Schweitzer Fachinformationen
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Scheiß auf den Feiertag. Ich lasse ihn mir ausbezahlen. Für die Verantwortung, die ich übernehme, verdiene ich ohnehin zu wenig. Soll sie nicht herummeckern, die Auerbach, mit ihrem Sekretärinnen-Blabla, von wegen das sei nicht möglich, man könne das nicht einfach so umschichten, es sei gesetzlich vorgegeben, dass man die Urlaubstage verbrauchen müsse und so weiter und so fort. Ihre Piepsstimme am Telefon, mit ihr zu plaudern ist doch immer wieder ein Fest! Da fühle ich mich gleich wunderbar hineinversetzt in die österreichische Bürokratie oder ins bürokratische Österreich, da kann ich mich für einige Minuten aufgehoben fühlen. Einfach nur die Auerbach reden lassen, das Handy auf Lautsprecher schalten, sich zurücklehnen, und während ihr dünnes Stimmchen durch den Raum tiriliert, sich vorstellen, wie es zugeht in all den Büros dieses Landes, wie die Stempel niedersausen auf die Dokumente, wie die Unterschriften hingefetzt werden, die Daten eingegeben, wie die kleinen hässlichen Bilderrahmen auf den billigen Schreibtischen glänzen, mit den Fotos der Ehemänner und Kinder darauf, und hinter den Fotos der Ehemänner und Kinder, versteckt, die Fotos der Liebhaber.
Dem Taxifahrer, der vom Alter her eigentlich schon im Ruhestand sein oder in einem Sarg zwei Meter unter der Erde liegen müsste, nenne ich den Namen des Museums. Er kennt es nicht, nur das Haupthaus in der Innenstadt. Vom Aussehen her - dunklere Hautfarbe, üppiger grau-weißer Vollbart, bunte Kleidung - dürfte er gebürtiger Inder oder Pakistani sein. Aber daran liegt es nicht. Niemand kennt das Museum, außer jene, die sich ernsthaft für zeitgenössische Kunst interessieren. Ich nenne ihm die Adresse. Er tippt sie in sein antik anmutendes Navigationsgerät.
»Dort draußen gibt es ein Museum?«, fragt er mit leichtem Akzent.
»Ja«, sage ich und stoße einen Lacher aus, »leider.«
»Warum leider?«, sagt er, dreht seinen Kopf etwas nach rechts und sieht mir durch den Rückspiegel in die Augen. »Ein Museum ist doch etwas Gutes.«
»Das schon«, sage ich, »aber es sollte den richtigen Standort haben.« Nach einigen Sekunden nickt er und wiederholt:
»Den richtigen Standort«, murmelt er in seinen gepflegten Bart. »Ja, das schon.«
»Die Kulturstadträtin«, sage ich, als er beschleunigt, »hat sich vom Bürgermeister unter Druck setzen lassen, und dieser von den Wählerinnen und Wählern. Sie wissen ja, die Außenbezirke driften nach rechts ab. Und der einzige Plan, der den Politikerinnen und Politikern einfällt, ist, dass die Kunst das retten muss, was sie nicht auf die Reihe kriegen. Das Absurde ist, dass sich in Simmering kein Mensch für Kunst interessiert. Was denen dort tatsächlich gefallen würde, wäre ein neues Stadion oder zumindest eine große Mehrzweckhalle, damit noch mehr Leute auf einmal Holiday on Ice, Passion for Horses oder Masters of Dirt sehen können. Damit würden sie punkten, damit bekämen sie ihre Wählerstimmen zurück. So aber sind es nichts anderes als Perlen vor die Säue«, erzähle ich dem Taxifahrer.
»Wie bitte? Was haben Sie gesagt?«, fragt der und nimmt zwei kleine weiße Stöpsel aus den Ohren. »Haben Sie mit mir gesprochen?«
Ich überlege, ob ich ihm mein rechtes Knie durch die Lehne in den Rücken rammen soll, atme zweimal tief durch und gebe ihm mit ruhiger Stimme zu verstehen, dass ich überhaupt nichts gesagt hätte. Ich öffne die Handtasche. Die Tablettenpackung sieht aus wie jede andere auch, ihr Anblick eine Zumutung. Die Pille drücke ich aus dem leise knisternden Blister, lege sie, nachdem ich genug Speichel angesammelt habe, auf meine Zunge und ziehe sie in die Mundhöhle hinein. Ich lege den Kopf zurück und schlucke.
Dass ich für eine Schwangerschaft keine Zeit hätte, steht außer Frage. In drei Wochen eröffnet meine erste Ausstellung in der Belvertina mit Arcus' Performance. Vieles ist nach wie vor unerledigt. Und die nächste Ausstellung wartet schon auf ihre Realisierung. Um jedes Detail muss gestritten werden. Will ich ein spezielles Munken-Papier für den Katalog verwenden, muss darum gestritten werden. Will ich eine mit dem Künstler eng befreundete Südtiroler Punkband, die sich auf sozialpornografische Texte spezialisiert zu haben scheint, für die Eröffnungsparty einfliegen lassen, muss darum gestritten werden. Die Direktorin hat mich noch nicht ins Herz geschlossen, das lässt sie mich spüren. Erst wenn die Besucherzahlen stimmen, wird sie mir mit ausgebreiteten Armen entgegenkommen, dann wird sie aufhören, mich mit Frau Doktor anzusprechen. Sie wird womöglich immer noch per Sie mit mir sein, aber zur Abwechslung immerhin meinen Vornamen verwenden.
Wenn ich aufs Klo muss, dann möchte ich dort bitte nicht kotzen müssen. Wegen übermäßigen Alkoholkonsums? Soll sein. Wegen eines Embryos, eines kleinen Aliens in meiner Gebärmutter? Sicherlich nicht! Gebärmutter, welch kranke Bezeichnung für ein Organ. Schwanger sein, das geht nicht. Das ging nie. Es wird nie gehen. Außerdem habe ich zu schmale Hüften. Sollen schön brav die Simmeringerinnen ihren Nachwuchs werfen, damit sie, wenn ihre Kinder einmal älter sind, diese für einen Bastel- oder Fotoworkshop in die Belvertina schicken können, dann haben die maßlos überforderten Eltern drei Stunden Ruhe für die Zeugung des nächsten Stinkers. Ich kann nichts dafür, dass ich nicht mit Kindern kann, nichts mit ihnen anfangen kann. Ich bin keine Mutterfrau. Das Wort Mutter passt nicht in mein System. Ein Baby nähme mir mehrere Jahre meiner Lebenszeit. Ich sehe es in den Augen der Mütter. Dass sie längst keine Energie mehr haben. Dass die Kleinen nichts anderes als Energiefresser sind. Es reicht denen nicht, dass sie die Milch aus den Brüsten saugen, das ist nur der Anfang, die wollen mehr und immer mehr, und wenn sie dann in die Pubertät kommen, treten sie einem zum Dank für die täglichen Mühen in den Arsch. Kein Mann riskiert seine Karriere für einen Winzling, auch wenn er noch so lieb dreinschaut. Aber wir Frauen haben selbstlos zu sein. Wir sollen uns, unsere Leben, unsere Ziele, unsere Träume doch diesem scheinbar höheren Zweck hingeben, der kein Geld einbringt, keinen Ruhm. Fehlte es mir an Intelligenz, wer weiß, ob ich mich nicht darauf einlassen würde, so aber spiele ich nicht mit. Und es ist ja nicht so, dass sie nicht süß wären, die kleinen Scheißer. Wenn ich sie betrachte, so wie ich ein Kunstwerk betrachte, das sich unkontrolliert bewegt und zufällig abstrakte Laute von sich gibt, eine lebende Installation quasi, dann könnte ich sie glatt mögen. Aber im Arm halten? Nein. Franz West hat uns dazu animiert, seine Kunstwerke in die Hand zu nehmen, mit ihnen zu spielen, auf ihnen Platz zu nehmen. Eine Ausnahme, die die Regel bestätigt. Mittlerweile (da Franz West jetzt kein Veto mehr einlegen kann) darf niemand mehr auf seinen Plastiken Platz nehmen. Die Restauratorinnen und Restauratoren sowie die Sammler können wieder aufatmen. Die Sammler sind immer männlich. Sammlerinnen gibt es nicht. Die haben kein Geld. Und warum? Na, weil sie Kinder haben!
»Oh«, meint der Taxifahrer mit breitem Grinsen, und als wäre er stolz, es bis hierhin geschafft zu haben. »Ein sehr schönes Museum.«
»Es ist das letzte von Zaha Hadid entworfene Gebäude«, sage ich. »Aus ihrem Grab heraus hat sie es hingestellt.«
»Beachtenswert«, sagt er, lenkt das Auto in eine freie Parklücke und starrt mit offenem Mund durch die Fensterscheibe. »Wie heißt der Architekt?«, fragt er und dreht sich zu mir um. »Zacher Habicht?«
»Die Architektin hieß .« Ich halte kurz inne und sage: »Ja, der Architekt hieß Zacher Habicht. Genau so hat er geheißen.«
Die Chipkarte halte ich zum Lesegerät, das so tief an der Außenmauer angebracht ist, dass ich das Gefühl nicht loswerde, der Eingang ist für Kleinkinder konzipiert. Es macht klack, die Tür öffnet sich mit einem lautlosen Schwenken ins Gebäudeinnere. Mit dem Lift fahre ich in den sechsten Stock des gläsernen, geschwungenen Turms, der seitlich an die zweistöckige Ausstellungshalle geklebt wurde. Beim Eingang ins Büro wird abermals die Chipkarte benötigt. Bald werde ich sie noch zum Einschalten des Computers benötigen, und in dreißig Jahren darf ich wahrscheinlich nicht mehr scheißen gehen, ohne davor mit der Chipkarte über die Klobrille gefahren zu sein, damit die Leute vom Personalmanagement die Kackfrequenz im Auge behalten können, die Konsistenz der hinterlassenen Ware begutachten, meine Gesundheit optimieren, denn eine kranke Mitarbeiterin ist keine gute Mitarbeiterin. Auch eine...
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