Schweitzer Fachinformationen
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Sabine Langkafel traf noch vor der Lüneburger Kripo am Tatort ein. Sie war auf dem Weg vom Krankenhaus zur Wache in Gartow gewesen, als Attila sie anrief. Sabine war mit dem Privatwagen des Chefs unterwegs, einem alten Mercedes-Kombi, der immer wieder als Ersatzfahrzeug herhalten musste. Es gab nur einen Streifenwagen in Gartow, in dem nun Attila wartete und sofort heraussprang, als er Sabine kommen sah. Er stutzte kurz, sicher, weil sie keine Uniform trug, sondern eine blaue Regenjacke und Jeans.
»Hey, Sabine, gut, dass du da bist«, rief er und lief ihr entgegen.
»Mensch, Attila«, sagte Sabine, »kaum lässt man dich allein, gibt es gleich Mord und Totschlag.«
»Da hinten liegt sie«, sagte Attila aufgeregt. Er war blass und zitterte ein wenig. »Komm.«
»Nee, wir bleiben hier. Da ist genug herumgetrampelt worden. Warten wir mal auf die Kollegen.« Attila wirkte enttäuscht.
Sabine hatte gute Laune. Papa ging es besser, und er würde am nächsten Tag nach Hause entlassen werden. Und nun gab es Arbeit. Sabine ertappte sich immer öfter dabei, dass sie sich nach größeren Fällen sehnte. Nach mehr Action. Das durfte doch nicht sein. Wie weit war sie noch vom Klischee des Feuerwehrmanns entfernt, der Brände legt, damit sein Leben endlich einen Sinn bekommt? Den Großstadt-Kollegen in den Brennpunkten von Gewalt und Wahnsinn ging es sicher genau umgekehrt. Sie waren froh um jeden Notruf, der sich als Fake oder Kleinigkeit entpuppte.
Da lag nun eine Frau im Wald, tot. Vermutlich hatte sie Schlimmes erlebt, bevor sie starb. Das war kein Grund zur Freude.
»Was haben die Jungs gesagt, die sie gefunden haben?«, fragte Sabine Attila, der Nägel kauend am Streifenwagen lehnte. Der Nieselregen ruinierte seine sicher mit viel Mühe gestylte Gel-Frisur.
»Die sind wohl auf dem Weg gefahren und haben zufällig im Gebüsch die Füße von der Frau entdeckt.« Er deutete zum Fundort.
Ja, dachte Sabine, die kann man gar nicht übersehen, die hellblauen Wanderschuhe. »Sind sie näher rangegangen?«, fragte sie.
»Angeblich nicht«, antwortete Attila.
»Aber du.«
Attila schwieg und senkte den Blick. Sabine verdrehte die Augen. Das reichte bei Attila als Vorwurf, so gut kannte sie ihn.
»Was machen die Burschen bei diesem Sauwetter hier?«, fragte sie weiter, einfach, um gegen die gespenstische Stille im feuchten, halbdunklen Wald anzureden. Kaum Vogelgezwitscher, kein Verkehr auf der Landstraße, und das am Nachmittag.
»Was Jungs halt so machen, weißt schon«, sagte Attila und vermied es, sie anzusehen.
»Nee, Attila, weiß ich nicht, ich war nie ein Junge«, sagte Sabine.
»Na ja, also .«, stammelte Attila.
»Du hast sie gar nicht gefragt.«
Nach einem Jahr mit Attila an ihrer Seite hatte Sabine eher gemischte Gefühle dem jungen Kollegen gegenüber. Attila war sympathisch, clever und verdammt engagiert. Er dachte mit und übernahm Verantwortung bei den Aufgaben, die in ihrem kleinen, harmlosen Wirkungskreis so anfielen. Aber es war genau das eingetreten, wovor Sabine den jungen Mann damals gewarnt hatte. Er war unterfordert, langweilte sich, wollte mehr Action. Das alles konnte Sabine ihm nicht bieten. Und was sie ihm erst recht nicht bieten konnte, war Zuneigung oder mehr. Seine teeniehafte Verknalltheit äußerte sich immer häufiger in einer hündischen Ergebenheit, die schon peinlich war. Attila wollte nicht nur alles richtig machen, er wollte alles so erledigen, dass Sabine beeindruckt war. Das konnte ja nur schiefgehen.
Attila sah gut aus mit seinen rabenschwarzen Haaren, dem gepflegten, kurz geschnittenen Vollbart und den freundlichen braunen Augen. Seit sie ihn vor drei Jahren kennengelernt hatte, war er vom Jungen zum Mann geworden, hatte auch reichlich Muskeln aufgebaut. Vermutlich ging er irgendwo im Studio pumpen oder stemmte in seinem kleinen Appartement in Gartow jeden Abend Gewichte. Aber das reichte nicht, um Sabine zu erobern. Was glaubte der Junge, was Sabine suchte? Einen netten Kerl? Sabine hatte sich von Männern in den letzten Jahren weitgehend ferngehalten. Im Urlaub im vergangenen Jahr im Club Robinson in Griechenland war dieser gutaussehende Typ, mit dem sie Spaß gehabt hatte. Mehr nicht. Und mit ihrem Ex, dem Lehrer Harald - Sport und Englisch - aus Lüneburg, hatte es einen dreiwöchigen Rückfall gegeben. Es war eine gute Zeit gewesen, bis Harald wieder anfing Forderungen zu stellen, zu klammern. Das waren Männer: eigenständig, einigermaßen reif, leider auch anstrengend. So ein Mann zu sein, davon war Attila weit entfernt. Und wenn Sabine einen Mann suchen würde, dann bestimmt keinen Polizisten.
Bevor das nutzlos und schweigend im Nieselregen Stehen unangenehm werden konnte, rauschten die Kollegen an. Schon von Weitem war der Tross auf der Landstraße zu erkennen.
Zwei Zivil-PKW, ein Sprinter der Spurensicherung und ein Leichenwagen. Dahinter, als würde er dazu gehören, ein PKW mit dem Logo der Lüneburger Stimme mit zwei hungrigen Reportern an Bord. Lungern die eigentlich den ganzen Tag vor der Polizeidirektion rum, um sich im richtigen Moment an eine Einheit dranzuhängen, fragte sich Sabine.
»Die sollen verschwinden«, sagte Sabine zu Attila und deutete auf das Auto der Reporter. Attila sprintete los, und augenblicklich schämte sich Sabine dafür, wie selbstverständlich sie inzwischen die Ergebenheit des Kollegen ausnutzte.
Blitzartig wurde der ruhige Waldweg zu einem Tummelplatz kriminalistischer Experten. Paravents wurden aufgestellt, um den Blick der Reporter und der vorbeifahrenden Autofahrer auf das Geschehen zu versperren. Fotos und Videos wurden gemacht. In weiß gewandete Menschen huschten Waldelfen gleich zwischen den Bäumen umher. Es war lange her, dass Sabine einen solchen Einsatz miterleben durfte. In solchen Momenten kam sie sich als Dorfpolizistin ganz schön klein vor. War es nicht völlig schräg, dass sie den Weitergang ihrer Karriere von der Lebenszeit ihres Vaters abhängig machte? Was, wenn er 100 würde? Dann wäre sie 50, wenn sie Gartow verlassen konnte, zu alt für die Kripo in Lüneburg oder das LKA in Hannover.
»Na, wenn das keine Freude ist«, riss eine Frauenstimme Sabine aus ihren Gedanken. Sie drehte sich um und blickte in ein vertrautes Gesicht.
»Melanie«, sagte Sabine und war nicht sicher, ob sie sich freuen oder ärgern sollte. »Das ist ja schön. Wie geht es dir? Siehst gut aus.«
»Und du erst. Das ruhige Leben hier in der Wildnis bekommt dir offenbar gut. Und sexy Kollegen hast du auch.« Melanie deutete mit dem Kopf auf Attila, der etwas verloren zwischen den dynamischen Beamten herumtippelte. Sabine verdrehte die Augen.
Melanie Gierke - unter Kollegen, und wenn sie es nicht hörte, EmGee genannt - war Hauptkommissarin bei der Kripo in Lüneburg. Drei Jahre zuvor hatte sie mit Sabine zusammen den Fall von mehreren Toten in einem nahegelegenen Gehöft aufgeklärt. Es war eine verzwickte Geschichte, in der ein verstörtes Kind und ein irrer Guru vorkamen. Damals durfte Sabine nicht nur an der Erfahrung und Professionalität der nun 46-jährigen Kollegin teilhaben, sondern nebenbei viel zu tief in deren Abgründe blicken. Melanie war zu der Zeit nicht ganz trockene Alkoholikerin, nahm Antidepressiva und Schmerzmittel und schwankte in ihrer kriminalistischen Performance zwischen rabiatem Supergirl und bedauernswerter Bahnhofspennerin. Sabine hatte Melanies Abstürze gedeckt, die im Gegenzug übersah, dass Sabine in den Ermittlungen eine Menge Regeln verletzte.
Sabine würde nicht behaupten, dass sie Freundinnen geworden wären. Melanie hatte auch dringend von einer solchen Verbindung abgeraten und sich selbst als toxische Freundin bezeichnet, womit sie sicher ganz richtiglag. Sabine hatte ihr empfohlen, sich in Therapie zu begeben. Ob sie das je getan hatte, wusste sie nicht. Seit dem Ende der Ermittlungen hatten die beiden Frauen nichts mehr voneinander gehört. Im Prozess um den Fall war Sabine nicht als Zeugin geladen gewesen. In den ersten Monaten hatte Sabine manchmal noch den Impuls gehabt, Melanie anzurufen, zu fragen, wie es ihr ging. Doch sie hielt es für unangemessen als die Jüngere und Rangniedrigere. Irgendwann hatte sie Melanie dann fast vergessen.
Die Kommissarin sah gut aus. Die Haare ein wenig länger, aber immer noch schwarz und stachelig gestylt, sie hatte abgenommen, das stand ihr. Vor drei Jahren hatte sie allerdings auch immer gut ausgesehen, wenn die Tagesform es zuließ und sie Zeit fürs Styling gehabt hatte. Sabine hatte Melanie jedoch auch völlig derangiert erlebt, wie um zehn Jahre gealtert.
»Und?«, fragte Melanie, offenbar entschlossen keine Wiedersehensfeier abzuhalten und über alte Zeiten zu plaudern, sondern an die Arbeit zu gehen. »Was ist Schreckliches passiert im dunklen wendländischen Forst?«
»Ältere Frau, zwei Teenager haben sie gefunden«, berichtete Sabine.
»Erdrosselt«, warf Attila ein, der sich angeschlichen hatte.
»Ach ja?«, fragte Melanie und blickte Attila durchdringend an. »Haben Sie die Tote bereits eingehend untersucht?«
Attila zuckte zusammen. »Nein, natürlich nicht. Ich habe nichts angefasst. Wir haben auf Sie gewartet.«
Ein Beamter der Spurensicherung sprach Melanie an. »Es macht den Eindruck, als sei der Körper vom Waldweg zum Gebüsch geschleift worden. Spuren am Boden weisen darauf hin. Es ist hier aber auch ganz schön herumgetrampelt worden, scheint mir.«
Melanie sah Attila und Sabine vorwurfsvoll an. »Der Kollege hat sich kurz vergewissert«, bemühte sich Sabine um eine Erklärung, die weder sie noch Attila als...
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