Schweitzer Fachinformationen
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Es war einer dieser Sommertage, an dem sie sicher war, nirgendwo anders sein zu wollen als hier unter ihrem Kirschbaum. Magdalena liebte diesen Ort im Schatten der Blätter, genoss den leichten Wind und freute sich darüber, nicht in der Hitze Südeuropas zu leiden. Sie legte die Beine auf den Gartentisch und schaute ins Tal. Vergessen war, dass sich fast der gesamte Juli mit gerade einmal 15 Grad im Tal festgeregnet hatte und ihre Gedanken jeden Morgen darum kreisten, einfach alles hinzuschmeißen und irgendwohin zu fliegen. Sie hatte es nicht getan, weniger aus Durchhaltevermögen denn aus Geldmangel.
Es hatte sich ausgezahlt. Denn nun endlich war der Sommer auch zu ihr gekommen. Es war ein später Sommer. Bis Anfang August hatte sie warten müssen. Aber sie hatte es richtig gemacht. Sie hatte der Kälte getrotzt und war nun belohnt worden. So jedenfalls sah es Magdalena. Sie gab allen Dingen, die in ihrem Leben geschahen, eine Bedeutung. Nichts, glaubte sie, passierte einfach so, alles hatte letztlich einen Sinn.
»So ein Quatsch!«, befand sie und legte das linke Bein über das rechte. Sie redete immer mit sich selbst, wenn sie allein war. Wer allein lebt, tut das. Deshalb übte sie manchmal, diese Selbstgespräche unter Kontrolle zu halten, damit sie sich nicht verselbstständigten und sie irgendwann für schrullig gehalten werden könnte.
Sie wollte heute mit ihren Freunden feiern. Ein großer Tisch vor ihr im Garten war gedeckt für ihre »Fressrunde«, wie sie die Gruppe von sechs Freunden nannte, die nun seit fast zwanzig Jahren gemeinsam kochten und aßen. So unterschiedlich sie alle waren, ihre Beziehung hatte die Jahre überstanden, und sie mochten sich immer noch. Sie waren sich wohl doch ähnlicher, als sie immer behauptete. Denn auf die Jahrzehnte betrachtet, blieben letztlich nicht so viele Menschen übrig. Ihr waren in dieser Zeit immerhin zwei Ehemänner abhandengekommen. Die alten Beziehungen sind vielleicht deshalb stabiler, weil wir viel mutloser werden, neue einzugehen, sinnierte Magdalena und beobachtete den Weg, der auf den Hügel zu ihrem Haus hinaufführte. Die schmale Asphaltstraße lag in der Spätsommersonne, und die Wiese auf der anderen Seite des kleinen Tals wartete immer noch auf den zweiten Schnitt. Die anderen waren noch in ihren Beziehungen. Sie hatte es vermutlich falsch gemacht.
Magdalena stand auf, stellte sich an den großen runden Tisch und war mit sich zufrieden. Das jedenfalls konnte sie. Kochen, Gäste empfangen und bewirten. Sie liebte es, alles vorher fertigzustellen und sich mit ihren Gästen an den Tisch zu setzen. Früher hatte sie immer geringschätzig abgewehrt, wenn sie Lob bekam für ihre Kochkünste und ihre Liebenswürdigkeit. Sie fand das unwichtig und belanglos und schämte sich fast dafür. Sie hätte lieber Erfolg im Beruf gehabt und statt Lob ein Gehalt, von dem sie gut leben konnte. Mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt, dass ihre Freunde diese Qualität an ihr besonders hervorhoben, und hatte es akzeptiert.
Ein sattes Motorengeräusch wurde stärker, und Magdalena sah dem dicken Wagen entgegen, der den schmalen Weg hinauffuhr. Sie hatte den Überblick von ihrem kleinen Hexenhügel. Der Wagen parkte auf dem Platz vor dem kleinen Bastmatten-Carport, den sie in Anlehnung an südspanische Unterstände in diesem Frühjahr selbst gebaut hatte, um den Sommer auch nach Norddeutschland zu zwingen.
Sie wartete, bis Kurt-Heinrich und Eliane aus dem Wagen stiegen. Er trug einen sandfarbenen Sommeranzug und ein hellblaues Hemd mit Krawatte. Eliane warf die Autotür hinter sich zu und kam schnurstracks mit einem eingefrorenen Lächeln auf Magdalena zu.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Magdalena!« Sie umarmte sie so heftig, dass Magdalena zusammenzuckte und in leiser Theatralik stöhnte.
»Ist was mit dir?«, fragte Magdalena und schaute Eliane in die wasserblauen Augen, die noch genauso jungmädchenhaft glänzten wie vor mehr als 20 Jahren, als sie sich auf einer Veranstaltung des kleinstädtischen Heimatvereins kennengelernt hatten. Eliane, gerade 23 und als Volontärin für das Nomburgshauser Tageblatt anwesend und Magdalena als Frau des damaligen Chefredakteurs der Zeitung hatten sich sofort gefunden inmitten der Spießer, wie sie beide damals geringschätzig alle nannten, die sich für die Bewahrung der dörflichen Kultur engagierten. Heute gehörte sie selbst zu dem Dorf und war zahlendes Mitglied im Heimatverein. Damals aber war Magdalena auf den ersten Blick vernarrt in die blonde Eliane, die mit ihren zitternden Locken so filigran aussah, dass sich die dunkle Magdalena nicht erdverbunden und kräftig im Leben stehend, wie sie es heute gern benannte, sondern stämmig und derb vorkam.
»Nein«, zischte Eliane ihr ins Ohr, »mit mir ist überhaupt nichts.« Sie zog ihre feinen Augenbrauen hoch und rollte mit ihren himmelsschönen Augen. »Mit Kurt-Heinrich stimmt was nicht!« Sie blickte ihrem Mann mit zusammengekniffenen Augen und undefinierbarem Gesichtsausdruck entgegen.
Magdalena folgte ihrem Blick und Kurt-Heinrichs Bewegungen, der auf dem Weg zu ihnen stehen geblieben war und irgendetwas von seinem Sommerjackett entfernen zu wollen schien, und damit besonders auf dieses ungewöhnliche Kleidungsstück aufmerksam machte. Normalerweise trug Kurt-Heinrich in der Freizeit Jeans, die im Schritt etwas hingen, und darüber eines seiner farblosen Jacketts, mal beige oder fahlgrün.
Magdalena ging ihm entgegen. »Schick siehst du aus!«
Kurt-Heinrich beugte seine 192 cm zu ihr herunter und küsste sie mit gespitzten Lippen rechts und links auf die Wange. »Ciao, Bella«, lächelte er sie an und präsentierte eine völlig intakte Zahnreihe.
»Italienischkurs?«, fragte Magdalena.
»Wieso?« Kurt-Heinrich schien einen Moment irritiert, zeigte dann aber, dass er verstanden habe. »Ach so, nein. Ich war neulich auf der Möbelmesse in Köln und habe mit italienischen Kunden gesprochen.« Er strahlte sie an, und Magdalena wunderte sich wie fast jedes Mal, wenn sie Eliane und Kurt-Heinrich sah, dass diese zarte und ätherisch schöne Frau sich an einen so unerotischen, aber netten Kerl hatte vergeuden können. Wozu hatte der liebe Gott Eliane nur so attraktiv gemacht?
»Aha«, meinte Magdalena nachsichtig, und mit einem Blick auf den Sommeranzug, in dem ihr Kurt-Heinrich irgendwie verkleidet vorkam, schritt sie vor ihm her zu Eliane, die die mitgebrachten Blumen vor die Küchentür des kleinen Bauernhauses auf den Tisch gelegt hatte.
Eliane folgte Magdalena in die Küche, die direkt vom Garten aus zu betreten war. Kurt-Heinrich ließen sie draußen, er kraulte den roten Kater, der sofort angelaufen kam und ihm um die Beine strich.
»Er ist total komisch, er geht hoch bei jeder Kleinigkeit und ist irgendwie ungehalten.« Eliane drückte Magdalena achtlos ein mit dem Aufkleber einer Buchhandlung versehenes eingepacktes Buch in die Hand. »Wir haben uns, kurz bevor wir abfuhren, unglaublich gestritten, und ich habe rumgeschrien, Kurt hatte unbedingt noch einmal mit seinem Vertriebsmitarbeiter sprechen müssen.« Eliane nahm Magdalena das Buch wieder aus der Hand und begann es aus dem Papier zu reißen. »Über eine Viertelstunde.« Sie reichte Magdalena das ausgepackte Buch: »Hat mir gut gefallen.«
»Männer mit Verfallsdatum.« Magdalena drehte das Buch, um den Rückentext zu lesen. »Ich habe meine doch bereits lange vor der Ablaufzeit entsorgt«, stellte sie fest und blickte auf Kurt-Heinrich, der sich vor der Küchentür in einen Stuhl gesetzt hatte und mit hinter dem Kopf verschränkten Armen die Nase zum Himmel reckte und den Lässigen gab. »Das mit der Entsorgung ist natürlich nur bedingt richtig.« Das traf, wenn überhaupt, nur auf ihre Beziehung mit Ehemann Nr. 2 zu. Den hatte Magdalena verlassen. Aber nicht, weil er das Verfallsdatum überschritten hatte. Sie war es, die offenbar die von ihm gesetzte Altersgrenze hinter sich gelassen hatte. Seine damalige Geliebte und jetzige Frau war 15 Jahre jünger als sie. 35 Jahre heute. Nein. Sie war ja auch ein Jahr älter geworden, also war sie jetzt 36 Jahre. Zum Glück wurden die anderen auch älter. Sie hatte Hans II. verlassen müssen, weil er sich eine Jüngere genommen hatte. »Er war es doch im Grunde, der mich ›entsorgt‹ hat«, räumte Magdalena ein.
Eliane winkte ab. »Unsinn, du weißt doch, wie er anschließend bei mir rumgewimmert hat und dich wiederhaben wollte.« Sie nahm Magdalena das Buch wieder aus der Hand. »Vielleicht habe ich einfach mal wieder nur an mich gedacht.« Sie schaute auf Kurt-Heinrich, wie er salopp die Füße auf einen Stuhl legte. »Oder vielleicht an Kurt-Heinrich.«
Magdalena nahm Eliane das Buch aus der Hand und versicherte ihr, sie lese auch Bücher, die über ihre augenblickliche Gefühlslage hinauswiesen, wenn sie denn lustig seien. Wie es denn weitergegangen sei mit der Auseinandersetzung. Sie setzte den Topf mit der Estragonsuppe auf den Herd und stellte die Platte an. »Ein Telefonat mit einem Vertriebsmitarbeiter ist doch kein Grund für einen so anhaltenden Zorn.«
»Kein Grund?« Eliane riss ihre Augen auf. »Es geht doch darum, dass er eigentlich in der letzten Zeit immer so herablassend mit mir umgeht. Ich stehe da rum und warte auf ihn. Habe mich abgehetzt, um Kurtilein bei Kurt-Heinrichs Mutter abzugeben, damit wir rechtzeitig loskommen, und dann telefoniert er noch mit der Firma.« Eliane kniff die Lippen zusammen, was ihr einen etwas altjüngferlichen Ausdruck gab. »Und als ich zur Tür kam und gesagt habe, er soll jetzt endlich kommen, hat er mich mit einer herrischen Handbewegung des Zimmers...
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