Schweitzer Fachinformationen
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Die Kommissare Frank Haberking und Anna-Maria Slakow haben nur eines gemeinsam: nichts zu verlieren. Sie wurden strafversetzt und sollen die zehn Jahre zurückliegende Entführung der Dresdner Familienrichterin Jennie Flagant aufklären. Ein Fall, an dem bisher alle Ermittler gescheitert sind. Jennie Flagant wurde damals in die Zwangsprostitution verschleppt. Da sie wenige Tage nach ihrer Befreiung durch die Polizei Selbstmord beging, blieben viele Fragen offen. Wer hat sie durch diese Hölle gehen lassen - und vor allem: Warum? Auf der Suche nach Antworten geraten Slakow und Haberking in einen Fall mit ungeahnten politischen Dimensionen, der sie in höchste Gefahr bringt ...
Haberking hing über der Kloschüssel und würgte grüne Galle. Er hatte Scheiße gebaut und einen Mörder laufen lassen. Das Schlimmste, was einem Bullen passieren konnte.
Das Frühstück war bereits raus, aber der Brechreiz hielt an.
Und was für Scheiße er gebaut hatte. Genug für zwei Leben.
Am liebsten hätte er sich hier versteckt, hätte vorgegeben, krank zu sein, ein Magengeschwür zu haben, das gerade aufgebrochen war. Aber Flucht hätte es nicht besser gemacht. Einen letzten Rest Würde wollte er behalten, er würde sich dem stellen, was er verbockt hatte. Er würde zurückgehen in den Gerichtssaal und alles ertragen. Das war er dem Opfer und seinen Angehörigen schuldig. Und seinen Kollegen der SoKo Lisa, deren monatelange Arbeit er zunichtegemacht hatte.
Das arme Mädchen. Sie war gerade siebzehn geworden, Römfeld hatte sie mehrfach vergewaltigt, dann mit bloßen Fäusten totgeschlagen und in einen Müllcontainer geworfen.
Haberking schüttelte sich. Der Geruch des Erbrochenen war ekelerregend, sein Versagen noch schlimmer, es vergiftete ihn, die Schuld wog so schwer, dass er das Gefühl hatte, nie mehr aufrecht gehen zu können.
Er zog Klopapier von der Rolle, wischte sich über den Mund. Der Brechreiz ließ langsam nach.
Das letzte Mal, als er so über einer Kloschüssel gehangen hatte, war vor zwölf Jahren gewesen, als er seine Beförderung zum Kriminaloberkommissar gefeiert hatte. Der Anlass war eindeutig angenehmer gewesen. Er hatte die Position erreicht, die er hatte erreichen wollen. Genug Geld, aber nicht zu viel Verantwortung.
Doch jetzt drohten ihm der Rausschmiss, die Arbeitslosigkeit und der Entzug der Pension. Die Vernichtung. Was er getan hatte - oder, besser gesagt, nicht getan hatte -, war kein Kavaliersdelikt mehr. Dass er die Katastrophe nicht hatte vorhersehen können, spielte dabei keine Rolle. Er hatte es verbockt.
Haberking richtete sich auf, trat ans Waschbecken, schaute in den Spiegel. Das weiße Hemd war noch immer weiß, keine Flecken von Erbrochenem darauf. Auch nicht auf der silbergrauen Weste, dem dunkelblauen Sakko und seinem Lieblingsseidenschlips in Bordeauxrot.
Ein Gong ertönte. Die Verhandlung ging weiter.
Haberking hob einen Arm bis zur Brust, streckte ihn aus. Seine Hand zitterte wie bei einem Greis. Er atmete dreimal tief durch, dann machte er sich auf den Weg zu seinem ganz persönlichen Armageddon.
Der Justizwachtmeister hielt ihm die Tür auf, blickte zu Boden.
Es hatte sich anscheinend bereits herumgesprochen. Der Haberking, der Depp, der Volltrottel, hat alles in den Sand gesetzt. Den sollte man einsperren, genauso lange, wie es Römfeld verdient hätte.
Haberking betrat den Schwurgerichtssaal. Alle blickten zu ihm hin. Über hundert Zuschauer, eine anonyme Menge, die ihm Angst machte. Drei Richter und zwei Schöffen mit steinernen Mienen, in denen zu lesen war, was sie von Haberking hielten: nichts, absolut nichts. Staatsanwalt Recktenwald, der den Anschein machte, Haberking verprügeln zu wollen. Er ballte seine Fäuste, öffnete sie wieder, ballte sie, öffnete sie. Staatsanwältin Salim, die ihn nur kurz mit einem Blick durchbohrte und dann wegsah. Die Mutter des Opfers. Schluchzend, den Blick auf den Boden geheftet. Haberking wurde der Hals eng. Sie hatte nicht nur ihre Tochter verloren, sondern musste mitansehen, wie ihr Mörder auf freien Fuß gesetzt werden würde. Der Verteidiger. Ein Pokerface. Keine Regung. Nichts. Römfeld, der Angeklagte. Ein Grinsen von einem Ohr zum anderen. Kein Wunder. Man bekam als Mörder nicht alle Tage einen Freispruch geschenkt.
»Herr Haberking!«
Der Vorsitzende Richter Antonius Müller hob selten die Stimme. Seine erhabene Erscheinung sorgte bereits für den nötigen Respekt. Doch seit einer halben Stunde war seine Nonchalance verschwunden. Er bellte durch den Gerichtssaal wie ein Feldwebel bei der Armee.
»Können wir weitermachen?« Er wartete keine Antwort ab. »Zurück in den Zeugenstand.«
Haberking wurde schon wieder übel, aber er konnte nicht ein zweites Mal rausrennen wie ein Steppke, der sich vor Angst in die Hosen macht.
»Kehren wir noch mal zum Abend des 3. April zurück.«
Der Abend des 3. April! Haberking hatte seiner Frau versprochen, pünktlich zu Hause zu sein, trotz der Mordermittlung. Seit Wochen schob er Überstunden, und er wollte wenigstens an ihrem Geburtstag früh daheim sein. Sie hatte zu einem japanischen Abend eingeladen. Wie immer hatte sie alles minutiös geplant, ihre beiden Schwestern waren angereist und halfen ihr in der Küche. Haberking sollte um achtzehn Uhr da sein, um die Gäste zu begrüßen, um halb sechs war er noch immer hinter den Zeugen her gewesen. Und dann hatte er den Fehler seines Lebens begangen.
»Ihre Aufgabe war es, Zeugen zu vernehmen, im Hinblick auf Relevanz für die Anwesenheit von möglichen weiteren Personen am Tatort. Ist das richtig?«
Haberking schluckte.
»Das ist richtig.«
Gegen Römfeld gab es nur Indizien. Stichhaltige, ja, aber nur ein Stein musste fallen, um die gesamte Kette ins Wanken zu bringen.
»Auf Ihrer fraglos umfangreichen Liste stand auch Klara Missfeld. Ist das richtig?«
»Ja.«
»Ist es weiterhin richtig, dass Sie die Zeugin Klara Missfeld am 3. April nicht vernommen haben?«
Haberkings Übelkeit legte sich, machte einem tauben Gefühl im ganzen Körper Platz.
Müller lehnte sich nach vorne.
»Ist es richtig, dass Sie die Zeugin Missfeld auch am nächsten Tag nicht vernommen haben?«
Haberking blieb das Wort im Halse stecken.
Müller schlug mit der Faust auf das Richterpult.
Haberking zuckte zusammen, atmete noch einmal tief durch.
»Sie haben sie überhaupt nicht vernommen. Ist das korrekt?«
Jetzt musste Haberking das »Ja« aussprechen, das ihm das Genick brechen würde.
Das »Ja«, das Römfeld zu einem freien Mann machen würde.
Müller warf sich in seinem Sessel nach hinten.
»Herr Staatsanwalt, irgendwelche Fragen an den Zeugen?«
Recktenwald schüttelte den Kopf.
»Frau Staatsanwältin?«
Salim winkte ab.
Haberking hielt es nicht mehr aus.
»Aber ich habe doch auf dem Laufzettel .«
»Was erlauben Sie sich? Sie sind nichts gefragt worden, also haben Sie zu schweigen!«
Haberking klingelten die Ohren, so laut brüllte Müller. Sogar Recktenwald und Salim zuckten zusammen.
Der Laufzettel. In einer Sonderkommission mit den Ausmaßen wie der SoKo Lisa, in der mehr als dreihundert Kolleginnen und Kollegen mitarbeiteten, wurde beim Morgenappell an jeden ein Aufgabenzettel verteilt. In seinem Fall waren es eine Zeugenliste und eine Liste von Fragen gewesen, die er hatte abarbeiten müssen. Für jeden Zeugen, den er aufgesucht und befragt hatte, unterschrieb er in einem dafür vorgesehenen Feld und trug auf einem beigefügten Formular Daten und Ergebnis der Befragung ein. Er hätte schwören können, dass er bei Klara Missfeld ein Häkchen unter »Nicht angetroffen« gemacht und unterschrieben hatte. Doch als der Laufzettel heute Morgen als Beweisstück eingebracht worden war, fehlte das Häkchen. Allerdings fehlte auch der Beizettel. Danach hatte der zuständige Sachbearbeiter natürlich nicht mehr geschaut. Er war wohl davon ausgegangen, dass die Zeugin ohne Ergebnis befragt worden war.
»Hat die Verteidigung noch Fragen?«
»Keine weiteren Fragen, Herr Vorsitzender«, sagte der Anwalt und schlug Römfeld mit der rechten Hand auf die Schulter.
»Der Zeuge bleibt unvereidigt«, sagte Müller.
Haberking stand auf, seine Knie zitterten. Es waren zehn oder zwölf Schritte bis zum Ausgang. Wie sollte er die schaffen?
»Gibt es noch irgendetwas, Herr Haberking?«, zischte Müller.
Haberking schüttelte den Kopf.
»Dann wäre ich erfreut, wenn Sie meinen Gerichtssaal verlassen würden. Ich möchte weitermachen.«
Müllers Ton konnte ätzender nicht sein.
Haberking setzte einen Fuß vor den anderen, der Justizwachtmeister öffnete die Tür, Haberking trat über die Schwelle, verließ das Gebäude durch den Hinterausgang, hörte das Rufen von Journalisten.
Schnellen Schrittes ging er weiter und sprang in ein Taxi. Haberking atmete durch, wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Der Fahrer warf ihm über den Rückspiegel einen Blick zu.
»Wohin soll's denn gehen?«
»Zum Luftbad Dölzschen.«
»Die haben aber noch zu. Da ist nichts mit Schwimmen. Die machen erst in zwei Wochen auf, obwohl es schon echt warm ist.«
»Ich will einfach nur raus aus der Stadt.«
Haberking merkte, dass seine Stimme zitterte.
Klara Missfeld, eine Schulkameradin der Getöteten, hatte sich zur entscheidenden Zeugin entwickelt. Sie schwor Stein und Bein, am Tattag eine weitere Person am Tatort gesehen zu haben. Und zwar den Ex-Freund des Opfers, der Lisa seit Monaten stalkte. Ein perfekter Verdächtiger. Warum sie sich nicht gemeldet habe? Sie sei nie vernommen worden und habe sich nichts dabei gedacht. Der Verteidiger hatte sie ausfindig gemacht und im letzten Moment als Zeugin benannt. Recktenwald hatte versucht, sie als unglaubwürdig darzustellen. Das war gründlich danebengegangen, weil Haberking sie tatsächlich nicht vernommen hatte. Und das war erst herausgekommen, als die Verteidigung die Zeugin befragt hatte. Zwar hatte Richter Müller die Nase gerümpft und gerügt, dass die Staatsanwaltschaft keine Zeit gehabt habe, sich...
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