, ganz sicher aber gefühlvollen Menschen. Wahrscheinlich auch eines leider schnell beleidigten Menschen. Und wenn noch etwas an diesem äußerlich in die Zeit der Jahrhundertwende gehörenden Herrn erstaunlich ist, dann seine Stimme. Ein eigenwillig dunkler Bariton, der beruhigend wirken könnte, wenn nicht unter seiner samtigen Oberfläche - und ziemlich dicht unter dieser Oberfläche - ständig eine falsettnahe Spannung vibrieren würde. Eigenwillig ist auch die Sprechweise des Direktors. Frei von jeglichem deutschen oder russischen Akzent, befleißigt sie sich maßvoll der modernsten Sprache des jeweiligen Jahrzehnts (Herr Johannes Aavik - der größte estnische Spracherneuerer seiner Zeit - ist doch unser persönlicher Freund!), aber klingt in Herrn Wikmans Mund dennoch etwas abgehackt, etwas nasal und eine winzige Spur fremd. Sodass die Spötter aus den höheren Klassen meinen, der Direktor habe weder einen deutschen noch einen russischen, dafür einen spürbar französischen Akzent.
Der Direktor betritt das quadratmetergroße Podium. Ihm passiert es nie, dass er sich so schwungvoll hinaufbegibt, dass er auf der anderen Seite wieder heruntersaust, einfach aus dem Unvermögen, sich zu bremsen, wie es zum Beispiel Konditor bei den Morgenandachten oftmals ergeht. Nein, der Direktor ist sehr wohl imstande, sich zu bremsen - wenn er es für nötig hält. Aber nach Meinung der Schüler kommt auch bei ihm hin und wieder ein schwungvolles Moment vor. Doch nicht jetzt. Der Direktor betritt das Podium, sodass sich sein gelbliches Gesicht auf etwa gleicher Höhe mit den sechs weißen Gipsköpfen estnischer Geistesgrößen befindet, die hinter seinem Rücken die Wände zwischen den Fenstern mit den gelben Gardinen schmücken (v. l. n. r.: Kreutzwald, Jannsen, die Koidula, Jakobson, Tõnisson, Hurt), und er beginnt mit seiner sonoren Stimme, aus der heute eine besondere Erregung herauszuhören ist:
Meine Härren, ich frage Sie: wissen Sie, woher das WortH o o l i g a n t u mkommt und was es bedeutet? Das WortH o o l i g a n ?Sie wissen es nicht? Niemand weiß es? Muss ich annehmen, dass Sie trotz aller unserer Anstrengungen ungebildete Härren sind? Dass es auch unter den älteren Jahrgängen keinen Einzigen gibt, der in der Äntzyklopädie so weit geblättert hätte, dass ihm ein Wäntziges im Gedächtnis haften geblieben wäre?
Die Klassen stehen paarweise in Reihen, in festgelegter Reihenfolge, die von Wuchs kleineren Schüler vorne, die größeren hinten, sodass jede Klasse zwei Reihen bildet, vom Direktor aus, von rechts nach links, steht zuerst die fünfte, dann die sechste, die siebente und so weiter, bis zur elften Klasse, darunter auch zwei oder drei entsprechende B-Klassen. Für die Steppkes aus der Ersten bis Vierten beginnt der Schultag um neun Uhr, sodass sie zur Acht-Uhr-Morgenandacht nie dabei sind.
Aber keiner der Schüler gibt kund zu wissen, was das WortH o o l i g a nbedeutet und woher es kommt. Auch nicht die Jungen aus der Elften, von denen ein Blättern in der Äntzyklopädie am ehesten zu erwarten gewesen wäre. Auch die entsprechenden Enzyklopädiker aus der Zehnten sind stumm. Sirkel, Laasik, Rumma, Paal - alle stumm. Auch Trull natürlich. Obwohl er es am ehesten wissen müsste. Nicht, dass man ihm etwa hooliganische Neigungen nachsagt. Gott bewahre, Derartiges liegt ihm ferner als jedem anderen. Er muss es wissen, weil das Wort Hooligan nach englischer Abstammung klingt, und in Englisch liegt Trull außerhalb jeglicher Konkurrenz. Er ist der Einzige auf dem Gymnasium, der...
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