Schweitzer Fachinformationen
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Totenfall vor die Pension Idylle
Die Leiche fiel zur ersten Schleusenöffnung neun Uhr am Morgen. Touristen waren es keine zwanzig, die es bemerkten. Eine Frau schrie, als der Körper auf die Steine schlug. Andere rannten. Das lockte mehr Betrachter an. Ihre Zeugenaussagen brachten jedoch keine sachdienlichen Hinweise. Es gab Proteste von Urlaubern, da die Polizei den Ort des Geschehens weiträumig sperrte. Die Publikumsattraktion Lichtenhainer Wasserfall blieb den Blicken der Besucher einen Tag lang verborgen. Offizielle Stellen erhielten nachfolgend Beschwerden, die faktengerecht von Behördenmitarbeitern beantwortet wurden. Diese baten aufgrund höherer Gewalt um Entschuldigung.
Den Lichtenhainer Wasserfall verzeichnen Reiseführer des Elbsandsteingebirges seit mehr als 150 Jahren als Attraktion. Der Wirt des Ausschanks im Kirnitzschtal, in das der Wasserfall mündet, initiierte auf der Felskuppe oberhalb des Tals den Bau einer Staustufe eines kleinen Dorfbachs. Gegenwärtig wird sie halbstündlich zur Leerung gezogen. Malerisch stürzt bei der Öffnung der Schleuse das Wasser auf die Steine und sprüht. Bei Sonneneinfall leuchtet es in den Regenbogenfarben. Noch heute steht am Weiher das Wasserfallhäuschen, wo auf einer Schautafel die damaligen Preise für Pferde, Sesselträger und Führer verzeichnet sind. Vom Wasserfall bis zum Kuhstall 3 M. Der Wirt erwarb mit der Konstruktion den Nebenberuf eines Wasserfallziehers. Heute überlässt der Betreiber diesen Job gern kontaktfreudigen Lehrlingen oder seinen Enkelkindern. Am Fuß des Wasserfalls hat die Pension Idylle geöffnet und bietet Tagesausflüglern Gastlichkeit.
Die Leiche fiel mit Öffnen der Schleuse an einem Dienstag, was ein typisches Unfallgeschehen nicht ausschließt, jedoch auch nicht allzu nahelegt. Feiern, Discotheken und Abendveranstaltungen finden auch im Tourismusgebiet vorrangig wochenends statt. Mit betrunkenen Heimkehrern von solchen Festivitäten war in jener Nacht kaum zu rechnen, wenn auch zu viel Alkoholgenuss und ein Sturz in die Obere Schleuse ermittlungstechnisch nicht ausgeschlossen wurden. Die Unfallthese blieb Grundlage der kriminalpolizeilichen Arbeit.
Die Identifikation der Leiche erwies sich als schwierig. Gerichtsmedizinisch schnell geklärt waren Geschlecht und ungefähres Alter. Der Tote war männlich. Experten schätzten ihn auf gut 60 Jahre, eher älter. Er zeigte typische Alterserscheinungen und wirkte verlebt. Das Gesicht des Toten war nicht rekonstruierbar. Beim Fallen musste er sehr unglücklich mit scharfen Kanten und Zacken des Gesteins in Berührung gekommen sein. Offensichtlich hatte die Leiche länger im Wasser gelegen. Die Schwerkraft hatte ein Übriges getan. Der Tote wog knapp einhundert Kilo. Narben zeugten von einer Blinddarmentfernung und einem Leistenbruch, rechts. Das Gebiss und ein Auge waren bei der Suche an der Felsmauer und im Teich nicht zu finden. Auch Hautfetzen wurden vergleichsweise wenige sichergestellt. Diese Tatsachen war aber durch den steten, wenn auch geringen Wasserabfluss erklärbar. Nach drei Stunden kriminaltechnischer Untersuchungen am Fels musste die Schleuse geöffnet werden, da sonst der Dammbruch oberhalb gedroht hätte, und so noch mehr Spuren zerstört worden wären.
Geborgen hatte den Toten der von seinem Sohn eilig herbeigerufene Hotel- und Restaurantbetreiber der Pension Idylle Helfried A. Michener: geboren 4. 9. 1967 in 31061 Alfeld/Leine. Die Immobilie hatte vor dem Verkauf mehrere Jahre leergestanden und war verwahrlost, sie hatte klammen Wanderern als Obdach wie auch als Toilette gedient. Helfried Michener investierte und führte fortan das Unternehmen. Das Gebäude ähnelt inzwischen wieder dem Original von 1852 und erhielt mehrere Architekturpreise für die gelungene Restaurierung. Die Innenausstattung genügte dem vom DeHoGa standardisierten Drei-Sterne-Symbol. An jenem Dienstag nächtigten elf Personen in den Pensionsbetten. Einige der Gäste verließen nach dem Entsetzensschrei vor dem Hotel den Speisesaal, ohne ihr Frühstück zu beenden. Die Bedienkräfte räumten volle Kaffeekannen und Teller von den Tischen. Saftgläser wurden mit nach draußen genommen, teilweise am Büffet nachgefüllt. Helfried A. Michener gab zu Protokoll: Der Lebensmittelverbrauch an jenem Morgen widersprach sämtlichen sonstigen Gewohnheiten.
Durch das Geschrei der Umstehenden und seines Sohnes, den ausführenden Wasserfallzieher, war Michener aus dem Hause geholt worden. Er stieg nach kurzer Orientierung in den kleinen Teich. Da der Tote nicht unterging, konnte er wie eine Luftmatratze oder ein Kahn ohne Krafteinsatz auf der Wasseroberfläche zum Ufer gebracht werden. Dort hoben ihn beherzte Hände, auch die von Micheners Sohn, Sten Michener, ans Land. Später wurde die Leiche auf einem Servierwagen in die Pension Idylle geschoben und in einem Abstellraum für Reinigungsgerät aufgebahrt. Der örtliche Bestatter Frank Zetzsche traf nach weniger als fünf Minuten am Ereignisort ein, wurde aber am Abtransport gehindert und wartete das Erscheinen der Kriminalpolizei und des Gerichtsarztes ab. Diese Einsatzkräfte veranlassten die Verbringung des Toten in einem behördlichen Fahrzeug zum rechtsmedizinischen Institut der Technischen Universität Dresden.
Die dortige Sektion und Untersuchungen ergaben keinen ursächlichen Tod durch Ertrinken. Eine Bruchstelle der Schädelbasis ließen einen Sturz oder Unfall als Todesursache vermuten. Genauere Festlegungen konnten die Gerichtsmediziner nicht treffen. Der Tod war allerdings bereits vor mehreren Tage eingetreten. Entweder hatte sich der Verstorbene so unglücklich verletzt, dass er bereits tot in den obigen Teich gefallen war. Oder die Leiche war von fremder Hand ins Wasser gelegt worden, um dann am Dienstagmorgen durch die Schleuse gesogen zu werden und mit dem Wasserfall abzustürzen. Diese Faktenlage zog konsequenterweise kriminalpolizeiliche Ermittlungen nach sich, diese wurden der Mordkommission unter der Leitung von Hauptkommissar Peter Ischinger übertragen. Der Staatsanwaltschaft Dresden oblag die Führung des Untersuchungsverfahren.
Inzwischen strömten immer mehr Menschen dem Ereignisort zu. Die Nachricht des tödlichen Wasserfalles hatte sich über die sozialen Netzwerke schnell verbreitet. Journalisten der heimischen Presse erschienen und stellten Fragen, die noch keiner der an der Ermittlung beteiligten Personen beantworten konnte. Rafting in den Tod? Zu Tode geschleust. Rätsel einer unbekannten Leiche. Die Spekulationen der Schlagzeilen setzten sich in den Berichten fort. Alsbald wurde der unbekannte Tote überregional zur Kenntnis genommen. Namhafte Blätter entsandten Korrespondenten. Die Gegend gilt als Touristenmagnet, gibt aber sonst medial kaum einen Anlass zur Aufmerksamkeit. Der Tote war, neben Flutkatastrophen und Rechtsradikalismus, eine andere Meldung aus dieser Gegend. So malerisch die Kulisse, und dann darinnen der Tod, man mag's gar nicht glauben.
Noch vor dem Abtransport der Leiche zur Obduktion in die Landeshauptstadt befragten Polizisten die Zeugen, ob sie Angaben zu dem unbekannten Toten machen könnten. Erkannten sie ihn? War er ihnen schon einmal begegnet? Möglicherweise hatten sie Ungewöhnliches bemerkt. Keiner der Befragten konnte sachdienliche Angaben machen. Was seltsam war, da die Kleidung des Toten mit zerrissener Joppe und bunten Jeans durchaus im Alltag Aufmerksamkeit erregt haben musste. Keiner hatte ihn gesehen. Keiner konnte ihn identifizieren.
Nur die Patriarchin, Helfried A. Micheners Mutter Dorothea Michener, schien bei ihrer Aussage zu zögern. Doch sie verneinte auf Nachfrage vehement, den Toten zu kennen. Mit einem Weinkrampf und konvulsivischem Zucken wurde sie von ihrer Schwiegertochter, Madleine Michener, auf ihr Zimmer geführt. Helfried A. Michener bat die Ermittler um Rücksichtnahme, sein Vater, Bruno Michener, sei vor keiner Woche auf dem hiesigen Friedhof beerdigt worden. Allein der Gedanke daran löse bei seiner Mutter begreiflicherweise noch immer starke Trauergefühle aus. Die im Raum anwesenden Polizisten zeigten Verständnis, bemerkten aber, dass dies ihre Ermittlungsarbeit nicht beeinträchtigen dürfe. Hauptkommissar Peter Ischinger befahl, alle Kollegen vom kürzlichen Ableben des Patriarchen in Kenntnis zu setzen und so unnötige psychische Belastungen der Familie Michener zu verhindern. Dass sie an der Aufklärung des Falles mitwirken mussten, war allen Mitgliedern der Familie klar. Die Pension Idylle lag direkt am Weiher, sie war ihr Arbeitsplatz, und Sten Michener übte das Amt des Wasserfallziehers aus, der die Leiche zu Fall brachte, doch waren auch ihnen nähere Angaben zur Leiche unmöglich.
Innerhalb zweier Tage hatten mehrere TV-Teams in der Pension Idylle Zimmer gemietet und die gesamte Ortschaft vor Kamera und Mikrofon befragt. Vermutungen wurden geäußert, dass der Tote eine gewisse Ähnlichkeit mit dem jüngst verstorbenen Bruno Michener aufweise, bis auf die Kleidung natürlich. Beeiden wollte jedoch keiner der Tippgeber die Vermutung. Nackt haben wir den Alten ja niemals gesehen, und das Gesicht der Leiche sieht aus wie das Gehackte in der Auslage beim Fleischer. Allein aufgrund von Statur und Körpermaßen drängte sich diese Verbindung jedoch auf.
Die Wirtsfamilie widersprach vehement diesem Verdacht. Sie hatten ja keine Woche zuvor den Verblichenen zu Grabe getragen. Diese Gerüchte offenbarten die Tatsache, dass die Eigner der Pension Idylle vor Ort nicht heimisch geworden waren. Oft fielen die Worte: Wessis. Okkupanten....
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