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Im Münchner Scharfrichterhaus, Anno Domini 1489
»Zwei Silberkreuzer für eine Unze Armesünderfett? Wen hast du hingerichtet, den türkischen Großwesir?«
Benedikta sah Meister Hans ungläubig an, doch der Münchner Scharfrichter zuckte nur mit den Schultern. »Was soll ich machen? Ich habe eine Frau und sechs Kinder zu ernähren, und den räudigen Leitner Michel hab ich wegen Brandstiftung auf dem Scheiterhaufen hinrichten müssen. Drei Tage ist's jetzt her, da blieb nichts übrig außer Asche.« Der Henker beugte sich nach vorne, sodass Benedikta seinen weinsauren Atem roch, eine Laus krabbelte gemächlich durch Meister Hans' zottiges schwarzes Haar. Wie immer trug der Münchner Scharfrichter seinen blutroten Rock, das Zeichen seiner Zunft. Er war groß und stark wie ein Ochse, doch im Inneren weich wie Wachs, was jedoch nur die wenigsten wussten.
»Es ist ohnehin das letzte Fett, das ich habe«, murrte er. »Kannst froh sein, dass du es bekommst und nicht der windige Stadtphysikus aus der Sendlinger Gasse. Der hat auch schon gefragt.«
Benedikta seufzte, kramte zwei Münzen aus ihrer Rocktasche und schob sie über den Tisch. Sie saßen in der Stube des Scharfrichterhauses, unweit des Sendlinger Tors. Im Herrgottswinkel lehnte das Richtschwert neben einem Strauß verblühter Rosen, von der niedrigen, verrußten Decke hingen duftende Kräuter, die die Henkersfrau erst letzten Vollmond gepflückt hatte. Im Gegensatz zu den meisten Münchner Bürgern suchte Benedikta das verrufene Haus regelmäßig auf, und das sogar freiwillig. Als Hebamme brauchte sie immer wieder Tinkturen und Arzneien, die sie beim Henker weitaus billiger bekam als in der Apotheke am Alten Hof. Graues Mumia, gewonnen aus zerriebenen ägyptischen Mumien, hochprozentiger Theriak mit eingelegter Schlangenhaut oder eben das berühmte Armesünderfett, das der Scharfrichter aus den Leichen der Hingerichteten herstellte. Es galt als Allheilmittel, wirksam bei Entzündungen, Gicht, Zahnschmerzen, aber auch bei der gefürchteten Weißen Pest, die die Kranken solange Blut husten ließ, bis sie elendig krepierten.
»Wirst es nicht bereuen, ist allerbeste Ware von einem gehängten Dieb.« Lächelnd steckte Meister Hans die Münzen ein. Doch plötzlich verfinsterte sich seine Miene. »Na, vielleicht ist's ganz gut, dass der Leitner Michel zu Asche verbrannt ist.« Er schüttelte sich. »Nachts in meiner Kammer hab ich ihn nach der Hinrichtung flüstern gehört, so als spräch er direkt aus der Hölle mit mir.«
Benedikta seufzte leise. Sie kannte Meister Hans nun schon seit über zwanzig Jahren, und sie wusste, dass der Münchner Henker über die Maßen abergläubisch war. Wen wunderte es, bei all den Flüchen, die ihm seine Opfer auf den Weg zur Richtstatt entgegenschrien.
»Er war ein Brandstifter, und er hat seine gerechte Strafe bekommen«, sagte sie, bereits im Begriff aufzustehen. »Du musst dir keine Vorwürfe machen, Hans.«
»Und wenn er unschuldig war?«, fragte Meister Hans ängstlich. »Er hat erst unter der Folter gestanden, hat lange gedauert.«
»Unschuldig?« Benedikta zögerte. »Wie kommst du denn darauf?«
Der Henker senkte seine Stimme, so als habe er Angst, der tote Leitner Michel spuke noch immer irgendwo im Haus und könne ihn hören. »Das . das Fausttürmchen«, flüsterte er. »Es hat geglüht. Bei Gott, ich habe es selbst gesehen! Du weißt, es heißt, wenn die Spitze am Fausttürmchen glüht, ist ein Unschuldiger hingerichtet worden. Schon mein Großvater hat es uns damals erzählt.«
»Der Turm hat geglüht?« Benedikta grinste. »Vielleicht ja eher deine Nase, weil du besoffen warst.«
»Ich habe keinen Tropfen getrunken, ich schwöre es! Komm, ich zeig es dir.«
Gemeinsam gingen sie hinaus in den engen dunklen Flur und von dort in den Garten, wo die Kinder des Henkers im Dreck mit ein paar Murmeln und einem kotverschmierten Kreisel spielten. Das Scharfrichterhaus stand unweit der Münchner Stadtmauer und des Wehrgangs inmitten der Gasse, so als würde es nicht zu den umstehenden Häusern gehören. Umgeben war es von einer mannshohen Mauer, die einige Rosensträucher und ein Gemüse- und Kräuterbeet umschloss. Jetzt im Mai wuchsen darin Johanniskraut, Beinwell und Bibernelle, welche die Henkersfrau als Heilkräuter verkaufte. Nicht weit entfernt floss gurgelnd der Stadtbach unter der Stadtmauer hindurch.
Meister Hans deutete auf einen Wehrturm direkt hinter dem Gebäude, der von einem Kegeldach mit verwitterter, knaufförmiger Spitze gekrönt war. Tatsächlich erinnerte der Knauf an eine geballte Faust. Den Wachen diente der sagenumwobene Turm als Abort, wobei eine Rinne den Unrat in den Stadtgraben auf der anderen Seite beförderte.
»Es war in der Nacht nach der Hinrichtung«, berichtete Meister Hans leise. »Zuerst hab ich in meiner Kammer dieses Flüstern gehört. Als ich rausgegangen bin, um nach dem Rechten zu sehen, hat die Faust auf dem Dach geglüht! Der Nachtwächter, der alte Wilfried, hat es auch gesehen. Er meint sogar, dass der Turm schon öfter in letzter Zeit geglüht hat, und zwar immer in den Neumondnächten. Aber noch nie so stark! Also erzähl mir nicht, dass ich besoffen war.«
Nachdenklich betrachtete Benedikta die Spitze des Dachs mit der verwitterten Faust. Unwillkürlich überkam sie ein Schauer. Das Scharfrichterhaus und der Faustturm dahinter galten als Unglücksorte, die man, soweit es möglich war, mied. Wenn die Münchner Bürger durch das schattige Henkersgässlein gingen, schlugen sie ein Kreuz und eilten schnell weiter, Richtung Sendlinger Tor oder zum lärmenden Angerplatz, wo jedes Jahr im Sommer die Dult stattfand und das Leben und nicht der Tod regierte.
»Selbst wenn der Turm geglüht hat, du hast nichts zu befürchten«, beruhigte die Hebamme Meister Hans. »Du hast nur getan, was dir die Stadt aufgetragen hat.«
Der Henker seufzte. »Dein Wort in Gottes Ohr.« Er drückte Benedikta den Tiegel mit dem Armesünderfett in die Hand und verabschiedete sie am Gartentor.
Noch immer grübelnd ging Benedikta durch die Gassen des Angerviertels. Das Viertel, im Süden der Stadt gelegen, galt als die schmutzigste und verrufenste Gegend Münchens. Hier wohnten neben dem Henker auch der Totengräber und der Schinder; das berüchtigte Frauenhaus befand sich gleich in der Nähe, ebenso die stinkende Schlachterei. Doch gerade deshalb fühlte sich Benedikta hier wohl, sie war unter ihresgleichen, kannte jedes einzelne Gesicht, die meisten der Kinder im Viertel hatte sie zur Welt gebracht, und für viele von ihnen war sie wie eine Großmutter, die man wegen kleinerer Wehwehchen oder aber einem eigenen unwillkommenen Kind jederzeit besuchen durfte. Benedikta war bereits weit über fünfzig, die Haare grau, mit Runzeln im Gesicht wie Ackerfurchen, aber noch immer bei wachem Verstand. Die Münchner nannten sie eine weise Frau. Schon oft hatten die Leute sie um Rat gefragt - und auch heute schien jemand ihre Hilfe zu brauchen.
Vor dem kleinen windschiefen Hebammenhäuschen nahe des Angerklosters saß eine junge Frau, die Benedikta seit der Kindheit gut kannte. Sie hieß Julia, war die jüngste Tochter des städtischen Hundefängers und trug schon jetzt die gelbe Tracht der Hübschlerinnen. Sie heulte leise, ihre rechte Gesichtshälfte war blau angeschwollen, und Benedikta konnte sich bereits denken, wer dafür verantwortlich war. Eine Welle von Zorn überkam sie.
»Einer deiner Freier?«, fragte sie und beugte sich hinunter zu dem weinenden Mädchen. Die Schwellung ging bereits zurück, doch das Auge hatte sich entzündet, rote Schlieren zogen sich über die Pupille. »Wie lange ist das her? Verflucht! Du hättest früher zu mir kommen sollen!«
»Dann hätte mich die Joseffa verdroschen.« Julia schniefte. »Sie hat mich jetzt erst hergeschickt, als ich zu unansehnlich für die Mannsbilder geworden bin.«
Julia arbeitete im Münchner Frauenhaus, das an der Ecke des Roßmarkts lag, nur einen Steinwurf weit entfernt vom Henkershaus. Erst seit ein paar Jahrzehnten gab es ein Bordell in der Stadt, früher war der Scharfrichter für die Huren zuständig gewesen, und Benedikta glaubte fest, dass es ihnen unter dem Henker besser ergangen war als unter der jetzigen Frauenwirtin Joseffa Leinhartinger, die ihre Mädchen bis aufs Blut schröpfte.
»Wer ist es gewesen?«, fragte Benedikta schroff.
»Der . der Wachtmeister vom Angerviertel«, erwiderte Julia zitternd. »Der Jörg Brander, du kennst ihn. Vor drei Nächten war's, mit einem halben Dutzend seiner Kumpanen ist er noch spät in der Nacht gekommen, sie wollten saufen und feiern. Eigentlich war ja schon Sperrstunde, aber weil's der Wachtmeister war, hat ihn die Joseffa eingelassen.« Julia verzog ihr geschwollenes Gesicht. »Wahrscheinlich auch deshalb, weil ihr der Jörg eine Elle feinstes rotes Tuch geschenkt hat. Es war zwar nass und ein wenig fleckig, doch immer noch wunderschön. Daraus hat die Joseffa sich eine Haube gemacht, die sie nun heimlich trägt, obwohl das nur die reichen Bürgerinnen dürfen.«
»Eine ganze Elle Tuch? Das ist nicht eben billig. Gerade jetzt, wo die Preise so hoch sind.« Benedikta runzelte die Stirn. »Auf dem Marktplatz sagen sie, dass Seide gerade so teuer ist wie Gold.«
»Und es war nicht das erste Mal«, fuhr Julia fort. »Die Kerle kommen öfter, alle paar Wochen. Und jedes Mal bekommt die Joseffa ihr Tuch, und wir müssen den Herren gefallen. Dabei sind sie oft so besoffen, dass es ewig dauert. Dann werden sie zornig.«
»Hm . Vor drei Nächten, sagst du, war das...
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