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In der ersten Dezemberwoche 2019 erhielt ich eine Mail von Günter. Mittwochabend FaceTime? Postwendend sagte ich dem Anruf zu und bereitete einige Fragen für das Interview vor. Im Vorfeld wuchs der Gedanke in mir heran, dass eine chronologische Aufteilung, beginnend in der Kindheit, am meisten Sinn machte. Schließlich kannte nicht jeder Günter Löchner so gut wie seine engsten Vertrauten. Als der Anruf via FaceTime kam, setzte ich mich aufrecht hin und ging ran. Günter grinste mir entgegen und war offensichtlich ebenso gespannt wie ich. Dieses Mal stach mir zuallererst Günters Umgebung ins Auge. Offensichtlich befand er sich weder in seinem Büro, noch auf seiner Farm. Tatsächlich saß er gemütlich auf einem Sofa, in einer orientalisch angehauchten Wohnung. Sein braungebranntes Gesicht fiel mir als nächstes auf.
»Hallo Günter, wo bist du?« schoss es aus mir heraus und ich erntete ein weiteres verschmitztes Lächeln.
»Nabeul. Es gibt viel zu tun.«, damit war alles klar. Günter war zur allmonatlichen Visite in seinen L-mobile Standort nach Tunesien gereist. Da ihm der persönliche Austausch mit seinen Mitarbeitern am Herzen liegt und er auch unseren Kollegen aus Deutschland die Gelegenheit bieten wollte, sich mehr zu vernetzen, mietete er sogleich dauerhaft eine Wohnung mit drei Gästezimmern an, in der er sich gerade auf einem Sofa sitzend befand.
»Wollen wir gleich loslegen?« ich bejahte und besann mich sogleich auf Günters Ansage, dass ich in unserem Projekt den Hut aufhatte. Ohne viel Umschweife klärte ich ihn über das heutige Thema auf.
»Lass uns heute ein wenig über Familiengeschichte sprechen. Konkret meine ich deine Kindheit, insbesondere die Farm.« nun ist es Günter, der zufrieden lächelte und nickte.
»Soll ich einfach anfangen zu erzählen?« fragte Günter als ich nichts hinzuzufügen hatte.
»Ich bitte darum.«
Daraufhin hielt Günter einen Moment inne, suchte sich eine bequeme Position auf dem Sofa und begann zu erzählen:
Günter Löchners Familie väterlicherseits stammt aus Murrhärle, einem kleinen Dorf mit hundert Einwohnern drei bis vier Kilometer nordwestlich von Murrhardt, einem Städtchen im schwäbischen Wald. Die Geschichte der Löchners reicht weit zurück - ohne Schwierigkeiten lassen sich die letzten einhundertundfünfzig Jahre zurückverfolgen und die lokale Ansässigkeit in Murrhärle belegen. Günters Urgroßvater Reinhold Löchner besaß eine Land- und Forstwirtschaft im schwäbischen Wald. Das Gut umfasste ursprünglich ein sehr großes Gebiet und wurde durch Erbschaften (Erbrecht Teilung) über die Generationen hinweg immer weiter zerkleinert. So konnte sich Günters Urgroßvater Reinhold noch an einen großen Hof erinnern, der mit dem Auge kaum zu fassen war. Doch bereits zwei Generationen (Reinhold hatte fünf und sein Sohn Karl zehn Kinder) und viele erbliche Teilungen später, übernahm Günters Vater, Günter Eugen Löchner, das Gut und reichte es schließlich an seinen Sohn weiter.
Günters Eltern konnten sich weitestgehend selbst versorgen, was im Murrhärle der 1960er Jahre keine Seltenheit war. So besaß die Familie Kühe, Schweine, Hühner und baute Getreide, Kartoffeln und Rüben an und kümmerten sich auch um die mehreren Waldstücke, die zum Besitz gehörten. Wer jetzt allerdings annimmt, dass die Familie Löchner ein Leben im Überfluss führte, irrt sich. Ganz im Gegenteil. Das tägliche Leben war geprägt von Fleiß, Disziplin und harter Arbeit. Bevor die Sonne aufging, waren die Löchners bereits auf den Beinen und schufteten bis spät abends. Mit der Nachkriegszeit setzte die zunehmende Landflucht auch in Murrhardt ein. Viele Landwirtschaften verkleinerten sich, oder schlossen ganz. Die Gutsherren verkauften ihren Besitz zu geringen Preisen, zogen in die Städte und suchten sich eine Arbeit in der Industrie. Auch Eugen Löchner war dazu gezwungen seine Tätigkeiten dem Zeitgeschehen anzupassen und aus einem Vollerwerbsbetrieb einen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb (auf dem eigenen Hof) zusätzlich einer Stelle bei Bosch als Staplerfahrer nachzugehen.
Günters Eltern Elsbeth und Eugen Löchner 1981 - Quelle: Günter Löchner Privatarchiv
Günters Mutter Elsbeth stammte aus Hohenstraßen, einem kleinen Dorf in der Nähe von Schwäbisch Hall. Hohenstraßen und Murrhärle trennen sechzehn Kilometer, oder dreißig Minuten mit dem Auto voneinander. In Hohenstraßen besaßen Elsbeths Eltern einen bekannten Gasthof inklusive einer kleinen Landwirtschaft. Wie in ländlichen Regionen üblich lebte der Gasthof von seinen Gästen, die gerne in Form eines Stammtisches auf einen Leberkäs vorbeikamen (der Gasthof wird als der grüne Baum als kleine Gaststätte heute noch betrieben). Darum ist es nicht weiter verwunderlich, dass Eugen Löchner früher oder später auf seine Elsbeth traf. Als sie schließlich 1957 heirateten, war Eugen mit seinen dreiunddreißig Jahren bereits verhältnismäßig spät dran. Nach der Hochzeit verließ Elsbeth Hohenstraßen und zog zu Eugen nach Murrhärle in das 1907 erbaute Elternhaus.
Die frühen Ehejahre waren geprägt von harter Arbeit und der Erziehung der Kinder. Günter (geb. 1959) und seine Schwester Hannelore (geb. 1961) nahmen Elsbeths Aufmerksamkeit zusätzlich zu der ganzen landwirtschaftlichen Arbeit voll in Beschlag. Von klein auf war es den Eltern wichtig den Wert von Arbeit zu vermitteln. Dabei schrieben sie sich vor allem das Motto Vorbild führt auf die Fahnen und nahmen die Kinder überallhin mit. Häufige Besuche im Wald stellten eher die Norm, als die Ausnahme dar. Günter wuchs mitten im Grünen auf und empfand seit jeher eine große Liebe und Verbundenheit zur Natur.
An dieser Stelle im Gespräch konnte ich mir die Farm bereits lebhaft vorstellen. Es fehlte nicht mehr viel und ich hätte die frische Luft eingeatmet, mich aufs Gras geworfen und den Sonnenuntergang beobachtet.
»Welcher Geruch erinnert dich an deine Kindheit?« die Worte kamen, während ich träumerisch den imaginären Wald betrachtete - eigentlich schaute ich auf mein Word Dokument. Günter schmunzelte und erklärte feierlich:
Frisch gesägte Eiche, oder Sägemehl im Allgemeinen.
Die ersten Lebensjahre waren von vielen Aktivitäten auf dem Hof geprägt. Zu Günters frühesten Erinnerungen zählte der große Wald in dem er mit seinem Vater arbeitete und lange Spaziergänge machte, das frühe Aufstehen, die Versorgung der Tiere und die Tatsache, dass er den Hof fast nie verließ. Als Selbstversorger gab es kaum einen Grund dazu. Einen Kindergarten besuchte Günter nicht. Der Hof war seine Krippe.
In den 1960ern haben sich Günters Eltern darauf fokussiert im wahrsten Sinne des Wortes zu ackern. Aus heutiger Sicht beschreibt Günter die Arbeitseinstellung seiner Eltern wie folgt:
Meine gesamte Familie war überaus arbeitsam, hat aber nicht immer wirtschaftlich intelligent gehandelt und sich dadurch einiges an unnötiger Arbeit aufgehalst.
Elternhaus in Murrhärle 1959 - Quelle: Günter Löchner Privatarchiv
Günter 1960 - Quelle: Günter Löchner Privatarchiv
Gearbeitet wurde an sieben Tagen in der Woche, so etwas wie Urlaub gab es nicht. Einzig für die Kinder gab es Abwechslung. In den Ferien sind sie immer nach Hohenstraßen zu Hedwig und Hermann (Elsbeths Geschwistern) gefahren und haben dort zwar auch mitgeholfen, im direkten Vergleich zur Landwirtschaft ging es allerdings entspannter zu.
Heute umfasst die Löchner-Farm acht Hektar Feld, Wiese und Acker, sowie zwölf Hektar Wald. Zu Zeiten von Günters Eltern wurde noch im Mischbetrieb gearbeitet. Sowohl Milch- und Mastvieh, Schweine, Hühner, Ackerbau mit Kartoffeln und natürlich der Wald standen an der Tagesordnung. Viel hat dies jedoch nicht eingebracht - es reichte nur zum Selbstversorgen.
Die Arbeit auf dem Hof hat Günter für sein Leben geprägt:
Ich habe mein Leben lang bei meinen Eltern mitgeholfen. An vielen Abenden stand ich bis dreiundzwanzig Uhr draußen auf dem Acker und hatte das Ziel die Landwirtschaft groß zu machen. Ich war voller Tatendrang und mit Hingabe bei der Sache. Mein Vater wollte die Farm aber so lassen wie sie war. Er wollte kein Risiko eingehen, keine Veränderung vorantreiben und bloß nicht auffallen. Dagegen kam ich in jungen Jahren nicht an und es hat mich schließlich für einige Jahre fortgetrieben.
Es gab immer viel zu tun. Aus heutiger Sicht elementare Dinge erforderten großen Aufwand. So gab es beispielsweise keine Wasserversorgung im Haus. Ein Trog im Stall diente als Wasserquelle für den täglichen Bedarf. Mehrmals täglich wurde Wasser geschöpft zum Kochen, zur Hygiene, Wäsche und vor allem zur Versorgung der Tiere.
Den Hof verließ Günter erst mit...
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