Schweitzer Fachinformationen
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Warm ist es auch in Brauners Obermenzinger Stube. Wie beim Topfschlagen. Ob es heiß wird, ist die Frage. Die Entführer hatten sich gemeldet. Der Jonny ist ganz aus dem Häuschen, spielt die Stimme immer wieder ab.
Die Wiesner setzt sich schweigend dazu. Nachdem im Hause Brauner offenbar wichtige Fakten vorliegen würden, ist sie sofort nach Obermenzing geprescht. Rekordzeit. Unter zwanzig Minuten. Ihr junger Kollege hat sich angehört, als wenn die Aufklärung des Falles nun unmittelbar bevorstünde.
Jetzt sitzt sie mit den beiden Hausbewohnern in der Stube. Die Möbel glänzen, die Luft ist frisch. Der Jonny scheint ein dienstbarer Geist zu sein. Vielleicht sollte sie ihn sich einmal ausborgen, zum Fensterputzen.
Erwartungsvolle Blicke ruhen auf ihr. Und? Kaffee bekommt sie kredenzt. Ein Schokoladenkeks liegt auf der geblümten Untertasse.
»Was Neues?«, hören sie sich siebzehn Mal an.
Sonst nichts. Zwei lausige Wörter.
Die beiden Männer beobachten ihre Reaktion. Sie trinkt einen Schluck Kaffee, knabbert am Gebäck. Langsamer, als sie müsste. Behutsam stellt sie danach die Tasse auf das Tellerchen. Schaut von einem zum anderen.
»Ausbaufähig«, formuliert sie schließlich einfühlsam. »Da wär noch ein bisserl Luft nach oben.«
»Ja, aber wenigstens haben wir seine Stimme«, beharrt der Jonny, vom eifrigen Nicken des Oberstaatsanwaltes sekundiert.
Wenn das als Erkenntnisgewinn durchgeht, sollte sie in ihrem Kaffeesatz die fehlenden Informationen locker herauslesen. Der Brauner hatte dem Entführer erklärt, dass er ein Lebenszeichen von seiner Mutter wolle und die Ermittlungen im Fall Fuhrer auf Hochtour liefen. Er hat noch ergänzt, selbst wenn seine Mutter jetzt freikäme, würden sie aufgrund von Zweifeln an Fuhrers Schuld weiterermitteln. Aber der Unbekannte hatte aufgelegt.
Entführungsfälle in den Fernsehkrimis werden zu hundert Prozent mithilfe der Hintergrundgeräusche aufgeklärt. Die reale Verbrecherbagage ist in der Regel zu gewieft, solch mangelhaftes Handwerk abzuliefern. Darfst du dich ja nicht mehr blicken lassen im Gewerbe. Selbst bei der Polizei wäre es sonst ein Fall von Fremdschämen. Die Sender haben ihren Bildungsanspruch zu verwirklichen, wozu zahlte man sonst Gebühren. An Nachverfolgung war nicht zu denken. Nur diese zwei Wörter. Mutmaßlich ein Mann, dessen Muttersprache Deutsch ist. Was Neues? Ob die forensischen Phonetiker ihnen zumindest das Alter eingrenzen könnten? Sie erwartet kein opulentes Täterprofil. Dass er gerne Hendl isst, graue Sakkos trägt, Goldinlays bevorzugt und in Petershausen in der Grundschule war, wird nicht im Bericht stehen. Der Jonny wird sich auf den Weg zum Spezialisten machen. Persönlich dafür sorgen soll er, um Geschwindigkeit hineinzubringen. Der Auslauf wird ihm guttun. Er ist schon halb bei der Tür hinaus, da scheint ihm noch etwas einzufallen.
»Horch, Sandra, dein Zahnarzt lebt mit seiner Tusnelda und seiner Mutter im Haus. Die wären bestimmt nicht erbaut von seinen befriedigenden Behandlungsmethoden - oder was meinst du?«
»Nicht schlecht, Jonny.«
»Der Höhepunkt meiner Karriere. Das hör ich schon zum zweiten Mal!«
»Bild dir nix ein, vielleicht werd ich bloß dement.«
Die Tür fällt hinter ihm ins Schloss.
Die Erwähnung des Zahnarztes hat der Wiesner kurz den Puls beschleunigt. Sie atmet durch. Keine Zeit für Selbstbetrachtungen. Brauners zusammengesunkene Gestalt zeigt ihr dessen Innenleben. Sie ist sich nicht sicher, ob sie ihn hier alleine hocken lassen sollte. Er ist eine Kämpfernatur. Gerade die sind anfällig, wenn ein Schlag kommt, den sie nicht haben sehen können. Das bringt alles ins Wanken. Unschlüssig steht sie im Wohnzimmer herum.
»Haben Sie schon was gegessen, heut?«, will sie von ihm wissen.
Er wirft ihr einen Blick zu, als hätte sie sich das Gewand vom Leib gerissen, um sich selbst als Mahlzeit anzubieten.
»Ich freß mich zam, während meine Mutter verreckt? Könnten Sie das?«
»Das nützt ihr nix, wenn Sie zusammenklappen.« Worte. Es sind nutzlose Buchstabenreihen, die für ihn keine Bedeutung haben.
Sie merkt es, sobald der Satz die Luft zum Scheppern bringt. Das Einzige, was zählt, sind Handlungen. Deswegen wird sie jetzt dem Anhang des Zahnarztes einen Besuch abstatten. Das hilft dem Brauner mehr, als wenn sie sich mit Händchenhalten beschäftigt. Er wird nicht gleich verhungern. So schnell fällt man nicht vom Stangerl, auch wenn er keine Frau ist.
Handeln ist auch das, was der Sandner vorhat. Von Verhungern ist bei ihm nicht die Rede. Zwei einverleibte Käsesemmeln später treibt es ihn wieder auf die Straße. Interessant - der erste Discounter, wo du acht verschiedene Sorten Schnaps im Regal an der Kasse findest. Nachfrage bestimmt das Angebot. Mit Backwaren hat es eher rar ausgesehen.
Der Jonny hat ihm die Adresse des Jackenträgers gesendet. Es ist nur ums Eck. Alles scheint man hier fußläufig zu erreichen. Kleine Welt. Über ein Rasenstück kürzt er ab. Leichter Nieselregen setzt ein. Passend zu Sandners Stimmung.
Das Haus gehört zu einem neu renovierten Ensemble, mit stählernen Türrahmen und aufgepeppten Balkonen. Kükengelbe Fassade, der Klingelkasten chromglänzend. Yilmaz. Auf sein Läuten wird ihm mit Verzögerung geöffnet. Erdgeschoss. Wenigstens etwas.
Eine Frau lehnt im Türrahmen. In ihrem schwarzen Haar sind graue Strähnen eingewirkt, ihre Finger sind mit diversen Goldringen geschmückt. Sie dürfte in seinem Alter sein. Hinter ihr kann der Sandner Umzugskartons erkennen, die sich im Flur aufstapeln. Die Familie will offenbar das Domizil wechseln.
»Ja was?«, will sie wissen. Ihre Kiefer zermahlen einen Kaugummi, auf der Stirn manifestieren sich Dackelfalten. Die Hände in den Hüften mustert sie ihn von oben bis unten. Was sie sieht, bietet offenbar keine Anregung für freundliche Konversation. Das ergänzt sich mit Sandners Bedürfnissen. Er ist nicht gekommen, um übers Herbstwetter zu plaudern. Wobei es ihm gut gelingt, eine Gewitterwolke mimisch darzustellen.
Der Jonny hat ihm ein Bild des feinen Herrn Yilmaz gesendet. Der Sandner hat ihn gleich wiedererkannt. Ziemlich nahe bei ihm ist er gesessen beim Ansi, eine Flasche Pils in der Hand. Schwarze Lederjacke, Igelschnitt, ausgefallener Ring mit blauem Stein. Es ist der düstere Gesprächspartner des besoffenen Wiesels gewesen. Kein Zweifel. Vielleicht ist es sogar eine abgekartete Sache gewesen, wer weiß? Was hatte der Vinzent in der Kneipe noch gemeint? Sogar hier herin wären die Sauhunde, und dabei hat er am Polizisten vorbeigeschielt. Hatte er vom Yilmaz gesprochen? Die Kneipenszenerie wird an Sandners innerer Staffelei gepinselt, Strich um Strich. Alles fügt sich. Seines Zeichens kein Unbekannter, der geschickte Jackendieb. Körperverletzung, Betäubungsmittelmissbrauch, die ganze Palette. Allerdings - seit sechs Jahren scheint er sich besonnen zu haben. Kein aktueller Eintrag, ganz im Gegensatz zum Sohnemann. Der steht am Anfang einer interessanten Karriere. Schulbesuch ist dabei eher hinderlich. Anderen ordentlich die Knochen neu zu sortieren hat ihm sein Vater in die Wiege gelegt - statt der Rassel. Die wandelnde Arbeitsbeschaffungsmaßnahme fürs Orthopädenhandwerk.
Der Jonny hat dem Sandner sogar eine mögliche Erklärung mitgeliefert, warum der Filius des Yilmaz seine Jacke spazieren trägt. Erst gestern Abend ist er in eine Rauferei beim Burger-Tandler am Stachus verwickelt gewesen. Unentschieden, mit ein paar leichteren Blessuren bei den Beteiligten - sagt das Protokoll vom Polizeieinsatz. Da wird dem Burschen jemand das windige Jackerl zerfetzt oder beschmutzt haben. Vielleicht hat auch wer ein fettiges Fleischpflanzerl draufgespien - wäre kein Fehler, wenn du das nicht bei dir behalten magst. Irgendwie hat sich der arme Bub ja heute den Regen vom Leib halten müssen. Und da ein geeignetes hochwertiges Kleidungsstück rumgeflackt ist im Hause Yilmaz, hat er halt zugegriffen. Ganz der Vater. Gut, dass er sich nicht verkühlt, der Bub.
Seine Erziehungsberechtigte trägt einen grauen Everlast-Jogginganzug. Einen Moment hat der Sandner das Gefühl, die ganze Familie bediene sich großzügig aus seinem Klamottenfundus. Zumindest die gleichen Vorlieben.
»Ich muss mit Herrn Yilmaz reden«, vermittelt er der Frau.
»Der ist nicht da.« Damit ist für sie das Gespräch beendet. Sie will die Tür wieder schließen.
Der Sandner spürt, wie ihm heiß wird. Der Ärger kommt ihn besuchen. Gerade ein willkommener Gast, falls er sich an die Spielregeln hält. Manchmal ein wenig übermütig. Einen Fuß stellt er in die Tür. Sein Gesicht kommt dem ihren zum Zubeißen nahe. Er gibt das lauernde Raubtier zum Besten. Dafür muss er sich nicht verstellen.
Ihr Parfüm ist süßlich. Irgendeine Patschulimischung, die jedes Veilchen sofort verblühen ließe vor Neid.
»Was soll das?« Jetzt ist Frau Yilmaz nervös. Das sollte sie auch sein. Die Kaumuskeln arbeiten im Akkord. Über der Nasenwurzel zeigt sich ein eingekerbtes V. Eindeutiges Signal. V wie verpiss dich!
»Bist du taub, er ist nicht da.«
»Wann kommt er wieder?«
»Weiß nicht - kann dauern.«
»Wo find ich ihn?«
»Weiß nicht.«
»Handynummer?«
Sie zögert. Seinen finstersten Blick hat er ausgegraben. Hauptsache, es taucht niemand im Hausgang auf, der Beschützerqualität beweisen will.
»Polizei oder was?«, will sie wissen. »Ich muss gar nichts ...«
»Schau ich so aus? Hopp, die...
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