Schweitzer Fachinformationen
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Es war die blanke Gier, die Efgenia Costa getrieben hatte, Adamo nach St. Moritz zu schicken. Als Frau Wichmann vom Zürichberg, der er nicht nur den Garten pflegte, sondern deren Hund er auch in den letzten Tagen gefüttert hatte, ihn zu Silvester spätnachmittags anrief, bereitete Efgenia eben in der Küche Häppchen zu, denn sie planten, die ganze Nacht lang John-Travolta-Filme zu sehen. Deshalb bekam sie vom Anruf zunächst gar nichts mit. Erst als Adamo in Jacke und Schuhen in der Küchentür erschien, sagte: »Ich gehe noch mal den Hund füttern«, und Efgenia fragte: »Ja, sind denn die Nachbarn noch immer nicht zurück?«, erfuhr sie, dass jene Nachbarn, die eigentlich Frau Wichmanns Hund hätten hüten sollen, sich im Skiurlaub eine Grippe geholt hatten und Frau Wichmann Adamo eigentlich angerufen hatte, um ihn zu bitten, Mister zu ihr zu bringen, weil sie ihn vermisste und befürchtete, das oft recht üppige Silvesterfeuerwerk am Zürichberg werde ihn panisch machen. »Wenn sie in Zürich bleibt, fährt sie sonst extra mit ihm aus und verbringt den Jahreswechsel irgendwo abgeschieden im Wald«, erzählte er. »Aber ich habe ihr gesagt, wir bereiten gerade eine kleine Feier vor.«
»Natürlich bringst du ihr den Hund«, rief sie, denn sie dachte an den Testamentsentwurf mit seinem durchgestrichenen Namen, den sie in Frau Wichmanns Sekretär gefunden hatte, als sie ihn einige Tage zuvor zur Fütterung begleitet hatte. Und als Adamo sagte: »Dann fahren wir aber alle beide«, antwortete sie ebenso entschieden: »Ganz sicher nicht. Erstens hält mein Rücken drei Stunden Zugfahrt nicht aus, zweitens kann es nicht schaden, wenn du mit der Wichmann Silvester feierst.«
Adamo zögerte. »Ich glaube kaum, dass sie allein nach St. Moritz gefahren ist. Und überhaupt - sie ist nicht, wie du denkst.«
»Ich denke überhaupt nichts«, sagte Efgenia. »Ich will nur, dass du dich so nett aufführst, dass sie dich wieder in ihr Testament aufnimmt.«
Also warf er sich in Schale, holte Mister ab und brachte ihn ins Engadin, während sie den Silvesterabend mit drei Flaschen Bier vor dem Fernseher verbrachte. »Du brauchst mich um Mitternacht übrigens nicht anzurufen«, hatte sie beim Abschied gesagt, dennoch kränkte es sie etwas, dass er nur um zehn Uhr eine SMS schrieb: »Gehen mit Mister auf Schneeschuhwanderung. Werde keinen Empfang haben. Denke an dich.«
»Guten Rutsch«, schrieb sie zurück, und gleich hinterher: »Bitte nicht wörtlich nehmen«, was sie recht witzig fand. Doch Adamo reagierte schon nicht mehr.
Trotzdem brachte Efgenia den Jahreswechsel mit Anstand hinter sich. Sie telefonierte mit ihren Eltern, dadurch verschob sich ihr Ärger, denn die planten, Efgenias nimmersatter Schwester Eleni von ihrer Rente einen Minivan zu spendieren. Kurz nach ein Uhr ging sie zu Bett und schlief auch nicht schlecht. Allerdings erwachte sie früh und trauerte dem geplanten Katerfrühstück mit Adamo nach, das sie im Bett hatte servieren wollen. Für sich allein wollte sie nichts zubereiten und aß nur ab und zu einen Happen direkt aus dem Kühlschrank, während sie Haushaltskram erledigte. Adamo hatte sich die ganze Nacht über nicht gemeldet, und allmählich wurde sie sauer. Als sie in die Waschküche ging, stritt sie sich zu allem Überfluss mit Julia Sommer, und als endlich Adamo anrief (es war erst neun Uhr), war Efgenia so verstockt, dass sie ihm nicht einmal ein gutes neues Jahr wünschen wollte.
»Weißt du was, ich nehme den nächsten Zug«, sagte er gutmütig, »und wir machen uns noch einen richtig schönen Tag.«
»Nein, ich will dich hier gar nicht haben«, sagte sie, obwohl das so nicht stimmte. »Wenn wir schon Silvester opfern, sollst du auch das Maximum herausholen. Außerdem würden wir uns sowieso nur streiten. Ich gehe nachher spazieren, das wird mich beruhigen.«
Und er widersprach ihr auch nicht, sondern sagte: »Meinetwegen, dann werde ich noch mit Frau Wichmann frühstücken. Sie ist übrigens tatsächlich allein hier. Aber alles ist ganz harmlos, wir unterhalten uns nur.«
»Worüber?«, fragte sie misstrauisch.
»Es sind philosophische Gespräche«, sagte er, und das brachte sie dann beide zum Lachen.
Nachdem sie gesaugt und sogar gebügelt hatte, zog sie sich dick an, denn die Kälte war weiterhin schneidend, fuhr zum Zoo hoch und wollte eigentlich durch den Wald spazieren. Doch sehr bald stand sie vor Frau Wichmanns Haus. Und da Adamo bei jener Fütterung einige Tage zuvor keine Anstalten gemacht hatte, das Schlüsselversteck geheim zu halten, trat sie auch ein.
Es sollte ihre kleine Revanche dafür sein, dass die Wichmann ihren Mann in Beschlag nahm. Doch bereits als sie die Treppe von der Garage ins Haus hochstieg, wechselte Efgenias Stimmung. Der Duft von Arven und Bienenwachs, dazu das sanfte silbrige Licht, das durch die hohen, unverbauten Fenster drang und selbst den kalten, öden Winternachmittag irgendwie besonders wirken ließ, machte sie von einem Augenblick zum andern weich. Sie fühlte sich wie umarmt, und alle Kampfeslust und Feindseligkeit löste sich einfach auf. Sie ließ die Platte von Ella Fitzgerald laufen, die Adamo bei ihrem ersten Besuch ein paar Tage zuvor abgespielt hatte, und ganz wie damals setzte sie sich zu Boden und lehnte sich an die Chaiselongue, um den Weihnachtsbaum zu betrachten. Ohne brennende Kerzen fand sie ihn irgendwie noch berührender.
Und in dieser Laune schien es ihr plötzlich völlig unbedenklich, dass Adamo bei dieser Wichmann war. Mochten sie sich doch amüsieren, mochten sie sogar miteinander schlafen. Was bedeutete das schon? Das Leben war schwierig genug, es gab wirklich keinen Grund, einander ein bisschen Vergnügen zu neiden. Aus dieser Anwandlung heraus schrieb sie ihm: »Ich genieße das neue Jahr, tu du das bitte auch.« Diesmal schrieb er gleich zurück, allerdings die falschen Worte: »Ich liebe dich.« Sie konnte es sich nicht verkneifen nachzufragen, ob er ein schlechtes Gewissen habe, daraufhin rief er an und sagte: »Ich habe in einer besseren Besenkammer in Pontresina geschlafen, sonst war nichts mehr frei. Und die musste ich bereits räumen. Nun sitze ich am See. Die Landschaft ist bezaubernd, allerdings wimmelt es hier von Menschen. Ich vermisse dich.«
»Was macht ihr denn jetzt?«, fragte sie.
»Sie möchte mir das Segantini-Museum zeigen«, sagte er, »besonders ein bestimmtes Bild. Danach komme ich heim.«
»Was ist auf dem Bild?«, fragte sie, um nicht gleich wieder auflegen zu müssen.
»Eigentlich sind es zwei, über die wir geredet haben, auf einem muss eine Azalee sein, auf dem anderen ein Kind, das ein Wegkreuz küsst, wenn ich das richtig verstanden habe.«
Das berührte sie wieder, und ehe sie das Gespräch beendeten, bat sie: »Grüß diese Frau von mir und sag ihr danke.«
»Danke wofür?«
»Einfach danke«, sagte sie und legte auf. Inzwischen war die Schallplatte abgelaufen. Um sie zu wenden, musste sie aufstehen, und da sie schon einmal stand, beschloss sie, durchs Haus zu gehen. Sie wäre dieser Wichmann nun gern näher gewesen und wollte nach Spuren suchen, aber dann öffnete sie doch als Erstes den Sekretär, um einen neuen Anlauf zu machen, die gestrichene Passage auf dem Testamentsentwurf mit Adamos Namen zu entziffern. Das war zwecklos, dafür entdeckte sie, dass Frau Wichmann mit Vornamen Galatea hieß und fand auch das sonderbar bewegend - obwohl sie von der Sage um Acis und Galatea, die sie im Mittelschulunterricht gelesen hatten, nur erinnerte, dass Galatea >milchweiß< hieß und dass einer dummen Eifersucht wegen Blut geflossen war.
Und gleich war die Sehnsucht wieder da, dieser Galatea nah zu sein. Sie ging hoch ins Schlafzimmer, legte sich aufs Bett und roch an den Kissen, dann ließ sie den Kopf sinken, betrachtete die Zimmerdecke und versuchte, das Gefühl zu begreifen, das sich in ihr breitmachte. Es war eine Sehnsucht, die nichts Konkretem entsprang, schon gar nicht einem Gefühl der Leere oder des Mangels. Tatsächlich fühlte sie vor allem eine Gewissheit (von der sie keine Ahnung hatte, woher sie kam), dass wirkliche Ruhe oder »Lebensfrieden«, wie ihr durch den Kopf schoss, nur aus der Verbindung mit dem Gegenpol, dem ganz Andren entspringen konnte und dass diese Verbindung wiederum so explosiv war, dass sie allenfalls für Augenblicke glückte. »Lady Chatterley«, dachte sie, »vielleicht auch dieser Acis und Galatea«, denn inzwischen dämmerte ihr, dass Acis ein Hirte gewesen war und Galatea eine Nymphe oder Göttin. »Oder aber eine Galatea Wichmann und ein Adamo Costa.«
Das dachte sie inzwischen ganz ohne Eifersucht, eher fühlte sie Trauer. Denn diese Flüchtigkeit einer wahrhaft großen Vereinigung hielt sie in ihrer momentanen Gefühlslage für so grundlegend für das menschliche Empfinden, dass sie sich und Galatea Wichmann überhaupt nicht mehr als getrennte Wesen sah, sondern ihr war - und das hatte wieder etwas fast Wollüstiges -, alles Weibliche sei irgendwie über Raum und Zeit miteinander verbunden, und die Trennung in Einzelne, alle Eifersucht und Rivalität, sei nur einer ärgerlichen und oberflächlichen Mode oder Konvention geschuldet.
Efgenia hatte eine ganze Weile so gelegen (die Platte war längst abgelaufen), als sie sich mit einem Seufzer erhob, der sie für einen Augenblick wie eine Prinzessin oder eben eine Lady Chatterley fühlen ließ, dann nahm sie ein Buch zur Hand, das aufgeschlagen auf dem Nachttisch lag.
Galatea, entdeckte sie, las mit Bleistift und Lineal (einem nur fingerlangen Elfenbeinstäbchen, auch der Bleistift war elfenbeingefasst), und dies, obwohl das Buch eines gewissen...
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