Schweitzer Fachinformationen
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2 Der Abenteuerspielplatz/die Jugendfarm
Der städteplanerische Aspekt
Im Laufe der letzten 200 Jahre hat sich das traditionelle Bild der Stadt sukzessive verändert. Von einem Fehlbestand von fünf Millionen Wohnungen ausgehend, konzentrierte sich der Wiederaufbau der Städte nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland auf den Sozialen Wohnungsbau sowie auf den Wiederaufbau der Industrie (Harms 1988, 175). Das Heil wurde im "Funktionalismus" gesehen: Die rationale Grundvorstellung der neu zu er schließenden und auf Erweiterung geplanten Stadt ging in Richtung Funktionsentmischung und Spezialisierung der einzelnen Räume und Landschaften bei gleichzeitiger Zentralisierung der verschiedenen Lebensbereiche. Die Fertigteilbauweise erlaubte es zudem, binnen kurzer Zeit der Wohnungsnot relativ kostengünstig entgegenzuwirken. Die auf den ersten Blick hochwertigen Wohnungen in den Trabantenstädten entsprachen vielfach dem Bild der Kleinfamilie: berufstätiger Vater, Hausfrau, zwei Kinder. Sie entsprachen gewiss auch den Wohnvorstellungen ihrer Bewohner: Viele "Erstbezügler" waren frisch verheiratet und hatten sich zuvor noch eine Zweizimmerwohnung mit ihren Eltern bzw. den Großeltern teilen müssen. Auf einmal aber gab es Wohnraum: Platz für junge Ehepaare und junge Familien. Defizite in der infrastrukturellen Versorgung konnten aufgrund von sicheren und festen Einkommen kompensiert werden. Richter schreibt dazu im Vorwort des Buches "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo":
"Verhängnisvoll ist, wie es Christiane mit seltener Prägnanz beschreibt, eine Stadtplanung, die den Kommunikationszerfall unter den Menschen geradezu systematisch programmiert. (.) Gropiusstadt ist nur ein Beispiel für zahlreiche lediglich nach technisch funktionalen Prinzipien, aber an den emotionalen menschlichen Bedürfnissen vorbeigeplanten Neubausiedlungen, die als Brutstätten für psychische Krankheiten und Verwahrlosung wirken und nicht zufällig zu Brennpunkten von kindlichem Drogenelend und Alkoholismus geworden sind" (1979, 9).
Die schnelle Fertigteilbauweise ermöglichte zwar zum Teil eine Befriedigung des Massenbedarfs an Wohnungen, jedoch auf Kosten bautechnischer Mängel: Die teilweise unzureichend schallisolierten Wohnungen tragen nicht nur zu einer eher dürftigen Wohnqualität und -zufriedenheit bei, sondern sie verhindern vielmehr eine Aneignung der Wohnung und der Wohnumgebung und stehen v.a. den Bedürfnissen der Kinder nach Bewegung und Selbstverwirklichung entgegen.
Die Straße im Wandel
Bis zum Beginn der Industrialisierung war die Straße für ihre Bewohner alles in einem: Kommunikationsknotenpunkt, Lebensader und Lebensraum. Aber schon im 19.Jahrhundert büßte sie diese Funktionen v.a. in den Großstädten ein. Die Zeit drängte: Große, breite, möglichst kreuzungsfreie Straßen mussten gebaut werden. Aus dem Lebensraum wurde eine Fahrbahn.
So beschränkt sich heute das Spiel v.a. der jüngeren Kinder oft nur auf den Bereich vor der eigenen Haustür, auf den nahe liegenden Spielplatz oder auf die Wohnungen der Eltern und der Freunde. Einige der Folgen sind: Zunahme des Fernsehkonsums und verstärkte Nutzung von elektronischen Medien, soziale Isoliertheit und Schädigung der Skeletts infolge von Bewegungsmangel.
- "60 Prozent der Kinder leiden unter Haltungsschäden, 20 Prozent sind übergewichtig und bis zu 25 Prozent haben Kreislaufschwächen" (Riexinger 1999, 1; siehe a. Bund der Jugendfarmen und Aktivspielplätze 1997, 57ff u. 67).
- "Bewegungsmangelkrankheiten bei Kindern und Erwachsenen kosten jährlich ca. 60 Milliarden DM" (65). Das entspricht ca. 30,6 Milliarden Euro.
Der Funktionalismus mit seinem obersten Prinzip, der Zweckrationalität, hat die Kinder jedoch nicht vergessen. Wenn schon die Stadt in Sport-, Park-, Rathaus-, Begräbnis- und andere Plätze aufgeteilt wurde, weshalb sollte es dann keine Spielplätze geben (Harms 1989, 84)? Initiiert von der Spiel- und Freizeitpädagogik kam Mitte der 60er Jahre eine Diskussion in Gang, so dass einschlägige Richtwerte für die herkömmlichen Spielplätze festgelegt wurden. Diese wiederum wurden u.a. im Goldenen Plan der Deutschen Olympischen Gesellschaft, in den Spielplatzgesetzen der Länder, in den Landesbauordnungen sowie in den Ortssatzungen und vereinzelt in den DIN-Normen verankert (Gibbins 1988, 80). Spielplätze wurden vorwiegend nach dem gleichen Strickmuster angelegt: Sandkasten, Wippe, Schaukel, Rutsche, Klettergerüst.
Anders sieht es heute auf einigen der herkömmlichen Spielplätze aus: Die alten Eisengeräte wurden durch buntes Holz und farbenfrohes Plastik ersetzt. Unterschiedliches Erdprofil sowie große Erdaufschüttungen und tiefe, nur über Baumstämme zu überquerende Kuhlen erhöhen den Spielanreiz für Kinder. Einer der Vorreiter in der Umgestaltung alter Spielplätze ist die Stadt Freiburg im Breisgau, die 1997 zur kinderfreundlichsten Stadt Deutschlands gekürt wurde.
Leben und Spielen in der Großstadt
Besonders in der dicht bewohnten Trabantenstadt ist die gesunde Entwicklung des Kindes durch die anregungsarme Umwelt in erhöhtem Maße gefährdet. Viele Bewohner von Großstädten (und hier v. a. die Kinder) leiden an seelischer, geistiger und körperlicher Unterforderung. Unterforderte Kinder aber neigen zu passivem und angepasstem Verhalten. Weil nun Kinder sich aber gerne bewegen und gleichzeitig etwas bewegen und ihre Um welt verändern wollen, begegnen unterforderte Kinder ihrer Umweltnicht nur passiv, sondern auch aggressiv. Ihre Aggression ist ja z.T. nichts anderes als eine Antwort auf die direkte und auf die strukturelle Gewalt, der sie überall begegnen.
Kinder haben einen Anspruch darauf, sich ihre Welt anzueignen - dies liegt im Wesen des Menschen. Kinder brauchen Betätigungsmöglichkeiten! Sie müssen Spuren hinterlassen können! Wenn ihnen aber die Gesellschaft dafür wenig Raum zur Verfügung stellt und wenn sich gleichzeitig ihre Erziehungsberechtigten und die zu ihrer Erziehung Verpflichteten aus ihrer Verantwortung herausstehlen, dann suchen sich die Kinder eben Nischen. Nischen, die für sie selbst wie für die Gesellschaft zur Gefahr werden: Einige wenige surfen auf der U-Bahn oder treten Straßenlaternen aus und stecken Mülleimer in Brand! Andere konsumieren einen Film nach dem andern und vergraben sich in den virtuellen Welten von Computerspielen und Internet!
Auch wir haben uns unsere Nischen herausgesucht, selbst wenn wir eine so genannte "Bilderbuchkindheit" (d.h. auf einem Dorf, weit außerhalb der großen Stadt) erleben durften.
Aus eigener sozialpädagogischer Erfahrung kann ich nur bestätigen, dass in den letzten fünfundzwanzig Jahren bei Auseinandersetzungen zwischen Kindern die Brutalität enorm gestiegen ist. In meiner Kindheit gehörten Raufereien fast zur Tagesordnung. Man prügelte sich. Man nahm sich in die Mangel. Lag aber ein Kind mit dem Rücken auf dem Boden, dann war der Kampf entschieden. Heute ist das anders: Um Stärke zu demonstrieren, prahlen sogar zwölfjährige Kinder damit, andere blutig geschlagen oder brutal getreten zu haben. Dass sich Kinder mit Messern bewaffnen, ist Realität.
Der pädagogische Aspekt
Ein Abenteuerspielplatz (ASP) ist ein von Sozialpädagogen betreuter Spielplatz für Kinder und Jugendliche. Dieser kann zweierlei Schwerpunkte haben. Steht vornehmlich der Bau von Holzhütten im Vordergrund der pädagogischen Aktivitäten, dann wird so ein Spielplatz "Bauspielplatz" (Aktivspielplatz) genannt. Steht aber der Umgang zwischen Mensch und Tier im Mittelpunkt der sozialpädagogischen Arbeit, dann wird der Platz als Jugendfarm (Jufa) bezeichnet. Grundsätzlich ist jedoch zu sagen, dass ein kleiner sozialpädagogisch betreuter Spielplatz eher in Richtung Bauspielplatz tendiert. Es gibt aber auch größere Spielplätze, wie beispielsweise der Abenteuerspielplatz in Freiburg-Weingarten, der sowohl Bauspielplatz als auch Jugendfarm ist. Vielfach jedoch werden die Bezeichnungen ASP und Jufa synonym verwendet.
Die Idee, einen sog. Krempelspielplatz anzulegen, stammt von dem Kopenhagener Stadtgartenarchitekten Prof. Christian Th. Sørensen. Er veröffentlichte 1931 das Buch "Open spaces for town and country" (Bund der Jugendfarmen und Aktivspielplätze 1997, 51). Sørensen hatte Kinder beim Spielen beobachtet und stellte fest, dass sie besonders gern Szenen aus dem Leben von Erwachsenen nachspielten. Am liebsten spielten sie mit Haushaltsgegenständen, die ihre Eltern oder Nachbarn weggeworfen hatten. Ferner fiel ihm auf, dass die Kinder von einfachen Spielmaterialien unheimlich fasziniert waren. Aufgrund dieser Beobachtungen wurde 1943 der erste pädagogisch betreute Spielplatz in Emdrup Banke (Kopenhagen) unter der Leitung des Pädagogen John Bertelsen eröffnet. Über England (adventure playgrounds) und die Schweiz (Robinsonspielplätze) kam die Idee vom pädagogisch betreuten Spielplatz nach Westdeutschland, wo die Familie Böhm 1962 im Elsental bei Stuttgart die erste Jugendfarm gegründete. 1967 entstand der erste Aktivspielplatz im Märkischen Viertel in Westberlin. Seit 1978 gibt es...
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