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Granada
Hör auf mit dieser nervtötenden Vorleserei, hör sofort auf!«
Die schneidend scharfe Stimme der Sultanin ließ die dreizehnjährige Zahra so sehr zusammenfahren, dass ihr beinahe der kostbare kleine Gedichtband aus der Hand gefallen wäre. Sie blickte zu Aischa auf.
»Du liest heute so leiernd wie ein altes Waschweib!«, donnerte sie weiter. »Wie soll man sich denn dabei entspannen?«
Schuldbewusst sah Zahra zu Boden. Seit Aischa ihr am Morgen gesagt hatte, dass im Laufe des Tages Gesandte der spanischen Könige im Palast erwartet wurden, schwirrte ihr ständig diese Szene im Kopf herum, deren unfreiwillige Zeugin sie vor einigen Wochen nachts auf der Dachterrasse geworden war. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Ständig fragte sie sich, ob sich Yazid und sein Freund auf die Ankunft dieser Gesandten bezogen hatten und ob sie Aischa nicht endlich erzählen sollte, was sie an jenem Abend belauscht und beobachtet hatte. Allerdings konnte sie sich letztlich keinen Reim auf deren Andeutungen machen, und sie wollte vor Aischa in keinem Fall als wichtigtuerische Schwätzerin dastehen.
»Und auch du, Laila«, herrschte Aischa nun ihre Favoritin unter den Dienerinnen an. »Lass das Herumgewedel mit dem Fächer. Statt die Sommerhitze zu lindern, wehst du sie mir geradezu ins Gesicht. Verschwinde, verschwindet alle!«
Als sei der Blitz in sie gefahren, flüchteten die Hofdamen, Dienerinnen und Sklavinnen unter einer Woge wehender Kleider aus dem weitläufigen Wohnraum der Sultanin, der sich im ersten Stock des Comaresturms der Alhambra befand.
»Und was ist mit dir?«, fuhr Aischa Zahra an. »Was hockst du noch immer hier herum? Raus, habe ich gesagt, ich will allein sein!«
Zahra erhob sich von ihrem Sitzkissen, blieb jedoch stehen. »Ihr . Ihr fürchtet Euch vor den kastilischen Gesandten, nicht wahr?«, brachte sie nach einem Zögern heraus.
»Fürchten - ich, die Sultanin von Granada?« Aischa lachte auf, doch sie schien selbst zu merken, wie gezwungen es klang. Von plötzlichem Unwillen gepackt, erhob sie sich von ihrem Diwan und trat an eines der hohen Bogenfenster, das auf das dichtbevölkerte Viertel jenseits des Rio Darro hinausging. Ihr Blick verlor sich zwischen den weißen Häusern und Palästen des Albaicínhügels und dem sich weithin erstreckenden fruchtbaren Land ihrer Väter. Zahra sah, wie sich ihre Haltung allmählich entspannte.
»Fürchten . Nein, ich fürchte mich nicht«, seufzte Aischa nach einer Weile und fuhr mit der Hand über das edle Holz des Fensterrahmens. »Nur Feiglinge fürchten sich. Aber die Ankunft der kastilischen Gesandten . Nun ja, sie beunruhigt mich schon. Seit sich Hassan diese kastilische Hure Isabel de Solís als Zweitfrau genommen und mich in den Comaresturm verbannt hat, erfahre ich kaum noch, was hier vorgeht, und leider gibt sich auch der Großwesir in der letzten Zeit zunehmend bedeckt. Und doch bin ich mir sicher, dass hier irgendetwas vorgeht. Warum sonst konnte mir Hassan bei unserer letzten Begegnung vor drei Tagen kaum in die Augen sehen?«
Zahra legte das Buch auf dem Diwan ab und trat zu ihrer Gebieterin. Neben deren stets stolz aufgerichteter und solider Gestalt kam sie sich auch heute wieder klein und unscheinbar vor. Wie um sich Mut zu machen, reckte sie das Kinn.
»Es kann allerdings gut sein, dass der Emir Pläne hat, die er Euch verschweigt«, platzte sie heraus. »Vor kurzem habe ich nämlich ein Gespräch belauscht.«
Aischa fuhr zu ihr herum. »Was für ein Gespräch?«
»Zwischen meinem Halbbruder Yazid und einem Fremden .« Zahra erzählte ihr das wenige, was sie wusste.
»Also doch!« Aischa schüttelte den Kopf. »Ich wusste es, beim Allmächtigen, ich wusste, dass hier irgendetwas gespielt wird.«
Zahra sah zu ihr auf. »Wenn ich Euch helfen kann .«
Aischa betrachtete sie nachdenklich. »Du bist ein ungewöhnliches Mädchen. Schon damals, als deine Mutter dich ab und an mit hierhergebracht hat und du mit meinen Söhnen gespielt hast, habe ich mir manches Mal insgeheim gewünscht, dass wenigstens einer meiner beiden Söhne etwas von deinem Mut und deiner Entschlossenheit besäße. Deswegen habe ich dich auch unbedingt an meinem Hof haben wollen.«
Zahra hoffte, dass sie nicht errötete. Sie war an Lob nicht gewöhnt, weder von zu Hause, wo man sie wegen ihres Eigensinns und ihres Vorwitzes zumeist nur tadelte, noch von Aischa, deren Blicke sie zwar oft auf sich spürte, die darüber hinaus aber kaum das Wort an sie richtete. Wieder einmal fragte sie sich, warum die Sultanin sie in ihren Hofstaat aufgenommen hatte. In deren Gemächern gab es ohnehin schon mehr dienstbare Geister als Aufgaben, und überdies verfügte Zahra über keinerlei Erfahrung als Hofdame. Sicher, im Unterschied zu den anderen konnte sie lesen und schreiben, aber darüber hinaus . Auch ihr Vater hatte sich gewundert, als Aischa sie in den Palast berief, und ihr Ansinnen zunächst kategorisch abgelehnt, doch seine Frau hatte ihm so lange zugesetzt, bis er schließlich zustimmte, dass Zahra an drei Tagen der Woche am Hof lebte.
Aischas Frage durchbrach ihre Gedanken. »Würdest du dir zutrauen, dich in den Myrtenhof zu schleichen und das Gespräch zwischen Hassan und den kastilischen Abgesandten zu belauschen? Aber du weißt: Wenn sie dich dabei erwischen, landest du im Kerker, und so gering, wie mein Einfluss derzeit ist, kann es Monate dauern, bis ich dich wieder freibekomme!«
Zahra schluckte und berührte instinktiv den feinziselierten, mit einem blauen Saphir besetzten Ring an ihrem Mittelfinger. Wie alle blauen Steine galt der Saphir bei den Arabern als Schutz gegen den bösen Blick und anderes Ungemach, und ihr Ring war sogar noch weit machtvoller: In ihm wohnte ihr Schutzgeist. Ihre maurische Großmutter hatte ihn ihr am Tag ihrer Geburt an einer Kette um den Hals gehängt. Ein Amulett, dessen Geist das Kind während seines ganzen Lebens beschützen sollte. Erst vor wenigen Wochen hatte Zahra den Ring von der Kette abnehmen und an ihren Mittelfinger stecken können, weil er endlich zumindest an diesem Finger passte, und ihn seither mit großem Stolz getragen. Stumm bat sie ihren Schutzgeist, ihr beizustehen, und nickte. »Mich wird schon niemand erwischen!«
»Gut«, sagte Aischa schlicht. »Dann geh hinunter in den Myrtenhof und versteck dich dort. Wenn die Wachen die Kastilier in den Thronsaal geführt haben, schleichst du dich an den Empfangssaal heran. Bei der Hitze heute wird die Tür des Thronsaals gewiss offen stehen, und so solltest du hören können, was sie zu besprechen haben. Geh sofort. Denn wenn du unten zugleich mit den kastilischen Gesandten ankommst, wird dir keine Zeit mehr bleiben, dir ein Versteck zu suchen - falls die Wachleute dich dann überhaupt noch in den Hof lassen.«
Mit geübten Griffen legte Zahra ihren Gesichtsschleier, den Niqab, an, ohne den sich auch so junge Mädchen wie sie nicht außerhalb der Frauengemächer zeigen durften, schwang sich den Hidschab, ein großes Umschlagtuch, um Kopf und Oberkörper und eilte über die Hintertreppe nach unten.
Zahra kam, ohne angehalten zu werden, an den überall im Palast aufgestellten Wachen vorbei. Viele kannten sie, andere schenkten ihr keine Beachtung. Sie waren dafür abgestellt, Meuchelmörder abzuwehren; kleine Mädchen interessierten sie nicht. Erst vor dem Eingang zum Myrtenhof versperrte eine Leibwache des Emirs Zahra den Weg. »Was hast du hier zu suchen?«, knurrte der große, mit einem Krummsäbel und zwei Dolchen bewaffnete Mann.
Unwillkürlich wich Zahra einen Schritt zurück.
»Im Thronsaal finden wichtige Beratungen statt!«
»Mei. meine Herrin hat mich gebeten, ihr einen Bund Myrten aus dem Myrtenhof zu holen«, stotterte Zahra. Obwohl ihr Herz flatterte, gelang es ihr, eine unschuldige Miene aufzusetzen.
Der Leibwächter machte eine unwillige Handbewegung. »Dann lauf, aber sieh zu, dass du wieder in den Gemächern der Sultanin bist, bevor die Abgesandten eintreffen!«
Zahra nickte und huschte weiter. Vor dem Einlass des Thronsaals, der auch Saal der Gesandten genannt wurde, traf sie noch einmal auf zwei Wachleute, die ihr allerdings nicht mehr Aufmerksamkeit als einem vorbeiflatternden Schmetterling schenkten. Zahra atmete auf und zwang sich, gemächlich zum Zentrum des Patios weiterzugehen, einem langgestreckten Wasserbecken. Wie an allen klaren Tagen spiegelte sich die mit zahlreichen filigranen Kunstwerken verzierte Fassade des Comaresturms friedlich in dem von immergrünen, herrlich duftenden Myrtenhecken umsäumten Becken. Ohne die Wachen aus den Augen zu lassen, pflückte Zahra hier und da einen blütengefüllten Zweig und näherte sich dabei dem Thronsaal.
Wie Aischa vermutet hatte, stand die hohe Doppelflügeltür weit offen. Wütende Stimmen drangen nach draußen. Schon bald begriff Zahra, dass der Grund des Zorns die Angriffe der Kastilier auf die fruchtbare Vega waren, die alte Scheidewand zwischen dem maurischen Königreich Granada und dem christlichen Kastilien. Am Vortag hatten sie erneut ein maurisches Dorf angegriffen und dabei einen Hügel kostbarer Olivenbäume niedergebrannt und ein Dutzend Männer gefangen genommen.
»Und inzwischen bieten sie unsere Landsleute sicher schon hohnlachend auf einem ihrer Sklavenmärkte feil!«, übertönte die Stimme von Zahras Halbbruder Yazid die anderen. »Mein Emir, glaubt Ihr mir jetzt endlich, dass wir den Christen die Stirn bieten müssen?«
»Das müssen wir allerdings. Und sei gewiss, dass ich den christlichen...
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