Schweitzer Fachinformationen
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Commissario Dionisio Di Bernardo nutzte die abendliche Regenpause und quälte sich den Joggingpfad im Gianicolo hinauf.
Sein Atem ging stoßweise, und die Seite tat ihm weh. Die leicht feuchte Trainingsjacke klebte unangenehm an seinem Unterhemd. Notgedrungen verlangsamte er das Tempo. Noch nicht einmal fünf Kilometer hatte er geschafft.
In der alles umhüllenden Dunkelheit des Winterabends wirkten sogar die prächtigen Gebäude des Vatikans verwaschen und müde. Auch der weite Blick über den Tiber, über dem ein blassgräulicher Nebel hing, konnte den Commissario heute nicht zum Joggen motivieren. Im Gegenteil, die Trägheit des Flusses schien sich auf ihn zu übertragen. Er überlegte gerade, ob er nicht lieber den Weg hügelabwärts nehmen sollte, als sein Handy klingelte. Es war die Questura.
»Scusi, Commissario, aber wie es aussieht, haben wir einen Mordfall. Eine Musikagentin ist in ihrem Büro in der Via Giovanni Antonelli tot aufgefunden worden«, berichtete Ispettore Roberto Del Pino. »Ich fahre mit Magnanti und Ricci nach Parioli. Die Spurensicherung ist auch schon im Anflug.«
»Ich beeile mich.« Di Bernardo drückte das Gespräch weg und sah auf die Uhr. Es war zehn vor neun. Der allwöchentliche Busfahrerstreik war gegen neunzehn Uhr zu Ende gegangen; er schätzte, mit dem Auto in ungefähr fünfundzwanzig Minuten am Tatort sein zu können.
Leicht resigniert verließ er den Joggingpfad und eilte nach Hause. So viel zu den guten Vorsätzen, wieder regelmäßig zu joggen. Die drei Kilo, die sich hinterhältigerweise an seinem Bauch angesammelt hatten und seiner Silhouette etwas Behäbiges gaben, versuchte er schon seit Wochen wieder loszuwerden. Mit der Betonung auf versuchte, wie sein siebzehnjähriger Sohn ihm ständig unter die Nase rieb.
Di Bernardo seufzte. Abgesehen davon, dass er nicht zum Laufen kam, war nun auch der geplante Abend mit Alberto in die Ferne gerückt, und das ausgerechnet an dem Tag, da der Junge bei ihm übernachtete. Dabei hatte er ihm versprochen, den neuesten Film mit Checco Zalone anzusehen.
Fünfzehn Minuten später hatte Di Bernardo sein verschwitztes Sportoutfit gegen einen braunen Anzug mit honiggelber Krawatte getauscht. Das Haar hatte er tags zuvor akkurat schneiden lassen; wie der Kinnbart war es am Ansatz ergraut. Einigermaßen zufrieden mit seiner Erscheinung, machte er sich auf den Weg nach Parioli. Als er am Tiber entlangfuhr, schälte sich Castel Sant'Angelo zu seiner Linken aus dem Dunst wie eine Trutzburg. Er erinnerte sich, wie er die Engelsburg mit seinem Vater besichtigt hatte. Er war kaum älter als zehn oder elf gewesen. Sein Vater hatte ihn auf den geheimen Gang aufmerksam gemacht, der als gewöhnliche Mauer getarnt war und zwischen der Residenz des Papstes und der Burg verlief: den Passetto di Borgo. Er hatte den Päpsten die Möglichkeit gegeben, zu fliehen, wenn Eindringlinge sie im Vatikan bedrohten oder der römische Pöbel vorhatte, sie in den Fluss zu werfen. Di Bernardo schmunzelte unwillkürlich. Die Römer waren so manches Mal nicht gerade zimperlich mit den Oberhäuptern der Kirche umgegangen.
Ein schlammfarbener Fiat vor ihm wechselte so plötzlich auf seine Spur, dass der Commissario gezwungen war, auszuscheren. Es war immer ein Risiko, wenn man im Straßenverkehr Roms ins Tagträumen geriet. Aber die Stadt machte es ihm schwer, sich auf die schlangengleichen Straßen und Gassen zu konzentrieren. Von überallher sprang ihn die Geschichte des römischen Imperiums geradezu an. Als kleiner Junge aus dem Süden hatte er sich ausgemalt, zwischen den Ruinen nach geheimen Schätzen zu graben. Was hätte er dafür gegeben, einen Aureus zu finden, am besten gleich eine ganze Kiste voll. Oder zur Not auch Denare und Sesterzen.
Inzwischen war es die zerfressene und dennoch unzerstörbare Schönheit der Bauten, die ihn faszinierte und die er in keiner anderen Stadt derart geballt gesehen hatte. Monumente von Krieg und Frieden, so wie hier, am Tiber, die Ara Pacis mit ihren Marmorreliefs, die über Jahrhunderte ebenso in Vergessenheit geraten war wie der zweihundertjährige Römische Frieden, zu dessen Anlass sie errichtet worden war. Letztlich schien jeder Frieden in einen Krieg zu münden, so wie das Leben in den Tod.
Womit ich in meinem Metier gelandet bin, dachte Di Bernardo und verzog das Gesicht. Nur, dass in seinem neuen Fall vermutlich keine Barbaren eingefallen waren und den Tod gebracht hatten. Aber wer wusste schon so genau, was Menschen zu Mördern machte.
Mit einem Mal hatte er es eilig, an den Tatort zu kommen. Am Ministerium der Marine bog er rechts auf die Piazzale delle Belle Arti ab und hatte Minuten später Parioli erreicht - das schickste Viertel Roms, in welches sich die durchschnittlichen Bürger nur selten verirrten. Denn die Pariolini blieben nun mal lieber unter sich.
Als der Commissario um halb zehn in der Via Antonelli im Herzen des Quartier Parioli aus dem Wagen stieg, zog er den Bauch ein und reckte die Schultern. Obwohl er nur eins fünfundsiebzig maß, wirkte er durch seine aufrechte Körperhaltung um einiges größer. Zumindest redete er sich das gern ein.
Während er den Wagen abschloss, ließ der Commissario den Blick über die weitläufige Straße schweifen. Außer den Polizeiwagen entdeckte er etliche Passanten unweit des Tatorts. Ein weiteres Auto hielt an: zwei Schaulustige mehr, die wegen der Absperrung neugierig geworden waren. Di Bernardo ließ den Blick wachsam über die Menge und weiter zu dem Patrizierhaus mit dem Schild Giordano Artists Management gleiten. Über der Eingangstür bemerkte er ein geschwungenes farbiges Ornament, das auf den ersten Blick wie eine Fabelgestalt wirkte und sich bei näherem Hinsehen als Medusenhaupt entpuppte. Für einen Moment verharrte er, um alle Einzelheiten in sich aufzunehmen. Dann bückte er sich unter dem Absperrband hindurch und trat ins Innere des Jugendstilgebäudes.
Im Flur roch es nach schon lange in den Wänden nistender Feuchtigkeit. Eine breite Treppe mit reich verziertem Handlauf wand sich neben einem kleinen und nicht besonders vertrauenerweckend wirkenden Aufzug die Stockwerke empor. Der Commissario nahm die Treppe zum dritten Stock, wo Del Pino vor der Wohnungstür auf ihn wartete und ihm wortlos Schuhüberzieher und Einmalhandschuhe reichte.
Vor der Türschwelle lagen zwei in fettige Servietten gewickelte belegte Brote auf dem Boden. Daneben lag ein Plastikbecher, aus dem Kaffee hinausgeflossen war. Er machte einen Schritt zur Seite und betrat die Räumlichkeiten der Agentur.
Das Erste, was Di Bernardo wahrnahm, war der Blutgeruch. Trotz der sechsundzwanzig Jahre, die er nun im Dienst war, hatte er sich daran nie gewöhnen können. Unwillkürlich zog er die Nasenflügel zusammen, atmete flacher. Als er den Blick senkte, stockte ihm der Atem.
Die Tote lag in unnatürlich verrenkter Pose auf dem Boden, an ihrem Hals klaffte eine lange Schnittwunde. Eine Menge Blut war aus der Wunde ausgetreten und bildete eine Lache, die ihren Körper umrahmte.
Sie sah aus, als wäre sie regelrecht abgestochen worden.
Di Bernardo zwang sich, einen Schritt näher zu treten. Das Gesicht der Toten, die er auf Anfang bis Mitte siebzig schätzte, war vor Schreck verzerrt, die braunen Haare vom Blut verklebt. Ihre aufgerissenen Augen waren zur Decke gerichtet. Für einen Moment verschränkte sich sein Blick mit ihrem, hielt ihn fest, als könne er ihn zwingen, ihm preiszugeben, wen das Opfer als Letztes gesehen hatte. Dann atmete er geräuschvoll aus und löste den Bann.
Di Bernardo hätte nicht mehr sagen können, wie viele Mordopfer er in den vergangenen Jahrzehnten gesehen hatte; in Kalabrien hatte er aufgehört zu zählen. Seine Kollegen behaupteten, dass sie mit der Erfahrung abstumpften. Darauf wartete er noch immer. Jeder einzelne Tote hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt, und er wusste, dass auch dieses Gemälde des Grauens, das er hier vor sich sah, nicht so bald verblassen würde.
Ganz automatisch versuchte er, sich auszumalen, welches Szenario sich hier abgespielt haben mochte. Kaltblütige Rache. Überhitzte Wut. Eifersucht, Habgier.
Er spürte, dass sein Jagdinstinkt geweckt war. Obwohl der Mörder noch nicht greifbar war, wusste Di Bernardo, dass er seine Gedanken beherrschen würde, bis er ihn gefasst hatte. Er würde ihn ins Visier nehmen und so lange jagen, bis er ihn zur Strecke gebracht hatte.
Dottor Fabio Ricci, der Gerichtsmediziner, kniete neben der Leiche. Er war ein sportlicher Mann Anfang vierzig mit Hornbrille und rötlichem Haar, das auf seine venezianische Abstammung hindeutete. Der Commissario mochte seine Art, die im Vergleich zu der vieler anderer Pathologen ungewöhnlich sensibel und zurückhaltend war.
»Ein tiefer, präziser Schnitt. Um zu wissen, wie sie starb, brauchen Sie keine Obduktion.«
»Ein einziger Schnitt. Spricht nicht gerade für eine Tat im Affekt«, überlegte Di Bernardo.
»Wenn Sie mich fragen, Commissario, es ist weitaus brutaler, einen einzigen akkuraten, kraftvollen Schnitt zu ziehen als wild draufloszustechen«, sagte Ricci und blickte zu ihm auf.
Di Bernardo nickte. »Das sehe ich auch so. Die Tatwaffe?«
»Bisher unauffindbar.«
»Der Todeszeitpunkt?«
»Vor etwa fünfzig Minuten. Der Kehlschnitt hat die Arterien und die Luftröhre durchtrennt. Nach dem Öffnen der Arterien ist der Blutverlust enorm. Der Tod erfolgt binnen Sekunden.«
Di Bernardo betrachtete die Szenerie. Neben der Toten lag ein umgekippter Bürostuhl. Der Computer stand seltsamerweise so, dass Cornelia Giordano mit dem Rücken zur Tür am...
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