Schweitzer Fachinformationen
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Es war 03.30 Uhr, und die vier Männer im Hinterzimmer von Kaminskij spielten seit über fünf Stunden Texas Hold'em. Die Verteilung der Chips war bis jetzt ziemlich gleichmäßig gewesen, doch allmählich zeichnete sich eine deutliche Tendenz ab. Die höchsten Chipstapel lagen vor Igor und Lucian, einem schwergewichtigen Serben mittleren Alters, der eine Hose in Tarnfarben und ein Hawaiihemd trug. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die beiden anderen Spieler, Milan und Rastko, am Ende sein würden. In dem kleinen Raum roch es nach Schweiß und Zigarettenqualm sowie nach der Rote-Bete-Suppe, die in der Teeküche auf dem Herd stand und in der Kaminskij behutsam rührte. Wer ausschied, bekam als schwachen Trost für seine Verluste einen Teller Suppe - so war das bei Kaminskij.
Aus dem vorderen Zimmer hörte man Gäste rufen, die vor dem Fernseher saßen und das Fußballspiel irgendeiner osteuropäischen Liga ansahen. Zu Kaminskij kam man, um Sport zu gucken, Karten zu spielen, zu trinken und Geschäfte zu machen - Geschäfte, die in der Regel das Tageslicht scheuten. Die meisten Gäste stammten aus den Ländern um den Kaukasus, aus Weißrussland, der Ukraine und den Baltischen Staaten. Allesamt ehemalige Sowjetrepubliken, was dem ehemaligen Friseursalon in der Colbjørnsensgate den Spitznamen »Little Soviet« eingebracht hatte. Wohl auch deshalb, weil Kaminskij mit seinem buschigen Schnurrbart und der unberechenbaren Laune bedenklich an den alten Stalin erinnerte.
Milan wischte sich die schweißnassen Hände an seinem Hemd ab, ehe er seine letzten Chips in den Pot schob. Er warf einen verstohlenen Blick auf die Suppe, als ahnte er bereits, dass diese Runde seine letzte werden würde. »Wahnsinnsgeschichte, das mit diesen Minenarbeitern, die sie da rausgeholt haben .«
Rastko, der ihm gegenübersaß, kratzte sich gähnend seinen graumelierten Vollbart. »Wenn das nicht alles Homos sind, die es da unten miteinander getrieben haben, dürften die nach zwei Monaten ganz schön spitz sein.«
Milan lehnte sich grinsend zurück. »Gehst du mit, Igor?«
Igor nickte und erhöhte den Einsatz um 500 Euro. Er bemerkte das leichte Zucken von Lucians Auge. Diese Runde war seine, ganz gleich, wie sehr Lucian den Einsatz erhöhen würde. Verdammt, es lief noch viel besser als erwartet. Je höher sein Chipstapel geworden war, desto mehr war er versucht gewesen, sich zu Kaminskij umzudrehen, um einen anerkennenden Bick einzuheimsen, doch er hatte der Versuchung widerstanden.
»Ich hab gehört, dass einer der Bergleute von seiner Frau und seiner Geliebten erwartet wurde, als er aus dem Schacht rauskam - das dürfte ziemlichen Ärger gegeben haben«, sagte Milan und lachte so sehr, dass sein ganzer Körper bebte.
»Wahrscheinlich wäre er am liebsten gleich wieder in den Schacht gesprungen«, entgegnete Rastko.
Lucian warf wütend seine Karten weg. »Wird hier gespielt oder über Weiber gequatscht?«
Igor drehte das Blatt und zeigte seine beiden Neunen, die zusammen mit den Karten, die auf dem Tisch lagen, sowie den Gemeinschaftskarten mehr als ausreichten, um ihm den Einsatz zu sichern. Er schaufelte die Chips zu sich hin. Da Rastko und Milan sich nun ihrer Suppe widmeten, saßen nur noch Igor und Lucian am Tisch.
Sie spielten eine weitere Stunde, ohne dass Chips in größerer Zahl den Besitzer wechselten. Igor hatte vor Lucian nur 1000 Euro Vorsprung - zu wenig, um eine Entscheidung zu erzwingen. Obwohl er bis jetzt reichlich Gewinn gemacht hatte, strapazierte die Situation seine Nerven. Lucian war erschöpft, ausgelaugt von den vielen Stunden am Spieltisch, ein wenig zu betrunken vom Sliwowitz, zu rotäugig von den Drina-Zigaretten, die er ohne Unterlass rauchte. Eigentlich wirkte er wie ein leichtes Opfer, doch bis jetzt hatte er es vermieden, in die Fallen zu tappen, die Igor immer wieder für ihn auslegte.
Als die nächste Runde begonnen hatte, sah Igor sofort, dass Lucian ein mehr als brauchbares Blatt hatte. Mit den beiden Buben auf dem Tisch konnte er sich leicht ausrechnen, dass er einen König in der Hand hielt. Lucian erhöhte den Einsatz und schob die Hälfte seines Stapels in den Pot. 10.000 Euro. Igor pfiff auf Lucians Buben, er hatte zwei Damen, Herz und Pik. »Ich gehe mit und erhöhe um zehntausend. Igor nahm seine Chips und ließ sie mit ausgestrecktem Arm auf die anderen regnen, sodass sie sich über den ganzen Tisch verteilten.
»Hör auf, mit den Chips rumzuschmeißen«, fauchte Lucian.
»Mit meinen Chips mache ich, was ich will«, gab Igor ungerührt zurück, um Lucian zu provozieren. Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten. Als Igor die River Card legte, einen Kreuz König, schob Lucian all seine Chips in den Pot. Er zog sein Portemonnaie aus der Tasche und riss ein paar Scheine heraus. »Ich erhöhe weiter, damit der Welpe hier endlich seinen Schwanz einzieht!«
Im Raum wurde es totenstill. Igor drehte sich zu Kaminskij um, der aufgehört hatte, in der Suppe zu rühren. Alle wussten, dass man kein Bargeld bei sich trug und dieses schon gar nicht auf den Tisch legte. Man brachte Kaminskij nicht derart in Verlegenheit, falls zufällig die Bullen auftauchen sollten. Kaminskij strich sich über seinen Schnurrbart. Betrachtete Igor, der siegesgewiss lächelte. »Seht zu, dass ihr fertig werdet«, sagte er. Dann rührte er weiter in der blutroten Suppe.
Igor drehte sich wieder zu Lucian um, der die Arme verschränkt hatte. »Spiel nur mit deinen Chips, solange du noch welche hast«, sagte er siegessicher.
Igor schob all seine Chips in den Pot. Lucian konnte ihn nicht bluffen. Der hatte keine Könige. Der sammelte Buben. Deshalb hatte er gleich zu Beginn den Einsatz erhöht. Aber gegen Igors Damen hatte er keine Chance. Das Ganze war fast zu einfach gewesen. Selbst nachdem er Kaminskij ausgezahlt haben würde, wäre sein Gewinn größer, als er sich das je erträumt hatte. Genug für ein neues Auto plus einem Flachbildschirm für zu Hause. Ach, was soll's, er würde lieber gleich in eine neue Wohnung ziehen.
»Deine Chips sind gerade mal die Hälfte wert«, brummte Lucian.
»Ein Telefonanruf reicht für die andere Hälfte«, entgegnete Igor und beugte sich über den Tisch. »Jedenfalls schmeiße ich hier nicht mit Bargeld um mich wie irgendein Kanake. Aber ich gehe mit allem mit, was du da in deiner dicken Brieftasche hast.« Er nickte zu Lucians verschlissenem Lederportemonnaie hin.
Lucian sah ihn mit glasigen Augen an, ehe er zu Kaminskij hinüberschaute, dessen Miene sich verfinstert hatte. »Ich glaube dir«, brummte er. »Lass sehen.«
Igor lächelte. »Dieser König hier«, er tippte auf die Karte, die zwischen ihnen auf dem Tisch lag, »hilft dir nicht. Schon gar nicht, wenn du Buben sammelst. Darf ich dir meine Damen vorstellen?« Er drehte sein Blatt um. »Mit ihrer Schwester auf dem Tisch keine schlechte Verbindung, oder?«
Lucian starrte auf die Karten und nickte anerkennend. Dann rieb er sich mit dem Handrücken über seine schwitzige Stirn und widmete sich seinem eigenen Blatt. »Was den Buben betrifft, hast du recht. Der hat nicht geschadet. Er zeigte einen Kreuz-Buben. »Zusammen mit seinem Vater, dem Kreuz-König, der Kreuz-Zehn und der Neun auf dem Tisch hätte er wahre Wunder vollbringen können.« Er lächelte wehmütig. »Weißt du, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ich seine Mutter, die Kreuz-Dame, hier in der Hand halte? Kennst du die Wahrscheinlichkeit für einen Royal Flush?«
»Natürlich«, antwortete Igor mit einem Lächeln. »Eins zu sechshunderttausend oder so. Nicht gerade sehr wahrscheinlich.«
Lucian nickte und nahm seine Karten auf. »Dann wäre ich der größte Glückspilz auf der ganzen Welt, oder? Dann hätte ich mehr Glück als diese chilenischen Grubenarbeiter, von denen alle reden, stimmt's?«
Igor zuckte die Schultern. »Wir werden sehen.«
»Ja, das werden wir.« Lucian drehte sein Blatt um.
Igors Welt brach zusammen. Alles um ihn her verschwand, zurück blieb nur eine Kreuz-Dame, die ihn förmlich blendete. Mit offenem Mund starrte er sie an. Er bekam keine Luft mehr, spürte, wie sich alles in ihm zusammenschnürte. Er glaubte, sterben zu müssen. Vielleicht hoffte er es auch. In dieser Situation wäre es eine Erlösung gewesen.
»Gut, dass dein Mund schon offen steht, mein Junge, denn jetzt ist es Zeit für die Suppe«, sagte Lucian.
Die beiden anderen Serben traten an den Tisch und betrachteten die Karten, die darauf lagen. »Ach, du Scheiße«, murmelte Milan. »Was für ein Blatt. Was für ein Spiel. Das wird in die Geschichte eingehen. Wie viel liegt da auf dem Tisch?« Er überschlug rasch die Stapel an Chips sowie die vielen Geldscheine, die sich auf der Tischplatte häuften. Dann lächelte er Lucian an. »Respekt! Du hast gerade 30.000 Euro gewonnen. Und du, mein Freund .«, er klopfte Igor auf die Schulter, »musst jetzt wohl den teuersten Anruf deines Lebens tätigen.«
»Ich . ich .«, stotterte Igor. Er versuchte zu lächeln, doch er hatte nicht einmal genug Luft zum Atmen. »Ich . ich war wohl etwas voreilig.«
»Was soll das heißen?«
»Natürlich habe ich einen Teil . ganz klar, aber .« Igor ließ eine Hand nervös durch die Chips gleiten und blickte Lucian flehentlich an.
Die drei Serben richteten eiskalte Blicke auf ihn. »Heißt das, dass du nicht zahlen kannst?«
»Das meiste schon, aber .«
»Das meiste reicht nicht«, sagte Milan.
»Ganz und gar nicht«, ergänzte Rastko.
»Vielleicht ziehst...
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