Schweitzer Fachinformationen
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Johanna drehte sich noch einmal um im breiten Bett, spreizte die Beine und besetzte damit auch Pauls Seite. Paul war schon in aller Frühe aufgestanden, da er in Hannover an irgendeiner Sitzung in irgendeinem Arbeitskreis für die Koordination irgendwelcher sozialer Projekte teilnehmen musste, in dem um das wenige Geld, das zu verteilen war, gerangelt wurde. Sie wusste nicht genau, welcher Arbeitskreis das war, aber sie wollte es auch nicht zu genau wissen. Es war kompliziert und mühsam zu verstehen. Es gab genug komplizierte Dinge in ihrem Beruf.
Sie drehte sich noch einmal um und okkupierte das Bett bäuchlings. Ihr blieb noch eine ganze halbe Stunde, denn sie musste kein Frühstück machen für Stefan. Ihr Sohn war endlich – sie kuschelte sich bei diesem erleichternden Gedanken ein bisschen schuldbewusst in das dicke Kopfkissen – aus dem Haus. Endlich.
»Du hättest ihn ja nicht drängen müssen, Abitur zu machen, eine ordentliche Lehre nach der 10. Klasse ist doch durchaus ehrenwert. Es müssen schließlich nicht alle studieren!«, war Jakobs Kommentar gewesen, als sie ihren Sohn ein Jahr lang in die Schule getrieben hatte, nachdem er im ersten Anlauf nicht zum Abitur zugelassen worden war und letztlich seine Schullaufbahn mit einem Notendurchschnitt von 3,4 beendet hatte.
Sie drehte sich wieder auf den Rücken und streckte sich. Jakob Besser, ihr junger blasierter und schlauer Kollege, hatte gut reden. Wenn man Kinder hat, sorgt man sich um sie – egal warum. Das Telefon neben ihr klingelte, und sie griff ohne hinzuschauen nach dem Mobilteil, das sie – entgegen der Strahlenwarnung Pauls, der sich auch darum sorgte – in Reichweite platziert hatte. »Ja?«
»Jakob hier!«, meldete sich eine wache, klare Stimme.
»Ich habe gerade an dich gedacht.«
»Liegst du noch im Bett?«
Johanna sah auf die Uhr. Halb sieben. »Weil du mich so früh anrufst?«
»Nein, weil ich es rascheln höre und weil du an mich gedacht hast.«
»Du blöder Spinner. Was ist los?«
»Wir haben endlich eine richtige Leiche!«
Johanna stöhnte leise und setzte sich auf. Es war klar, dass Oberkommissar Besser nicht angerufen hatte, um mit ihr zu plaudern vor Tau und Tag. Die Routine der verwalteten Not, die sie tagtäglich hatte, strengte sie an und strapazierte sie, aber das sichtbar gewordene Elend hasste sie. Jakob dagegen schien sich zu freuen.
»Wo?«
»Gerade noch bei uns!« Der Leichenfundort liege im Wald kurz vor der Grenze zu Nordrhein-Westfalen im äußersten östlichen Zipfel ihres Zuständigkeitsbereichs, erklärte Jakob: »Büscherheide nennt sich das nächste Kaff.« Sie solle, wenn sie nicht erst in die Dienststelle am Kollegienwall fahren wolle, direkt dorthin kommen. Die Grenze zu Nordrhein-Westfalen sei kurz hinter den Koordinaten, die Jakob ihr gleich aufs Handy schicken wolle. Johanna stimmte zu. Von ihrem Haus Am Nienort im Schinkel am östlichen Stadtrand war sie schon halb auf dem Weg über die Landstraße in die Ortschaften, die zu ihrem weitgefassten Gebiet gehörten.
Jakob wollte sich jetzt gleich auf den Weg machen. Er war häufig schon um sechs Uhr morgens im Büro, so auch heute, weil er die Morgenstunden für die effektivsten hielt. In intellektueller und auch spiritueller Hinsicht. Wenn Jakob Besser um sechs am Schreibtisch saß, hatte er schon eine halbe Stunde meditiert und war zu Fuß von seiner Wohnung in der Nähe der Universität gekommen.
Johanna duschte schnell, wusch sich die Haare und föhnte sie über Kopf, während sie das von gestern übrig gebliebene Stück Mohnkuchen aß. Sie warf einen Blick in den Spiegel und war zufrieden mit sich. Mir geht es gut, dachte sie, fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und legte die kleine graue Strähne frei, die sich links neben ihrem Scheitel durch die Andeutung einer Locke zog. Mir geht es gut, dachte sie noch einmal. Und nun schauen wir, welcher arme Mensch dort im Wald liegt.
*
Jakob Besser kam ihr entgegen, als sie langsam über den Waldweg ging, den er ihr beschrieben hatte. Sie hatte ihren Kleinwagen vorn an der Landstraße stehen lassen. Dort standen bereits zwei Streifenwagen, ein Porsche und der Dienstwagen, mit dem Jakob gekommen war. Sie lobte sich für ihre Umsicht, dass sie ihre wetterfesten Wanderschuhe angezogen hatte, denn in der Nacht war das Wetter umgeschlagen und ein Tief hatte die Kälte des gestrigen Tages vertrieben. Es war drückend und in der Nacht hatte ein Dauerregen eingesetzt, der sie jetzt schon zermürbte. So wird der ganze restliche November sein, befürchtete sie. Jakob Besser presste die Lippen aufeinander, während sie auf ihn zuging, und statt die Hand wie sonst zum römischen Salve zu erheben, legte er ganz unvermittelt seinen rechten Arm um sie und zog sie an sich.
Überrascht schaute sie zu ihm auf und lächelte: »Was ist los, Herr Besser?« Jakob ließ sie los und ging neben ihr her. Der große Kerl mit der großen Klappe wollte wohl selbst in den Arm genommen werden. Sie lächelte ihn wieder an. »Danke für die liebe Begrüßung.«
Sie gingen gemeinsam auf den Tatort zu. Der Bulli der KTU war schon anwesend. Vor der Markise standen zwei Kollegen von der Meller Polizeiinspektion. Den einen von ihnen, Rolf Niederbäumer, hatte sie im letzten Jahr kennengelernt, weil zwei Trinker in Wellingholzhausen ihren Disput mit einem Messer und einer Jagdflinte ausgetragen hatten. Der Jäger hatte das nicht überlebt, weil er alkoholbedingt seine Flinte nicht entsichert und mit dem hohlen Klicken der Flinte den anderen in eine solche Rage versetzt hatte, dass er dessen Messerattacke zum Opfer fiel.
Niederbäumer grüßte Johanna und musterte Jakob, der ihm brav die Hand gab und dabei die Andeutung eines Dieners machte, mit leichter Skepsis. Er reichte ihnen je einen faserabweisenden Einmaloverall und Überschuhe. Links des Wegs war ein kleines Waldstück abgesperrt, die Kollegen von der Spurensicherung liefen dort bereits mit ihren Kapuzenmänteln herum.
»Obwohl in diesem Morast nichts zu finden sein wird«, meinte Niederbäumer und nickte in Richtung Tatort. Jetzt bemerkte Johanna, dass dort ein kleiner Bach, der am Rande des Weges floss, über die Ufer getreten war und die Leute, die sich darum kümmerten, den Ort zu sichern, ganz in der Nähe des Wassers herumstapfen mussten. »Im Sommer ist das nur ein Rinnsal, oder ganz trocken«, erklärte Niederbäumer. Er wies sie auf den kleinen Pfad hin, den die Kollegen gegangen waren, um nicht unnötig Spuren zu verwischen, machte aber erneut durch seine abwinkende Handbewegung deutlich, dass das seiner Meinung nach eigentlich überflüssig war.
Was für ein Wetter, um dort gefunden zu werden, dachte Johanna, schüttelte sich aber gleichzeitig, um diesen absurden Gedanken loszuwerden. Sie näherten sich der Szenerie, nein, keine gespenstische Szenerie, dachte Johanna, und verfluchte sich dafür, dass ihr diese trivialen Gedanken durch den Kopf schossen. Es wirkte eher wie ein Filmset, als würde an diesem sonst stillen Ort etwas in Szene gesetzt. Aber es war Dienstag, 20 nach sieben. Und sie war hier und nicht mehr im Bett und hatte dafür zu sorgen, dass alles nach den Regeln vor sich ging.
»Es ist alles wahr«, wandte sie sich unvermittelt an Jakob und legte ihre Hand auf seinen Unterarm. Er sah sie ernst an, als hätte er ihren zusammenhanglos vorgebrachten Gedanken verstanden, was bei Jakob durchaus anzunehmen war.
»Es tut mir leid, was ich vorhin am Telefon gesagt habe, es war …, ich war benommen, durcheinander.«
Sie waren an einer hohen Buche stehen geblieben. Johanna Kluge lächelte ihren Kollegen an: »Mensch, Jakob, das weiß ich doch.« Sie kam sich mütterlich vor, weil sie ihm ihre Hand besänftigend auf den Unterarm gelegt hatte, und zog die Hand wieder zurück.
Jakob Besser war schon seit knapp zwei Jahren bei der Kriminalpolizei, Fachkommissariat 1 Straftaten gegen Leben und Gesundheit. Aber außer einigen Selbstmorden, fahrlässigen Tötungen und der letalen Würgeattacke einer Psychiatriepatientin gegen eine andere hatte er noch nichts, wie er fand, wirklich Spektakuläres erlebt. Er hatte auf eine »richtige« Leiche, bei der eindeutig Fremdverschulden vorlag, auf einen komplizierten Mordfall gewartet, bei der die Sachlage nicht von vornherein offenbar war, und manchmal theatralisch gejammert: »Meine Güte, in Kitzbühl um 18 Uhr bei der Soko gibt es fast jede Woche raffinierte Doppelmorde, aber hier in der 165.000-Einwohner-Stadt passiert gar nichts.« Jetzt stand er brav neben Johanna und wartete darauf, dass sie sich den Toten ansehen konnten. Johanna reichte eigentlich die Osnabrücker Kriminalstatistik mit 32 Tötungsdelikten in Stadt und Landkreis pro Jahr. In den unspektakulären, alltäglichen und lächerlich normalen Auseinandersetzungen der Menschen, mit denen sie in Kontakt kam, lag ein Elend, das sie manchmal in der Nacht bis in ihre eigenen vier Wände verfolgte.
Ein Kollege von der Kriminaltechnik erhob sich und ging auf die Absperrung zu. »Sie können jetzt kommen, aber passen Sie auf, da vorn links vor dem kleinen Stamm«, er wies auf einen abgestorbenen Baumstumpf, »dort ist ein Loch, Meyer ist schon reingetreten und fast bis zum Oberschenkel versunken!« Er grinste und wies ihnen mit der Hand den Weg, obwohl nichts zu zeigen war.
»Danke«, nickten die beiden ihm dennoch zu und bewegten sich vorsichtig die letzten 20 Meter auf die drei Personen zu, die dort noch hockten. Von der Absperrung aus hatte eine kleine Buchengruppe den Blick versperrt, jetzt lag die Leiche vor ihnen. Johanna blickte kurz auf die Leiche,...
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