Schweitzer Fachinformationen
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Julia hat ein perfektes Leben - wenn auch nur auf Instagram. Stets top gestylt setzt sie dort die selbst entworfenen Armbänder in Szene, die sie in ihrem Online-Shop verkauft. In Wirklichkeit allerdings ist ihr Kölner Loft nur eine kleine Souterrainwohnung, Töchterchen Fee keineswegs eine verträumte Elfe und der Göttergatte längst ihr Ex. Ein Lichtblick in Julias Alltag ist der Bildhauer Alex von gegenüber, den sie gern heimlich bei der Arbeit beobachtet. Bis er beim Verkauf seiner Werke ihre Hilfe zu brauchen scheint. Plötzlich steht Julia vor der Frage: Wie viel ungeschöntes Leben verträgt die große Liebe?
Ich saß mit dem vierten Kaffee an diesem Morgen im Hof hinter unserem Haus. Meine Freundin Elif war gerade gegangen, nachdem sie das Foto geschossen, anschließend professionell retuschiert und Kaffee Nummer drei mit mir getrunken hatte. Elif arbeitete als freie Grafikerin für diverse Kölner Werbeagenturen - und glücklicherweise für mich, zum Freundschaftspreis. Vom Doppelkinn bis zu den Flecken auf der Tischdecke gab es nach jedem Fotoshooting viele Details, die trotz raffinierten Make-ups und eines sorgfältig hergerichteten Sets wenig Instagram-tauglich waren.
Jetzt trudelten die ersten Kommentare zu meinem Bild ein, die ich als gute Netzwerkerin sofort vom Smartphone aus beantwortete. Auch drei Bestellungen des Armbands in der Farbe #brightmorning waren eingegangen - das mussten aber wirklich noch mehr werden.
Die Armbänder würde ich gleich in Stoffsäckchen packen, deren wunderschönes Blumenmuster dem Wandbehang in einem französischen Kloster nachempfunden war, in dem Elif und ich vor vielen Jahren bei einer Rucksacktour übernachtet hatten. Auf das Säckchen würde meine Tochter Fee einen Hauch Duftwasser sprühen, und dann käme das Ganze mit der Rechnung zusammen in einen Umschlag und zur Post.
Aber noch war mein Kaffee nicht leer. Ich wollte gerade einen Schluck trinken, als einem Wolkenbruch gleich das Gießwasser von Herrn Erbslöh aus dem Dachgeschoss heruntertriefte. Wie jeden Morgen goss er seine Geranien - und heute auch meine Kaffeetasse und meine nackten Beine.
»Guten Morgen, Herr Erbslöh!«, rief ich hinauf.
»Ach, guten Morgen, Frau Brass! Ohne das Fräulein Fee bemerkt man Sie ja gar nicht, hoffentlich hab ich Sie nicht getroffen? Was macht denn die Kleine heute Morgen?«
»Sie ist in ihrem Zimmer und malt.«
Das stimmte, jedenfalls eben noch. Zum Glück musste ich nicht »Sie guckt schon seit drei Stunden YouTube-Videos« oder »Sie schneidert sich gerade aus meiner Bettwäsche ein Prinzessinnenkleid« über den Hof schreien. Herrn Erbslöhs Ohren waren nicht mehr die besten.
Ich nippte tapfer weiter an meinem vom Geraniendünger verdünnten Latte, fest entschlossen, mir die ruhigen Minuten nach dem stressigen Morgen nicht verleiden zu lassen. Es versprach ein warmer Sommertag zu werden, auch wenn unsere Veranda - die genau genommen nur ein Gemeinschaftshof war - zwischen den Häuserreihen auf der schattigen Nordseite lag.
Wenn doch jetzt bloß der Typ von gegenüber aus seinem Atelier auf die Terrasse treten und mir einen Blick auf seinen attraktiven Körper gönnen würde . Erst befüllte er meistens sein Vogelhäuschen, was ich ganz süß fand, und bei schönem Wetter fing er danach im Freien an zu hämmern und zu schnitzen. Er arbeitete als Bildhauer, und ich beobachtete gern, wie sich mit jedem Mal, da er seinen Beitel oder das Messer ans Holz ansetzte, deutlicher eine Figur herausschälte. Manchmal sah ich nur einen Baumstamm dort stehen, ging dann das Bad putzen oder arbeitete drinnen am Rechner. Und wenn ich das nächste Mal nach draußen blickte, schaute mir mit einem Mal ein Gesicht aus dem Stamm entgegen. Oder die Skulptur, die dort stand, hatte nach einem bunten Anstrich eine vollkommen andere Anmutung bekommen.
Plötzlich wurde ich von einem Blitz geblendet.
Und als ich wieder sehen konnte, stand er tatsächlich da, in dunkelblauen Shorts, einem beklecksten weißen T-Shirt und all seiner Pracht. Was war denn das jetzt gewesen? Eine Epiphanie, eine Göttererscheinung?
Nein, bei genauerer Betrachtung hatte sich wohl einfach nur die Sonne in seiner aufschwingenden Terrassentür gespiegelt. Dennoch passte der spektakuläre Auftritt, fand ich.
Mein Nachbar gähnte, streckte selbstvergessen seine etwas schlaksigen und dennoch wohlgeformten Arme und ging wieder ins Haus. Nacheinander trug er seinen Arbeitstisch, sein Werkzeug und eine halbfertige Statue ins Freie. Dann versorgte er die Vögel.
Vor meine gute Aussicht schob sich ein Blatt Papier. Fee war auf den Hof gestürmt und wedelte mit einer der Rechnungen, deren Bezahlung ich vor mir herschob. Sie hatte die Rückseite bemalt.
»Schau mal, Mama. Das bist du!«
Mein Ebenbild lächelte mir breit entgegen, mit einem sehr großen, unregelmäßigen Gebiss. Immerhin hatte ich üppiges Haar und trug eines meiner Armbänder. An der Hand hielt ich meine Tochter, wie diese mir jetzt erläuterte.
»Das bin ich, und hier in meinem Bauch ist Orangensaft.«
Fee war auf dem Bild ein Stück größer als ich, und tatsächlich - in ihren Bauch hatte sie einen orangefarbenen Klecks gemalt. Neben ihr stand mit etwas Abstand ihr Papa. Er lächelte ebenso freundlich wie ich, mit genauso großen Zähnen, war aber deutlich kleiner als wir beide. Wir alle waren in einem braunen Filzstiftton gehalten, der zum Papa hin schon etwas den Geist aufgegeben hatte.
»Du kannst das jetzt posten«, sagte Fee.
»Äh, Maus .«
Auf küchenpsychologische Deutungen der Kinderzeichnung durch meine Instagram-Follower konnte ich nun wirklich verzichten. Vor allem sollten die nicht wissen, dass der in meinem Posting erwähnte Göttergatte, der auf Fees Kunstwerk so auffällig im Abseits stand, schon seit einer Weile gar nicht mehr bei uns war. Unmöglich konnte nämlich die erfolgreiche Instagrammerin Julia Braceletta, Unternehmerin, Stilikone, Supermutter und sexy Ehefrau, offiziell zugeben, dass sie verlassen worden war. Das hätte unter Garantie empfindliche Umsatzeinbußen nach sich gezogen. Wer wollte schon ein Armband in der Farbe #lovingred tragen, dem der Makel der Betrogenen anhaftete? Niemand. Also führte meine Internetpersönlichkeit immer noch ein glückliches Leben an der Seite ihres Besserverdieners, während ich, Julia Brass, stets in der Angst lebte, dass dieser Schwindel aufflog.
»Maus, wir posten nur Fotos«, erklärte ich kategorisch. »Dein Bild brauchen wir am Kühlschrank, damit wir daran denken, uns hin und wieder einen Orangensaft zu pressen.«
Das leuchtete Fee glücklicherweise ein, und sie galoppierte mit ihrer Zeichnung wieder in die Wohnung.
Der Bildhauer hatte während unserer Unterhaltung nicht in unsere Richtung geschaut, so weit ich das aus den Augenwinkeln erkennen konnte. Und wenn, hätte er nicht viel gesehen. Denn erstens waren unsere beiden Innenhöfe ziemlich groß und durch eine Reihe wuchernder Brombeersträucher getrennt, zweitens saßen wir auf der Nordseite im ewigen Schatten verborgen. Für eine lichtdurchflutete Immobilie reichte das Geld leider nicht.
Aber die Distanz war mir nur recht. Einer realen Begegnung mit einem attraktiven Mann fühlte ich mich überhaupt nicht gewachsen. Nachdem mich Jörg, Fees Vater, letzten Herbst Knall auf Fall verlassen hatte - und zwar für eine Ältere! -, war mein Selbstbewusstsein völlig am Boden. Wobei ich schon vorher nicht der charmante Typ gewesen war, der sich mit einem verheißungsvollen Augenaufschlag oder einem glockenhellen Lachen - oder wie auch immer andere Frauen das machten - mühelos bei den Männern ins Spiel bringen konnte. Und mein Nachbar spielte sowieso in einer anderen Liga als ich. Ich sah zwar ganz in Ordnung aus, wenn ich perfekt geschminkt war und mein blondierter Pferdeschwanz in diesem ganz bestimmten Winkel vom Kopf abstand, der meine Gesichtsform so vorteilhaft betonte. Aber ohne diesen Aufwand war ich mit meinem aschblonden Haar und den dunklen Schatten unter den Augen leider der Typ graue Maus.
Kurz erwog ich, das Piratenfernglas aus dem Kinderzimmer zu holen, um das Spiel der bildhauerischen Armmuskulatur besser beobachten zu können. Aber ich pfiff mich zurück. Schließlich lagen rundherum zig Balkone, von denen aus wiederum ich gesehen werden konnte. Und ich wollte in der Nachbarschaft nicht als Spannerin gelten.
Ich würde mich an die Kraft meiner Vorstellung halten müssen. Das war in jeder Hinsicht ungefährlicher.
Also, dem Bildhauer würde sein Schnitzmesser stumpf. Daraufhin würde er sich suchend umschauen, mich schließlich entdecken und herüberrufen, ob ich einen Messerschärfer hätte. Jawohl, einen Messerschärfer. Ich war in Liebesdingen Realistin, spätestens seit Jörg. Daher konnte ich mir jetzt auch nicht einfach ausmalen, dass der Mann spontan seine Arbeit unterbrach und mit einem Satz über die Brombeeren sprang, um mich zu küssen. Ich brauchte eine einigermaßen glaubwürdige Story.
Der Bildhauer hätte also Bedarf an einem Messerschärfer, und ich wäre glücklicherweise gerade super gestylt und würde antworten, ja, er solle doch bitte herüberkommen .
»Mama, das hält nicht!« Fees erboste Stimme riss mich aus meinem Tagtraum.
»Wahrscheinlich hängt schon zu viel an den Kühlschrankmagneten. Du musst irgendein anderes Bild dafür abnehmen. Guck sie dir doch alle noch mal an, und das älteste legst du mir auf den Küchentisch«, rief ich zurück, um meinen Fantasien noch ein paar Minuten zu verschaffen.
Zurück zum Nachbarn also. Er wäre in der Zeit einmal um den Block gelaufen, um an der Tür unseres Mehrfamilienhauses zu klingeln. Ich würde ihm öffnen, im Treppenhaus röche es nach dem Eintopf, den Frau Schmitz um diese Zeit immer kochte, und dann würde ich ihn in den Keller bitten, wo der Messerschärfer seit unserem Umzug vor einem halben Jahr in einem Pappkarton lag .
»Maaamaaaaa!« Drinnen gab es offenbar ernsthafte Probleme. »Jetzt sind die Bilder alle runtergefallen!«
»Feechen, leg die Bilder auf den Küchentisch, ich trink kurz den Kaffee aus, und dann komm ich rein, und wir machen das zusammen.«
»Nein, JETZT!«
»Maus, lass mich bitte noch den Kaffee...
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