Schweitzer Fachinformationen
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1 Vic Cattolini erbt
Die verdammte Sonne knallte auf die beiden dreckverkrusteten Kneipenfenster und tauchte alles in einen stinkenden Schleier hellbraunen Smogs. Vom Bürgersteig aus waren die paar Vormittagssäufer auf ihren verchromten Barhockern kaum auszumachen. Ich stieß die schwarz glänzende Stahltür auf und trat ein. Reine Routine.
Eine Bullenhitze da draußen. Schatten gab's in der heruntergekommenen Downtown von Los Angeles kaum. Erst spätnachmittags, aber um diese Zeit war ich meist schon ziemlich dicht. Scheißkaff.
»Kein Anruf?«
Johnny Wanaya schaute nicht mal auf. Mit einem altersschwachen Tuch polierte er lustlos ein Martiniglas und schüttelte nur die Billardkugel zwischen seinen Boxerschultern. Ich zweifelte, aber was soll man machen? Seitdem das Pennerhotel, in dem ich schon viel zu lange vorübergehend lebte, das öffentliche Rohr im Foyer wegen angeblich überhandnehmendem Drogenbusiness abgeschafft hatte, war ich auf Johnnys Telefon angewiesen.
Ich nuckelte an meiner selbst getunten Cola und überlegte zum x-ten Mal, warum seit Wochen Funkstille war. Irgendwann braucht doch jeder einen Schnüffler, und ich bin einer der besten. Aber tote Hose. Am Rand der Pleite zu schweben ist seit Jahren Normalzustand, doch jetzt ging's mir mit aller Macht an den Kragen.
Der Kerl, der so flott hereinspazierte, passte überhaupt nicht in die Gegend. Gute Figur, teurer dunkler Anzug, spitze italienische Schuhe mit dazu passender Aktentasche, schicker Kurzhaarfrisur, glatt rasiert und stank bis hierher nach importiertem Nuttendiesel. Johnny kannte seine Kundschaft: Er schaute den Neuen kurz an und deutete mit seinem Stierschädel auf mich. Der Typ kam zielstrebig auf meine Sitznische zu.
»Darf ich?« Höflich war er auch. Ich lehnte mich ins dunkelrote Kunststoffpolster zurück und grunzte etwas Zuvorkommendes. Vielleicht war die lange Dürre endlich zu Ende.
»Victor Cattolini?«
»Der Echte. Vic Cattolini. Schnüffler par excellence.«
Der mehrteilige Namenszug einer bekannten Anwaltssozietät marschierte im Stechschritt über das obere Drittel seiner Visitenkarte. Darunter war zu lesen, dass er Maclintock hieß, von Beruf Anwalt und im Westküsten-Hauptquartier der bundesweiten Riesenkanzlei zu erreichen sei. Zwar kein Teilhaber, dazu war er zu jung, aber er vertrat trotzdem Power und Prestige der Nobelfirma. Ich nahm die Karte mit spitzen Fingern auf und nickte beeindruckt, als ich sie in meine Hemdtasche schob.
Meine Auftraggeber entstammten normalerweise einer erheblich preisgünstigeren Anwaltskaste. Scheidungstypen, die sich zu dritt oder zu viert ein paar Büroräume und eine Sekretärin teilten, Strafspezialisten mit glänzenden Anzügen und ausgefransten Hemdkragen; Selbststarter, die irgendeinen halbseidenen Dreh gefunden hatte von dem sie leben konnten. Keine Armstrong, Jameson, Richards, Armstrong & Armstrongtypen wie dieser. »Was kann ich für Sie tun, Counselor?« Das seltene Exemplar schaute mich recht fröhlich an.
»Im Gegenteil, Mister Cattolini - ich tue etwas für Sie, und ich muss sagen, dass ich diese Art Aufträge ganz besonders schätze. Ich habe nämlich Geld für Sie.« Er lehnte sich in seine Hälfte der halbrunden Sitzbank zurück und strahlte. Ein Bürschchen. Dreißig, vielleicht. Aber nett. Klar, wenn einer Geld bringt.
»Wie viel?«
»Siebzehntausend.«
»Dollar?« Mich traf fast der Schlag. Er nickte und schaute mich unentwegt mit diesem netten Jungenlächeln an. Ein süßes Kerlchen.
Johnnys rechtes Ohr war in den letzten paar Sekunden ums Doppelte gewachsen. Er rubbelte schneller quietschend am gleichen Glas herum und tat betont blasiert.
Ich schluckte den Rest meiner Cola.
»Bringst du mir noch eine? Nicht zu viel Eis. Und schütte was rein.« Musste ich wenigstens nicht meinen Flachmann unterm Tisch aufschrauben und die Brühe erst trinkbar machen. Wäre auch peinlich, wenn der Glücksbote das spitzkriegen würde. Ich schaute Maclintock fragend an. Er schüttelte den Kopf.
»Klar, Vic, sofort.« Freundlichkeit und Geschwindigkeit sind zwei unerlässliche Barkeeper-Eigenschaften. Die hatte Kneipier John Wanaya plötzlich im Übermaß.
»Siebzehn Mille, was?« Ich lehnte mich ins Polster zurück und ließ die Nachricht erst mal einsickern. Meine gesamte Barschaft bewegte sich bei knapp drei Dollar, die paar Forderungen aus meiner Schnüffelarbeit waren längst eingetrieben und versoffen, ernsthafte Aussicht auf permanente Besserung gab's nur nachts im Traum. Logisch, dass irgendwo ein Haken war.
Ich schaute ihn also aus zusammengekniffenen Augen an und meinte freundlichst: »Bullshit.«
»Kein Bullshit. Absolut echt«, sagte Anwalt Maclintock, griff in seine noble Ledertasche und legte ein Scheckheft auf den Tisch.
»Und wie komm' ausgerechnet ich zu der Kohle?«
»Eine Schenkung, so eine Art Erbschaft. James Earl Madison der Dritte hat Sie im Rahmen seiner Testamentserstellung bedacht. Der starb vor einiger Zeit, und ich muss sagen, es war nicht einfach, Sie zu finden. Aber nun hat's ja geklappt. Soll ich Ihnen gleich einen Scheck ausstellen, oder kommen Sie lieber in die Kanzlei und regeln die Sache dort?«
»Machen wir hier, machen wir sofort.« Nur nicht auf die lange Bank schieben. »Scheck geht in Ordnung. Nehm' ich gern. James Earl Madison der Dritte, was? Kenn' ich den?« War mir echt kein Begriff, und es hätte mir auch scheißegal sein können, aber ich war wirklich neugierig. Hab noch nie einen im Bekanntenkreis gehabt, der so übertrieben hieß. Ein paar Juniors, einen gewissen Grafen Stolli von Stollenberg hab ich mal verhaftet, ein lustiger Kerl, der sich als Heiratsschwindler ein kleines Vermögen verdient hatte und eigentlich Jakobus van Sollenberg hieß; aber keinen Dritten. Die sind normalerweise an der Ostküste zu finden - Old Money, dritte Generation Rockefeller und so. Nicht meine übliche Kragenweite.
Der Jurist ließ sich erst mal meine Identität bestätigen. Schaute meinen Führerschein an und murmelte »aber, aber« über das auf der Rückseite angebrachte Fahrverbot, das noch fast sechs Monate galt, drehte meinen Veteranenausweis hin und her und schob beide Plastikkarten wieder über den Tisch. Dann griff er das Scheckheft und begann, richtig gute Zahlen zu schreiben.
»Klar kannten Sie den - der hieß hier bei seinen Freunden wohl Porky.«
Er grinste mich unverschämt an. Also doch verarscht!
»Was soll der Scheiß?« Am liebsten hätte ich ihn über den Tisch gezogen. »Porky, der Penner ist ein armes Schwein - bescheuert, ständig besoffen und hat sich ewig nicht mehr gewaschen. Porky hat nicht mal einen eigenen Pott zum Reinpissen.«
»Stimmt nicht ganz. Porky war ein steinreiches Schwein - und ich war sein hiesiger Rechtsbeistand. Nicht immer eine ungetrübte Freude zwar, das gebe ich zu. Aber jeder fängt mal klein an.«
Johnny hatte längst aufgehört, in Gläsern herumzureiben und lehnte seine ganze Fülle auf die Theke. Er schüttelte den Kopf, staunend, ungläubig.
»Anwalt von Porky?«, knarzte sein Bass. »So was gibt's? Ich kann mir nicht mal einen leisten, wenn der Hurenbock von Hausverwalter die Miete wieder erhöht, und die Obersau Porky hat einen Anwalt?« Er war völlig fertig mit den Nerven.
Maclintock drehte sich zu ihm.
»Der liebe Verstorbene wuchs in Boston auf, meldete sich freiwillig nach Vietnam und kam etwas angeknackst zurück. Seit über dreißig Jahren lebte er auf der Straße, hielt sich wohl die meiste Zeit hier in Los Angeles auf und hatte an der Ostküste ein Vermögen auf der Bank liegen. Sein dortiger Vormund verwaltete es, und ich kann Ihnen sagen, dass ein hübsches Sümmchen übrig geblieben ist.«
Der Anwalt öffnete den Jackenknopf und lehnte sich ins Polster, die Arme von sich gestreckt, das Bild des Erfolgreichen, der die paar Minuten Ruhe im hektischen Tagesablauf sichtlich genoss.
»So helle war Mister Madison der Dritte noch, dass er mir eines Tages vor der Kanzlei auflauerte - ich wollte mich an ihm vorbeidrücken, weil er grausig stank und mit seinem bodenlangen Wollmantel über den vielen Hemden und Pullovern etwas wirr aussah, aber er griff meinen Arm und hielt mir schweigend einen Kontoauszug unter die Nase«, erinnerte sich der Anzugträger. Dann straffte er sich, rieb die Hände und bemerkte: »Well, man ist ja nicht umsonst Jurist.«
»Wann iss' er denn gestorben?«, wollte der Wirt wissen. »Der war schon lange nicht mehr hier, aber ich hab nicht gewusst, dass er hops ist.«
»Letzten Herbst. Wurde im furztrockenen Flussbett des Los Angeles River erschossen, mitten am helllichten Tag. Kroch aus seiner Pappkartonhöhle unter der First Street Brücke und war im Nu mausetot. Und ich darf seither seine Erben suchen«, berichtete der Jüngling wieder zu mir gewandt. »Sie sind einer der letzten auf meiner Liste. Noch einen Herrn und den Job hätten wir auch erledigt.«
Sachen gibt's.
Er reichte eine Schenkungs- und Abfindungserklärung sowie den Scheck über den Tisch. Ich unterschrieb und schob ihm seine Ausfertigung zu. Den Scheck schaute ich sorgfältig von beiden Seiten an, faltete ihn in der Mitte und verankerte ihn mit einer Sicherheitsnadel in der Innentasche meines schon etwas abgewetzten Tweedjacketts.
Der feine Maxe stand auf, schnipste nichtvorhandenen Staub vom Revers und griff die Aktentasche....
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