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Kapitel 1
Dienstag, 11. Februar 2020, 12:42 Uhr Amtsgericht Betzdorf
Nina war so wütend wie lange nicht. Sie biss die Zähne zusammen und ballte die Fäuste in den Taschen ihrer Jacke. Beinahe teuflische Gedanken kamen ihr, während sie mit anhören musste, wie Richterin Frida Christiansen den Freispruch für Öger Mhalladi begründete. Am liebsten würde Nina jetzt aufspringen und diesem feist grinsenden Dreckskerl immer wieder laut schreiend ins Gesicht schlagen. Der Mann war eindeutig schuldig. Es gab handfeste Beweise und auch Zeugenaussagen, dass Mhalladi vor einem halben Jahr so lange auf einen jungen Mann eingeprügelt hatte, bis dieser beinahe verstorben wäre. Der Junge lag immer noch im Koma. Die Chancen, dass er jemals wieder aufwachen würde, tendierten gegen null. Sämtliche Zeugen hatten vor Gericht ihre vorherigen Aussagen revidiert und waren sich plötzlich überhaupt nicht mehr sicher gewesen, was oder ob sie überhaupt etwas gesehen hatten. Die Hauptbelastungszeugin der Anklage, eine junge Frau, war erst gar nicht zum Prozess erschienen. Niemand wusste, wo sie abgeblieben war. Nina befürchtete das Schlimmste. Öger Mhalladi war mit das Übelste an Mensch, was Nina jemals untergekommen war. Die Liste der Straftaten, die dem Oberhaupt des libanesischen Familienclans in den letzten Jahren vorgeworfen worden waren, war ellenlang. Es hatte Dutzende Verfahren gegen den Mann gegeben, die aber alle, genau wie der Prozess heute, mit einem Freispruch geendet hatten oder eingestellt worden waren.
Als die Richterin die Sitzung schloss, war Nina die Erste, die den Gerichtssaal verließ.
"Nina, Schätzelein, beruhig dich", hörte sie Kriminalhauptkommissar Holger Wolf hinter ihr sagen, der extra wegen des Prozesses aus Köln angereist war.
Nina blieb abrupt stehen und wirbelte herum. Holger wäre fast gegen sie gerannt.
"Ich soll ruhig bleiben? Das blöde Arschloch da drin belacht sich über uns, und ich soll ruhig bleiben?", zischte sie zurück.
"Genau, Nina. Du kannst et nämlich nit ändern", meinte der Kölner Kollege.
Sie wusste, dass er recht hatte. Sie, Nina Moretti, konnte nichts ändern. Typen wie Öger Mhalladi bogen sich das Gesetz so, wie sie es brauchten. Der Typ machte keinen Hehl daraus, wie sehr er die Polizei und das deutsche Rechtssystem verachtete. Andererseits spielten er und sein Anwalt das Spiel perfekt. Es war hinlänglich bekannt, dass der Clan des Libanesen Zeugen kaufte oder unter Druck setzte. Holger hatte Nina von einem Fall in Köln erzählt, in dem diese Kriminellen sogar vor Polizisten und dem leitenden Staatsanwalt nicht Halt gemacht hatten. Ein Kollege aus der Domstadt hatte sogar, nachdem er und seine Familie massiv bedroht worden waren, den Dienst quittiert und war weggezogen.
Leute wie Öger Mhalladi glaubten von sich selbst, über dem Gesetz zu stehen und mit allem durchzukommen. Und wie die Urteilsverkündung gerade gezeigt hatte, schien es ja auch zu funktionieren.
"Weißt du was, Holgi? Du hast recht. Ich kann es nicht ändern. Aber zum Glück ist der Dreckskerl ja ab morgen wieder in Köln und somit ganz allein euer Problem", fuhr sie ihn harscher an, als sie wollte.
"Sorry . Holger - war nicht so gemeint", entschuldigte sie sich sofort.
Holger lächelte. Seine Ruhe und Ausgeglichenheit hatte sie schon früher immer bewundert, als sie selbst noch beim KK11 in Köln gewesen war. Acht Jahre waren seit ihrer Versetzung ins Land gegangen. Die Domstadt am Rhein war nie ihre Stadt gewesen, weshalb Nina den Wechsel ins eher ländliche Betzdorf noch keinen Tag bereut hatte. Der Einzige aus der alten Kölner Truppe, zu dem sie auch heute noch gelegentlich Kontakt hatte, war Holger Wolf, ihr damaliger Partner. Natürlich waren sie nur dienstlich Partner gewesen. Dies lag zum einen daran, dass Holger nicht wirklich dem Bild von Ninas Traummann entsprochen hatte, und zum anderen an der Tatsache, dass Holger auf Jungs stand. Dennoch war da zwischen ihnen etwas, das sie durchaus als eine echte Freundschaft bezeichnen würde.
"Glaub mir, Schätzelein, mich nervt das auch gewaltig, dass der Mhalladi das Gericht als freier Mann verlässt. Aber irgendwann . irgendwann, dann is er auch reif. Du weißt doch: Die kleinen Sünden bestraft der liebe Gott sofort, und bei den großen - da dauert das eben schon mal etwas länger. Aber am End, da bekommt jeder, wat er verdient."
"Eine super Weisheit, Holgi. Magst du die mal den Eltern von dem Jungen erzählen, den der Öger Mhalladi ins Koma geprügelt hat? Frag sie mal, für welche Sünde ihr Sohn büßen musste", schnaufte sie und packte dann Holger, der betroffen den Blick senkte, am Arm und zog ihn mit sich. Hinter ihnen drängten nun immer mehr Menschen aus dem Gerichtssaal. Es wurde Zeit, dass sie hier fortkamen. Auf der Treppe nach unten holte Kriminaloberkommissar Kübler sie beide ein.
"Das ist echt das Letzte", schimpfte er. Nina antwortete nicht. Sie musste das Ganze hier schnell vergessen. Falls das überhaupt so einfach möglich war. Sie zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche und sah auf das Display. Es war kurz vor ein Uhr.
"Was haltet ihr von chinesisch?", fragte sie.
"Da wär ich dabei", antwortete der Kölner.
"Ähm . Meine Frau hat mir Brote geschmiert", entschuldigte Kübler sich.
"Quatsch, Thomas, komm mit. Ich geb einen aus", erwiderte sie. Kaum jemand kannte Kübler so gut wie sie. Thomas ging gerne essen. Dumm war nur, dass er dafür meist zu geizig war.
"Na gut, wenn du drauf bestehst, komme ich eben mit", gab er auch prompt klein bei.
Die Luft draußen vor dem Amtsgericht war angenehm kühl und frisch.
"Ich glaub, das gibt Schnee", nörgelte Kübler und setzte die kunterbunte Bommelmütze auf, die seine Frau Alexandra ihm gestrickt hatte.
Rechts neben dem Eingang lauerte bereits gut ein Dutzend Journalisten. Sogar ein Kamerateam war dabei. Nina entdeckte auch die Reporter der einheimischen Käseblätter. Dumm war, dass die auch sie kannten. Die Ersten, die mit gezückten Stiften, Kameras und Schreibblöcken in den Händen auf sie zukamen, waren Claudia Geimer und Peter Seel von der benachbarten Redaktion der Rhein-Zeitung.
"Claudia - frag mich erst gar nicht", kam sie der Reporterin zuvor, bevor die überhaupt den Mund öffnen konnte. Nina mochte die Frau mit der Brille und den mittlerweile ergrauten Haaren. Im Prinzip kannte in Betzdorf sowieso jeder fast jeden. Die Endung "Dorf" nach dem "Betz" kam nicht von ungefähr. Da konnte das Örtchen dreimal die Stadtrechte bekommen haben. Betzdorf blieb ein Dorf. Und das war im Grunde auch gut so.
"Komm, Nina, kurzes Statement. Wie siehst du als Polizistin den Freispruch?", fragte Peter Seel.
"Glaub mir, Peter, das willst du gar nicht hören", antwortete sie. Den Fehler, sich zu irgendeiner Aussage hinreißen zu lassen, die dann morgen in der Zeitung stand, würde sie nicht machen.
Hinter ihnen am Ausgang des Gerichtsgebäudes wurde es nun lauter. In den Pressepulk kam Bewegung. Auch Claudia Geimer und Peter Seel ließen zum Glück nun von Nina ab.
Dann trat der Teufel in Person ins Freie. Siegessicher, wie ein Olympiasieger, riss er die Hände triumphierend in die Höhe. Die Schar der Reporter schnatterte wie Gänse. Kameras klickten, Blitzlichter flammten auf. Plötzlich gab es einen dumpfen Schlag, und Öger Mhalladis Kopf schien förmlich zu explodieren. Blut spritzte. Dann erst, nach einer gefühlten Ewigkeit, hallte der Schuss durch das Tal. Panik erfasste die Menge. Einige der Umstehenden warfen sich zu Boden. Andere drängten zurück ins Gebäude. Nina blieb stehen und zog ihre Waffe, drehte sich dann mit der Pistole im Anschlag im Kreis und suchte die Umgebung ab. Auch Kübler und Holger Wolf hielten nun ihre Pistolen im Anschlag.
"Verdammt, woher kam das?", schrie sie. Sie sah zu Kübler, dessen Blick auf den gegenüberliegenden, bewaldeten Berghang gerichtet war.
"Das kann nur von oberhalb des Barbaratunnels gekommen sein", antwortete er. Nina betrachtete noch eine Weile die Bäume, konnte aber nichts sehen. Dann steckte sie die Waffe zurück in das Holster am Gürtel und ging zu der Stelle, an der Öger Mhalladi reglos auf dem Boden lag. Eine Pfütze Blut hatte sich unter dem, was einmal sein Kopf gewesen war, gebildet.
"Die kleinen Sünden bestraft der liebe Gott sofort", hörte sie sich selbst flüstern. Einen Arzt brauchte Mhalladi nicht mehr. Das Projektil, das ihn getroffen hatte, hatte ganze Arbeit verrichtet. Die Zeit zwischen dem Aufprall des Geschosses und dem Moment, wo sie den Schuss gehört hatten, war verdammt lange gewesen. Wer immer abgedrückt hatte, musste ziemlich weit entfernt und somit ein verdammt guter Schütze gewesen sein. Nina sah zu den Umstehenden, die nun langsam wieder näher kamen oder sich vom Boden aufrappelten. Eine blonde Frau, in etwa in Ninas Alter, stand reglos vor dem Toten. In ihrer zitternden Hand ein Mikrofon mit der Aufschrift eines Kölner Privatsenders. Ihr blasses Gesicht rot gesprenkelt.
"Alles in Ordnung mit Ihnen?", fragte Nina und fasste die Blonde am Arm. Keine Regung.
"Thomas, rufst du bitte mal den Notarzt", gab Nina Anweisung, da sie als Nächstes einen totalen Nervenzusammenbruch der Reporterin befürchtete.
Sie sah, wie uniformierte Kollegen aus dem Eingang der Polizeiwache drängten. Eine junge Beamtin fasste die blutverschmierte Reporterin bei den Schultern und sprach beruhigend auf sie ein. Nina ging indes zu der Wand neben der Eingangstür zum Amtsgericht, wo in Kniehöhe der Putz kreisrund um ein...
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