Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Während Anna darauf wartete, dass die Gynäkologin ins Behandlungszimmer zurückkam, schloss sie für einen Augenblick die Augen. Erst jetzt nahm sie wahr, wie Kalle vor der Tür mit dem kleinen Jungen spielte, der schon mit seinem Spielzeugboot den blauen Spannteppich befahren hatte, als sie das Wartezimmer betraten. Kalle kommentierte lauthals, als wäre er ein Sportmoderator: »Und eben erreicht das Boot die erste Boje und wendet, immer noch liegt es vorn - doch hoppla, was ist das? Die Crew steuert die Meerenge an, das Boot verlässt die Lagune und segelt aufs offene Meer hinaus, erreicht das Kap der Guten Hoffnung .« Der kleine Junge kreischte vor Vergnügen, zweifellos war das Kap der Guten Hoffnung seine schwangere Mutter.
Anna lachte, obwohl ihr überhaupt nicht danach war, dann hörte sie die Kreppsohlen der Gynäkologin auf dem Linoleum im Flur quietschen und öffnete wieder die Augen. Ihr Blick fiel auf das Maiblatt eines medizinischen Monatskalenders, das gegenüber dem Patientenstuhl an der Wand hing und den schematischen Aufriss einer schwangeren Frau zeigte, dann war Frau Dr. Meyer bei ihr und reichte ihr zwei Packungen eines Schwangerschaftstests.
»Der hier sollte etwas zuverlässiger sein«, sagte sie. »Allerdings sind diese Tests absichtlich so konzipiert, dass sie eher mal eine Schwangerschaft zu viel anzeigen als eine zu wenig.«
»Das ist ja auch vernünftig«, sagte Anna, doch die Enttäuschung saß zu tief. Seit Kalle und sie das Studium beendet hatten, versuchte sie schwanger zu werden. Nun endlich, erstmals seit zwei Jahren, war ihre Periode ausgeblieben, und auch den Selbsttest aus der Apotheke hatte man positiv interpretieren können. Das hatte gereicht, um bei ihr ungezügelte Euphorie auszulösen. Kalle hatte vergeblich versucht, sie zu beschwichtigen, doch natürlich hatte er recht gehabt: Die Testergebnisse hier, bei der Gynäkologin, waren klar negativ.
»Wenn Sie möchten, testen wir noch Ihre Fruchtbarkeit«, bot Frau Meyer an, während sie die Abgabe der Testsets in der Akte vermerkte.
Anna schüttelte den Kopf. »Schon geschehen«, sagte sie müde. »Kalle hat sich auch schon testen lassen.«
»Vielleicht bilden Sie auch Antikörper gegen seine Spermien«, erklärte Frau Meyer, »es gibt tausend Gründe für eine ausbleibende Schwangerschaft. Manche davon lassen sich beheben, andere nicht.« Sie schloss die Akte. »Ich schlage vor«, sagte sie und stand auf, »Sie versuchen es noch ein paar Monate, und wenn Sie feststellen, dass das Ganze Sie zu sehr stresst, melden Sie sich wieder, und wir gehen die Sache von Grund auf an.«
Und ob sie gestresst war - selbst während der unfruchtbaren Tage konnte sie nicht mehr mit Kalle schlafen, ohne sich unauffällig in eine der Positionen zu hieven, die den Ratgebern zufolge die größte Chance versprachen, schwanger zu werden. Doch sie nickte stumm, steckte die Schwangerschaftstests ein und verließ das Zimmer.
»Und wieder stranden wir am Kap der Guten Hoffnung«, kommentierte Kalle gerade, »der Weg scheint versperrt, doch da tut sich etwas auf .« Gemeinsam mit dem kleinen Jungen kniete er vor dessen Mutter, die stoisch wie ein Buddha im Wartesessel saß und Kaugummiblasen blies, das Segelboot war zwischen ihrem Knöchel und dem Stuhlbein eingekeilt, seufzend hob sie den Fuß und gab den Weg frei. Anna stellte fest, dass die drei das Bild einer perfekten Familie abgaben, und nicht zum ersten Mal schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass Kalle mit einer anderen Frau vielleicht glücklicher wäre, dass sie nicht das Recht hatte, ihn an sich zu binden, wenn sie mit ihren Familienplänen scheiterten. Doch gleich erhob er sich und strahlte sie an, als sei sie ein völlig unerwartetes Geschenk.
»Fehlanzeige«, sagte sie eilig, damit er sich keine falschen Hoffnungen machte. »Und ich hatte schon gehofft, ich könnte mich um die Doktorarbeit drücken«, fügte sie mit einem knappen Lächeln hinzu.
Kalle umarmte sie, doch sie ließ nicht zu, dass er sie tröstete, stattdessen strich sie ihm übers Haar und flüsterte: »Sei nicht zu enttäuscht, ja?« Während sie sich umarmten, sah sie mit leichtem Ekel und doch fasziniert über seine Schulter hinweg zu, wie die Mutter des Jungen eine große Kaugummiblase platzen ließ.
»Ich bin nicht enttäuscht«, stellte Kalle klar, während sie sich voneinander lösten und ihre Jacken anzogen.
»Wie spät ist es?«, fragte Anna.
»Zwölf«, antwortete er, »und du brauchst endlich eine Uhr.«
»Nicht, solange ich dich habe«, sagte sie und zog seinen verwurstelten Kragen aus dem Ausschnitt. »Wir müssen übrigens noch einkaufen gehen, ich habe Golombiewski versprochen, etwas Leckeres zur Sitzung mitzubringen.«
»Ich fasse es nicht«, sagte Kalle. »Erst kümmern wir uns mal um dich.«
Anna sah ihn befremdet an. »Ich bin okay«, versicherte sie ihm. »Mit mir muss niemand Mitleid haben.«
Also besorgten sie zuerst in der Konditorei Fiedler Kuchen für den Lehrstuhl, dann bekam Kalle seinen Willen und entführte sie zur Mittagsvorstellung ins kommunale Kino. Gezeigt wurde ein leicht bizarres Frühwerk von Massimiliano Torra in Schwarz-Weiß, Perdono, Giulietta! war sein Titel. Während der Vorspann lief, hatte Kalle Popcorn und Cola besorgt, und Anna war in sich gegangen und hatte beschlossen, seine Fürsorge zu genießen, so gut es ging. Sie lehnte sich an seine Schulter und fühlte seine Wärme - jetzt erst bemerkte sie, wie verloren sie sich fühlte. Sie vergoss sogar ein paar Tränen und brauchte eine Weile, bis sie dem Film Beachtung schenken konnte. Er spielte in einer sonderbaren Unzeit, halb heute, halb Novecento. Ein hoffnungsfroher Student versuchte die mandeläugige Giulietta zu erobern, die sich kokett in einem Olivenhain versteckte, an dessen Ende sich die Treppe zu einem wunderbaren toskanischen Palazzo emporschwang. »Warte auf mich, Giulietta«, rief der Student, während er ihr nacheilte, und schwenkte seine Mütze, »so warte doch und renn nicht weg!« Doch kaum hatte er Giulietta hinter einem Baumstamm erspäht und war ihr nachgeeilt, verschwand sie wieder, nur ihre Armbanduhr schimmerte noch kurz in der hitzeflirrenden Luft. Das Pathos der Szene, das so gar nichts mit dem wirklichen Leben gemein hatte, brachte Anna zum Lachen, sie küsste Kalle auf die Backe und flüsterte: »Es war doch gut, hierherzukommen.«
»Hör zu«, sagte Kalle, anstatt zu antworten, »jetzt kommt's.«
Denn mittlerweile hatte der Student im Geäst eines Olivenbaumes eine Ukulele gefunden. Er angelte sie sich, stützte den Fuß in eine Windung des knorrigen Stammes, legte das Instrument an und brachte Giulietta ein Ständchen.
»Ach, wäre ich deine Longines«, sang er mit heller Stimme, »du trügest mich am Arm, ich sagte nicht mehr als: >Giulietta, es ist Zeit!<, und du gäbest mir warm .«
Und tatsächlich lockte das eigenartige Lied das mandeläugige Mädchen, das mittlerweile hinter die Säulen des Palastportals geflohen war, aus dem Versteck. Kalle bot ihr Popcorn an, gleichzeitig fühlte Anna eine sonderbare Rührung. »Wären die Gefühle im wirklichen Leben doch auch so klar und einfach«, dachte sie. Verträumt lauschte sie dem Gesang des Studenten, gleichzeitig ärgerte sie sich etwas über Kalle, der so hartnäckig darauf bestand, dass sie vom Popcorn nahm.
»Jeder Galan würde dir sagen: >Giulietta, Sie haben da aber eine sehr nette Uhr!< Und gingst du auch ins Bett mit ihm, umfasst hielt ich dich nur .«, sang der Student, als Anna endlich in den Eimer griff, um Kalle zufriedenzustellen, und im Popcorn etwas ertastete, das dort nicht hingehörte, etwas Kälteres, Hartes. Eine Sekunde verging, bevor sie begriff, dass sie eine Uhr in den Fingern hielt, und eine zweite, bis ihr dämmerte, dass Kalle gerade eine ausgeklügelte Liebeserklärung inszenierte. Sie lachte schallend, die Wirklichkeit stand dem Film in Sachen Kitsch mit einem Mal um nichts mehr nach. Im Halbdunkel musterte sie die Armbanduhr, es war eine Herrenuhr. Sie entzifferte die Marke, natürlich handelte es sich um eine Longines.
»Geschenkt?«, fragte sie - noch schwankte sie zwischen peinlicher Berührtheit (das hier war wirklich zu pathetisch) und ehrlicher Rührung darüber, dass Kalle sie auch nach vier Jahren noch immer mit Liebesbeweisen überraschte, als müsste er sie täglich neu gewinnen. »Du Spinner!«, raunte sie, »die ist .«
>Wunderschön< wäre das passende Wort gewesen, doch das Licht im Saal reichte nicht aus, um ihr Aussehen einzuschätzen, und da Anna Heuchelei so wenig ertrug wie Mitleid, sagte sie nur: ». gewiss sehr schön.«
Kalle lachte. »Die Uhr ist, sagen wir mal, halbschön«, antwortete er, »doch wenn man dem Internet glauben darf, hat Einstein dieselbe getragen, es ist also eine Uhr für die Allerbesten. Eigentlich solltest du sie bekommen, wenn du den Doktor gemacht hast. Und keine Sorge, ich habe sie nicht gekauft, sie ist ein Erbstück von Tante Lissi, beziehungsweise von ihrem Papa.«
Anna stutzte, Tante Lissi war seit zwei Jahren tot. Sie wusste, wie schwer es ihm fiel, Geheimnisse für sich zu behalten. »Wo hattet du sie die ganze Zeit versteckt, du Bastard?«, fragte sie und kitzelte ihn aus.
Kalle wehrte sich verzweifelt, während er sich bemühte, die Cola nicht zu verschütten. Anna ließ erst von ihm ab, als die wenigen anderen Kinobesucher sich nach ihnen umdrehten. Mit einem Auge sah sie wieder auf die Leinwand, während sie sich die Uhr umband. Giulietta wagte sich soeben aus dem Schatten des Palasts, um sich Stufe um Stufe dem Studenten zu nähern, dessen Musik sie sichtlich umgarnte.
»Und trüge man...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.