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Im September 2017 zog die AfD mit 12,6 Prozent der Wählerstimmen erstmals in den Bundestag ein. Am Wahlabend trat der spätere Fraktionschef Alexander Gauland vor seine Parteifreunde und kündigte eine Jagd an. Markige Worte und Triumphgetöse sind nach Wahlerfolgen durchaus normal. Auch die Selbstbeschwörung eigener Größe. Aber Gaulands Worte, mit fester Stimme und entschlossener Miene vorgetragen, klingen nach einer Drohung. Bei einer Jagd wird Beute verfolgt und letztlich erlegt. Das erzeugte Bild enthält eine latente Gewaltfantasie. Interessanterweise soll nicht nur die Bundeskanzlerin gejagt werden, sondern die AfD will »wen auch immer« jagen: Damit wird die Dimension erweitert auf alle Demokraten, die nicht ihrer Meinung sind. Aufschlussreich ist die Ankündigung, sich Land und Volk zurückholen zu wollen. Fragt sich, wem Land und Volk denn gehören? Gauland unterstellt implizit: der AfD. Eine beispiellose Anmaßung, die nicht nur in eklatantem Widerspruch zum demokratischen Prinzip des Wettbewerbs steht, sondern als antipluralistische Allmachtsfantasie verstanden werden kann. Gauland behauptet also allen Ernstes, ihm und seinen Parteifreunden gehöre das ganze Land, es stehe ihnen zu. Zurückholen kann man sich ja nur etwas, das einem zuvor weggenommen wurde: nämlich »unser Land und unser Volk«. Ganz so, als gäbe es keine unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen, sondern nur einen einheitlichen Volkswillen. Den aber gibt es nur in autokratischen, rechtsextremistischen Regimen, wenn Opposition, Abweichung und Widerspruch mit Gewalt abgeschafft worden sind und unterdrückt werden.
Alexander Gauland verlässt mit seiner drohenden Prophezeiung den Konsens der Demokraten. Die streiten, kritisieren und kämpfen um Wählerstimmen - aber sie jagen sich nicht. »Wir werden sie jagen .« Diese Worte sind rauf und runter zitiert worden, aber die Rezeption zeigt, was im Umgang mit radikaler Politrhetorik falsch läuft. Dass Jagdfantasien in der politischen Auseinandersetzung Ausdruck einer antipluralistischen Haltung und unvereinbar mit einer respektvollen politischen Kultur sind - das alles blieb außen vor. Stattdessen wurde Alexander Gauland durch die Einladung in Talkshows von ARD und ZDF geadelt. Seine Vita als langjähriges Mitglied der CDU sowie als Herausgeber der Märkischen Allgemeinen bewirken eine unverantwortliche Nachsicht gegenüber dessen Auftreten als AfD-Politiker.
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hat Andreas Kalbitz als Rechtsextremisten bezeichnet.10 Mit Kalbitz im Bundesvorstand wurde die AfD bei der Landtagswahl in Brandenburg im Jahr 2019 mit über 23 Prozent zweitstärkste Kraft hinter der SPD. Und das, obwohl der in München geborene Kalbitz eine lange rechtsextremistische Vergangenheit hat.11 Er war Mitglied bei den Republikanern, schrieb für die Mitgliederzeitung »Fritz« der rechtsextremistischen Vereinigung Junge Landsmannschaft Ostpreußen und war Vorsitzender des rechtsextremistischen Vereins »Kultur- und Zeitgeschichte, Archiv der Zeit«, der von einem ehemaligen SS-Hauptsturmführer gegründet worden war. Im Jahr 2007 nahm Kalbitz an einem Pfingstlager der neonazistischen »Heimattreuen Deutschen Jugend« (HDJ) teil, die zwei Jahre später verboten wurde. Kalbitz wurde vom Bundesvorstand der AfD wegen angeblich falscher Angaben im Aufnahmeantrag mit knapper Mehrheit aus der Partei ausgeschlossen. Er soll eine frühere Mitgliedschaft bei den Republikanern nicht angegeben haben. Nach seinem Rauswurf solidarisierten sich vor allem im Osten viele aus der AfD mit ihm. Allen voran Björn Höcke, der von »Verrat« sprach. Auch Alexander Gauland machte sich für Kalbitz stark. Obwohl das Bundesschiedsgericht der AfD die Annullierung der Mitgliedschaft für rechtmäßig erklärte, blieb Kalbitz zunächst Fraktionschef in Brandenburg, bevor er das Amt erst ruhen ließ, dann abgab und zugleich vor dem Berliner Landgericht daran scheiterte, eine einstweilige Verfügung gegen seinen Rauswurf aus der AfD zu erwirken. Absurdes politisches Theater.
Seit Jahren trat Kalbitz zuvor als Scharfmacher für die AfD auf, so auch beim sogenannten Kyffhäusertreffen des Flügels im Jahr 2017. Seine Wortwahl zeugt von tiefer Verachtung der demokratischen Konkurrenz und lässt daran zweifeln, ob er demokratische Willensbildung und Prozesse überhaupt akzeptiert. Die demokratischen Parteien bezeichnet er als »Blockparteien«. Der Ausdruck bezeichnet eigentlich jene Parteien in der DDR, die zwar pro forma eigenständig waren, aber den Kurs der Staatspartei SED in einem »Demokratischen Block der Parteien und Massenorganisationen« mittrugen. Kalbitz unterstellt mit seiner Analogie damit nicht weniger als eine Art Gleichschaltung von Parteien wie CDU, SPD oder Grünen. Die derart Geschmähten hätten sich »unseren Staat zur Beute gemacht«, so Kalbitz. So beschreibt der Rechtsextremist die Arbeit von Parteien, die seit Jahrzehnten die parlamentarische Demokratie in Deutschland tragen. Das Regierungshandeln als Ergebnis gewonnener Wahlen deligitimiert der Ex-Bundeswehrsoldat Kalbitz martialisch, indem er von einem »Schlachtfeld« spricht. Politik, die ihm nicht passt, bekommt den Stempel: »ideologische Experimente«. In diesem realitätsbefreiten Horrorszenario schafft sich Kalbitz im typischen AfD-Sound seine Bösewichter: Politiker und Journalisten machen ihm zufolge also nicht bloß schlechte Arbeit, sondern sind »Deutschlandabschaffer« und »Deutschlandhasser«. Schmähvokabeln, die für einen hypersensiblen und aggressiven Nationalismus stehen, der überall Feinde wittert. Im typischen Untergangs-Sound entwirft er ein Horrorszenario vom Zustand des Landes.
Mit Volker Beck und Claudia Roth stellt er zwei Grünen-Politiker namentlich an den Pranger. Beide werden seit geraumer Zeit immer wieder Opfer von Hasskampagnen. Sie werden beleidigt und bedroht. Diese leidgeprüften Hassobjekte entmenschlicht Kalbitz geradezu, wenn er sie als »Politausschuss« bezeichnet. In der Industrie ist Ausschuss der Begriff für Fehlproduktion. Also: Schrott. In der Summe verbindet diese Tirade des damaligen AfD-Spitzenpolitikers Andreas Kalbitz Menschenverachtung mit Demokratieverachtung. Die Absichten des politischen Gegners, die als durch und durch böse dargestellt werden, dienen als Rechtfertigung für rüde verbale Angriffe, die dazu geeignet sind, Hass zu schüren, der jederzeit in Gewalt umschlagen kann.
Noch einmal: Kalbitz wurde aus der AfD rausgeworfen, weil er beim Aufnahmeantrag falsche Angaben gemacht haben soll. An seiner menschenverachtenden Ideologie hat sich die Partei hingegen nicht gestört, sondern immer wieder berauscht.
In derselben Rede hat Andreas Kalbitz eine Tirade gegen die verhassten »68er« losgelassen. Jene Generation, die in Westdeutschland das Ende der Adenauer-Ära einleitete und die Gesellschaft nachhaltig modernisierte. Auch und vor allem dadurch, dass sie die Verantwortung für Nationalsozialismus und Holocaust offen benannte und den Bruch mit ideologischen und personellen Kontinuitäten einforderte. Die 68er sind ein Lieblings-Hassobjekt der radikalen Rechten, weil diese wichtige Grundlagen für eine pluralistische Gesellschaft legten und die Traditionslinien zum völkischen Nationalismus konsequent kappten. Spätestens mit dem grünen Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer waren Vertreter der 68er zu staatstragenden Akteuren in der Berliner Republik aufgestiegen. Diese Versöhnung einstiger Fundamentaloppositioneller mit der parlamentarischen Demokratie diskreditiert Kalbitz als geradezu korrupte Elitenmentalität. Die 68er hätten sich auf allen...
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