Schweitzer Fachinformationen
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Gegenwart, Christianshavn, August 2014
Der Radiomoderator, der sich Teddy K. nannte, gab bekannt, dass der heutige Tag den Meteorologen zufolge der wärmste des Jahres werden könnte. Und obwohl es erst halb elf Uhr vormittags war und Teddy K. mit seiner schrillen Stimme nicht gerade sehr vertrauenerweckend wirkte, war Ravn dieses eine Mal geneigt, ihm Glauben zu schenken. Ravn hatte alle Fenster des alten Audis heruntergefahren, trotzdem war sein T-Shirt schweißnass. Als die Moderatorenstimme von Werbespots abgelöst wurde, drehte er automatisch die Lautstärke herunter. Am liebsten hätte er das Radio ganz ausgestellt, doch obwohl er sich das Auto bereits vor einer Woche von seinem neuen Arbeitgeber geliehen hatte, wusste er immer noch nicht, wie das funktionierte.
Mit zwei Fahrzeugen Abstand folgte er dem schwarzen Porsche Cayenne, der sich durch den Verkehr schlängelte. Auch der Porschefahrer hatte sämtliche Fenster geöffnet, aus denen Hiphop-Beats dröhnten. Als der Porsche mit den breiten Felgen die Uplandsgade hinunterfuhr und auf den Parkplatz des SuperBest-Markts abbog, blinkte Ravn und tat es ihm gleich.
Der große Parkplatz vor dem Supermarkt war weitgehend leer, und der Porsche parkte nahe am Eingang. Ravn hielt ein paar Reihen weiter hinten, den Kühler in Richtung des Porsches. Er sah sich im Auto nach dem Camcorder um, den er irgendwo hingelegt hatte, konnte ihn aber nirgends entdecken. »Rutsch mal, Møffe«, sagte er und versuchte, die Englische Bulldogge, die auf dem Passagiersitz schlief, ein Stück zur Seite zu drücken. Ravn erblickte die Kamera unter Møffes behaartem Bauch und schob seine Finger zwischen Fell und Sitz.
Der Hund brummte missmutig.
»Jetzt stell dich nicht so an, sonst bleibst du nächstes Mal zu Hause«, sagte Ravn, während er den Bildschirm der Kamera zur Seite klappte. Sie schaltete sich automatisch ein, und er hob sie so weit hoch, dass sie soeben über das Armaturenbrett schaute. Der Autofocus des Objektivs summte leise, während er den Porsche heranzoomte und den Aufnahmeknopf drückte. Ein korpulenter Glatzkopf in den Vierzigern stieg auf der Beifahrerseite aus dem Wagen. Der Mann, der eine Shorts aus Jeansstoff sowie eine Lederweste mit Rückenabzeichen trug, hatte eine weiße Halskrause, die seinen Kopf aufrecht hielt. Die Fahrertür wurde geöffnet, und eine kräftige Frau mit langen platinblonden Haaren und genauso vielen Tattoos wie ihr Mann stieg aus. Zuerst glaubte Ravn, sie wäre auch im Gesicht tätowiert, doch dann erkannte er, dass sie ein blaues Auge hatte. Der Mann rief ihr etwas zu, das Ravn nicht verstand, doch im nächsten Moment öffnete sie die Tür zur Rückbank und zerrte einen Jungen heraus. Der Junge, der seinen Eltern extrem ähnlich sah, war ganz und gar auf sein Tablet konzentriert. Sein Vater drückte ihm eine Münze in die Hand und zeigte auf die Einkaufswagen, die ein Stück entfernt unter einem gewölbten Dach standen. Der Junge setzte sich missmutig in Bewegung, um einen Wagen zu holen, doch als er offenbar zu sehr trödelte, griff seine Mutter nach dem Wagen und machte eine ungehaltene Bemerkung in Richtung ihres Mannes. Der zuckte bloß mit den Schultern und deutete auf seine Halskrause. Ravn filmte weiter, während die Familie zum Eingang schlenderte und im Inneren des Supermarkts verschwand.
»Es ist jetzt .«, Ravn warf einen raschen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett, ».10.38 Uhr. Die überwachte Person ist mit ihrer Familie im SuperBest-Markt in Amager. Weiterhin keine Anzeichen, dass Nielsen seine Verletzungen nur vortäuscht.«
Als Ravn die Kamera abschaltete und aus dem Wagen stieg, sah Møffe ihn fragend an.
»Du bleibst hier. Wenn du Glück hast, bring ich dir irgendein Leckerli mit.«
Der Hund schnaubte und legte seinen Kopf wieder auf den Sitz.
Als Ravn den Supermarkt betrat, versteckte er den Camcorder unter seinem Kapuzenpullover, den er über dem Arm trug. Er rechnete zwar nicht damit, dass Carsten so dumm sein würde, in aller Öffentlichkeit zu enthüllen, dass die Halsverletzung, die er seiner Versicherung gemeldet hatte, reiner Schwindel war, aber man konnte ja nie wissen. Carsten versuchte schließlich, sich seine Unfallversicherung mit einem Satz von 25 Prozent unter allen Umständen auszahlen zu lassen, was konkret bedeutete, dass er knapp zwei Millionen Kronen einstreichen würde. Die Versicherungspolice hatte er drei Wochen vor dem angeblichen Verkehrsunfall unterzeichnet, dessen einziger Zeuge der Autofahrer war, der Carsten Nielsen angefahren hatte - seltsamerweise einer seiner »Brüder« aus dem Motorradclub. Ein Mann, der vor ein paar Jahren unter identischen Umständen eine hohe Entschädigungssumme von seiner Versicherung kassiert hatte. Ravn war seit über einer Woche an der Sache dran, und wenn es ihm heute nicht gelang, Carsten Nielsen Betrug nachzuweisen, dann würde der Rocker, der von seinen Brüdern Die Ratte genannt wurde, einen ordentlichen Reibach machen.
In dem fast menschenleeren Supermarkt war es angenehm kühl. Er nahm sich einen Korb, den er mit ein paar beliebigen Waren füllte. Als er zu den langen Kühlregalen kam, traf er auf die Familie, in deren Wagen sich die Einkäufe stapelten. Ravn folgte ihnen in angemessenem Abstand. Die Frau schob den inzwischen ziemlich schweren Einkaufswagen, während Carsten in seinen Flipflops hinterherschlurfte. Er hatte einen roten Kopf und zerrte an seiner Halskrause. Wenn er in eine andere Richtung sehen wollte, musste er jedes Mal seinen ganzen Körper drehen, was seinen Bewegungen etwas Breakdance- und Roboterhaftes verlieh. Als die Familie die Spirituosenabteilung erreichte, gab Carsten seinem Sohn einen Klaps und bat ihn, eine Kiste »Elefant-Bier« zu holen.
»Mach doch selber«, gab der Sohn zurück, ohne von seinem Computerspiel aufzublicken.
Carsten riss ihm das Tablet aus der Hand und bückte sich, sodass sein Gesicht nur Millimeter von dem seines Sohnes entfernt war.
»Soll ich das Ding auf den Müll werfen, hä? Soll ich das?«, rief er mit knallrotem Kopf.
Der Sohn schaute angstvoll auf sein Tablet, das jetzt für ihn außer Reichweite war. Dann drehte er sich um und ging zu der ersten Reihe der Bierkästen. Mit einem Stöhnen zerrte er an dem obersten. »Der ist total schwer, Papa!«
»Ich hab Elefant-Bier« gesagt!«, meckerte Carsten und zeigte auf einen anderen Kasten. Der Junge schlurfte hin, schleppte den Kasten mithilfe seiner Mutter zum Einkaufswagen und hievte ihn hinein.
Ravn stand ein Stück entfernt und beobachtete, wie die Familie den Gang hinunterschlurfte. Inzwischen war ihm klar, dass Carsten, der vermutlich nicht einmal im Kreise der Motorradrocker zu den hellsten Lichtern gehörte, offenbar doch klug genug war, seine Entschädigungssumme nicht zu riskieren. Ravn ging es nicht so sehr darum, ob irgendeine Versicherungsgesellschaft zur Kasse gebeten wurde oder ob er selbst eine Bonuszahlung von dem Rechtsanwalt bekam, für den er arbeitete, sofern er einen Beweis gegen Carsten vorlegte - nein, er wollte sich vor allem von so einem Typen nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Nicht zuletzt, weil er eine eingefleischte Abneigung gegen Rückenabzeichen hatte. In seiner Zeit bei der Spezialeinheit der Polizei hatte er allzu viele dieser Arschlöcher kennengelernt und so manchen von ihnen hinter Schloss und Riegel gebracht. Nie im Leben würde er es zulassen, dass sich Carsten alias Die Ratte alias Ihr-könnt-mich-alle-am-Arsch-lecken auch nur fünf Öre ergaunerte. Er musste sich schnell etwas einfallen lassen, das den Verdacht gegen den Rocker erhärtete oder ein für alle Mal aus der Welt räumte.
Ravn stellte den Einkaufskorb ab und hastete Richtung Ausgang. Als er auf den Parkplatz kam, zog er eine Münze aus der Tasche und eilte zu dem gewölbten Dach, unter dem zwei Reihen mit je sechs Einkaufswagen standen. Camcorder und Kapuzenpullover legte er auf dem Boden ab und quetschte sich zwischen den beiden Wagenreihen hindurch. Nachdem er den hintersten Wagen erreicht hatte, steckte er eine Münze in den Schlitz und löste die Kette des Wagens. Er stemmte einen Fuß gegen die Rückwand des Unterstands und schob mit aller Kraft. Quietschend setzte sich die ganze Wagenreihe in Bewegung und rollte unter dem Dach hervor. Mit größter Anstrengung gelang es ihm, sie dem Heck des Porsches entgegenzuschieben.
In diesem Moment kam Carsten mitsamt seiner Familie aus dem Supermarkt. Carsten trieb seine Frau, die sich mit dem schweren Einkaufswagen abmühte, zur Eile an. Ravn hatte den Eingang im Blick. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis Carsten um die Ecke biegen und sehen würde, was er im Schilde führte. Er mobilisierte all seine Kräfte und schob die Wagenreihe Richtung Porsche, sodass dieser am Ausparken gehindert wurde. Hastig hob er Camcorder und Kapuzenpullover vom Boden auf und eilte zu seinem Wagen.
»Hej, Møffe«, sagte er, während er sich auf den Fahrersitz schob.
Der Hund legte sich gähnend auf die Seite, um sich den Bauch kraulen zu lassen, aber dazu hatte Ravn jetzt keine Zeit. Von draußen drangen schon Carstens Flüche zu ihm herüber. Ravn drückte sich in den Sitz und schaltete die Kamera ein. Er zoomte Carsten heran und begann zu filmen.
Carsten stampfte hin und her wie ein wütender Stier, während seine Familie ihm hilflos zusah. Die Wagenreihe reichte vom Heck des Porsches bis zu dem gewölbten Dach des Unterstands. Als wäre einer der Supermarktassistenten beim Einsammeln der Wagen unterbrochen worden und hätte sie mitten auf dem Parkplatz stehen gelassen. Die Wagenreihe hinderte Carsten auch am Einsteigen, sodass er...
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