Viertes Kapitel
Inhaltsverzeichnis In einem behaglichen Winkel eines großzügig angelegten Gartens lag in einer Hängematte eine Frau. Sie hatte ein Buch in den Händen, aber ihre Augen blickten nicht hinein sondern beobachteten ein Rotkehlchen, das sich auf dem in der Nähe stehenden, sauber gedeckten Tisch niedergelassen hatte und dort keck nach willkommener Labung suchte.
Blumen und Moosbeete zogen sich, so weit das Auge reichte, hin und umsäumten einen Bach, der sein Bett durch den Garten zog. Ein breiter Weg, der durch hohe Pappeln überschattet wurde, führte zu einem großen, lang gestreckten Gebäude. Weiter fort sah man einen Eichenwald liegen.
Die Ruhe, die im Garten herrschte, wurde plötzlich durch klappernde Hufe unterbrochen.
Die Frau fuhr auf und glitt aus der Hängematte. Als sie nun auf den Füßen stand, konnte man ihre schlanke, biegsame Gestalt erkennen. Sie mochte eine Frau Anfang der Vierzig sein, hatte schwarzes, dichtes Haar und braune, leuchtende Augen.
Der Reiter kam auf sie zu; jetzt wurde der Hufschlag seines Pferdes durch den weichen Grasboden im Garten gedämpft.
Der Reiter zog seinen Sombrero und schwenkte ihn lachend; auch sie winkte ihm lebhaft zu.
Er war ein muskulöser Mann, der jung wirkte, trotzdem er wohl die Fünfzig schon überschritten hatte, besaß noch sein volles, blondes, etwas lockiges Haar und hatte blaue Augen, deren Fältchen davon zeugten, daß er gern und viel lachte.
Er trug einen dunkel gehaltenen Anzug mit einer braunen Lederhose. Um seine Hüften lag ein Patronengürtel, und aus dem Halfter des Gürtels hing tief ein Revolver herab.
Jetzt hatte er den schattigen Winkel erreicht und sprang vom Pferde, um die Frau, die sich freudig an seine Brust warf, lachend aufzufangen.
»Endlich, Garry!«
Eine leichte Wolke flog einen Augenblick über sein Gesicht, um sofort wieder dem lachenden, zärtlichen Ausdruck zu weichen. Doch seine Stimme klang ein wenig vorwurfsvoll, als er nun sagte: »Aber - kleine Ben!« Er nannte sie immer noch mit dieser Abkürzung ihres Namens, den sie einst trug, als sie sich kennen lernten.
»Ich ändere mich doch nicht!« klagte Benjamine Coolper, doch ihre Augen lachten ihn dabei an. »Wenn Du nicht bei mir bist, stehen immer Bilder in mir auf, was Dir alles passieren könnte und in welche Abenteuer Du Dich stürzen könntest, Garry.«
Garry Coolper schüttelte den Kopf und preßte sie enger an sich.
»Was soll mir denn nun schon passieren? Drei Tage war ich bei den Weidereitern; es ist alles in ausgezeichneter Ordnung dort, das Vieh in einem fabelhaften Zustande, eine Freude es zu sehen, Liebling. Die Felder blühen, es ist eine Lust, jetzt draußen zu sein.«
Bei diesen Worten führte er sie zum Tisch und ließ sich daran nieder, sie schenkte ihm den Nachmittagskaffee ein. Er sah zu ihr auf.
»Bin ich nicht pünktlich?« Er zeigte mit einer Handbewegung auf den Tisch. »Genau, wie ich es versprach: zum Nachmittagskaffee in drei Tagen bin ich wieder da!«
»Du siehst, Garry, ich rechnete auch fest damit,« erwiderte Benjamine Coolper oder, wie sie mit ihrer Abkürzung hieß, Ben.
Auf einmal zog sich eine steile Falte zwischen seine Augenbrauen; Ben, die kein Auge von ihm ließ, sah es mit Besorgnis; sie ahnte, was nun kommen würde, und richtig, da kam schon die gefürchtete Frage.
»Wo ist Lefty? Ich sehe, daß nur für Zwei gedeckt ist?«
Geschäftig, vielleicht auch nur, um ihren Mann abzulenken, stellte sie ihm das Brot und die Butter zur Hand, dabei sagte sie: »Lefty ist in Little Rock.«
»In Little Rock?« Jedes Wort betonend sprach er ihre Antwort nach. Seine Hand lag plötzlich zur Faust geballt auf dem Tisch; er hielt ihren Blick fest, dem sie gern ausgewichen wäre, »Du sandtest ihn mit einem Auftrag dort hin?«
»Nein - ja!« Eine Röte schoß in ihr Gesicht, als er sie kopfschüttelnd betrachtete.
»Du willst den Jungen in Schutz nehmen, Liebling?« fragte er leise.
»Lefty ist jung, Garry, er will doch etwas von seinem Leben haben. Immer nur hier bei uns zu sitzen, ist doch nichts für einen jungen Menschen!« Überstürzt verteidigte die Mutter ihren Jungen.
»Was heißt vom Leben haben, Benny?« grollte Garry.
»Faul ist er und zu nichts nütze!« brauste er plötzlich auf.
»Bist Du nicht zu hart mit ihm?« wagte sie schüchtern einzuwerfen.
Ein hartes Lachen ließ sie zusammenfahren; gleich aber war Garry wieder ruhig und höflich.
»Ich glaube, daß Du das nicht im Ernst behaupten kannst. Überlege Dir doch selbst! Was tut der Junge? Er sitzt hier umher, reitet auch wohl einmal gelegentlich zum Vieh hinaus, aber damit ist schon sein Tagewerk vollbracht. Im übrigen, sofort, wenn ich den Rücken kehre, sitzt er in Little Rock und wer weiß, was er dort macht. Ich habe ihn im Verdacht, daß er dort jeut, und daß ein gewisser Jemand,« er sah seine Frau fest an »ihm heimlich das Geld dafür zusteckt.
»Wenn Du das >etwas vom Leben haben< nennst, Liebling, dann geht unsere Meinung in dem Punkt aus einander. Im übrigen ist er schlapp, schießen tut er wie ein totes Kaninchen, kein Mumm ist in dem Jungen, zu nichts ist er zu gebrauchen!« empörte sich Garry.
»Das ist nicht wahr!« Jetzt wurde Benny energisch.
»Was verlangst Du eigentlich von ihm? Daß er nicht so ein Revolverschütze ist wie Du, dafür kann er nicht. Einen Garry Coolper gibt es nicht noch einmal wieder!« setzte sie stolz und zärtlich hinzu. »Auch sagt Lefty immer, daß er nur in Deiner Gegenwart versagt. Er hat Angst vor Deiner scharfen Kritik, oder es ist sonst irgendeine Hemmung bei ihm vorhanden. Jedenfalls erzählt er mir, daß er in Deiner Gegenwart immer unsicher wird.«
»Pah!« Garry Coolper machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn ein Mann überhaupt je das Gefühl der Angst oder Unsicherheit kennt, dann wird aus ihm nie ein Kerl - ein Revolvermann.«
»Aber, Garry,« Benny schlug die Hände zusammen »soll unser Lefty denn ein Revolvermann werden?«
»Lieber als ein schlapper Kerl! Denn Benny,« setzte er leise hinzu, »er ist doch auch mein Junge.«
»Garry,« vorsichtig sprach sie ihre Meinung aus »hast Du den Jungen nicht immer zu scharf angefaßt? Ich war doch oft Zeuge, wie Du die Geduld verlorst, und dann habe ich den Jungen oft recht bedauert.«
»Unsinn!« wehrte er ab. »Ein Junge muß gelegentlich einmal hart angefaßt werden, sonst -«
»Ist das nicht individuell, Garry?« suchte sie unterbrechend einzuwerfen.
»Ach was, entweder wird er ein ganzer Kerl oder nicht!«
Etwas verstimmt schwiegen nun beide. Benny tat es leid; immer wieder war es dieses Thema, das eine Mißstimmung zwischen ihnen hervorrief. Aber sie faßte es als ihre Pflicht als Mutter auf, verbindend zwischen Vater und Sohn zu stehen.
Auch sah sie ein, daß es nicht leicht für ihren Sohn Lefty war, neben einem Vater von so überragender Persönlichkeit und Eigenschaften zu bestehen.
Sie bemerkte die finstere Unmutswolke auf seinem Gesicht und versuchte, sie zu verscheuchen.
»Ich erhielt einen Brief von Betty, Garry.«
Ihre Diplomatie, ihn abzulenken, schien den gewünschten Erfolg zu haben, denn er sah interessiert auf.
»Betty?« ein zärtlicher Klang war in seiner Stimme. »Was schreibt sie?«
»Sie schreibt, daß sie sich nach ihrem Daddy sehnt und sich darauf freut, daß wir sie bald abholen.«
Betty war die siebenzehnjährige Tochter des Hauses, der verwöhnte Liebling des Vaters. Sie weilte augenblicklich in New York bei einer befreundeten Familie.
Vom Ranchhaus her näherte sich jetzt eine schwarze Dienerin.
»Was gibt es, Anna?« rief ihr die Hausfrau entgegen.
Lachend begrüßte sie mit einem tiefen Knicks den Hausherrn.
»Mister Coolper, mit einem Wagen aus Little Rock kam eben ein Herr, der Euch zu sprechen wünscht.«
»Bitte ihn hierher!« forderte Garry sie auf.
Anna ging; sie nahm das Pferd mit sich, das bisher in der Nähe nach Gräsern gesucht hatte.
Gleich darauf erschien sie wieder, und in ihrer Begleitung befand sich ein schlanker, mittelgroßer Mann, Ende der Vierzig. Er war aufs Sorgfältigste gekleidet und machte einen sympathischen und gepflegten Eindruck.
Auf den ersten Blick sah Garry Coolper, daß es kein Nordamerikaner war, sondern daß er einen Südamerikaner vor sich hatte.
Höflich stand er auf und ging seinem Gast entgegen. Auf halbem Wege trafen sie zusammen.
»Ich heiße Sie willkommen!« sagte Coolper mit der von ihm stets gepflegten Gastfreundschaft.
»Ich danke Ihnen, Mister Coolper!« antwortete der Fremde und legte seine schmale, braune Hand in die kräftige des Hausherrn. »Gestatten Sie, daß ich mich Ihnen bekannt mache - Orfila aus Rio de Janeiro.«
Coolper erwiderte die Verbeugung seines Gastes und führte ihn zum Kaffeetisch.
Hier machte er ihn mit seiner Frau bekannt, die den Fremden an den Tisch bat und ihn gastfreundlich bewirtete.
Schon nach kurzer Zeit fühlte sich Orfila hier wohl, seine flinken, aufmerksamen Augen gingen hin und her, um immer wieder mit einem staunenden Ausdruck auf Garry Coolper haften zu bleiben.
Es wollte ihm nicht gelingen, diesen Mann, der so sehr in diese gepflegte Häuslichkeit paßte und sich mit ihm angeregt unterhielt, mit dem immerhin ungewöhnlichen, wenn nicht gar unheimlichen Namen >reitender Tod< in Einklang zu bringen.
Ohne ihn nach dem Zweck seines Kommens zu fragen, forderte ihn...