Schweitzer Fachinformationen
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15.10.2023. Der Mann kniete im Schlamm. Den Blick zum Himmel erhoben, so dass die Regentropfen wie Tränen über sein Gesicht liefen, hatte er etwas Flehendes an sich.
Der Wind zerrte an der gelben Regenjacke. Die Brandung war bis hierher zu hören. Nur Zentimeter vor seinem Kopf befand sich das dreckverkrustete Vorderrad des Fahrzeugs.
"Es ist gut, Henk. Es ist gut ..." Mühsam, die linke Hand auf ein Knie gestützt, rappelte er sich auf und stemmte die Arme in die Hüften. Der leidige Rücken. Henk, der Mann an der Winde, zeigte der Frau am Steuer einen erhobenen Daumen. Mit lautem Ratschen zog sie die Handbremse an. Nach einem halben Dutzend erfolgloser Versuche stand das alte Wohnmobil endlich in der richtigen Position auf dem Transportanhänger. Solo holte die Zurrgurte aus der Alukiste auf der Deichsel und half Tarzan und Henk, den Schrotthaufen ordentlich zu sichern.
Vor 24 Jahren war der Rimor mal ein schmucker Camper gewesen. Sechs Schlafplätze, ein Bad mit separater Dusche im Heck, Küchenblock mit Kühlschrank und Stauraum ohne Ende. Viel war davon nicht mehr übrig. Der Alkoven1 diente als Rumpelkammer. Im Bad stapelten sich Getränkekisten und die Sitzgruppe war einem aus rohen Brettern gezimmerten Doppelbett gewichen. Die Rollos an den Fenstern funktionierten nicht mehr, von den Einbauten schälte sich das Furnier ab, die Klappen schlossen nicht richtig und überall verliefen mit Lüsterklemmen verbundene Elektrokabel. Es roch wie in einem Gewölbekeller, hinter dessen Konservenregal etwas gestorben war. Wehmütig betrachtete Henk das bemooste Wrack.
"So viele schöne Sommer, haben wir darin verbracht." Er tätschelte die Aluminiumseitenwand, wie bei einem treuen alten Pferd. Henk, ein ehemaliger Kollege und Freund von Tarzan, hatte sich entschlossen, dem Camperleben Adieu zu sagen. Das Alter, der Rücken ... Der eigentliche Auslöser war allerdings die Insolvenz des kleinen Campingplatzes bei Eckernförde. Nein, den Planierraupen wollte er das Urmel, so hatte er das Mobil liebevoll genannt, nicht opfern. Vor drei Monaten, bei einem Treffen ehemaliger Lkw-Fahrer, hatten er und Tarzan sich nach vielen Jahren wiedergesehen. Als Tarzan ihm nach etlichen Bieren von seinem ewigen Lebenstraum, einem zum Wohnmobil umgebauten Omnibus, vorschwärmte, bot er ihm spontan das Urmel an. Geschenkt. Unter alten Fahrensleuten nimmt man kein Geld. Okay ... es ist ein bisserl was dran zu machen ... Ein Bus ist es auch nicht ... Aber mit gusseiserner Technik. Selbst in Papua Neuguinea kriegst du noch Teile für das Baby. Noch ein Bier. Noch ein Korn. Handschlach! Und Solo? Henk hatte Tarzan ein paar Fotos geschickt. Per Brief. Henk eben: Analog bis zur Schmerzgrenze. Auf den Rückseiten der verblassten Aufnahmen mit Bleistift gekritzelte Bemerkungen W.O.A 1999: vier langhaarige Kerle, drei Kästen Bier, im Hintergrund glänzt das Urmel in der Abendsonne. Gardasee 2000: Henk mit Anita, fröhlich aus dem Fenster winkend, Geranien im Blumenkasten. 2002: Marokko. Urmel unter Palmen, handgemalte Kamele samt Sonnenuntergang auf dem Alkoven. Aktuelle Bilder? Nö. Überhaupt: geschenkter Gaul und so ... Tarzan freute sich wie ein Kind. Solos Vorfreude hielt sich in engen Grenzen. Arg engen Grenzen!
Sie kletterte vorsichtig aus dem Führerhaus, wischte sich die Hände an ihrem Blaumann ab und schaute Tarzan kopfschüttelnd an: "Mit diesem Schimmelschloss kannst du alleine auf Tour gehen. Wenn du das Ding als Hundehütte nutzt, kriegst du eine saftige Anzeige vom Tierschutzverein."
Tarzan hob besänftigend beide Hände. "Schatz, du wirst diese Kiste nicht wiedererkennen, wenn der Ottl und ich damit fertig sind, ich ..."
Solo unterbrach ihn seufzend. "Du weißt schon, dass ich Ende Fünfzig und du Mitte sechzig bist. Um aus dem morschen Hühnerstall etwas zu machen, in dem ich gut schlafe, braucht es mindestens zwanzig Jahre."
Hier irrte Bertha Solomon. Tarzan und Ottl, sein handwerklich versierter Freund, der schon zwei alte Feuerwehrautos und einen T1-Bully umgebaut hatte, schafften es in neun Monaten. Genies, Päpste, Präsidenten, Stars wurden in ähnlichen Zeiträumen erschaffen.
13.07.2024. Tarzan war etwas gelungen, das er in über dreißig Jahren nicht geschafft hatte: Er hatte Solo nicht verraten, wie weit sie mit dem Um- und Ausbau des alten Wohnmobils vorankamen, und er hatte dem Wunsch widerstanden, ihr jeden Abschnitt nach Fertigstellung stolz zu zeigen. Wer Tarzan kennt, weiß, was er da geleistet hat. Doch nun war es soweit.
Das große hölzerne Rolltor wurde zur Seite gezogen und die rundliche Schnauze des 230er Ducatos glänzte im Sonnenlicht. Ja, glänzte. Der schwarze Stoßfänger sah aus wie neu. An den Rädern schimmerten verchromte Radkappen, die halb abgeblätterten Kamele auf der Alkovenfront waren einer großen untergehenden Sonne mit Möwen und angedeuteten Wellen gewichen. Ottl und Tarzan in ihren Latzhosen sahen aus wie einem alten Heinz-Rühmann-Film entsprungen und platzten fast vor Stolz, als sie Solos ungläubiges Gesicht sahen.
"Leute ..." Flüsterte sie andächtig und strich über die ebenfalls tiefschwarzen Außenspiegel.
"Äh, nicht! Wir haben ..." Zu spät, Solo betrachtete ihre fettige Handfläche und widerstand dem Impuls, sie an ihrer weißen Jeans abzuwischen.
"Hier, Schätzele!" Tarzan reichte ihr ein leidlich sauberes Tuch. "Geheimtipp vom Ottl: ausgebleichte Plastikteile mit Sonnenblumenöl einreiben. Die werden wieder wie neu! Kannst du auch mal probieren ..." Solos Blick hätte jeden anderen augenblicklich tot umfallen lassen.
"An deinem Firebird! Solo! An deinem Firebird, meinte ich! Herrgott!" Solos Augen studierten aufmerksam Tarzans Gesicht, schienen keine Anzeichen von Bosheit zu finden und wurden um ein Grad wärmer.
"Gerade nochmal die Kurve gekriegt, mein Freund. Knapp. Megaknapp."
Hinter dem Wohnmobil tauchte ein Mädchen auf.
"Hab ich gemacht!" Das Kind sah aus, als sei es einem alten Kinderfilm entsprungen. Feuerrote Haare, etwas zu große Jeans-Latzhosen voller Farb- und Ölflecke und knallgelbe Gummistiefel. Auch verdreckt. Lilly. Ottls Enkelin. Als ihre Eltern sich vor sieben Jahren getrennt hatten, baute Ottl kurzerhand die nicht mehr benötigten Stallungen in eine rustikale Wohnung um und nahm Lilly und seine Tochter bei sich auf. Seitdem wohnten die beiden auf seinem Hof. Das Mädchen erzählte jedem begeistert, dass sie im Schweinestall lebte.
Vor fünf Jahren hatten Solo und Tarzan Ottheinrich Boxheimer kennengelernt, der ihnen bei der Revision ihres mittlerweile altersschwachen Wohnschiffs tatkräftig unter die Arme gegriffen hatte, so dass die Lady Jane wieder fit für viele weitere Jahre war. Lillys Mutter unterhielt in einem Mannheimer Vorort ein großes Yoga-Zentrum und gab auch Kurse außerhalb, so dass Lilly hauptsächlich von ihrem Opa erzogen wurde. Der sie in alles einband, was es auf dem ehemaligen Bauernhof so zu tun gab. Lilly hatte zwar Schwierigkeiten in Mathematik, aber sie konnte die Lichtmaschine eines T1-Bullys einbauen und hervorragend mit Bits und Akkuschraubern umgehen. Solo und Tarzan liebten sie wie eine eigene Enkelin und hatten ihr auch schon versprochen, sie in den nächsten Ferien mit auf Tour zu nehmen. Lilly trat aufgeregt von einem Bein aufs andere.
"Solo! Du musst dir unbedingt angucken, was wir drinnen alles gemacht haben!" Das Mädchen öffnete die Aufbautür.
Sofort verrauchte bei Solo auch noch der letzte Zornesfunke. "Respekt, Jungs, Respekt! Das habt ihr ja genial hingekriegt". Ehrliche Anerkennung schwang in ihren Worten mit.
"Warte ab, bis du das Bad siehst, Schatz! Ich sag nur: Wellness-Oase!" Tarzan quetschte sich an seiner Frau vorbei und öffnete die Tür zu der winzigen Nasszelle im Heck. Da, wo einst die Duschtasse war, hatten er und Ottl einen Waschtisch mit Aufsatzwaschbecken samt Designergarnitur installiert. Zwei Wände waren mit Spiegelfliesen verkleidet. Alles andere in Weiß; Regale und Waschtischplatte in Bambus. Es sah aus wie in einem Luxusliner.
"Und wo duschen wir?", fragte Solo.
"Folge mir!" Tarzan grinste und verließ das Fahrzeug. Stolz präsentierte er eine Klappe an der Seite des Mobils. Er öffnete sie und Solo erkannte eine komplette Dusche samt Mischbatterie und sorgfältig aufgerolltem Schlauch. Sie schaute Tarzan mit dem ihm wohlbekannten Nicht-Dein-Ernst-Ausdruck an. Tarzan erklärte eifrig, bevor die Zornesfalte auf ihrer Stirn sich richtig entwickelt hatte: "Wir haben die Anschlüsse einfach nach außen verlegt, alles komplett abgedichtet. Ideal an heißen Tagen, nach einem Strandbesuch oder so ..."
"Und wenns kalt ist, oder wir mitten in einer Stadt stehen?" Sie war immer noch skeptisch.
"Dann eben auf einem Campingplatz, einem Hallenbad, unter einem Wasserfall. Auf der Lady Jane duschen wir auch nicht jeden Tag." Solo nickte widerstrebend. Das originale Waschbecken war die reinste Müslischüssel gewesen. Dieses hier hatte eine fast normale Haushaltsgröße. Ausreichend, um einen Menschen von Kopf bis Fuß sauberzukriegen.
"Wir haben einen fetten Wasserschaden freigelegt", fuhr Tarzan fort, "als wir das alte Bad rausgerissen haben. Wir mussten die komplette hintere Ecke und den Boden bis zur Küche neu aufbauen."
Ottl, der die ganze Zeit auf seinem Handy herumgewischt hatte, hielt es ihr vors Gesicht: "Guckst du."
Solo nahm das Gerät und verfolgte das verwackelte Video mit gerunzelter Stirn....
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