Schweitzer Fachinformationen
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Ein Strahlenparadiesvogel. Das ist es, was ich bin.
Alex dreht den Kopf. Neben der Küchentür hängt ein Foto von dem kleinen Kerl, auf das er sehr stolz ist. Es zeigt den Vogel, wie er den Waldboden reinigt, bevor er mit seinem Balztanz beginnen kann. Ein magischer Moment und eigentlich unmöglich festzuhalten. Zumindest für einen Hobby-Ornithologen. Vor zwei Jahren aber ist es ihm gelungen.
Mitten im Nirgendwo Neuguineas und nur mithilfe seines Guides Kpangba. Mit dem und einigen anderen Vogelnerds hatte er sich bereits mehrere Tage lang in den dichten, oft etwas unheimlichen Wäldern versteckt und auf den seltenen Vogel gelauert. Kaum atmen konnte er, als Kpangba ihn plötzlich am Arm zog, ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen aufforderte und dann in Richtung einer winzigen Lichtung zeigte.
Dort hatte der samtschwarze Vogel gerade begonnen, die verwelkten Blätter von den Ästen am Rand der kleinen Lichtung zu putzen und seine Bühne als krönenden Abschluss noch mit Beeren zu schmücken. Es war faszinierend, ihm zuzusehen. Und doch nichts gegen den Balztanz, der darauf folgte. Alles, um seine Paarungspartnerin zu beeindrucken, denkt Alex. Genau, wie er es gerade versucht.
Und das muss ich heute tun. Beeindrucken auf allen Ebenen.
Mit dem Ärmel seines karierten Hemdes wischt er sich ein bisschen Schweiß von der Stirn und öffnet das beschlagene Küchenfenster. Er nimmt die ebenfalls beschlagene Brille von der Nase, legt sie auf ihren Platz auf dem Fensterbrett und sieht sich um.
Die Kerzen brennen, der Tisch ist gedeckt, das Essen fertig. Cha Bongkia Mriet Kmoa. Garnelen in Karamellsoße mit schwarzem Pfeffer. Ein kambodschanisches Gericht und Lauras Lieblingsessen. Ein Blick auf den Reiskocher. Noch fünf Minuten, dann ist auch der rote Jasminreis so weit.
Alex hält inne. Authentisch wäre Anchor Beer, wovon er noch einige Dosen im Vorratsschrank hat. Aber Laura trinkt kein Bier. Also muss der chilenische Sauvignon blanc herhalten, den er sich vor einiger Zeit gegönnt hat. Das ist es wert. Ein perfektes Essen mit dem perfekten Wein stimmt schließlich jeden milde.
Mit dem Geschirrtuch wischt er über das Fenster des Backofens. Beim Blick auf sein Spiegelbild hält Alex inne und denkt noch einmal an den dunkelblauen Vogel mit den saphirblauen Augen. Bis auf die Augenfarbe haben die beiden leider keine Gemeinsamkeiten. Das ganze Aufräumen und Herausputzen der Wohnung ist nämlich keine Balz. Denn heute Abend wird es keinen Sex für ihn geben. Das steht schon mal fest.
Heute geht es um etwas Existenzielleres. Ums blanke Überleben nämlich.
Alex schließt das Kochbuch und stellt es ins Regal hinter dem Esstisch zwischen Malaysische Köstlichkeiten und Korea Kulinarisch. Mit einem Kopfschütteln richtet er die Buchrücken so aus, dass sie wieder gerade in einer Reihe stehen.
Das alles ist Antonios Schuld. Alex kocht gerne für Laura, das ist nicht das Problem. Was er allerdings nicht gerne tut, ist, ihr etwas zu verheimlichen. Doch damit ist heute Schluss. Wie geplant werden sie gleich gemütlich die letzten Feinheiten der Hochzeit durchgehen.
Nach ein, zwei Gläsern Wein wird die Stimmung hoffentlich gelöst sein. Gelöst genug, dass sein verheerendes Geheimnis vielleicht sogar im Wein untergeht.
»Dein Herrchen ist ein richtiger Trottel.«
Alex dreht den Kopf in Richtung seiner rechten Schulter. Dort hat Eleonora Platz genommen und drückt ihr graues Gefieder an seine Wange. Er dreht den Kopf noch weiter und lässt sich von der winzigen Zunge kitzeln, die über seine Nase huscht.
Viel Trost spendet ihm ihre Zärtlichkeit nicht.
Denn genau das ist er. Ein Trottel. Schließlich kennt er seinen besten Freund Antonio schon sehr, sehr lange. Seit die neue Klassenlehrerin mit dem tiefsten Berliner Dialekt und einem aufmunternden Lächeln auf den kleinen dunkelhaarigen Jungen zeigte, neben dem Alex in der neuen Klasse sitzen sollte.
Der dreizehnjährige Antonio sah interessiert zu ihm auf, und obwohl Alex sich kaum traute, ihm in die Augen zu sehen, war seit dem ersten Moment klar, dass sie Freunde sein würden. Und Komplizen.
»Mein Alex ist ein wahrer Engel.«
Damit hatte seine Mutter bis dahin immer geprahlt.
Eigentlich hätte es aus ihrem Mund kein größeres Kompliment geben können. Sie lebte in einer Welt, in der Engel und Kristalle und Tarotkarten eine ebenso wichtige Rolle spielten wie, dass eine schwarze Katze nicht vor einem die Straße überqueren und man keinen Spiegel zerbrechen durfte.
Trotzdem standen die Männer, mit denen sie letztlich zusammenkam, die sie bewunderte und nach denen sie ihr Leben ausrichtete, in absolutem Kontrast zu dem, was sie da an Alex lobte. Angefangen bei seinem Vater. Und kongruent weitergeführt bei Martin. Mit dem hatte sich seine Mutter nach dem Tod seines Vaters zusammengetan und in der Folge Alex von einem winzigen Nest auf Rügen nach Berlin umgesiedelt.
Das mit dem Engeldasein hatte auf jeden Fall in dem Moment ein Ende gefunden, als Alex auf Antonio traf. Denn der überzeugte ihn gleich zu Beginn ihrer Freundschaft davon, ihrer Französischlehrerin ein Furzkissen auf den Stuhl zu legen.
»Das ist das perfekte Verbrechen«, hatte Antonio versichert. »Mit den blauen Augen und den gebügelten Jeans würde das nie einer von dir erwarten.«
Leider hatte Alex vergessen, dass er das Kissen mit seinem Namen versehen hatte. Das tat er automatisch und mit allem, was er besaß. Obwohl es da eigentlich niemanden gab, der ihm seine Sachen hätte streitig machen können. Bis auf den einen oder anderen Cousin vielleicht.
Alexander Wolf stand da. Kaum sichtbar eigentlich. Außer, jemand suchte akribisch nach einem Beweis - was Madame Bernard nach der beschämenden Tat natürlich tat.
Als Antonio dann einräumte, der Drahtzieher des Attentats gewesen zu sein, wurde Alex von seinem bis dahin einzigen Freund weggesetzt, und seine Noten verschlechterten sich dramatisch. Weil er sich verliebte - auf so dramatische Art, wie nur pubertierende Jungs es können.
Keine Matheaufgabe der Welt, keine noch so wohlklingende Französischvokabel konnte seinen Blick von den langen Wimpern, dem roten Haar und der kleinen Lücke zwischen den Vorderzähnen seiner neuen Banknachbarin ablenken.
Für seine Gefühle der neuen Sitznachbarin gegenüber konnte Antonio natürlich nichts. Allerdings war er der Kopf hinter dem Furzkissenanschlag gewesen und trug damit indirekt die Schuld an dem Hormonschub, den Alex empfand, wann immer sein Arm den von Antonios Zwillingsschwester berührte.
Kurz gesagt: Zumindest jetzt, als Dreiunddreißigjähriger und mit zwanzig Jahren Antonio-Erfahrung, hätte Alex es besser wissen müssen. Also, dass man Antonio besser nicht in wichtige Prozesse und Entscheidungen einbezieht. Doch wen nimmt man zur Wahl des Hochzeitsanzugs mit, wenn nicht den besten Freund?
»Ist das wirklich das, was du dir vorgestellt hast?«, fragte Antonio und zeigte auf den schwarzen Frack, den Alex gerade zurechtrückte. »Und noch dazu der Zylinder . Irgendwie siehst du ein bisschen peinlich berührt aus, wenn ich das mal so sagen darf.«
Hätten Blicke töten können, hätten sich die Augen der Verkäuferin in eine Harpune verwandelt und mit voller Wucht Antonios Brustkorb zerfetzt. Gerade hatte sie Alex noch versichert, er sähe aus wie Ryan Gosling.
»Unser Motto lautet Winter-Wonderland.« Das sagte Alex sehr leise und ohne Enthusiasmus. In der Hoffnung, dass der Rest der Kunden des großen, piekfeinen Herrenausstatters ihn nicht hören konnte. »Und ein Zylinder ist da anscheinend obligatorisch. Genauso wie Kunstschnee und tonnenweise Eukalyptus. Du bekommst übrigens auch so einen.«
Alex nahm den Zylinder ab und warf ihn seinem Freund zu. Antonio bekreuzigte sich und ließ sich zurück auf die Rückenlehne des roten Samtsofas fallen, das vor der zu kleinen Umkleidekabine stand. Warum hatte der Laden eine riesige Verkaufsfläche, aber winzige Umkleidekabinen? So klein, dass es sich anfühlte, als würde Alex bei jeder Bewegung an irgendeine Wand stoßen. Kein Wunder, dass ihm der Schweiß langsam vom Haaransatz den Rücken runterlief. Noch einmal drehte sich Alex vor dem Spiegel von einer Seite zur anderen. Nur um festzustellen, dass sein Freund recht hatte.
Die breite hellblaue Krawatte schnürte ihm die ohnehin stickige Luft ab und die eng geschnittene schwarze Hose die muskulösen Beine. Vielleicht war er einfach nicht gemacht für diese Sachen. Er war kein englischer Lord. Er war ein deutscher Informatiker.
»Ist das wirklich so schlimm, wie ich denke?« Alex drehte sich zu Antonio und streckte die Arme von sich.
Sein Freund sah ihn an und presste konzentriert die Lippen aufeinander.
»Was ist? Du explodierst doch gleich. Spuck's aus.«
Eine Eigenschaft, die Alex an seinem Freund schätzt, ist, dass er zu allem eine Meinung hat. Die ist nicht immer politisch korrekt. Aber ehrlich ist sie. Immer und ohne Filter.
»Ich will mich nicht einmischen .«, antwortete Antonio und schüttelte den Kopf.
»Natürlich willst du das. Du lebst dafür, dich einzumischen. Also los, sag schon.«
Antonio presste die Lippen aufeinander und ließ einen Schwall Luft entweichen. »Ist ja gut, ist ja gut. Aber erinnere dich bitte daran, dass du mich praktisch dazu gezwungen hast, dir die Wahrheit zu sagen, okay?«
Alex nickte, obwohl er schon nicht mehr sicher war, ob er wissen wollte, was sein Freund zu sagen hatte.
Antonio räusperte sich, was der typische Auftakt für einen seiner sehr langen Monologe war. »Dank Friedas tausend Freundinnen war ich schon bei vielen Hochzeiten...
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