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Viele halten Luther für den Verfasser der ersten deutschen Bibelübersetzung. In gewisser Weise trifft das zu. Mit seinem hervorragenden Sprachempfinden prägte er die hochdeutsche Sprache und schuf eine Bibelübersetzung, die fast 500 Jahre beherrschend bleiben sollte. Und doch übersetzte schon mehr als 1000 Jahre vorher Wulfila die Bibel ins Gotische, eine Art Urdeutsch.
Das Leben und Denken Wulfilas wurde von verschiedenen Zeitgenossen (z. B. Auxentius von Dorostorum) und auch von später lebenden Historikern (z. B. Sozomenos) überliefert.
Wulfila (got.: "kleiner Wolf") wurde gegen 311 in Gothien (nördlich der unteren Donau) geboren. Seine christlichen Großeltern mütterlicherseits waren bei einem Raubzug der Goten durch Kleinasien (264) versklavt und verschleppt worden. In diesem Teil des Römischen Reiches (Galatien, Kappadozien) lebten damals zahlreiche Christen. Wulfilas Vater war Gote und stand dem christlichen Glauben zunächst kritisch gegenüber. Schon als Jugendlicher sah Wulfila seine Lebensaufgabe darin, den Glauben seiner Großeltern und Mutter auch unter seinen Landsleuten zu verbreiten. Dabei war er nicht der Erste. Wahrscheinlich wurde Wulfila von Bischof Theophilos aus Gothien geschult. Auch einige Gotenkrieger hatten sich nach einer verlorenen Schlacht gegen den christlichen Kaiser Konstantin dem Christentum zugewandt.
Wulfila mit dem gotischen Alphabet
Wulfila predigte in griechischer, lateinischer und gotischer Sprache. Er verfasste zahlreiche theologische Stellungnahmen, Predigten und Auslegungen.
Obwohl die meisten Goten dem Christentum noch kritisch gegenüberstanden, genoss Wulfila unter ihnen ein hohes Ansehen. Wahrscheinlich aufgrund seiner hervorragenden Sprachkenntnisse und auch seines Glaubens wurde Wulfila in einer Gesandtschaft an den Hof Konstantins geschickt (337). Bei dieser Gelegenheit wurde er von Euseb von Nikomedien zum Bischof der in Gothien lebenden Christen geweiht. In den nächsten sieben Jahren betreute Wulfila die verstreut unter den überwiegend heidnischen Goten lebenden Christen. 344 kam es zu einer größeren Christenverfolgung. Manchen gotischen Führern gefiel der fremde Glaube nicht. Sie sahen darin die Religion ihrer römischen Feinde und fürchteten die Strafe ihrer eifersüchtigen Götter. Trotz Drohungen blieben die meisten Christen standhaft. Einige starben durch die Hand der Goten als Märtyrer für Gott. Andere flohen auf römisches Staatsgebiet in eine relative Sicherheit, unter ihnen Wulfila. Bei diesem "Exodus der Frommen" wurde er von den Christen mit Mose verglichen. Kaiser Konstantios wies ihnen ein Siedlungsgebiet in Mösien, südlich der Donau, zu. Später bildeten die Christen um Wulfila einen eigenen Volksstamm, die Kleingoten. Wulfila war nicht nur ihr religiöses Oberhaupt, sondern auch ein politischer Führer. Er erfand die gotischen Buchstaben und formte die gotische Sprache. In den nächsten überwiegend friedlichen Jahrzehnten wuchs die Bevölkerung deutlich. Die Kleingoten waren als ärmlich und unkriegerisch bekannt. Sie lebten vor allem von der Land- und Waldwirtschaft.
Einband zum Codex aureus
Voraussetzung für die bedeutenden missionarischen Anstrengungen der Kleingoten war Wulfilas gotische Bibel, die erste Übersetzung in eine germanische Sprache. Mit der Bibel entwickelte Wulfila die gotische Schrift. Bis dahin gab es lediglich einige wenige Runen-Inschriften mit magischem Inhalt. Der heute in Uppsala verwahrte Codex argenteus ist eine prächtige Abschrift der Wulfila-Bibel, entstanden im Ostgotenreich Theoderichs um 500. Die Handschrift ist mit silbernen, teils mit goldenen Lettern auf purpurfarbenem Pergament geschrieben. Einiges deutet darauf hin, dass Wulfila das Alte Testament nicht vollständig übersetzt hatte. Insbesondere die kriegerischen Abschnitte aus den Könige-Büchern wollte er den kämpferischen Goten erst einmal vorenthalten, um ihre Gewaltbereitschaft nicht zusätzlich anzustacheln. Wulfila wollte sie zur Friedfertigkeit erziehen. Außer den Kleingoten erwiesen sich nämlich auch die übrigen Gotenstämme in der Völkerwanderung als recht kriegslustig, gewaltbereit und räuberisch.
Seite aus dem Codex argentus (Mk 5,27-52)
Mit seiner Bibelübersetzung prägte Wulfila das theologische Denken der Goten: Das später von Luther mit Heiland übersetzte griechische Wort Soter gab Wulfila mit Nasjands wieder, was so viel meint wie der zur Genesung führende, der Heilende, der Helfende. Für den zentralen biblischen Begriff Agape, heute mit Liebe übersetzt, wählte er das Wort Frijabwa, was mit dem deutschen Wort Freundschaft verwandt ist. Viele Stellen, die sich auf den geistlichen Bruder, die Gemeinde oder die Gotteskindschaft beziehen, übersetzte Wulfila mit Sippe (Sibja). Matthäus 5,24: "Versöhne dich mit deinem Bruder", heißt bei Wulfila: "Halte Frieden mit deiner Sippe." Wahrscheinlich spiegelt diese Interpretation die außerordentliche Bedeutung der Gruppe wider, zumal für die Kleingoten Volkszugehörigkeit und Christsein zusammenfielen. Wulfila entwickelte außerdem eine gotische Liturgie und einen eigenen kirchlichen Kalender. Es wurde auf Gotisch gebetet, gesungen und gepredigt. Goten sollten nicht den Eindruck bekommen, Römer werden zu müssen, wenn sie sich dem christlichen Glauben zuwandten. Die gotische Bibelübersetzung wurde bald auch in anderen germanischen Völkern gelesen. Der Anfang des Vaterunsers (Mt 6,9f) klingt auf Gotisch so: "atta unsar þu ïn himinam, weihnai namo þein [.]." Ähnlichkeiten zum heutigen Hochdeutsch sind dabei unübersehbar.
Nachdem Wulfila sich mit seinen Anhängern unter römischen Schutz begeben hatte, verblieb nur noch eine kleine Gruppe von Christen unter den Goten. Geleitet wurde diese gotische Gemeinde von Bischof Goddas. Immer wieder wurden diese Christen verfolgt und zeitweilig auch getötet. Ein namentlich nicht bekannter gotischer Fürst wollte die Gläubigen demütigen, indem er ihre Prediger Sansalas und Sabas dazu zwingen wollte, an einem heidnischen Opferfest teilzunehmen, wodurch sie die germanischen Götter anerkannt hätten. Sabas ging auf keine Vermittlungsversuche und Kompromisse ein, weshalb er am 12. April 372 öffentlich ertränkt wurde.
Die Behandlung gotischer Christen war abhängig von der jeweiligen Einschätzung ihrer politischen Bedeutung. Der angesehene Fürst Athanarich sah in den Gläubigen Verbündete der Römer, weshalb er hart gegen sie vorging. Sein Konkurrent Fritigern plädierte für ein gutes Verhältnis zu den Römern, weshalb er sich für eine freundliche Duldung der Christen aussprach. Unter dem Ansturm der Hunnen (ab 375) suchten auch die Westgoten Schutz auf römischem Territorium. Kaiser Valens teilte ihnen Siedlungsgebiete in Trazien und Mösien zu, dem heutigen Nord-Bulgarien. Hier öffneten sich auch die Westgoten für den christlichen Glauben ihrer Schutzherren und baten um gotischsprachige Missionare. In diesem Prozess spielte Wulfila eine nicht unbedeutende Rolle. Er setzte sich am Kaiserhof für die Aufnahme Fritigerns und seiner Goten ein. Wulfila bildete auch Lehrer aus, die den Westgoten den christlichen Glauben nahebringen sollten. Nach und nach missionierten sie auch unter anderen germanischen Stämmen. Ein Zeitzeuge berichtet: "Sie [die Kleingoten] haben sowohl den Ostgoten wie den Gepiden, ihren Verwandten, aus Liebe das Evangelium verkündet." Auch Westgoten, Langobarden, Burgunder, Bayern und Sachsen sollen mit der Wulfila-Bibel für den christlichen Glauben gewonnen worden sein. Die germanischen Christen ließen sich auch in anderen Teilen des Römischen Reiches nieder. In Konstantinopel beispielsweise wird ein Bischof Selenas erwähnt, der sich um die gotischen Christen in der Hauptstadt kümmerte.
Weil die Goten in ihrer neuen Heimat zu selbstständig agierten, plante Valens 378 eine militärische Strafaktion, bei deren erfolgloser Ausführung der Kaiser starb. Zu dieser Zeit war der christliche Glaube bei den Goten offensichtlich schon so sehr verwurzelt, dass sie ihn nicht mehr nur mit ihren römischen Gegnern assoziierten und deshalb ablehnten. Überhaupt verfügten die auf dem Balkan lebenden Goten über eine weitgehende religiöse und politische Autonomie, obwohl sie formal unter römischer Oberhoheit lebten. Als sie Jahre später Norditalien einnahmen und 410...
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