Schweitzer Fachinformationen
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Auf dem Weg nach Teheran sah ich aus dem Autofenster, mir wurde etwas übel, und ich hielt mich an Christophers Knie fest. Sein Hosenbein war von den aufgeplatzten Blasen ganz naß. Wir fuhren an endlosen Reihen von Birken vorbei. Ich schlief.
Später hielten wir an, um uns zu erfrischen. Ich trank ein Glas Tee, Christopher eine Limonade. Es wurde sehr rasch Nacht.
Es gab einige Militärkontrollen, denn seit September herrschte Kriegsrecht, was ja eigentlich nichts zu bedeuten hatte in diesen Ländern, sagte Christopher. Wir wurden weitergewunken, einmal sah ich einen Arm, eine weiße Bandage darum und eine Taschenlampe, die uns ins Gesicht schien, dann ging es weiter.
Die Luft war staubig, ab und zu roch es nach Mais. Wir hatten nur zwei Kassetten dabei; wir hörten erst Blondie, dann Devo, dann wieder Blondie. Es waren Christophers Kassetten.
Wir erreichten Teheran am frühen Abend und zogen uns im Hotel um. Es war ein eher einfaches Hotel. Christopher hatte gesagt, wir müßten dort ja nur schlafen, deshalb würde sich ein teures Hotel gar nicht lohnen. Er hatte natürlich recht.
Unser Zimmer lag im fünften Stock, es war mit grauem Teppich ausgelegt, der sich stellenweise häßlich wölbte. Die Wände waren mit einer gelblichen Tapete beklebt, über den kleinen Schreibtisch hatte jemand eine Stadtansicht Teherans gehängt, allerdings in einem unmöglich schiefen Winkel zum Tisch, so daß die Proportionen des Rahmens nicht zu stimmen schienen.
Christopher setzte sich auf den Rand des Bettes und verband sich mißmutig die Waden mit dünnen Gazestreifen. Vorhin hatte der Etagenkellner eine kühlende Salbe gebracht, auf einem weißen Plastiktablett, zusammen mit einem Fruchtkorb, der etwas dubios aussah. Ich hatte ihm einige Dollarscheine gegeben und die Zimmertür wieder hinter ihm zu gemacht.
Eine Stunde verging. Ich schälte mir einen Apfel, dann blätterte ich eine Weile im Koran, der auf dem Nachttisch lag, in der englischen Übersetzung von Mohammed Marmaduke Pickthall.
Ich hatte mir den Koran vor einigen Wochen in einer englischen Buchhandlung in Istanbul gekauft und, ehrlich gesagt, große Schwierigkeiten dabei, mich darauf zu konzentrieren. Ich las manche Sure dreimal, ohne sie wirklich zu lesen. Ich legte das Buch wieder weg, schaltete die große Neonröhre an, die über der Kommode hing, und ging zum Kleiderschrank.
Während ich mir ein Hemd aussuchte, rauchte Christopher eine Zigarette. Er hatte geduscht, sich ein Handtuch um die Hüften gewickelt, nun lag er auf dem Bett, die Hand hinter den Nacken geschoben, starrte an die Decke und wartete, daß er trocken wurde. Wir hatten seit Ghazvin kein Wort mehr miteinander gesprochen.
Er hatte sich dort in der Nähe die Festung von Alamut ansehen wollen, ich war mitgefahren, obwohl es mich nicht sonderlich interessiert hatte. Ich war Innenarchitekt, ich richtete Wohnungen ein. Christopher hatte mir den einen oder anderen Auftrag besorgt, manchmal war ein ganzes Haus dabei, öfters nicht. Die Architektur war mir zu kompliziert, das Einrichten war ja schon schwierig genug.
Christopher sagte dazu immer, ich sei etwas dämlich, womit er ja auch vielleicht recht hatte. Aus dem Flur kamen Staubsaugergeräusche. Wir schwiegen uns an. Langsam wurde es albern.
»Du mußt nicht mit auf die Party, wenn Du nicht willst.«
»Doch, doch, ich komme mit«, sagte er und beobachtete weiter den Rauch, der zur Decke stieg. Er sah für mein Gefühl etwas lächerlich aus, denn seine verbundenen Beine steckten in hellbraunen Halbschuhen, ohne Socken, seine beigefarbene Cordhose lag noch auf dem Koffer neben dem Bett. Die Beine hatten wieder angefangen zu nässen, durch die Verbände hindurch.
Seine hellbraunen Halbschuhe waren von Berluti, Christopher hatte mir einmal erzählt, es wären die besten Schuhe der Welt, es gäbe sogar einen Klub der Berluti-Schuhbesitzer, die sich in der Nähe des Place de Vendôme trafen, um ihre Berlutis mit Krug zu putzen.
Ich schaltete die Klimaanlage aus, er stand auf, schleppte sich zum Fenster und schaltete sie wieder an.
»Klimaanlagen sind ein Ausdruck der Zivilisation«, sagte er. »Außerdem ist mir schrecklich warm. Ich brauche das.«
»Ja, ich weiß. Bleib doch bitte einfach hier im Hotelzimmer.«
»Nein, auf keinen Fall.«
»Ich komme schon allein deshalb mit, weil ich einen Drink brauche«, sagte er und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. »In diesem Land gibt es ja nicht ein einziges ordentliches Getränk.«
»Soll ich Dir in die Hose helfen?«
»Nein, danke.«
Er setzte sich auf, schob sich die Haare aus der Stirn, nahm die Hose, die er auf den Kofferdeckel gelegt hatte, und schlüpfte vorsichtig hinein, ohne dabei die Schuhe auszuziehen. Er machte ein Gesicht, als ob er große Schmerzen hätte. Dabei war die Cordhose unten weit ausgestellt, seine Beine paßten gut durch, es war eine ziemliche Schlaghose.
Meine eigenen Hosen machte ich unten mit Sicherheitsnadeln enger, ich konnte Schlaghosen nicht mehr ertragen, Christopher sagte dazu, das mit den Sicherheitsnadeln sehe verboten aus, aber bitte.
Er hatte sich seit mehr als einer Woche nicht mehr rasiert. Seine Gesichtshaut schien gelb geworden zu sein, trotz des Sonnenbrands auf der Stirn. Seine Wangenknochen und sein Adamsapfel waren noch stärker hervorgetreten als sonst.
»Willst Du nicht doch hierbleiben? Ich komme in einer Stunde zurück, und Du kannst Dich solange etwas ausruhen.«
»Nein, nein.«
Er hielt sich den Arm an die Stirn, um zu prüfen, ob und wieviel Fieber er hatte. Er sah dabei sehr charming aus. Er hatte ja so schöne Haare, sie gingen ihm bis zu der Stelle, an der sein Kiefer den Hals traf.
»Es wird schon gehen, bei diesem Gastgeber. Er ist ja unglaublich amüsant, auch wenn er verwirrende Dinge von einem fordert, zumindest für Dich verwirrend«, sagte er. »Außerdem wird die große Googoosh dort sein.«
Googoosh war eine persische Schlagersängerin, Christopher liebte sie über alles, er besaß alle ihre Platten, ich fand, sie klang wie eine bessere Daliah Lavi.
»Laß nur, es geht schon«, sagte er nochmals. Dann wählte er ein hellblaues Pierre-Cardin-Hemd, er hatte zwölf genau gleiche dabei, und band sich einen breiten, abgewetzten Ledergürtel um seine viel zu schmalen Hüften.
Ich zog ein paar Sandalen an, ging ins Bad, wusch mir das Gesicht, prüfte mein Aussehen im Spiegel und korrigierte dann mit einer Nagelschere die zu lang gewachsenen Spitzen meines Schnauzbartes. Ich mochte es nicht, wenn mir die Enden des Schnauzbartes in die Mundwinkel hingen. Ein oder zwei Nasenhaare, die aus meinem rechten Nasenloch ragten, schnitt ich ebenfalls ab.
Dann nahm ich mein seidenes Paisley-Einstecktuch, faltete es und schob es mir in die Hosentasche, zusammen mit dem Zigarettenetui aus Schildpatt. Ich rauchte nicht viel, nur wenn ich trank oder mich aufregte, oder nach dem Essen. Durch das Badezimmerfenster waren Nachtgeräusche zu hören; eine Polizeisirene, ein anfahrendes Auto.
»Komm, laß uns gehen. Hast Du alles?«
»Ja natürlich«, sagte er. »Zimmerschlüssel, Geld, Ausweis. Ich habe immer alles.« Er sah an mir herunter und verzog den rechten Mundwinkel, bis das berühmte Christopher-Grübchen zu sehen war.
»Mußt Du diese Sandalen unbedingt tragen? Sie sehen zum Schämen aus«, sagte er.
»Sandalen zu tragen, dear, ist, der Bourgeoisie einen Fußtritt ins Gesicht zu geben.«
»Fotze«, sagte Christopher.
Ich schloß die Zimmertür ab, und wir liefen den Gang des Hotels hinunter. Christopher humpelte. Zwei Zimmerfrauen, die, an einen Handtuchwagen gelehnt, miteinander gesprochen hatten, verstummten, als wir vorbeigingen. Beide trugen von Kopf bis Fuß schwarze Umhänge. Nur ihre etwas fülligen Gesichter waren zu sehen. Sie wendeten sich ab und blickten zu Boden.
»Aasgeier«, sagte Christopher im Vorbeigehen.
»Hör auf.«
»Na, es ist doch so.«
»Christopher«. Es klang sanfter, als es klingen sollte. »Es sind nur Putzfrauen.«
»Das ist mir, ehrlich gesagt, egal«, sagte er und drückte auf den Fahrstuhlknopf. »Sie sind fett, häßlich, und sie können nicht mal bis zehn zählen, so dumm sind sie. Sie fressen Aas. Sie werden unsere Koffer durchwühlen, wenn wir weg sind. Du wirst es sehen.«
Er zog an seiner Zigarette und schnippte sie gegen den Aschenbecher neben der Fahrstuhltür, so daß die Funken von der Wand aufstoben und die Kippe auf den Teppich fiel. Die Frauen sahen zu uns herüber, diesmal wirklich feindselig, und als sich die Fahrstuhltür öffnete, rief eine von ihnen ziemlich laut Marg Bar Amerika! hinter uns her, und ich konnte sehen, daß die beiden Frauen jetzt wirklich wütend waren, nicht nur eingebildet; so etwas machte Christopher immer absichtlich: so lange seine Einbildung in die Wirklichkeit übertragen, bis sie tatsächlich existierte.
Im Fahrstuhl sahen wir beide auf die erleuchteten Ziffern über der Tür, die nach unten zählten. Ich drehte den Zimmerschlüssel in meiner Hand hin und her. Wir wußten beide nicht, wo wir hinsehen sollten. Christopher wischte sich mit einem Taschentuch den Mund und die Stirn ab. Er schwitzte, obwohl er ja kein Fieber hatte.
»Ich habe wirklich ganz grausam schrecklichen Durst«, sagte er. Ich sagte nichts.
Die Fahrstuhltür...
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