Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Dieses Kapitel beleuchtet die methodischen Eckpfeiler des Forschungszugangs in der systemischen Organisationsberatung: die Kunst des Schleifengangs, das Anfertigen von Beschreibungen 2. Ordnung, die Wege und Weisen der Wahrnehmung und wie man sie lenkt. Es beschreibt die methodischen »Leitplanken« systemische Haltung, Sehe-Punkte und systemische Prämissen, an denen Beraterinnen sich beim Anfertigen von Beobachtungen 2. Ordnung ausrichten.
Es folgt eine Schilderung der systemischen Fragen, die helfen, ein komplexes System zu erkunden, und gleichzeitig als Interventionen wirken, weil sie die Befragten in die Reflexion und zu neuen Wahrnehmungen führen. Schließlich wird die Interpretationsarbeit, das Hypothesenbilden, erklärt, das nach dem Prinzip der theoriegeleiteten Praxis jeder Intervention vorausgeht.
Von Soeffner (1989, S. 23) stammt die Aussage:
»Wer über die Akte der Deutung nichts weiß und sich über ihre Prämissen und Ablaufstrukturen keine Rechenschaftspflicht auferlegt, interpretiert [.] einfältig, d. h. auf der Grundlage impliziter, alltäglicher Deutungsroutinen und Plausibilitätskriterien.«
Reichertz (2005, S. 520) ergänzt:
»Auf den Punkt gebracht, besagen diese Forderungen, dass der, welcher seine Beobachtung verstehen will, auch seine eigene Handlung des Verstehens [.] beobachten muss.«
Wie gelingt valides Verstehen? Was sind die angemessenen heuristischen Methoden, die die Wahrnehmung und Theoriebildung von Beobachtern 2. Ordnung lenken sollten?
Kurt Lewin hat die Form des Forschungsprozesses im Action-Research-Ansatz definiert als Spirale von aufeinanderfolgenden Schleifen, die jeweils aus einer Schrittfolge von Planung und Durchführung von Handlungen mit anschließender Datenerhebung über ihre Auswirkungen besteht; das ist die Action-Survey-Schleife.
Abb. 3: Die Action-Survey-Schleife (nach: French a. Bell 1982, p. 109, zit. nach Staehle 1999, S. 594)
Sie beginnt mit Wahrnehmung von Problemen durch den Klienten, die ihn veranlassen, Berater anzufragen. Diese erheben Daten, erstellen eine Diagnose, die sie an den Auftraggeber zurückspiegeln. Mit dem Feedback des Klienten entsteht eine gemeinsame Problemdiagnose, die Basis ist für eine gemeinsame Planung und Durchführung von Aktionen. Dann beginnt eine neue Schleife von Datenerhebung, Diagnoserstellung durch Berater, Rückspiegelung an den Klienten mit Aktionsplanung usw.
Die Vorstellung, dass ein Vorgehen in Schleifen bzw. die Aneinanderreihung von Schleifen zu einer Spirale ein geeignetes Modell für den Forschungs- und Erkenntnisprozess darstellt, ist nicht neu. Nach Friedrich Ast (zit. nach Wikipedia, »Hermeneutik«), besteht der Verstehensprozess eigentlich im »Vorauswerfen« von Vorwissen mit anschließender Sinnerschließung (eines Textes z. B.), wodurch sich das Vorwissen weiterentwickelt. Die Hermeneutik kennt dazu den Begriff des hermeneutischen Zirkels.
»Die Vorstellung eines Zirkels (d. h. [einer] Kreisbewegung) bildet dabei die Tatsache ab, dass es keinen objektiv beginnenden und linearen, direkt zielführenden Weg zum Sinn [.] gibt, sondern der Verstehende sich erstens bereits in einer verstehenden Annäherungsbewegung befindet und dabei zweitens, wenn nicht sich schlicht nur >im eigenen Kreise drehend<, sich dem Verstehensziel bestenfalls analog einer Spirale annähert, ohne das angestrebte Ziel Verständnis unmittelbar erreichen zu können« (Wikipedia: »Hermeneutischer Zirkel«).
Für Systemiker gilt die Grundmechanik des »Schleifengangs« ganz generell für psychische und soziale Strukturen:
»Solche Systeme sind selbstorganisiert und erhalten ihre Grenzen und ihre Form nur dadurch, dass ihre internen Prozesse kreisförmig im Sinne von Feedbackschleifen organisiert sind« (Simon u. Rech-Simon 1999, S. 275).
Der Schleifengang ist explizit die heuristische Grundform der systemischen Organisationsberatung:
»Die systemische Schleife stellt ein einfaches Prozessmodell dar, welches die systemische Haltung zum Ausdruck bringt: >Ich möchte verstehen, was läuft. Wir müssen zuerst Hypothesen bilden, reflektieren, nicht gleich agieren.< Dieses Basismodell besteht aus mehreren Schritten: Zuerst sammeln wir Informationen, bilden Hypothesen, bevor wir die Interventionen planen und durchführen« (Königswieser u. Hillebrand 2004, S. 45 f.).
Die systemische Schleife ist Modell für einzelne Schritte im Beratungsprozess wie auch für den gesamten Beratungsprozess.
»Innerhalb dieser Zeitachse geht es aber nicht linear, sondern eher spiralförmig zu« (ebd.).
Die systemische Schleife (Abb. 4) versucht, das, was in Sekundenbruchteilen in unserem Gehirn abläuft, wenn wir handeln müssen, künstlich in vier getrennte Schritte zu unterteilen, die jeweils bis zur »Sättigung« durchgeführt werden:
das reine Beobachten, das Sammeln von Informationen
das reine Interpretieren
das Generieren von Handlungsoptionen im Brennglas eines Anliegens/Interesses, das für einen Handlungskontext relevant ist
das Bewerten und Auswählen bestimmter Handlungsoptionen und das Handeln.
Die systemische Schleife entspricht der Schrittfolge der Action-Survey-Schleife.
Abb. 4: Die systemische Schleife (nach Königswieser u. Exner 1998, S. 24)
Die systemische Schleife bildet den gestaltenden Forschungszugang der systemischen Organisationsberatung ab: Nach dem Action-Research-Motto »Keine Theorie ohne Praxis« werden im ersten Schritt Informationen zusammengetragen. Dann werden Hypothesen über Funktionsmuster des Systems aufgestellt. Nach dem Motto »Keine Aktion ohne Theorie« folgen nun die Interventionen der Berater, die die Wahrnehmung der Personen und in der Folge deren Prozesse der Sinn- und Bedeutungsgebung sowie die Kommunikationsanschlüsse des sozialen Systems verstören wollen. Das Bild der aufeinanderfolgenden Schleifen vermittelt das rekursive und iterative Vorgehen in der Beratung.
Heinz von Foerster wird die Prägung des Terminus »Kybernetik der Kybernetik« bzw. »Kybernetik 2. Ordnung« zugeschrieben. Den Wissenschaftern der Macy-Konferenzen, die die allgemeinen Funktionsweisen des menschlichen Geistes erforschen wollten, wurde klar, dass sie ja genau diesen Geist benutzten, um ihn zu beschreiben. Als Konsequenz daraus ergab sich die Forderung, dass die Modelle der Kybernetik (Kybernetik 1. Ordnung) auch die Modelle der Modellbauer (Kybernetik 2. Ordnung) umfassen müssten.
Auch die qualitative Sozialforschung kennt dieses heuristische Paradigma. So schreibt Schütz:
»Wissenschaftstheoretisch gesehen, bilden die Sozialwissenschaften eine Besonderheit, da ihre Daten auf Interpretationen von Akteuren beruhen« (zit. nach Brüsemeister 2000, S. 18).
Diesbezüglich wird von einer »doppelten Hermeneutik« gesprochen, weil es sich um eine »Kunst der Interpretation von jedermanns >Interpretationskunst< handelt« (Willems 2005, S. 49).
Wenn systemische Organisationsberater die Handlungs- und Deutungsmuster in einem sozialen System untersuchen, sind sie in einer vergleichbaren Position: Sie sind Beobachter 2. Ordnung, die das System dabei beobachten, wie es seine Welt konstruiert (Beobachtung 1. Ordnung); dabei sind sie selbst Teil des Beratungssystems, das sie beobachten.
Beschreibungen 1. Ordnung sind die Wirklichkeitskonstruktionen, die das System selbst anfertigt. In einem Konfliktsystem kann z. B. eine Seite in einem Verhalten x eine »schwere Grenzüberschreitung« sehen, während die andere Seite von einem »Missverständnis« spricht. Beide Konstrukte sind Beobachtungen bzw. Beschreibungen 1. Ordnung der Akteure. Die Beobachtung 2. Ordnung der Beraterin adressiert das Muster: Die Sichtweisen der Konfliktpartner gehen auseinander; sie interpretieren das Verhalten X sehr unterschiedlich.
Beschreibungen 1. Ordnung sind methodisch relativ einfach zu fassen. Es gibt sie haufenweise, sie sind prinzipiell leicht zugänglich. Folgende Informationsquellen führen Beraterinnen zu den Beschreibungen 1. Ordnung eines Systems:
Selbstbeschreibungen des Systems auf Websites, in Jahresberichten, Produktbeschreibungen, Mitarbeiterzeitungen sowie in Artefakten wie Raumgestaltung, Dresscode, Umgangsformen...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.