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Kathmandu, 1977: In wenigen Tagen werden wir unserem abenteuerlichen Leben eine neue Richtung geben. 777 Tage ist es her, dass Juliana und ich im Bulli von daheim aufgebrochen sind, unsere Familien, die Berufe, kurz, das alte Leben komplett hinter uns gelassen haben.
Mehr als zwei Jahre lang war der T1 unser Zuhause. Zweimal haben wir mit ihm Afrika durchquert, haben uns später im bitterkalten Winter über verschneite Pässe durchs wilde Afghanistan vorgearbeitet und dann über Indien und Ceylon zum Himalaja-Staat Nepal durchgeschlagen.
Es fällt schwer, uns hier in Kathmandu von unserem Bulli Methusalem zu trennen.
Doch unser nächstes Ziel ist Australien. Manche Grenzen dorthin sind für Autoreisende geschlossen, und die Inseln Asiens mit dem Auto zu bereisen wäre kompliziert, vor allem aber wegen der Schiffspassagen zu teuer .
Wir hatten über den Verkauf unseres T1 nachgedacht. Vermutlich hätte das geklappt - allerdings nicht legal. Und das wollen wir nicht. Um die offiziellen Ausreisestempel in unsere Papiere zu bekommen, haben wir uns entschieden, den Bulli der nepalesischen Zollbehörde zu schenken. Eine durchaus übliche Praxis in diesen Tagen.
Gestern Abend haben wir unseren ganz persönlichen Abschied vom Bulli zelebriert: stilvoll mit Kerzen und Blumen. Dazu gab es gebratenen Reis mit Zwiebeln, Erbsen, Paprika und Karotten. Ein würdiger Festschmaus für Globetrotter, die gut zwei Jahre am Stück on the road sind. Zur Feier des Tages haben wir uns statt Tee etwas Stärkeres gegönnt: Kukri Special, einen Schnaps, so scharf wie ein Gurkha-Messer. Kostenpunkt laut Julianas akribisch geführter Einkaufsstatistik: 2 Mark 64 Pfennige.
Zwanzig Stunden später: Wir hocken auf dem Fußboden unseres leer geräumten T1 und machen eine letzte Bestandsaufnahme. Die originalen Westfalia-Sitzbänke und -Schränke habe ich heute Morgen ausgebaut und für umgerechnet 100 Mark an andere Traveller verkauft. Auch vieles andere haben wir verhökert: die schweren Sandbleche, den in Afrika immer wieder zusammengebrochenen und geschweißten Dachgepäckträger. Selbst die selten benutzte klobige Eberspächer-Standheizung fand einen Abnehmer.
Dort, wo während unzähliger Reisekilometer unsere rot bezogene Westfalia-Sitzbank stand, sieht man jetzt auf das nach innen gewölbte metallene Halbrund der Reserveradhalterung. Ich schieße mit meiner Minolta-Spiegelreflexkamera noch schnell ein Selbstauslöserfoto von uns beiden inmitten dieses Idylls. Vielleicht erwartet man in diesem Moment Abschiedsschmerz. Natürlich: Wir wissen, dass wir mit diesem Bulli ein besonderes Kapitel unseres Lebens geschrieben haben. Unvergesslich zwar . Jetzt aber blicken wir nach vorn!
Am Tag darauf geht eine Nachricht der nepalesischen Zollbehörde bei uns ein: Man ist auf unsere Anfrage hin bereit, unseren T1, Baujahr 1961, kostenfrei zu übernehmen. Als Gegenleistung erhalten wir den offiziellen Ausreisestempel in das internationale Zolldokument Carnet de Passages.
Am 9. Juni 1977 liefern wir unseren VW-Bus beim Zollamt am Flughafen von Kathmandu ab. Bei der Schlüsselübergabe kriege ich dann doch weiche Knie. »Keine Sentimentalitäten!«, rufe ich mich zur Ordnung und fasse Julianas Hand.
Als wir am 12. Juni in der Propellermaschine nach Rangun in Burma sitzen und einen letzten Blick auf das Zollgelände mit dem einsamen Bulli erhaschen, wische ich mir verstohlen eine Träne aus dem Auge.
Über vierzig Jahre ist das her. Born to be free war schon damals das Motto unseres Lebens, Mobilität und Freiheit unser Lebenselixier. Und derjenige, mit dem wir die ersten großen Abenteuer unseres Lebens erlebt haben, spielt noch immer eine zentrale Rolle: der Bulli, egal ob als T1, T2, T3, T4 oder T5.
Als wir kürzlich in Argentinien am Aconcagua standen, dem höchsten Berg des amerikanischen Doppelkontinents, erfuhren wir per WhatsApp, dass unser zuvor gekaufter T5 bei einem Profiausbauer daheim erfolgreich zum Offroad-Camper mutiert war. Für Juliana und mich war das an diesem Tag das zweitschönste Geschenk. Das allerschönste: Wir feierten gerade auf halber Höhe des (Fast-)Siebentausenders unseren 50. Hochzeitstag, zünftig vor atemberaubender Bergkulisse. Nur wir beide. Ausgelassen zum Beat der Rolling Stones! Vielleicht klingt das ein wenig verrückt. Aber so war unser Leben immer. Denn seit fünfzig Jahren sind wir gemeinsam on the road.
Und du, Bulli, warst während der spannendsten und prägendsten Momente unseres Lebens dabei. Mit dir erfuhren wir die Welt!
Ich schreibe diese Zeilen unmittelbar nach Rückkehr von einer zweijährigen Südamerikareise. Während dieses Abenteuers zwischen Feuerland, Amazonas und Anden begegneten wir vielen, die wie wir das unbekannte Neue hinter dem Horizont suchen. Auch Bulli-Fahrer mit den frühen Modellen T1 und T2 waren dabei.
Wir trafen aber auch Menschen, für die der Bulli noch immer ein Lastesel im Alltag ist. So wie kürzlich spätabends in Rio de Janeiro am Strand von Copacabana, wo gut gelaunte Arbeiter die Tische eines Straßencafés zusammenklappten und auf dem Dach ihres T2-VW-Busses stapelten. Der »Kombi«, wie er hier genannt wird, ist noch immer allgegenwärtig: als rollender Eis- oder Sandwich-Kiosk, zumeist jedoch als Verkaufs- oder Werkstattwagen kleiner Handwerker, aber auch größerer Versorgungsunternehmen. Als leiser Wassergekühlter mit dem Gesicht eines T2 (so was gibt es nur in Brasilien!) oder als Klassiker mit dem markanten Boxer-Sound des Luftgekühlten. Der Kombi do Brazil (den Begriff Bulli kennt dort keiner) erledigt heute zuverlässig noch genau das, was bei seinem Urahn vor siebzig oder sechzig Jahren im Nachkriegsdeutschland zu dessen Alleinstellungsmerkmal führte. In Brasilien wird dieser Weltbürger liebevoll velha senhora genannt: alte Dame!
Dies ist der Bericht über ein Auto, das seit siebzig Jahren die Welt begeistert. Es ist aber auch ein Kaleidoskop bunter Eindrücke über höchst unterschiedliche Menschen: solche mit dünnen oder dicken Geldbeuteln, Leute mit den verschiedensten Berufen, Menschen mit Träumen, die genug Abenteuerlust besaßen, auf den eigenen vier Rädern die Welt zu erobern. Bei manchen meiner Bulli-Gesprächspartner meldete ich mich vorher an, andere traf ich zufällig. Sie alle erzählen Geschichten, bei denen es letztlich immer wieder um einen geht: den Bulli!
Ein Kosename, der sich im Volksmund bei uns durchsetzte und vermutlich eine nette Verballhornung von »Bus« und »Lieferwagen« ist. Heute spricht jeder vom Bulli. Anfangs war dieser Begriff jedoch keineswegs gängig. Offiziell gehört der Name erst seit 2007 als geschützte Marke zu Volkswagen. Da nämlich erwarb der Konzern die Namensrechte von der Firma Kässbohrer, die seit 1969 den Namen »Pisten-Bully« für ein Spezialfahrzeug zum Präparieren von Skipisten und Loipen verwandt hatte. Vor zwei, drei Jahrzehnten wäre auch keiner jenseits der Klassiker T1 und T2 auf die Idee gekommen, den T3, T4 oder später gar den T5 als Bulli zu bezeichnen. Heute hingegen prangt der Schriftzug »Bulli« höchst offiziell auch auf einigen der neuesten T6-Modelle. Das eint die große, bunte VW-Bus-Familie noch mehr. Über die Jahre ist die Szene typübergreifend zusammengewachsen. Am meisten aber staune ich über das Phänomen, dass für den knuffigen T1 mit dem rustikalen Charme der mobilen VW-Anfangszeit Sammler und Liebhaber heute durchaus schon mal 20 000 Euro mehr auf den Tisch legen als für die schickste Variante des mit allen technischen Finessen ausgestatteten T6 Multivan.
Für dieses Buch sammelte ich Bulli-Geschichten. Dazu gehören auch die Geschichten jener, die dabei waren, als der VW-Bus nach dem viel zitierten Summer of Love vor über fünfzig Jahren zu jenem Vehikel wurde, mit dem sich auf einmal fast jeder die Welt erschließen konnte.
Am Anfang steht eine bunte Schar kalifornischer Hippies auf dem Weg zur kollektiven Selbstverwirklichung. Abenteurer, Aussteiger und Träumer, Greenhorns unterschiedlichster Couleur, zu denen auch Juliana und ich gehörten, folgten diesem Impuls. Wir brachen mit einem prickelnden Mix aus Vision, Wagemut und Blauäugigkeit in fremde Kontinente auf und glaubten, mit einem freundlichen Lächeln die Welt erobern zu können. Meist hat's geklappt . Ich glaube, keiner von uns wollte damals ins »Guinness-Buch der Rekorde« fahren. Wir brachen auf, weil wir neugierig und abenteuerlustig waren und die Freiheit auf der »Straße nach Irgendwo« suchten.
In diesem Zusammenhang wird neben der Flower-Power-Bewegung von San Francisco auch oft das Woodstock-Festival von 1969 genannt, wo Joe Cocker sang und Pete Townshend von The Who auftrat, der gern nach dem letzten Akkord von »We're Not Gonna Take It« seine Gitarre zu Kleinholz schlug. Derselbe Pete Townshend, der 38 Jahre später beim großen Bulli-Fest in Hannover die Fans mit »Magic Bus« zum Siedepunkt führte.
Klar, die Hippiebewegung hatte für viele junge Menschen Impulse gesetzt, sich selbst zu verwirklichen. Und die Rahmenbedingungen dazu stimmten Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre! Trotz kleiner Dellen ging's wirtschaftlich aufwärts, und der »kleine Mann« war auf einmal so mobil wie nie zuvor.
Aber ein guter Cocktail hat mehrere Zutaten . Bei uns hatte auf unpolitische Weise ein frischer Wind das Trauma der Kriegs- und die Mühsal der Nachkriegsjahre fortgepustet und uns Neugier und Optimismus unter die Flügel geblasen. Aufbruchsstimmung lag in der Luft. In die Musik der Beatles mischten sich indische...
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