Schweitzer Fachinformationen
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Arcus beobachtete, wie die Sonne ihre Strahlen durch die vom Wind sanft bewegten Blätter der Linde stieß, sodass er seine Augen zusammenkneifen musste, um nicht geblendet zu werden.
»Der Fernseher bringt in HDR viertausend Nits auf den Teller«, hatte Johannes zu ihm gesagt, nachdem er, mit dem exakt gleichen Stolz wie sein Vater, wenn er ein frisch ausgestopftes Tier ins Wohnzimmer gestellt hatte, ihn das erste Mal in Betrieb genommen hatte. »Achtundneunzig Zoll, 8K-Auflösung, eine künstliche Intelligenz rechnet die Bilder hoch. Der spielt alle Stücke.«
Die Arbeiter hatten den Raum gerade eben verlassen mit ihren Leitern und Bohrmaschinen und all dem anderen Werkzeug, für das Johannes mit Sicherheit keine genaue Bezeichnung gefunden hätte.
»Und viertausend Nits sind gut?«, hatte Arcus seinen Bruder gefragt, der ihn mit einem verächtlichen Blick bedachte.
»Wenn ich dir erzähle, dass mein Porsche Cayenne Turbo GT sechshundertvierzig PS hat, fragst du mich dann auch, ob sechshundertvierzig PS gut sind?«
»Willst du die Antwort darauf wissen?«, hatte Arcus gemeint und versucht, die Beleidigung wie an einem aufgespannten Regenschirm abperlen zu lassen. Johannes, hörte er nicht auf, sich einzureden, war eben pathologisch gehässig und konnte nichts für seine Art.
»Warum interessierst du dich eigentlich nicht für normale Dinge?«, hatte Johannes Arcus gefragt.
»Du meinst, damit wir uns unterhalten können?«, fragte Arcus.
»Vielleicht«, meinte Johannes. Kurz sah er enttäuscht aus.
»Ich weiß es nicht«, gab Arcus zu verstehen. »Ich weiß ja nicht einmal, was du unter normal verstehst. Für mich ist es normal, nicht über Autos zu reden, nicht über die neuesten Spielzeuge der Tech-Companies, nicht über .«
»Ich verstehe schon«, hatte Johannes ihn unterbrochen. »Nicht über Partys, nicht über Drogen, nicht über Girls, nicht über Geld. Du sprichst über nichts, das Spaß macht.«
Arcus hatte schmunzeln müssen und die Schultern gehoben.
»Langweiler«, hatte Johannes hinzugefügt. Er hatte seine Fassung mittlerweile wiedererlangt, seine Coolness, seine Maske, und sein Blick hatte sich verhärtet.
»In meinem Kopf«, hatte Arcus darauf entgegnet, »ist es nicht langweilig.«
Arcus senkte den Kopf, sein Blick fuhr über den dicken Baumstamm der Linde. Dann weiter nach unten, zu den Ansätzen der Wurzeln, die neben dem furchtbar exakt geschnittenen Gras in die Erde fuhren, bis er wieder am Fensterbrett direkt vor ihm ankam, wo der tote Vogel, sagte sich Arcus, hätte liegen müssen. Aber er lag nicht mehr da, der Vogel, hatte sich still und heimlich aufgerappelt, hüpfte auf der Stelle im Kreis und war auch nicht mehr tot! Er drehte Arcus den Kopf zu, neigte ihn ruckartig nach links und rechts, als frage er sich, wie er auf die wahnwitzige Idee gekommen war, einem Menschen so nahezukommen. Und dann hob er ab und flog zum nächstgelegenen Ast. Einfach so.
Arcus blieb kaum Zeit, dieses kleine Wunder einzuordnen, da vernahm er ein leises Klopfen. Überrascht zog er seinen Oberkörper zurück ins Horrorkabinett, ins Wohnzimmer, ins Jagdzimmer und fragte sich, ob es ein Einbrecher war, der erfahren hatte, dass das Haus neuerdings leer stand und geplündert werden konnte. Aber dann sagte er sich, dass ein Einbrecher mit ziemlicher Sicherheit nicht anklopfen würde. Ein höflicher Einbrecher?
Eine Frau stand im Schatten der Tür. Sie nickte, sagte hallo und fragte vorsichtig, ob sie hereinkommen könne.
»Ah, Maria«, sagte er, nachdem er sie an der samtenen Stimme erkannt hatte. »Komm doch herein! Ich stehe, wie du dir denken kannst, dieser Tage etwas neben mir.«
»Verständlich«, meinte Maria. »Mein herzliches Beileid wegen Ihres großen Verlusts.«
»Bitte«, sagte Arcus, »wollen wir nicht endlich per du sein? Sonst entsteht hier ein eigenartiges, hierarchisches Gefälle, mit dem ich nichts zu tun haben will.«
»Wenn Sie wollen«, sagte Maria. Und grinste. »Ich meine: Wenn du willst, sehr gerne.«
»Ich habe übrigens nichts Großes verloren«, meinte Arcus mit ernsten Gesichtszügen. »Zumindest nichts, das ich nicht schon vor langer Zeit verloren hätte.« Maria schaute Arcus an, als könne sie seine Gedanken nicht nachvollziehen.
»In drei Tagen findet das Begräbnis statt«, sagte Maria.
»Ja.«
»Ich werde für die Blumen sorgen«.
»Ja, danke. Aber bitte keine Blumenkränze. Ich kann sie nicht leiden.«
»Dann muss ich die stornieren«, sagte sie und zögerte.
»Ich bitte darum.«
»Und in zwei Wochen .«, stammelte sie.
»Ja? Was ist in zwei Wochen?«
»In zwei Wochen beginnt der August. Und da frage ich mich . also ich frage mich, ob Sie . ich meine du . ob du mich weiterhin als Gärtnerin benötigst?«
»Ach so«, rief Arcus aus, räusperte sich und wirkte im ersten Moment von der Frage überrumpelt. »Aber natürlich!«, presste er hervor.
Als wäre eine Last von Marias Schultern gefallen, atmete sie erleichtert auf.
»Wie viel haben dir meine Eltern eigentlich bezahlt?«, fragte Arcus nach einer kurzen Pause.
Maria antwortete nicht sofort. »Um die zweitausendfünfhundert«, sagte sie schließlich leise, als wäre es ihr peinlich.
»Brutto?«
»Ja. Und das ist ein gutes Gehalt, ich weiß .«
»Nein«, unterbrach er sie. »Das ist kein gutes Gehalt für einen Fulltime-Job, kein gutes Gehalt für die Betreuung solch eines Anwesens.«
Maria zog die Augenbrauen hoch.
»Maria?«
»Ja?«
»Du bist eine wunderbare Gärtnerin.«
»Danke«, meinte Maria.
»Aber kannst du auch kochen?«
»Äh . ja«, sagte sie zögerlich. »Ich koche sogar sehr gerne.«
»Gut«, sagte Arcus. »Das ist sehr gut. Und wie sieht es mit Saugen und Staubwischen aus?«
»Du willst wissen, ob ich es mag?«, fragte Maria und musste lachen.
»Schau, Maria«, begann Arcus. Er machte einen Schritt auf sie zu. »Ab August verdienst du um zweitausendfünfhundert Euro mehr, also fünftausend.«
»Wie bitte?«
»Netto«, sagte Arcus. »Versteht sich von selbst. Und dann gibt es zusätzlich zum Weihnachts- und Urlaubsgeld ein doppeltes Gehalt zum Geburtstag. Wann hast du Geburtstag? Oder bevorzugst du den Namenstag? Wir können beides nehmen, ja, das machen wir. Außerdem wäre es nicht verkehrt, die Vier-Tage-Woche einzuführen, meinst du nicht auch? Und sieben anstatt fünf Wochen Urlaub erscheinen mir angemessen. Sieben Wochen Mindesturlaub, ja, so machen wir das, und darüber hinaus kannst du ihn verlängern, solange du willst, unbegrenzt und nach eigenem Ermessen.«
Maria sagte nichts, hielt sich an der Rückenlehne des Sofas fest.
»Ich brauche etwas zu essen«, sagte Arcus. »Ich meine nicht jetzt, sondern generell. Deshalb hätte ich gerne, dass du für mich kochst. Und auch andere haben Hunger. Wir werden eine Gulaschkanone besorgen, damit du regelmäßig am Mödlinger Bahnhof die Obdachlosen und Bedürftigen sättigen kannst.«
Maria sah ihn mit großen Augen an und wollte schon etwas sagen, da sprach Arcus weiter: »Und ich will nicht, dass das Haus völlig verdreckt, wenn du verstehst, was ich meine. Diese Aufgabe wäre also auch noch zu übernehmen. Und wenn du willst, kannst du gerne, anstatt hier in der Villa die obersten Regalbretter abzustauben, alleinerziehenden Müttern in Mödling unter die Arme greifen. Ich weiß, das ist viel, was ich von dir verlange. Aber ich will einfach keine Armada von Koch- und Reinigungsmenschen, die hier täglich herumwuseln. Die muss ich leider alle entlassen. Natürlich mit einer mehr als angemessenen Abfertigung. Du übernimmst den Staubwedel, den Kochlöffel, die Gartenschere. Du übernimmst das Ruder. Kannst du das? Ich mag es simpel.«
»Du magst es simpel«, wiederholte Maria und räusperte sich.
»Und es gäbe noch ein, zwei Bedingungen.«
»Ja?«, fragte Maria vorsichtig. »Welche?«
»Du lässt das Gras etwas wachsen«, sagte Arcus. »Ich möchte nicht, dass es hier aussieht wie in einem Golfclub. Und du stutzt die Thujen bitte nicht mehr. Weißt du was? Wie wäre es, wenn du sie gleich entwurzeln lässt und etwas anderes entlang des Zauns hinpflanzt? Wäre das möglich?«
In Marias mandelförmigen, braunen Augen, zwei von einem Fluss glatt geschliffenen Steinen, begann etwas dunkel zu leuchten. Sie nickte.
»Und ich hätte gerne andere Blumen«, meinte Arcus. »Ich mag keine Rosen, keine Narzissen, keine Orchideen. Das ist mir alles zu hübsch, zu hochgezüchtet, zu unecht. Pflanzen, die auch im Wald auf einer Lichtung wachsen könnten, kommen mir in den Sinn. Etwas Knorpeliges. Etwas Wildes, Natürliches. Etwas, das nicht auffällt, zumindest nicht auf den ersten Blick, verstehst du, was ich meine? Narzissen und dergleichen sind solche penetranten Hingucker. Als würden sie immerfort schreien: Seht mich an, wie schön ich bin, wie perfekt. Aber das Leben ist nicht perfekt, es ist manchmal ganz grauslich. Und dann ist es wieder so einzigartig schön, dass es einem weh tut.«
Marias Blick war nach innen gerichtet, als ließe sie die Enzyklopädie aller Pflanzen, die sie in ihrer Berufslaufbahn kennengelernt hatte, durch ihren Kopf ziehen.
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