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Anfänge faszinieren gerade im Fall der religiösen Traditionen, bilden sie für die Gläubigen doch über Zeit und Raum hinweg zentrale Bezugspunkte für die Gestaltung des eigenen Lebens, Denkens und Empfindens. Für den Islam mit seiner ausgeprägten Orientierung an der Ära des Propheten Muhammad, seiner Familie und Gefährten gilt dies in besonderem Maß. Muhammad hatte als Prophet und politischer Führer nach anfänglichen Schwierigkeiten überwältigenden Erfolg. Sein Weg, der ihn in gut zwei Jahrzehnten von der Berufung und Verkündigung über Widerstand und Emigration, Diplomatie und Kampf zum Triumph führte, inspiriert Musliminnen und Muslime bis heute. Ein überwältigender Erfolg waren die frühen Eroberungen, die in weniger als einem Jahrhundert ein riesiges arabisch-islamisches Reich schufen, und auch sie werden mit einer Mischung aus Stolz und Nostalgie erinnert. Nicht weniger bemerkenswert ist die Tatsache, dass aus den eroberten Gebieten ein islamisches Reich mit kosmopolitischen Zügen entstand, das über Jahrhunderte Bestand hatte. Der Islam ist die einzige Weltreligion, die sich mit weltlichen Erfolgen durchsetzte, bevor sie sich als Religion über die ganze Welt ausbreitete. Wie alles begann, ist daher nicht allein von historischem Interesse.
Die muslimische Tradition schildert die frühislamische Geschichte anschaulich und mit großer Liebe zum Detail. Die kritische Wissenschaft hingegen sieht Muhammad zwar ganz überwiegend als historische Gestalt, sucht aber nach verlässlichen Anhaltspunkten für sein Leben und Umfeld. Narrative Quellen, materielle Zeugnisse und Überreste, die Aufschluss über damalige Lebensverhältnisse, Ereignisse oder gar Sichtweisen geben könnten, sind für Nordwestarabien im 6. und frühen 7. Jahrhundert n. Chr. entweder gar nicht vorhanden oder rar. Der Koran lässt sich mit modernen naturwissenschaftlichen Methoden zwar ins 7. Jahrhundert datieren, ist aber kein Geschichtsbuch. Das Leben Muhammads und der frühen Gemeinde wird daher, ungeachtet aller wissenschaftlichen Bedenken, im Wesentlichen doch aus erzählenden Quellen rekonstruiert, die gläubige Muslime einige Generationen nach dem eigentlichen Geschehen in arabischer Sprache verfassten oder redigierten: der Prophetenbiographie (arab. sirat an-nabi, kurz Sira), die uns in der Fassung von Ibn Ishaq (gest. um 767), bearbeitet von Ibn Hisham (gest. um 833), vorliegt; den überlieferten Taten und Aussprüchen des Propheten Muhammad (Sunna, Hadith); Feldzugsberichten, Annalen und Chroniken und schließlich einer reichen genealogischen, biographischen und geographischen Literatur.
Ihren Grundstock bilden Anekdoten und Berichte aus dem Leben des Propheten und der frühen Gemeinde, «Erzählungen» im unmittelbaren Sinn des Wortes, die wohl erst im 2. Jahrhundert islamischer Zeitrechnung zu einer durchgehenden, chronologisch geordneten Erzählung verarbeitet wurden. Anders ausgedrückt, wurde Geschichte aus Geschichten geformt. Die Anekdoten und Berichte hatten nicht nur den Zweck, das Geschehen als Heilsgeschichte kenntlich zu machen, sondern auch, in den Auseinandersetzungen der eigenen Zeit Position zu beziehen. Sie dienten also nicht allein der religiösen Erbauung der Gläubigen, die den Erzählungen lehrreiche Beispiele und orientierende Rollenvorbilder entnahmen. Verfasst zu einer Zeit, als noch zählte, was genau von einzelnen Personen, Clans und Stammesgruppen berichtet wurde, konstruierten sie eine «für die Gegenwart nützliche Vergangenheit» (Francis Robinson) und spiegelten zugleich, was bestimmte Gruppen erinnern und «vergessen» wollten. Und einzelne Gruppen «erinnerten» und «vergaßen» durchaus Verschiedenes. Gerade ihre Vielstimmigkeit kennzeichnet die muslimische Tradition.
Um 600 war die Arabische Halbinsel allenfalls Peripherie bedeutender Kultur- und Wirtschaftsräume im Norden, Osten und Südwesten, wo die beherrschenden Mächte ihrer Zeit, das hellenistisch-christliche Byzanz und die persischen, mehrheitlich zoroastrischen Sassaniden, um Vorherrschaft und Einfluss stritten. Von den Sandwüsten und Wüstensteppen Zentral- und Westarabiens, die nur in den Oasen eine intensivere Siedlung und Kultivierung zuließen, sind allerdings die Randzonen zu unterscheiden: im Norden der Grenzstreifen zu Syrien und Irak, im Osten Oman und die nördliche Küste des Persischen Golfs, im Südwesten Asir, Jemen und Hadramaut. Von «Arabern» berichtet erstmals eine assyrische Inschrift aus dem 9. vorchristlichen Jahrhundert, die Kamelreiter aus der syrischen und der arabischen Wüste als aribi bezeichnet; spätere griechische Quellen sprechen von «Zelt-Arabern» (sarakenoi, Sarazenen), aramäische und persische Texte von tayyaye (abgeleitet von der arabischen Stammesgruppe der Tayy), die Araber selbst von Beduinen (badu). Doch lebten auf der Arabischen Halbinsel neben Nomaden und Halbnomaden auch sesshafte Oasenbauern, Händler und Handwerker. Wie überall waren Hirtennomaden (Kamelhalter, später auch Pferdezüchter), Oasenbauern, Händler und Handwerker aufeinander angewiesen und lebten in einem gewissen Austausch miteinander, wenn auch nicht immer einem friedlichen. Bindungen schuf die gemeinsame arabische Sprache mit ihren verschiedenen Dialekten, die um 600 noch weitgehend mündlich weitergegeben wurde, obgleich schon aus der ersten Hälfte des 4. nachchristlichen Jahrhunderts arabischsprachige Graffiti und Inschriften in verschiedenen Alphabeten erhalten sind.
Altsüdarabien, das «Glückliche Arabien» (Arabia felix) der Antike, war dank des Monsunregens und/oder ausreichenden Grundwassers in großen Teilen fruchtbar, früh und dauerhaft besiedelt und mit Hilfe komplizierter Bewässerungstechniken landwirtschaftlich intensiv genutzt. Es war die Stätte alter Hochkulturen mit eigener Schrift, anspruchsvoller Architektur und einem differenzierten religiösen Leben. Seinen Reichtum verdankte es nicht zuletzt dem Fernhandel, wobei die Weihrauchstraße als eine der bedeutendsten Handelsrouten der Alten Welt um 600 ihre frühere Bedeutung längst eingebüßt hatte. Das sagenumwobene Königreich von Saba war um 250 n. Chr. im Königreich von Himyar aufgegangen, das auch hellenistische Impulse aufnahm. Im 4. Jahrhundert verbreitete sich dort das Christentum, bis 523 König Yusuf (in den arabischen Quellen Dhu Nuwas, «der Gelockte») zum Judentum übertrat und gegen die Christen vorging, die er wohl als Agenten der christlichen Reiche von Aksum (im nördlichen Äthiopien und Eritrea) und Byzanz verstand. Unterstützt von einer kleinen byzantinischen Flotte, besetzten die Aksumiten daraufhin 525 den Jemen. Ihr Feldherr Abraha erklärte sich zum König von Himyar und unternahm in den 550er Jahren verschiedene Vorstöße nach Zentral- und Westarabien, wobei er mit seinen Kriegselefanten bis Mekka und das spätere Medina gelangte. Von einheimischen Gegnern der «Äthiopier» ermuntert, marschierten zwei Jahrzehnte später die Sassaniden im Jemen ein. Kurz darauf brach erneut und dieses Mal für alle Zeit der berühmte Staudamm von Marib.
Auch das syrisch-mesopotamische Grenzland war seit alters in die regionalen Großreiche eingebunden, die sich beinahe unablässig bekriegten. Das Reich der arabischen Nabatäer mit der Hauptstadt Petra und der Stadtstaat Palmyra waren um 600 längst untergegangen. An ihrer Stelle standen arabische Stammesverbände, die in einer Region, die weder einen Limes noch eine Große Mauer kannte, entweder den Byzantinern oder den Sassaniden als Grenzschutz und Puffer dienten. Das arabische Königreich der Lakhmiden mit der Hauptstadt Hira im heutigen Irak war zu einem gewissen Grad von der Kirche des Ostens geprägt, Sitz bedeutender Klöster und ein Zentrum altarabischer Dichtung. Vom monophysitischen Christentum beeinflusst war demgegenüber das Königreich der arabischen Ghassaniden auf dem Gebiet des heutigen Syrien, Jordanien, Israel und Palästina, die Ende des 5. Jahrhunderts als Foederaten in das Byzantinische Reich eintraten. Die Ghassaniden waren nicht sesshaft, besaßen aber feste Residenzen. Zu Beginn des 7. Jahrhunderts verloren die Lakhmiden und Ghassaniden ihre politische Bedeutung, als die Sassaniden Syrien und Palästina besetzten und die Byzantiner im Gegenzug bis in den Irak vorrückten. Was sie nicht verloren, war ihre Rolle als kulturelle Mittler zwischen der arabischsprachigen Bevölkerung diesseits und jenseits der politischen Grenzen.
Die naturräumlichen Gegebenheiten in West- und Zentralarabien - dem Arabia deserta der Antike - ließen Landwirtschaft, Handel und Gewerbe nur in bescheidenem Umfang und konzentriert auf die Oasen zu. Man sollte sich Arabien dennoch weder isoliert ...
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